Entscheidungsdatum: 25.01.2017
Eine in einem Mietvertrag über Gewerberäume enthaltene sog. doppelte Schriftformklausel kann im Falle ihrer formularmäßigen Vereinbarung wegen des Vorrangs der Individualvereinbarung nach § 305b BGB eine mündliche oder auch konkludente Änderung der Vertragsabreden nicht ausschließen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
Streitwert: 57.727 €
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Räumung und Herausgabe von gemieteten Gewerberäumen in Anspruch.
Im Dezember 2005 und im Mai 2006 schloss die ursprüngliche Vermieterin (im Folgenden: Vorvermieterin) mit dem Vormieter des Beklagten zwei Mietverträge über die streitgegenständlichen Räumlichkeiten. Als Vertragszweck waren jeweils in § 1 der Verträge „Lagerung und Verkauf von Stoffen und Kurzwaren“ bzw. „Lagerung und Verkauf von Stoffen und Kurzwaren, Textilien und Baumaschinen“ genannt. Darüber hinaus beinhalteten die Verträge als Allgemeine Geschäftsbedingungen Schriftformheilungsklauseln und doppelte Schriftformklauseln. Mit Schreiben vom 25. Juli 2006 bestätigte die Vorvermieterin dem Vormieter, dass ihm auch das „Lagern von handelsüblichen Waren“ gestattet sei. In einem Schreiben vom 18. Juli 2007 wies sie ihn darauf hin, dass „der Bereich Ihres Getränkeausschankes (…) nun den hinteren Eingang (…) als Verkaufsfläche“ nutze, und regte an, zusätzliche Flächen anzumieten.
Zum 1. Oktober 2008 trat der Beklagte aufgrund schriftlicher Vereinbarungen als Mieter in die Mietverträge ein. Er betrieb in den Räumen einen Getränkehandel. Nachdem die Klägerin das Grundstück erworben hatte, schlossen sie und der Beklagte am 4. November 2014 einen schriftlichen Nachtrag zum Mietvertrag. In diesem vereinbarten sie, dass das Mietverhältnis nunmehr auf bestimmte Zeit bis zum 31. Dezember 2016 laufen und der Beklagte spätestens zwei Monate vor Vertragsablauf die Vertragsfortsetzung um sechs Monate durch Anzeige gegenüber der Klägerin verlangen können sollte.
Mit Schreiben vom 9. Februar 2015 erklärte die Klägerin die fristlose und hilfsweise die fristgerechte Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt und wiederholte dies mit ihrer auf Räumung und Herausgabe gerichteten Klage.
Das Landgericht hat der Klage gestützt auf die in der Klageschrift erklärte außerordentliche Kündigung stattgegeben. Aufgrund der aus diesem Urteil von der Klägerin betriebenen Zwangsvollstreckung hat der Beklagte die Räume am 13. Januar 2016 geräumt herausgegeben. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben, wobei das Oberlandesgericht nicht die außerordentliche, sondern die erste ordentliche Kündigung für durchgreifend erachtet hat.
Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision hat der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter verfolgt. Eine Anzeige, dass das Mietverhältnis über den 31. Dezember 2016 hinaus fortgesetzt werden soll, hat er nicht abgegeben. Nachdem er mitgeteilt hat, dass aus seiner Sicht wegen des Ablaufs der Vertragslaufzeit Erledigung eingetreten sei, hat die Klägerin den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Der Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen.
II.
Aufgrund der auch im Revisionsrechtszug möglichen, bei der hier zulässigen Revision wirksamen übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien (vgl. nur BGH Beschluss vom 24. Oktober 2011 - IX ZR 244/09 - NJW-RR 2012, 688 Rn. 6 f.) hat der Senat gemäß § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Die Kosten sind danach dem Beklagten aufzuerlegen, wobei der Senat von der Möglichkeit der §§ 555 Abs. 1 Satz 1, 128 Abs. 3 ZPO (Entscheidung ohne mündliche Verhandlung) Gebrauch macht. Auf dieser Grundlage erweist sich das Berufungsurteil als im Ergebnis und in der Begründung zutreffend.
