Entscheidungsdatum: 04.05.2011
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 18. Mai 2010 zugelassen.
Auf die Revision des Beklagten wird das vorgenannte Urteil aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 139.902 €
I.
Der Kläger macht gegen den Beklagten als seinen ehemaligen Betreuer Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzungen bei Ausübung der Betreuertätigkeit geltend.
Der von Geburt an geistig behinderte Kläger befindet sich seit 1975 in einem Diakoniezentrum der E. gAG. Nachdem der Kläger von seinem Vater ein erhebliches Vermögen, zu dem auch zwei Immobilien gehörten, geerbt hatte, wurde im Jahr 1992 der Beklagte zum Betreuer des Klägers mit den Aufgabenkreisen Zustimmung zur Heilbehandlung, Vertretung vor Gerichten und Behörden, Vermögenssorge und Aufenthaltsbestimmung bestellt.
Bis Oktober 2004 bestritt der Kläger die Heim- und Pflegekosten aus den Barmitteln seiner Erbschaft. Ab November 2004 leistete er keine Zahlungen an die E. gAG. Auf die wegen der rückständigen Heim- und Pflegekosten erhobenen Klage der E. gAG wurde der Kläger durch Anerkenntnisurteil vom 20. April 2007 zur Zahlung von rund 105.310 € verurteilt.
2007 verkaufte der Beklagte ein Grundstück des Klägers, für das im Jahr 2001 von einem Gutachter ein Verkehrswert von rund 76.693 € ermittelt worden war, zu einem Kaufpreis von 37.500 €.
Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger vom Beklagten Schadensersatz in Höhe von gerundet 144.504 € nebst Zinsen. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Beklagte hätte bereits im Oktober 2004 einen Sozialhilfeantrag für den Kläger stellen müssen. In diesem Fall hätte das Sozialamt die Heim- und Pflegekosten übernommen und der Kläger wäre nicht zur Zahlung von rund 105.310 € verurteilt worden. Daneben schulde der Beklagte Schadensersatz in Höhe von rund 39.139 €, weil er ein bereits seit Übernahme der Betreuung im Jahre 1992 leer stehendes Grundstück des Klägers erst im Jahr 2007 verkauft und deshalb nur einen Verkaufserlös weit unter dem im Jahr 2001 ermittelten Verkehrswert erzielt habe.
Der Kläger hat zunächst einen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt, der vom Landgericht mit der Begründung abgelehnt wurde, der Kläger habe weder eine Pflichtverletzung des Beklagten noch einen ersatzfähigen Schaden schlüssig dargelegt. Das Kammergericht hat sich dieser Auffassung angeschlossen und die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen.
Die dennoch erhobene Klage hat das Landgericht mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe eine Pflichtverletzung des Beklagten nicht substantiiert vorgetragen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Kammergericht den Beklagten zur Zahlung von rund 34.592 € und zur Freistellung des Klägers von der durch das Anerkenntnisurteil titulierten Forderung der E. gAG in Höhe von rund 105.310 € verurteilt.
Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten. Er begehrt die Zulassung der Revision und im Ergebnis die Abweisung der Klage.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits (§ 544 Abs. 7 ZPO). Das Berufungsgericht hat, wie der Beklagte zu Recht rügt, dessen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, das Landgericht habe die Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Klägers überspannt. Zwar sei der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers zu Recht abgelehnt worden, weil die Begründung des Gesuchs etwas oberflächlich ausgefallen sei. Spätestens nach der Einreichung der Klage und dem Eingang der Klageerwiderung habe das Landgericht seine ursprüngliche Haltung zur Substantiierungspflicht aber überdenken und zu der Feststellung kommen müssen, dass dem Beklagten die vorgeworfene Pflichtverletzung zur Last falle.
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis nach § 139 ZPO zu erhalten, wenn es der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und insbesondere aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält (Senatsurteil vom 27. April 1994 - XII ZR 16/93 - NJW 1994, 1880, 1881; BGH Urteile vom 15. März 2006 - IV ZR 32/05 - FamRZ 2006, 942, 943 und vom 16. Mai 2002 - VII ZR 197/01 - NJW-RR 2002, 1436). Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (BVerfGE 84, 188, 189 f.). Rechtliche Hinweise müssen danach den Parteien in ihrer konkreten Situation so erteilt werden, dass es diesen auch tatsächlich möglich ist, vor einer Entscheidung zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können, sie also nicht gehindert werden, rechtzeitig ihren Sachvortrag zu ergänzen (BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144; Zöller/Greger, ZPO 29. Aufl. § 139 Rn. 14).
