Entscheidungsdatum: 16.12.2015
Die beabsichtigte Entscheidung des 2. Strafsenats widerspricht der Rechtsprechung des 1. Strafsenats, der an dieser festhält.
Der 2. Strafsenat hat über die Revision eines niederländischen, auf Grund eines Europäischen Haftbefehls in seinem Heimatstaat festgenommenen und am 17. Oktober 2011 an Deutschland ausgelieferten Angeklagten zu entscheiden, der vom Landgericht wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist. Der 2. Strafsenat hält die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts für die in den Niederlanden begangenen Taten nicht für gegeben und erachtet die Revision insoweit für erfolgversprechend. Er ist mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar der Auffassung, dass die - hier für eine Begründung der Anwendung deutschen Strafrechts allein in Betracht kommend bewertete - Vorschrift des § 6 Nr. 5 StGB Ausdruck des Weltrechtsprinzips sei, es aber zur Ausdehnung der deutschen Strafgewalt auf Auslandstaten ausländischer Täter eines legitimierenden Anknüpfungspunktes bedürfe; die Auslieferung des Beschuldigten nach Deutschland und seine daran anschließende Festnahme im Inland seien nicht geeignet, einen solchen hinreichenden Inlandsbezug zu begründen. Der 2. Strafsenat beabsichtigt daher zu entscheiden:
„Die Ausdehnung der deutschen Strafgewalt auf Auslandstaten ausländischer Täter im Rahmen des § 6 Nr. 5 StGB bedarf zu ihrer Rechtfertigung eines hinreichenden Inlandsbezugs; die Auslieferung des im Ausland festgenommenen Beschuldigten und seine daran anschließende Festnahme im Inland vermögen einen solchen nicht zu begründen.“
Hieran sieht er sich jedoch durch nicht ausschließbar entgegenstehende Rechtsprechung des 1. Strafsenats (Senat, Urteil vom 12. November 1991 - 1 StR 328/91, BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 2) gehindert.
An der in dem in Bezug genommenen Urteil geäußerten Rechtsansicht, die auch dem Senatsurteil vom 5. November 2014 (1 StR 299/14) zugrunde liegt und dieses trägt, hält der Senat fest.
I.
1. In dem Urteil vom 12. November 1991 (1 StR 328/91) hat der Senat es offen gelassen, ob es zur Ausdehnung der deutschen Strafgewalt auf Auslandstaten ausländischer Täter über die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen hinaus im Einzelfall eines legitimierenden Anknüpfungspunktes bedarf. Denn in dem zu entscheidenden Fall ist der Senat vom Vorliegen mehrerer geeigneter Anknüpfungspunkte ausgegangen. Als einen solchen Anknüpfungspunkt hat er auch angesehen, dass der Angeklagte auf Grund rechtmäßiger Auslieferung durch den Heimatstaat, also mit dessen Einverständnis in die Bundesrepublik gelangte.
2. In dem Urteil vom 5. November 2014 (1 StR 299/14) hat der Senat die Geltung deutschen Strafrechts auf § 6 Nr. 5 StGB gestützt und die Inlandsberührung aus der Auslieferung des Angeklagten an die Bundesrepublik Deutschland hergeleitet. Soweit der 2. Strafsenat der Auffassung ist, diese Entscheidung beträfe die Auslieferung eines Deutschen und damit eine andere Fallkonstellation, wird dem entgegengetreten. Eine mögliche deutsche Staatsangehörigkeit des Angeklagten wird im Urteil des Senats schon nicht ausdrücklich mitgeteilt und kann allein deswegen nicht für die Begründung der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts entscheidend gewesen sein. Denn hätte der Senat diesem Umstand Bedeutung beigemessen, hätte er ihn zumindest erwähnt. Entscheidend war vielmehr, wie in der Entscheidung auch ausgeführt, dass „ungeachtet der Bestimmungsorte der verfahrensgegenständlichen Rauschgiftlieferungen jedenfalls aus der Auslieferung des Angeklagten an die Bundesrepublik Deutschland“ eine ausreichende Inlandsberührung resultierte.
II.
Der Senat hält daran fest, dass jedenfalls die Auslieferung nach Deutschland für die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf Auslandstaten ausländischer Täter einen für die Begründung der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nach § 6 Nr. 5 StGB ausreichenden Bezugspunkt darstellt. Er ist sogar der Auffassung, dass es eines über die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen hinausgehenden legitimierenden Anknüpfungspunktes im Sinne einer Begrenzung der strafrechtlichen Regelungsgewalt nicht bedarf. Für die Durchführung eines Strafverfahrens gegen ausländische Täter wegen Auslandstaten wird es jedoch regelmäßig aus rein praktischen Erwägungen Voraussetzung sein, dass der Täter sich entweder in Deutschland aufhält und hier ergriffen werden kann (vgl. zum Inlandsbezug Senat, Urteil vom 12. November 1991 - 1 StR 328/91, BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 2) oder hierher ausgeliefert wird. Daran knüpft auch Art. 4 Abs. 2 lit. b des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 an.