1. Das Berufungsgericht hat seine unter anderem in ZMR 2016, 613 veröffentlichte Entscheidung damit begründet, dass das Mietverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 9. Februar 2015 beendet worden sei. Wegen der in dem Nachtrag vorgenommenen Befristung habe sich das Beurkundungserfordernis des § 550 BGB auf den gesamten Vertragsinhalt bezogen. Die ursprünglichen Vertragsparteien hätten die Mietverträge jedoch im Juli 2006 in Bezug auf den Vertragszweck geändert, ohne dabei die Form des § 550 BGB einzuhalten, so dass der Mietvertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen gelte. Der Wirksamkeit dieser Vertragsänderung stehe die doppelte Schriftformklausel nicht entgegen. Denn diese sei wegen Verstoßes gegen § 305 b BGB wirkungslos. Die Klägerin sei auch durch die Schriftformheilungsklausel nicht gehindert, sich für die vorzeitige Beendigung des Mietvertrags auf die Nichteinhaltung der Schriftform zu berufen. Denn eine solche Klausel binde jedenfalls nicht den Erwerber.
2. Zu Recht zieht die Revision nicht in Zweifel, dass die ursprünglichen Vertragsparteien den vertraglich vereinbarten Nutzungszweck geändert und dabei weder der vertraglichen noch der gesetzlichen Schriftform der §§ 126, 127 BGB genügt haben. Das Gleiche gilt für die Annahmen des Oberlandesgerichts, dass die Vereinbarung der festen Laufzeit in dem Nachtrag vom 4. November 2014 das Schriftformerfordernis des nach § 578 Abs. 1 und 2 BGB entsprechend anwendbaren § 550 BGB ausgelöst hat, dass die Erweiterung des Nutzungszwecks vertragswesentlich und daher beurkundungsbedürftig im Sinne des § 550 BGB war (vgl. etwa jurisPK-BGB/Schur [Stand: 1. Dezember 2016] § 550 Rn. 24; Schweitzer in Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer Gewerberaummiete § 550 BGB Rn. 43; Staudinger/Emmerich BGB [2014] § 550 Rn. 29b) und dass wegen des Schriftformverstoßes daher ein Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit bestand, das ordentlich kündbar war.
3. Ohne Erfolgsaussicht war die Revisionsrüge, die Klägerin sei mit Blick auf die Schriftformheilungsklausel nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB an der Berufung auf den Schriftformverstoß gehindert gewesen. Mit dem von § 550 BGB angestrebten Erwerberschutz ist es nicht vereinbar, den Erwerber aufgrund einer Heilungsklausel als verpflichtet anzusehen, von einer ordentlichen Kündigung Abstand zu nehmen (Senatsurteile BGHZ 200, 98 = NJW 2014, 1087 Rn. 27 und vom 30. April 2014 - XII ZR 146/12 - NJW 2014, 2102 Rn. 28 ff.; kritisch Bieber jurisPR-MietR 2/2016 Anm. 2 und Grundeigentum 2016, 944, 945).
Etwas anderes ergibt sich hier nicht daraus, dass die Klägerin als Erwerberin nicht in die langfristige und das Schriftformerfordernis des § 550 BGB begründende Bindung eingetreten, sondern diese selbst erst eingegangen ist. Denn wenn man in einem solchen Fall die Pflicht zur Nachbeurkundung für eine vor dem Erwerb erfolgte schriftformwidrige Vereinbarung forderte, würde dies den sich langfristig bindenden Erwerber unabhängig davon, ob er selbst Kenntnis hatte, im Ergebnis dauerhaft an den Abreden der früheren Vertragsparteien festhalten. Dies will § 550 BGB jedoch gerade verhindern.
4. Keine Erfolgsaussichten hatte schließlich auch die Revisionsrüge, die den Nutzungszweck erweiternde, nicht in schriftlicher Form erfolgte Vertragsänderung sei wegen der sog. doppelten Schriftformklausel unwirksam, so dass es am Schriftformverstoß im Sinne des § 550 BGB fehle.
a) Freilich wird die - das Oberlandesgericht zur Revisionszulassung veranlassende - Rechtsfrage unterschiedlich beantwortet, ob eine doppelte Schriftformklausel im Falle ihrer formularmäßigen Vereinbarung eine mündliche oder auch konkludente Änderung der Vertragsabreden ausschließen kann.