3. Danach hätte das Kammergericht dem Beklagten rechtzeitig den Hinweis erteilen müssen, dass es - anders als das Landgericht - die Klage für schlüssig hält und damit dem Beklagten die Gelegenheit geben müssen, seinen Vortrag entsprechend zu ergänzen.
a) Das Landgericht hat die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger die Ursächlichkeit zwischen der behaupteten Pflichtverletzung des Beklagten und dem geltend gemachten Schaden nicht schlüssig dargelegt habe. Es stehe nämlich aufgrund der im Jahr 2006 noch vorhandenen beträchtlichen Eigenmittel des Klägers nicht fest, ob ihm bei einer Antragstellung im Oktober 2004 tatsächlich Sozialhilfe in Form der Übernahme der Heim- und Pflegekosten gewährt worden wäre. In der Berufungsbegründung hat der Kläger seinen Vortrag hierzu nur geringfügig gegenüber seinem erstinstanzlichen Vorbringen ergänzt. Insbesondere ist er auf die vom Landgericht für entscheidend gehaltene Frage, ob der Kläger bereits bei einer Antragstellung im Oktober 2004 tatsächlich Sozialhilfe erhalten hätte, nicht substantiiert eingegangen. Der Kläger hat nur seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt, wonach die sozialhilferechtliche Situation im November 2004 und im Juni 2006 identisch und sämtlicher Grundbesitz des Klägers noch vorhanden gewesen sei. Die weiterhin fehlende Substantiierung des Vorbringens wurde vom Beklagten im Berufungsverfahren ausdrücklich gerügt. In dieser Verfahrenssituation durfte der Beklagte darauf vertrauen, dass sein Vortrag im Berufungsverfahren ausreichend war, zumal das Kammergericht im Prozesskostenhilfeverfahren die Klage ebenfalls für unschlüssig gehalten und einen Schaden des Klägers verneint hatte.
In seiner Entscheidung hat das Kammergericht indes eine von dem erstinstanzlichen Urteil abweichende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zugrunde gelegt, indem es den Beklagten für verpflichtet gehalten hat, die Vermögensverhältnisse des Klägers im November 2004 darzulegen und vorzutragen, weshalb vorhandene Mittel nicht zur Bezahlung der Heimkosten verwendet wurden. Auf diese abweichende Rechtsauffassung hätte das Kammergericht den Beklagten hinweisen müssen, um ihm Gelegenheit zu geben, seinen Sachvortrag zu ergänzen und gegebenenfalls Beweis anzutreten. Dies ist nicht geschehen.
b) Zudem hätte das Kammergericht den Beklagten darauf hinweisen müssen, dass es die Klage auch hinsichtlich des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs wegen des verspäteten Verkaufes der Immobilie für schlüssig hält. Das landgerichtliche Urteil verhält sich zu diesem Klagebegehren nicht. Im Prozesskostenhilfeverfahren hatte das Kammergericht in seiner Beschwerdeentscheidung hierzu noch ausgeführt, dass der Sachvortrag des Klägers für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht genüge. Für die behauptete Pflichtverletzung sei ausschließlich der Kläger darlegungs- und beweispflichtig. Dieser habe nicht schlüssig dargetan, dass zu irgendeinem Zeitpunkt auch ein Käufer gefunden und bereit gewesen wäre, das Grundstück zu dem im Jahr 2001 ermittelten Schätzpreis zu erwerben und der Beklagte dies pflichtwidrig verhindert habe. In der angegriffenen Entscheidung hat das Kammergericht dagegen die Auffassung vertreten, der Beklagte könne sich nicht mit der Begründung entlasten, der Kläger habe nicht schlüssig dargetan, dass ein Käufer gefunden worden wäre, der das Grundstück zu dem Schätzpreis erworben hätte. Der Beklagte hätte vielmehr selbst vortragen müssen, dass er vergeblich versucht habe, das Grundstück zu einem akzeptablen Preis zu veräußern. Damit hat das Kammergericht seine Entscheidung auf eine Begründung gestützt, mit der der Beklagte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. Ohne einen rechtzeitigen Hinweis hätte das Berufungsgericht diese geänderte Rechtsauffassung zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast seiner Entscheidung nicht zu Grunde legen dürfen. Ohne einen vorherigen Hinweis nach § 139 ZPO darf ein Gericht keine Anforderungen an den Sachvortrag stellen, mit denen auch eine gewissenhafte und kundige Prozesspartei nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (BVerfG NJW 2000, 275; BGHZ 154, 288 = NJW 2003, 1944, 1947).
