Entscheidungsdatum: 15.12.2010
An die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weniger strenge Anforderungen zu stellen als an die Bezeichnung des Rechtsmittelführers. Wenn der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen besteht, richtet sich das Rechtsmittel im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen, es sei denn, die Rechtsmittelschrift lässt eine Beschränkung der Anfechtung erkennen (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010, VIII ZB 93/09, MDR 2010, 828) .
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 16. Senats - Senat für Familiensachen - des Kammergerichts in Berlin vom 12. Januar 2009 aufgehoben, soweit seine gegen die Kläger zu 2 und 3 gerichtete Berufung als unzulässig verworfen wurde.
Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Parteien streiten noch um Kindesunterhalt für die Zeit ab März 2008. Die Kläger zu 2 und 3 sind minderjährige Kinder des Beklagten aus seiner geschiedenen Ehe mit der früheren Klägerin zu 1. Während bestehender Ehe hatte ihre Mutter den Kindesunterhalt in Prozessstandschaft geltend gemacht. Nach Rechtskraft der Ehescheidung haben die Kinder ihren künftigen Unterhalt auf einen Hinweis des Amtsgerichts persönlich geltend gemacht.
Das Amtsgericht hat den Beklagten verurteilt, für die Zeit bis Februar 2008 Kindesunterhalt für die Kläger zu 2 und 3 an ihre Mutter und ab März 2008 Kindesunterhalt unmittelbar an die Kläger zu 2 und 3 zu zahlen. Das Urteil wurde am 24. April 2008 verkündet. Das Verkündungsprotokoll mit vollständigem Urteilstenor ging dem Beklagten am 29. April 2008 zu. Wegen einer Urteilsberichtigung wurde das vollständig abgesetzte Urteil dem Beklagten erst am 30. Mai 2008 zugestellt. ´
Schon zuvor hatte der Beklagte mit einem am 15. Mai 2008 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung "gegen das am 24.04.2008 verkündete und … am 29.04.2008 zugestellte Urteil des Amtsgerichts" eingelegt. Als "Klägerin und Berufungsbeklagte" war allein die frühere Klägerin zu 1 bezeichnet. In dem Schriftsatz war weiter ausgeführt: "Anträge und Berufungsbegründung bleiben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten, sobald das Amtsgericht … die Begründung des Urteils dem Berufungskläger zugeleitet hat." Dem Berufungsschriftsatz war das Verkündungsprotokoll beigefügt. In der am 30. Juli 2008 eingegangenen Berufungsbegründung waren alle drei Kläger als Berufungsbeklagte bezeichnet. Der Beklagte beantragte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils "die Klage insgesamt abzuweisen" und erklärte, das Urteil "in vollem Umfang" anzufechten.
Das Berufungsgericht hat über die gegen die frühere Klägerin zu 1 gerichtete Berufung des Beklagten und die für die Zeit bis Februar 2008 eingelegte Berufung der Kläger zu 2 und 3 rechtskräftig entschieden. Die gegen die Kläger zu 2 und 3 gerichtete Berufung des Beklagten hinsichtlich des Kindesunterhalts ab März 2008 hat es als unzulässig verworfen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat der Senat die Revision insoweit zugelassen. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte nach wie vor Abweisung der Unterhaltsklage für die Zeit ab März 2008, hilfsweise Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Die Revision hat Erfolg und führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - zur Veröffentlichung bestimmt).
I.
Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen die Kläger zu 2 und 3 verworfen, weil innerhalb der Berufungsfrist insoweit keine wirksame Berufung eingelegt worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werde den Anforderungen des § 519 Abs. 2 ZPO nur genügt, wenn bei Einlegung der Berufung aus der Berufungsschrift sowohl der Rechtsmittelkläger als auch der Rechtsmittelbeklagte erkennbar sei oder eindeutig erkennbar werde. Seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt, sei die Berufung unzulässig. Zwar richte sich eine unbeschränkt eingelegte Berufung gegen ein Urteil im Zweifel gegen alle erfolgreichen Streitgenossen. Anderes gelte nur, wenn die Rechtsmittelschrift eine Beschränkung der Anfechtung erkennen lasse oder wenn Zweifel an der Inanspruchnahme weiterer (einfacher) Streitgenossen bestünden. Eine solche Beschränkung könne sich, wenn auf der Gegenseite mehrere Streitgenossen stünden, beispielsweise daraus ergeben, dass in der Rechtsmittelschrift nur einige von ihnen angegeben seien. Maßgeblich für die Auslegung der Rechtsmittelschrift seien alle dem Rechtsmittelgericht innerhalb der Rechtsmittelfrist zugänglichen Umstände, neben der Rechtsmittelschrift selbst auch die dieser beigefügte Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils oder weiterer vorhandener Unterlagen. Im Zweifel sei derjenigen Auslegung einer prozessualen Erklärung der Vorzug zu geben, die den Belangen der Partei, der kein Normverstoß anzulasten sei, gerecht werde.