Eine Auffassung bejaht dies unter Hinweis auf die Interessenlagen von Vertragsparteien in der Gewerberaummiete und darauf, dass sonst die Vereinbarung einer Einhaltung der Schriftform für Vertragsänderungen ihren Sinn verlöre (KG Grundeigentum 2014, 799, 800; OLG Frankfurt ZfIR 2013, 584, 585; KGR 2006, 86, 87; Bieber jurisPR-MietR 2/2013 Anm. 5; wohl auch OLG Naumburg NZM 2012, 808, 809; Wolf/Eckert/Ball Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts 10. Aufl. Rn. 157 f.).
Demgegenüber wird überwiegend die Meinung vertreten, dass eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte doppelte Schriftformklausel wegen Verstoßes gegen § 307 BGB unwirksam sei, weil sie den wegen § 305 b BGB unzutreffenden Eindruck erwecke, eine Änderungsvereinbarung sei nur schriftlich möglich (OLG München Urteil vom 7. April 2016 - 23 U 3162/15 - juris Rn. 41; OLG Brandenburg Grundeigentum 2012, 1375, 1376; OLG Rostock NZM 2009, 705; Blank in Blank/Börstinghaus Miete 5. Aufl. § 550 BGB Rn. 100; Bub in Bub/Treier Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 4. Aufl. Kap. II Rn. 1790 f.; Erman/Arnold BGB 14. Aufl. § 125 Rn. 26; Emmerich/Sonnenschein Miete 11. Aufl. § 550 BGB Rn. 38; MünchKommBGB/Basedow 7. Aufl. § 305 b Rn. 13; Palandt/Grüneberg BGB 76. Aufl. § 305 b Rn. 5; Schmidt-Futterer/Blank Mietrecht 12. Aufl. Vorbem zu § 535 BGB Rn. 49 f.; Schweitzer in Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer Gewerberaummiete § 550 Rn. 106; Staudinger/Emmerich BGB [2014] § 550 Rn. 48; vgl. auch BAG NJW 2009, 316 Rn. 31 ff.).
b) Die Frage der Wirksamkeit einer doppelten Schriftformklausel in einem Gewerberaummietvertrag kann hier jedoch dahinstehen. Denn die Klausel bleibt jedenfalls wegen des Vorrangs der Individualvereinbarung nach § 305 b BGB wirkungslos (so auch OLG Hamm Urteil vom 21. April 2016 - 18 U 17/14 - juris Rn. 76 ff.; OLG Düsseldorf ZMR 2007, 35; Bub in Bub/Treier Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 4. Aufl. Kap. II Rn. 1788; jurisPK-BGB/Schur [Stand: 1. Dezember 2016] § 550 Rn. 32; Krüger ZfIR 2016, 531, 532).
aa) Für eine in einem Formularvertrag enthaltene einfache Schriftformklausel hat der Senat dies bereits entschieden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Parteien eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen beabsichtigt haben oder sich der Kollision mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch nur bewusst geworden sind. Unerheblich ist auch, ob die Individualvereinbarung ausdrücklich oder stillschweigend getroffen worden ist. Den Vorrang gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben individuelle Vertragsabreden ohne Rücksicht auf die Form, in der sie getroffen worden sind, und somit auch, wenn sie auf mündlichen Erklärungen beruhen. Das gilt selbst dann, wenn durch eine AGB-Schriftformklausel bestimmt wird, dass mündliche Abreden unwirksam sind (Senatsurteil BGHZ 164, 133 = NJW 2006, 138 f. mwN).
