Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 04.12.2013


BGH 04.12.2013 - XII ZR 157/12

Amtshaftung des Jugendamtes als Beistand: Pflichtwidrige Ermittlung der Unterhaltsansprüche


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
04.12.2013
Aktenzeichen:
XII ZR 157/12
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend KG Berlin, 11. Mai 2012, Az: 9 U 78/11vorgehend LG Berlin, 30. März 2011, Az: 86 O 199/09
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Zur Haftung des Jugendamtes bei Ausübung einer unterhaltsrechtlichen Beistandschaft.

Tenor

Auf die Revision der Klägerinnen wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 11. Mai 2012 unter Zurückweisung der Revision im Übrigen aufgehoben, soweit das Berufungsgericht die Klage der Klägerin zu 1 in Höhe eines Betrages von 1.023 € und die Klage der Klägerin zu 2 in Höhe eines Betrages von 80 € abgewiesen hat.

Zur Klarstellung wird das vorgenannte Urteil wie folgt neu gefasst:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. März 2011 wie folgt abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1 einen Betrag von 2.191 € sowie an die Klägerin zu 2 einen Betrag von 1.158 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Juli 2009 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden der Klägerin zu 1 zu 40 %, der Klägerin zu 2 zu 37 % und dem Beklagten zu 23 % auferlegt. Die im erstinstanzlichen Verfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten des Beklagten und des Streithelfers werden der Klägerin zu 1 zu 40 % und der Klägerin zu 2 zu 37 % auferlegt. Dem Beklagten werden die im erstinstanzlichen Verfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1 zu 27 % und die der Klägerin zu 2 zu 18 % auferlegt; im Übrigen haben die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.

Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden den Klägerinnen jeweils zu 32 % und dem Beklagten zu 36 % auferlegt. Die im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten des Beklagten und des Streithelfers werden den Klägerinnen jeweils zu 32 % auferlegt. Dem Beklagten werden die im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1 zu 43 % und die der Klägerin zu 2 zu 28 % auferlegt; im Übrigen haben die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden den Klägerinnen und dem Beklagten jeweils zu einem Drittel auferlegt. Die im Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten des Beklagten und des Streithelfers werden den Klägerinnen jeweils zu einem Drittel auferlegt. Dem Beklagten werden die im Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1 zu ein halb und die der Klägerin zu 2 zu 7 % auferlegt; im Übrigen haben die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.

Streitwert: 3.345 €

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerinnen begehren von dem beklagten Land Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Kindesunterhalt durch das Jugendamt.

2

Im September 2004 übernahm das Jugendamt auf Antrag der Mutter der beiden minderjährigen Klägerinnen für diese die Beistandschaft, um Unterhaltsansprüche gegen deren Vater (im Folgenden: Streithelfer) geltend zu machen. Erstmalig forderte das Amt den Streithelfer im September 2004 zur Auskunft und vorläufigen Unterhaltszahlung auf. Der Streithelfer, der sich im Jahr 2003 mit einem Heizungs- und Sanitärbetrieb selbständig gemacht hatte, erteilte dem Amt im Oktober 2004 Auskunft. Dieses ermittelte ein monatliches Einkommen des Streithelfers von rund 3.165 € und forderte ihn im Dezember 2004 auf, den Klägerinnen ab Oktober 2004 170 % des jeweiligen Regelbetrags zu zahlen; dies entsprach einem Tabellenbetrag von jeweils 339 €, abzüglich eines Kindergeldanteils von 77 € mithin 262 €. Im Februar 2005 erkannte der Streithelfer mit notariellen Urkunden die Verpflichtung zur Zahlung eines statischen Unterhaltsbetrags für die Klägerinnen in Höhe von jeweils 262 € bis April 2006 an und unterwarf sich der sofortigen Zwangsvollstreckung. Mit Ablauf dieses Zeitraums übersandte der Streithelfer weitere notarielle Urkunden, mit denen er sich für die sich hieran anschließende Zeit zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtete. Im Oktober 2008 wurde die Beistandschaft des Jugendamts aufgehoben.

3

Auf die Klage, die die Klägerinnen im Wesentlichen damit begründet haben, sie hätten während der Beistandschaft keinen den Lebens- und Einkommensverhältnissen des Streithelfers entsprechenden Unterhalt erhalten, hat das Landgericht das beklagte Land zur Zahlung von 5.130 € an die Klägerin zu 1 und 4.086 € an die Klägerin zu 2 jeweils nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Kammergericht die Zahlungsverpflichtung hinsichtlich der Klägerin zu 1 auf 1.168 € und hinsichtlich der Klägerin zu 2 auf 1.078 € nebst Zinsen reduziert. Hiergegen wenden sich die Klägerinnen mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, soweit zu ihrem Nachteil kein zusätzlicher Unterhalt für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 30. April 2006 berücksichtigt worden ist.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision ist teilweise begründet.