1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass nach der in § 6 Nr. 5 StGB zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Entscheidung der unbefugte Vertrieb von Betäubungsmitteln dem Weltrechtsprinzip unterworfen ist. Hieran möchte auch der anfragende Senat festhalten, weswegen dies nicht nur keiner näheren Vertiefung bedarf (vgl. Nachweise im Anfragebeschluss Rn. 8 f.), sondern auch nicht Gegenstand des Anfrageverfahrens ist.
Das Weltrechtsprinzip lässt eine Ausdehnung der Strafgewalt auf Taten gegen Rechtsgüter zu, deren Schutz im gemeinsamen Interesse der Staatengemeinschaft liegt, um Verfolgungsdefizite im Tatortstaat zu überwinden und im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft einen effektiven strafrechtlichen Schutz dieser Rechtsgüter zu gewährleisten (vgl. BVerfG NJW 2001, 1848, 1852; Böse in NK-StGB, 4. Aufl. Vor § 3 Rn. 21, 26 mwN).
2. Daraus folgt im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 6 Nr. 5 StGB unmittelbar die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf Auslandstaten ausländischer Täter. Es bedarf keines darüber hinausgehenden Inlandsbezugs.
a) Das Erfordernis eines solchen einschränkenden Kriteriums ergibt sich weder aus Wortlaut oder Systematik der Norm noch kann dies dem Willen des historischen Gesetzgebers entnommen werden.
Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift des § 6 Nr. 5 StGB gilt das deutsche Strafrecht für den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln. Weitere Voraussetzungen sind nach dem Gesetz nicht vorgesehen.
Soll demgegenüber im Bereich des Strafanwendungsrechts die deutsche Strafgewalt nicht schon bei Vorliegen bestimmter Katalogtaten, sondern erst bei Hinzutreten eines Inlandsbezugs begründet sein, hat dies der Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet. So bedarf es eines solchen Inlandsbezugs z.B. für die in § 5 StGB aufgeführten Auslandstaten mit Ausnahme der in Nr. 1, 2 und 4 der Vorschrift erfassten Katalogtaten. Auch für § 129b StGB hat der Gesetzgeber das Erfordernis eines spezifischen Inlandsbezugs gesetzlich festgeschrieben. Daraus, dass er eine solche Einschränkung für § 6 Nr. 5 StGB nicht vorgesehen hat, kann daher auf den gesetzgeberischen Willen der uneingeschränkten Geltung des Weltrechtsprinzips für den Vertrieb von Betäubungsmitteln geschlossen werden. Dementsprechend lässt sich auch den Materialien nichts für eine vom historischen Gesetzgeber gewünschte Begrenzung des Weltrechtsprinzips entnehmen (vgl. nur BR-Drucks. 200/62, S. 109; BT-Drucks. V/4095, S. 4 und 7).
b) Auch Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten keine über den Wortlaut hinausgehende Einschränkung. Denn vom Schutzzweck her sachgerecht und vom Gesetzgeber erkennbar gewollt ist es, dem Betäubungsmittelhandel, der wegen seiner grenzüberschreitenden Gefährlichkeit auch Inlandsinteressen berührt, durch Anwendung des deutschen Strafrechts auf den Händler entgegenzuwirken, gleich welcher Staatsangehörigkeit er ist und wo er die Tat begangen hat (BGH, Beschluss vom 3. November 2011 - 2 StR 201/11, NStZ 2012, 335; Urteil vom 22. Januar 1986 - 3 StR 472/85, BGHSt 34, 1, 3). Die Beschränkung auf Taten mit einem qualifizierten Inlandsbezug wäre bei der Umsetzung dieses Schutzzwecks eher hinderlich.
3. Soweit der anfragende Senat die Notwendigkeit einer materiell-rechtlichen Einschränkung des Tatbestandes des § 6 Nr. 5 StGB letztlich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes herleiten möchte, da anderenfalls keine gleichförmige, der revisionsrechtlichen Kontrolle zugängliche Rechtsausübung gewährleistet sei, kann der Senat dem angesichts der eindeutigen gesetzlichen Ausgestaltung nicht folgen.
a) Richterliche Tätigkeit besteht zwar nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Vielmehr ist dem Richter eine „schöpferische Rechtsfindung“, der auch willenhafte Elemente eigen sind, nicht grundsätzlich verwehrt (BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 40; vgl. auch BVerfGE 49, 304, 318; 96, 375, 394; 122, 248, 267). Anlass zu richterlicher Rechtsfortbildung besteht insbesondere dort, wo Programme ausgefüllt, Lücken geschlossen, Wertungswidersprüche aufgelöst werden oder besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung getragen wird (BVerfGE 126, 286, 306). Der Aufgabe und Befugnis zur „schöpferischen Rechtsfindung und Rechtsfortbildung“ sind allerdings mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung Grenzen gesetzt (vgl. BVerfGE 34, 269, 288; 57, 220, 248; 74, 129, 152). Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt (vgl. BVerfGE 82, 6, 12; BVerfGK 8, 10, 14; BVerfG, Beschluss vom 26. September 2011 - 2 BvR 2216/06, NJW 2012, 669).