bb) Zwischen einfacher und doppelter Schriftformklausel sind insoweit keine maßgeblichen Unterschiede erkennbar. Der Vorrang der Individualvereinbarung muss bei beiden auch dann gewahrt bleiben, wenn man ein Interesse des Verwenders anerkennt, einem langfristigen Mietvertrag nicht durch nachträgliche mündliche Abreden die Schriftform zu nehmen, und deshalb eine solche Klausel ausnahmsweise als wirksam ansieht. Das gebieten Sinn und Zweck des § 305 b BGB, wonach vertragliche Vereinbarungen, die die Parteien für den Einzelfall getroffen haben, nicht durch davon abweichende Allgemeine Geschäftsbedingungen durchkreuzt, ausgehöhlt oder ganz oder teilweise zunichte gemacht werden können. Die Vorschrift beruht auf der Überlegung, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen als generelle Richtlinien für eine Vielzahl von Verträgen abstrakt vorformuliert und daher von vornherein auf Ergänzung durch die individuelle Einigung der Parteien ausgelegt sind. Sie können und sollen nur insoweit Geltung beanspruchen, als die von den Parteien getroffene Individualabrede dafür Raum lässt. Vereinbaren die Parteien - wenn auch nur mündlich - etwas anderes, so kommt dem der Vorrang zu (vgl. Senatsurteil BGHZ 164, 133 = NJW 2006, 138, 139).
Das Interesse des Klauselverwenders oder gar beider Vertragsparteien, nicht durch nachträgliche mündliche Absprachen die langfristige beiderseitige Bindung zu gefährden, muss gegenüber dem von den Parteien später übereinstimmend Gewollten zurücktreten. Es kommt - anders als bei einer individuell vereinbarten doppelten Schriftformklausel - auch nicht darauf an, ob die Parteien bei ihrer mündlichen Absprache an die entgegenstehende Klausel gedacht haben und sich bewusst über sie hinwegsetzen wollten (vgl. Senatsurteil BGHZ 164, 133 = NJW 2006, 138, 139 mwN).
c) Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass eine doppelte Schriftformklausel die Wahrung der Schriftform des § 550 BGB ohnedies nicht stets gewährleisten könnte. Zum einen kann eine Änderungsvereinbarung nach § 127 BGB der vertraglichen Form - und damit ggf. dem doppelten Schriftformerfordernis - genügen, ohne jedoch der von § 550 BGB geforderten gesetzlichen Schriftform zu entsprechen. Zum anderen kann ein Schriftformverstoß im Sinne des § 550 BGB trotz Wahrung der gesetzlichen Schriftform etwa darin begründet sein, dass mangels ausreichender Bezugnahme der Vertrag insgesamt nicht mehr den Anforderungen des § 550 BGB gerecht wird (vgl. dazu Schweitzer in Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer Gewerberaummiete § 550 BGB Rn. 106).
d) Nichts anderes ergibt sich daraus, dass Klauselverwenderin hier die Vorvermieterin war. Zum einen wirkt § 305 b BGB nicht nur zu Ungunsten des Verwenders (vgl. BGHZ 129, 90 = NJW 1995, 1494, 1496; Ghassemi-Tabar in Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer Gewerberaummiete § 305 b BGB Rn. 3 mwN). Zum anderen gebietet der Schutzzweck des § 550 BGB, dass die Klägerin als Erwerberin nicht sowohl an die nicht schriftlich geschlossene Individualabrede als auch an die vereinbarte Laufzeit gebunden ist.
5. Bei Bejahung des Schriftformverstoßes ist das zwischen den Parteien bestehende Mietvertragsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 9. Februar 2015 mit Ablauf des 31. Dezember 2015 beendet worden. Dem Grundsatz nach wäre die gesetzliche Kündigungsfrist des § 580 a Abs. 2 BGB einschlägig. § 550 Satz 2 BGB bestimmt jedoch, dass die Kündigung frühestens zum Ablauf eines Jahres nach Überlassung der Räume zulässig ist. Das Schriftformerfordernis ist hier erst mit Vereinbarung des Nachtrags am 4. November 2014 entstanden, der erstmalig zu einer Laufzeit von mehr als einem Jahr geführt hat. Damit ist dieser Zeitpunkt als der der Überlassung im Sinne des § 550 Satz 2 BGB anzusehen (vgl. Senatsurteil vom 29. März 2000 - XII ZR 316/97 - NZM 2000, 545, 546; BGHZ 99, 54 = NJW 1987, 948, 949; Schweitzer in Ghassemi-Tabar/Guhling/Weitemeyer Gewerberaummiete § 550 Rn. 78), so dass die Kündigung gemäß § 580 a Abs. 2 BGB erst mit Ablauf des letzten Kalendervierteljahrs 2015 wirksam werden konnte (vgl. Senatsurteil vom 25. November 2015 - XII ZR 114/14 - NJW 2016, 311 Rn. 35).
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