I.

5

Das Kammergericht hat seine Entscheidung bezogen auf den hier noch im Streit befindlichen Zeitraum von Januar 2005 bis 30. April 2006 wie folgt begründet:

6

Das Jugendamt sei als Beistand der Klägerinnen mit dem Aufgabenkreis tätig geworden, Unterhaltsansprüche gegen den Streithelfer geltend zu machen. Zur Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs gehörten sämtliche Phasen der Durchsetzung von vorbereitenden Auskunftsbegehren gemäß § 1605 BGB bis zu Vollstreckungsmaßnahmen. Die Mitarbeiter des Jugendamts hätten die Pflicht gehabt, den Unterhaltsanspruch der Klägerin zutreffend zu ermitteln, titulieren zu lassen und durchzusetzen. Zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Streithelfers sei dieser auch zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse anzuhalten gewesen. Da Unterhalt für die Vergangenheit grundsätzlich nicht verlangt werden könne, seien die Mitarbeiter des Beklagten verpflichtet gewesen, den Streithelfer sobald als möglich zur Zahlung eines höheren Unterhalts oder (qualifiziert) i.S.v. § 1613 Abs. 1 BGB zur Auskunft aufzufordern.

7

Allerdings wäre ein Auskunftsverlangen bereits zum 31. Dezember 2004 oder auch einem anderen Zeitpunkt vor Mai 2006 im Hinblick auf die aus § 1605 Abs. 2 BGB folgende Sperrfrist verfrüht gewesen. Nach dieser Vorschrift könne nach einer erteilten Auskunft vor Ablauf von zwei Jahren erneut Auskunft nur verlangt werden, wenn glaubhaft gemacht werde, dass der zur Auskunft Verpflichtete später wesentlich höhere Einkünfte oder weiteres Vermögen erworben habe. Falle ein Auskunftsverlangen in diese Sperrfrist und seien die Voraussetzungen für ein ausnahmsweise früheres Auskunftsverlangen nicht gegeben, liege kein wirksames Auskunftsverlangen im Sinne von § 1613 Abs. 1 BGB vor, so dass Unterhalt für die Vergangenheit gestützt auf dieses Auskunftsverlangen nicht verlangt werden könne. Ein verfrühtes Auskunftsersuchen hätte daher nicht - wie das Landgericht meine - zur höheren Unterhaltsforderung ab Januar 2005 führen können. Denn die Sperrfrist des § 1605 Abs. 2 BGB komme auch im vorliegenden Fall zur Anwendung.

8

Die Mitarbeiter des Beklagten hätten für die Klägerin nicht glaubhaft machen können, dass der Streithelfer inzwischen wesentlich höhere Einkünfte erzielt habe. Etwas anderes lasse sich auch im Falle einer vorauszusehenden atypischen Einkommensentwicklung bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLGR 2000, 284) mit dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzestextes nicht in Einklang bringen. Da es sich um eine Ausnahmevorschrift handele, komme auch eine analoge Anwendung nicht ohne weiteres in Betracht. Es reiche danach gerade nicht aus, dass eine "atypische Einkommensentwicklung zu einer Überwindung der Wesentlichkeitsschranke des § 323 ZPO führen kann". Vielmehr müsse glaubhaft gemacht werden, dass der Unterhaltsschuldner später wesentlich höhere Einkünfte erworben habe. Schließlich gebe es auch keine allgemeine Lebenserfahrung, wonach bei einer Unternehmensgründung stets oder auch nur regelmäßig mit einer positiven Einkommensentwicklung gerechnet werden könne. Schwierigkeiten bei der Prognose der Leistungsfähigkeit des selbständigen Unterhaltsschuldners dürften auf diese Weise nicht ausgeglichen werden. Unterstrichen werde dieses Ergebnis, wenn man andere Entscheidungen der Rechtsprechung vergleichend heranziehe, in denen Ausnahmen vom Eingreifen der Sperrfrist gemäß § 1605 Abs. 2 BGB anerkannt worden seien.

II.

9

Die angegriffene Entscheidung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

10

1. Das Kammergericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass als Anspruchsgrundlagen für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch zum einen § 839 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG und zum anderen § 1716 Satz 2 BGB i.V.m. §§ 1833 Abs. 1 Satz 1, 1915 Abs. 1 Satz 1 BGB in Betracht kommen (vgl. BGH Urteil vom 17. Juni 1999 - III ZR 248/98 - FamRZ 1999, 1342, 1344; OLG Saarbrücken FamRZ 2012, 801; MünchKommBGB/Wagenitz 6. Aufl. § 1833 BGB Rn. 2). Eine Pflichtverletzung liegt danach in jedem Verstoß gegen das Gebot treuer und gewissenhafter Amtsführung (MünchKommBGB/Wagenitz 6. Aufl. § 1833 BGB Rn. 3). Die Frage, ob der mit der Ausübung der Aufgaben der Beistandschaft betraute Amtsträger seine dem Kind gegenüber bestehenden Pflichten verletzt hat, ist maßgeblich danach zu beantworten, wie der Wirkungskreis der Beistandschaft beschaffen ist (vgl. BGH Urteil vom 17. Juni 1999 - III ZR 248/98 - FamRZ 1999, 1342, 1344).