Danach sieht der Senat weder Raum noch Erfordernis für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 6 Nr. 5 StGB. Es liegen weder Lücken noch Wertungswidersprüche vor und es ist auch nicht ersichtlich, dass bei einer am Wortlaut haftenden Auslegung die Norm ihre Funktion nicht mehr erfüllt (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 40).
b) Zwar führt § 6 Nr. 5 StGB trotz der Beschränkung auf den Vertrieb der Betäubungsmittel (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. September 2009 - 3 StR 383/09, NStZ 2010, 521) zu einer großen Reichweite der deutschen Strafgewalt. Jedoch sind die deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht dazu gezwungen, ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls gegen den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln im Ausland einzuschreiten. Die Staatsanwaltschaft hat nach § 153c StPO ein Verfolgungsermessen, das auch Raum für Rücksichtnahme auf nationale Interessen des Auslands lässt (BGH, Urteil vom 8. April 1987 - 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 337). Vor diesem Hintergrund ist nicht abzusehen, dass der Verzicht auf einen besonderen, über die Auslieferung hinausgehenden Inlandsbezug dazu führen könnte, dass eine dem Gleichheitsgedanken verpflichtete funktionsfähige Strafrechtspflege nicht mehr gewährleistet wäre. Dies war auch in der Vergangenheit nicht der Fall.
c) Auch der Umstand, dass die Ermessensausübung der Staatsanwaltschaft im Rahmen des § 153c StPO der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen ist (vgl. nur BGH aaO), führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Ausübung des Ermessens z.B. nach §§ 153, 153a, 154, 154a StPO ist ebenfalls revisionsrechtlicher Kontrolle entzogen, der Gesetzgeber hat sich insoweit bewusst für ein durch Opportunitätsvorschriften begrenztes Legalitätsprinzip (vgl. hierzu Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., Einl. I Rn. 19 ff.) entschieden, ohne dass dies verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Es ist nicht ersichtlich, warum die fehlende revisionsrechtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen allein im Bereich des § 153c StPO eine Gefahr für die Rechtssicherheit darstellen sollte.
Ob eine andere Handhabung der Rechtssicherheit besser gerecht werden würde, hat der Senat angesichts der Gesetzesbindung der Rechtsprechung nicht zu entscheiden.
4. Eine solche Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 6 Nr. 5 StGB ist auch nicht völkerrechtlich geboten. Insbesondere der Nichteinmischungsgrundsatz macht keinen über die Auslieferung nach Deutschland hinausgehenden Inlandsbezug erforderlich.
Auch der anfragende Senat geht im hier vorliegenden Fall nicht von einem Verstoß gegen den Nichteinmischungsgrundsatz aus, da dem Einverständnis des ausliefernden Staates mit der Auslieferung des Beschuldigten zu entnehmen sei, dass dieser Staat keinen Verstoß gegen den Nichteinmischungsgrundsatz erblicke (Anfragebeschluss Rn. 21). Dem ist zuzustimmen.
Der Senat sieht aber auch aus anderen Gründen den Nichteinmischungsgrundsatz nicht als verletzt an. Angesichts des Umstandes, dass das geltende Weltrechtsprinzip für den Vertrieb von Betäubungsmitteln seine Grundlage auch in dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (BGBl. 1993 II, S. 1136 ff.) findet und dieses von nahezu sämtlichen Staaten ratifiziert worden ist (Darstellung des Ratifikationsstandes bei Böse in NK-StGB, 4. Aufl. Vor § 3 Rn. 26 Fn. 233), kann von einem grundsätzlichen Konsens über die Strafbarkeit des organisierten Drogenhandels (Böse aaO) und die kollektive Verantwortung aller Staaten für die Ausmerzung desselben ausgegangen werden. Hinzu tritt, dass Deutschland damit mit nahezu sämtlichen Staaten eine völkervertragliche Vereinbarung geschlossen hat, wonach die nach jeweiligem innerstaatlichen Recht begründete Strafbarkeit für diese Taten zugelassen ist. Darin, dass Deutschland als Vertragsstaat von dieser Möglichkeit durch die Anordnung des Weltrechtsprinzips Gebrauch gemacht hat, kann mithin kein Verstoß gegen den Nichteinmischungsgrundsatz liegen (vgl. zur aufgrund zwischenstaatlichem Abkommen begründeten Verfolgungspflicht gemäß § 6 Nr. 9 StGB BGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - 3 StR 372/00; NStZ 2001, 658). Vor diesem Hintergrund bietet § 153c StPO ausreichende Möglichkeiten auf nationale Interessen von anderen Staaten Rücksicht zu nehmen.
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RiBGH Prof. Dr. Mosbacher |
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