Entscheidungsdatum: 26.04.2016
1. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach § 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO erstreckt sich auf Vereins- und ihnen gleichzustellende Betätigungsverbote durch das Bundesministerium des Innern, nicht jedoch auf Verfügungen, die lediglich den Vollzug eines bereits ausgesprochenen Organisationsverbots betreffen.
2. Ein Rechtsstreit ist auch nach Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses nach § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG an das sachlich und örtlich zuständige Verwaltungsgericht zur eigenverantwortlichen Entscheidung zu verweisen.
I
Der Kläger ist ein eingetragener Verein in Köln. Er hat Klage beim Bundesverwaltungsgericht gegen die u.a. ihm gegenüber erlassene vereinsrechtliche Verfügung vom 10. April 2015 erhoben, in der das Bundesministerium des Innern festgestellt hat, dass Herstellung und Vertrieb der Publikation "Yürüyüs" den organisatorischen Zusammenhalt der im August 1998 verbotenen Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C) aufrechthalten und damit den Strafgesetzen zuwiderlaufen. Zugleich wurden Herstellung und Vertrieb der Publikation "Yürüyüs" und die Verbreitung der Internetseite www.yuruyus.info im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes verboten und entsprechende Nebenentscheidungen getroffen.
Auf den gerichtlichen Hinweis, es bestünden Zweifel daran, ob der Bescheid als Vereins- oder Betätigungsverbot angesehen werden könne und das Bundesverwaltungsgericht sachlich gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zuständig sei, hat die Beklagte die angegriffene Verfügung am 12. Januar 2016 aufgehoben. Hierauf hat der Kläger trotz mehrfacher Aufforderung nicht reagiert.
Der Beklagte beantragt Klageabweisung und hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht Berlin. Sei - wie hier - ein im Instanzenzug nachgeordnetes Gericht zuständig, könne das Revisionsgericht aus Gründen der Prozessökonomie ausnahmsweise selbst über die nach Aufhebung der angegriffenen Verfügung unzulässig gewordene Klage entscheiden.
II
Das Bundesverwaltungsgericht ist - ungeachtet des Umstandes, dass mit der nachträglichen Aufhebung der Verfügung durch die Beklagte das Rechtsschutzinteresse für die erhobene Anfechtungsklage entfallen sein dürfte - nicht zuständig. Nach § 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO entscheidet es im ersten und letzten Rechtszug (nur) über Klagen gegen die vom Bundesminister des Innern nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 VereinsG ausgesprochenen Vereinsverbote und nach § 8 Abs. 2 Satz 1 VereinsG erlassenen Verfügungen (Verbot der Bildung von Ersatzorganisationen). Diese gerichtliche Zuständigkeit erstreckt sich auch auf ein Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG, das ein Vereinsverbot ersetzt und - wie dem Klammerzusatz in der Vorschrift zu entnehmen ist - ebenfalls als Vereinsverbot anzusehen ist (vgl. BVerwG, Zwischenurteil vom 21. Januar 2004 - 6 A 1.04 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 40 S. 75 und Gerichtsbescheid vom 8. August 2005 - 6 A 1.04 - juris Rn. 13). Demgegenüber werden Verfügungen, die ihrem materiellen Gehalt nach kein Vereinsverbot enthalten, sondern den Vollzug eines bereits ausgesprochenen Organisationsverbots betreffen, nicht von der Spezialvorschrift des § 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO erfasst. Denn die von den Regelbestimmungen abweichenden besonderen Zuständigkeitsregelungen in § 48 Abs. 2 und 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO tragen dem Umstand Rechnung, dass Vereinsverbote wegen ihres politischen Charakters und ihres Einflusses auf die Staatssicherheit einen die Verhältnisse rasch klärenden Rechtsschutz erfordern; für die Anfechtung von Einzelmaßnahmen zum Vollzug eines Verbots bzw. einer Feststellungsverfügung verbleibt es nach den Gesetzesmaterialien hingegen bei den allgemeinen Zuständigkeitsbestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung (BT-Drs. 4/430 S. 25).
Auch wenn das Bundesministerium des Innern die angefochtene Verfügung u.a. auf § 3 Abs. 1 und § 18 Satz 2 VereinsG gestützt, seine Tenorierung an ein Vereinsverbot angelehnt und der Verfügung eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt hat, wonach beim Bundesverwaltungsgericht Klage zu erheben ist, handelt es sich in der Sache nicht um ein gegen eine Vereinigung gerichtetes Vereins- oder dem gleichstehendes Betätigungsverbot. Vielmehr knüpft die Verfügung an ein bestandskräftiges Organisationsverbot an und konkretisiert gegenüber jedermann die sich hieraus kraft Gesetzes ergebenden Rechtsfolgen in Bezug auf die Herstellung und den Vertrieb einer bestimmten Publikation und die Verbreitung einer bestimmten Internetseite.
Der Rechtsstreit ist deshalb - nachdem die Beteiligten hierzu angehört und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist - gemäß § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG an das sachlich (§ 45 VwGO) und örtlich (§ 52 Nr. 2 VwGO) zuständige Verwaltungsgericht Berlin zu verweisen. Allein prozessökonomische Gründe rechtfertigen entgegen der Auffassung der Beklagten keine hiervon abweichende Handhabung. Zwar hat die Beklagte die streitgegenständliche Verfügung inzwischen aufgehoben. Eine Entscheidung über die sich hieraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen für den Erfolg der Klage obliegt aber - wie sich aus dem Verweis in § 83 VwGO auf §§ 17 bis 17b GVG ergibt - nach dem Willen des Gesetzgebers allein dem sachlich zuständigen Gericht (vgl. § 17 Abs. 2 GVG in entsprechender Anwendung).
Die Entscheidung über die Kosten bleibt gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 2 VwGO der Endentscheidung vorbehalten.