Nach diesen Grundsätzen könne hier eine wirksame Berufungseinlegung gegen die Kläger zu 2 und 3 nicht festgestellt werden, weil die Berufungsschrift eine Beschränkung der Anfechtung auf die Verurteilung gegenüber der Klägerin zu 1 erkennen lasse. In der Berufungsschrift sei nur die namentlich benannte Kindesmutter als Berufungsbeklagte bezeichnet und die Kläger zu 2 und 3 seien nicht erwähnt. Der Berufungsschrift sei nicht die Ausfertigung des vollständigen amtsgerichtlichen Urteils, sondern lediglich das Verkündungsprotokoll vom 24. April 2008 beigefügt gewesen. Daraus ergebe sich neben dem Tenor des verkündeten Urteils lediglich das Kurzrubrum mit der Bezeichnung der Klägerin zu 1 und nicht den Namen der Kläger zu 2 und 3. Da der Tenor des angefochtenen Urteils zwei verschiedene Komplexe umfasse, nämlich die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung rückständigen Unterhalts an die Klägerin zu 1 und seine Verurteilung zur Zahlung laufenden Unterhalts an die Kläger zu 2 und 3 sei auch nicht ungewöhnlich, dass nur die Verurteilung hinsichtlich des rückständigen Unterhalts zur Überprüfung gestellt werden solle.
II.
Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO neben den weiteren, gesetzlich normierten Voraussetzungen auch die Angabe gehört, für und gegen welche Partei das Rechtsmittel eingelegt wird. Die Berufungsschrift muss entweder für sich allein betrachtet oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig erkennen lassen, wer Berufungskläger und wer Berufungsbeklagter sein soll (BGH Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZB 93/09 - MDR 2010, 828 Rn. 9 m.w.N. und Urteil vom 14. Februar 2008 - III ZR 73/07 - Juris Rn. 6).
a) An die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers sind dabei strenge Anforderungen zu stellen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung jeder Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers ausgeschlossen sein. Dabei sind, wie allgemein bei der Auslegung von Prozesserklärungen, alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen (BGH Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZB 93/09 - MDR 2010, 828 Rn. 10).
b) An die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners sind indessen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weniger strenge Anforderungen zu stellen. Jedenfalls in denjenigen Fallgestaltungen, in denen der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen besteht, richtet sich das Rechtsmittel im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen, es sei denn, die Rechtsmittelschrift lässt eine Beschränkung der Anfechtung erkennen (BGH Urteil vom 14. Februar 2008 - III ZR 73/07 - Juris Rn. 6 und Beschlüsse vom 11. Mai 2010 - VIII ZB 93/09 - MDR 2010, 828 Rn. 11 und vom 9. September 2008 - VI ZB 53/07 - NJW-RR 2009, 208 Rn. 5). Eine solche Beschränkung kann sich, wenn auf der Gegenseite mehrere Streitgenossen stehen, zwar auch daraus ergeben, dass in der Rechtsmittelschrift nur einige von ihnen angegeben werden (BGH Urteil vom 19. März 1969 - VIII ZR 63/67 - NJW 1969, 928, 929 und Beschluss vom 9. September 2008 - VI ZB 53/07 - NJW-RR 2009, 208 Rn. 5). Dies ist jedoch nicht zwingend. Der Bundesgerichtshof hat eine unbeschränkte Berufungseinlegung auch in Fällen bejaht, in denen als Rechtsmittelgegner nur einer von mehreren Streitgenossen, und zwar der im Urteilsrubrum an erster Stelle Stehende, genannt wurde (BGH Urteile vom 8. November 2001 - VII ZR 65/01 - NJW 2002, 831 und vom 21. Juni 1983 - VI ZR 245/81 - NJW 1984, 58 jeweils mwN).
Weil auch die Bezeichnung einer Partei als Teil einer Prozesshandlung auslegungsfähig ist (BGHZ 4, 328, 334 = NJW 1952, 545 und BGH Beschluss vom 15. Mai 2006 – II ZB 5/05 – NJW-RR 2006, 1569 Rn. 11), kommt es für die Frage, ob eine Beschränkung der Anfechtung gewollt ist, letztlich auf eine vollständige Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist an. Dabei können sich aus einer beigefügten Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des angefochtenen Urteils oder aus sonstigen beigefügten Unterlagen häufig entscheidende Hinweise auf den Umfang der Anfechtung ergeben. Dabei kommt insbesondere der Frage Bedeutung zu, ob eine Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf einen Teil der bisherigen Prozessgegner in Anbetracht des der Vorinstanz unterbreiteten Streitstoffs ungewöhnlich oder gar fernliegend erscheint (BGH Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZB 93/09 - MDR 2010, 828 Rn. 12).
2. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, dass die rechtzeitig eingegangene Berufung des Beklagten nicht auch gegen die Kläger zu 2 und 3 gerichtet war.
a) Zwar ist in der Berufungsschrift des Beklagten ausdrücklich nur die frühere Klägerin zu 1 als Berufungsbeklagte aufgeführt. Die Berufung ist aber ohne Einschränkung gegen das „am 29.04.2008 zugestellte Urteil des Amtsgerichts“ eingelegt worden. Dem rechtzeitig eingegangenen Berufungsschriftsatz war außerdem das Verkündungsprotokoll vom 24. April 2008 beigefügt. Auch darin ist zwar lediglich ein Kurzrubrum aufgeführt, das die Namen der früheren Klägerin zu 1 und des Beklagten enthält. Zugleich enthält das Verkündungsprotokoll aber den vollständigen Tenor der angefochtenen Entscheidung. Daraus geht unzweifelhaft hervor, dass der Beklagte verurteilt worden ist, rückständigen Unterhalt für die Zeit bis Februar 2008 an die frühere Klägerin zu 1 und laufenden Kindesunterhalt für die Zeit ab März 2008 an die Kläger zu 2 und 3 zu zahlen. Auf der Grundlage dieses beigefügten Verkündungsprotokolls war auch für das Berufungsgericht ersichtlich, dass der Beklagte zu Unterhaltsleistungen an die Klägerin zu 1 und an die Kläger zu 2 und 3 verurteilt worden war.
Weil der Beklagte gegen dieses Urteil ohne Einschränkungen Berufung eingelegt und die Anträge sowie die Begründung einem weiteren Schriftsatz vorbehalten hatte, musste das Berufungsgericht von einer zulässigen Berufung auch gegen die Kläger zu 2 und 3 ausgehen. Dafür spricht schon der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgestellte Grundsatz, wonach sich die Berufung im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung richtet, wenn der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen besteht. Hinzu kommt, dass die im Berufungsschriftsatz aufgeführte Prozessbevollmächtigte der früheren Klägerin zu 1 auch die Kläger zu 2 und 3 vertreten hatte, so dass die Berufungsschrift auch diesen zugestellt worden ist.
b) Für eine auch gegen die Beklagten zu 2 und 3 eingelegte Berufung spricht auch der Gesamtzusammenhang der Prozesserklärung des Beklagten. Denn nach dem Inhalt des beigefügten Urteilstenors lag eine Anfechtung des Urteils nur gegen die frühere Klägerin zu 1 eher fern.
Soweit das Berufungsgericht darauf abstellt, das Berufungsurteil enthalte mit rückständigem und laufendem Kindesunterhalt zwei verschiedene Komplexe, verkennt es den Streitgegenstand des zugrunde liegenden Verfahrens. Die Parteien haben lediglich über Kindesunterhalt für die Kläger zu 2 und 3 gestritten. Die Klägerin zu 1 hatte diesen vor rechtskräftiger Ehescheidung zunächst gemäß § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB in Prozessstandschaft geltend gemacht. Nach Rechtskraft der Ehescheidung waren die Kläger zu 2 und 3 auf Hinweis des Amtsgerichts in das Verfahren eingetreten und hatten den künftigen Kindesunterhalt persönlich geltend gemacht (vgl. insoweit jedoch Senatsurteil BGHZ 109, 211 = FamRZ 1990, 283, 284). Gleichwohl stritten die Parteien um den einheitlichen Streitgegenstand des Kindesunterhalts.
Auch die im Urteil des Amtsgerichts ausgesprochene zeitliche Zäsur orientierte sich nicht an der Rechtskraft der Ehescheidung, sondern am letzten Verhandlungstermin des Amtsgerichts im Februar 2008. Eine materiell-rechtliche bedeutsame Zäsur ergibt sich daraus nicht; Angriffe des Beklagten gegen den rückständigen Unterhalt richten sich wegen der auf der Vergangenheit aufbauenden Zukunftsprognose vielmehr in gleicher Weise gegen den künftigen laufenden Unterhalt. Auch aus der Sicht des Berufungsgerichts und der Kläger lag es daher eher fern, dass der Beklagte nur die Verurteilung zu rückständigem Kindesunterhalt anfechten wollte, zumal der Titel über den laufenden Unterhalt den Beklagten deutlich stärker belastet, als der zeitlich begrenzte Rückstand. Zweifel an einer auch gegen die Kläger zu 2 und 3 eingelegten Berufung durften dem Berufungsgericht danach nicht verbleiben.
3. Weil der Beklagte seine Berufung somit rechtzeitig auch gegenüber den Klägern zu 2 und 3 eingelegt und begründet hatte, hätte das Berufungsgericht diese insoweit nicht verwerfen dürfen. Das angefochtene Urteil ist deswegen aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die für die Unterhaltsansprüche ab März 2008 relevanten Einkommensverhältnisse ermitteln und auch insoweit über die Berufung des Beklagten in der Sache entscheiden kann.
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