4. Schließlich hat das Kammergericht den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) auch dadurch verletzt, dass es entscheidungserhebliches erstinstanzliches Vorbringen des Beklagten nicht berücksichtigt hat.
Das Kammergericht hat die Auffassung vertreten, dass der Beklagte im Rahmen der sekundären Darlegungslast habe vortragen müssen, dass er vergeblich versucht habe, das Grundstück zu einem angemessenen Preis zu veräußern. Unabhängig von der Frage, ob dieses Verständnis der Regeln über die sekundäre Darlegungslast der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs entspricht (vgl. hierzu Senatsurteile vom 18. Februar 2009 - XII ZR 163/07 - FamRZ 2009, 849 Rn. 22 und vom 22. April 1998 - XII ZR 229/96 - FamRZ 1998, 955, 956 mwN), hat das Kammergericht sich nicht mit dem Vorbringen des Beklagten befasst, wonach dieser bereits im Jahr 2001 einen Architekten mit dem Verkauf der Immobilie beauftragt habe und trotz mehrerer Kaufinteressenten ein Verkauf des Anwesens nur an der nicht erteilten Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht gescheitert sei. Auf der Grundlage der vom Kammergericht vertretenen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast wäre dieses Vorbringen des Beklagten entscheidungserheblich gewesen. Dennoch wurde es vom Kammergericht nicht berücksichtigt. Zwar hat der Beklagte diesen erstinstanzlichen Vortrag in der Berufungsinstanz nicht ausdrücklich wiederholt. Da das Landgericht zu der behaupteten Pflichtverletzung durch den verspäteten Verkauf der Immobilie keine Ausführungen gemacht hat, bestand für den Beklagten nach dem bisherigen Verfahrensverlauf aber kein Anlass, in der Berufungserwiderung diesen Vortrag ausdrücklich zu wiederholen. Da dieses Vorbringen in der Berufungsinstanz angefallen war (vgl. BGH Urteil vom 27. September 2006 - VIII ZR 19/04 - NJW 2007, 2414 Rn. 16 mwN), hätte es vom Kammergericht berücksichtigt werden müssen.
5. Das angefochtene Urteil kann unter diesen Umständen keinen Bestand haben. Der Rechtsstreit muss an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, um dem Beklagten die Nachholung des erforderlichen Vortrags zu ermöglichen.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
Nach allgemeinen Grundsätzen ist der Kläger auch bei einem Schadensersatzanspruch nach §§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1833 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Pflichtverletzung, den Schaden und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden darlegungs- und beweispflichtig (Palandt/BGB 70. Aufl. § 1833 Rn. 6). Deshalb muss der Kläger im vorliegenden Fall zunächst einen schlüssigen und gegebenenfalls beweisbewehrten Vortrag dazu halten, dass er bei einer Antragstellung im November 2004 einen Anspruch auf Sozialhilfe gehabt hätte und er deshalb die Heim- und Pflegekosten nicht aus seinem Einkommen und Vermögen hätte bestreiten müssen. Nur wenn der Kläger nachvollziehbar darstellen kann, dass ihm ein entsprechender Anspruch auf Sozialhilfe zugestanden hätte und dieser allein an der verspäteten Antragstellung durch den Beklagten gescheitert ist, käme ein hierdurch entstandener Vermögensschaden des Klägers in Betracht (vgl. OLG Schleswig OLGR Schleswig 2003, 8, 10; Meier BtPrax 99, 57, 59). Soweit das Kammergericht dagegen meint, der Beklagte habe vortragen müssen, welche Mittel des Klägers im Jahr 2004 vorhanden gewesen waren und wie diese verwendet wurden, verkennt das Kammergericht diese Darlegungs- und Beweislastverteilung.
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