11

Da dem Jugendamt gemäß § 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorliegend die Aufgabe zugewiesen ist, im Rahmen der Beistandschaft Unterhaltsansprüche für minderjährige Kinder geltend zu machen, können diese darauf vertrauen, dass das Jugendamt diese Aufgabe fachkundig erledigt. Grundsätzlich obliegt es der Behörde, durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass ihre mit der Sachbearbeitung betrauten Mitarbeiter die für die Erfüllung ihrer täglichen Aufgaben benötigten Rechtskenntnisse erwerben oder die Vorgänge in Zweifelsfällen einem Beschäftigten vorgelegt werden, der über die erforderlichen Rechtskenntnisse verfügt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 2013 - XII ZB 6/13 - FamRZ 2013, 779 Rn. 8).

12

2. Diesen Anforderungen wird das Berufungsurteil nur teilweise gerecht.

13

a) Soweit es allerdings die Frage anbelangt, ab wann das Jugendamt von dem Streithelfer erneut Auskunft hätte verlangen müssen, sind die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nicht erfüllt.

14

Dabei kann dahinstehen, ob dem Berufungsgericht dahin zu folgen ist, dass die zweijährige Sperrfrist des § 1605 Abs. 2 BGB auch dann anzuwenden ist, wenn die frühere Auskunft nur den Zeitraum des Beginns einer selbständigen Tätigkeit umfasste. Ebenso kann die Frage unbeantwortet bleiben, ob das Jugendamt als Beistand seinerzeit verpflichtet gewesen wäre, die anders lautende Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLGR 2000, 284) zu beachten, wonach die zweijährige Sperrfrist des § 1605 Abs. 2 BGB nicht anzuwenden sei, wenn die frühere Auskunft nur den Zeitraum des Beginns einer selbständigen Tätigkeit umfasst habe (vgl. insoweit Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 1 Rn. 1174). Denn selbst wenn das Jugendamt verpflichtet gewesen wäre, den Streithelfer unbeschadet der an sich gegebenen Sperrfrist des § 1605 Abs. 2 BGB erneut auf Auskunft in Anspruch zu nehmen, fehlte es für den Unterhaltszeitraum von Januar 2005 bis Dezember 2005 an einem Schaden. Für den nachfolgenden - ebenfalls noch im Streit stehenden - Zeitraum von Januar 2006 bis einschließlich April 2006 wäre die Nichtbeachtung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe nicht für den von den Klägerinnen geltend gemachten Schaden kausal.

15

aa) Hätte der Streithelfer im Jahr 2005 auf entsprechende Anforderung des Jugendamtes Auskunft erteilt, hätte sich für ihn nach den von der Revision nicht angegriffenen und auch sonst revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen für das Jahr 2004 ein Jahresgewinn von 53.646,90 € (statt 71.151,90 € im Jahr 2003) und damit ein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen von monatlich 2.746,89 € (statt 3.164,69 € im Jahr 2003) ergeben. Einen höheren Unterhalt als den auf der Grundlage der Einkünfte im Jahr 2003 urkundlich anerkannten hätten die Klägerinnen mit diesen Auskünften mithin für das Jahr 2005 nicht beanspruchen können.

16

bb) Anderes gilt zwar für die Unterhaltsansprüche der Klägerinnen in der Zeit von Januar bis April 2006 unter Berücksichtigung des Einkommens des Streithelfers, das er im Jahr 2005 erzielt hat. Insoweit hat das Kammergericht aufgrund der im Nachhinein erteilen Auskünfte einen Jahresgewinn von 108.558,68 € und damit ein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen von monatlich 5.670,51 € ermittelt.

17

Jedoch wäre eine etwaige Pflichtverletzung durch die unterlassene Aufforderung zu einer aktuellen Auskunft unter Nichtbeachtung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe für einen im hier maßgeblichen Unterhaltszeitraum bis einschließlich April 2006 möglicherweise eingetretenen Schaden nicht kausal. Denn das Jugendamt wäre auch ohne die Sperrfrist des § 1605 Abs. 2 BGB vor Ablauf des ersten Halbjahres 2006 nicht verpflichtet gewesen, den Streithelfer zur erneuten Auskunft aufzufordern.

18

Nach wohl einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte kommt ein Selbständiger seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung, über sein Erwerbseinkommen Auskunft zu erteilen, rechtzeitig nach, wenn er den für die Ermittlung seines Einkommens erforderlichen Jahresabschluss innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Geschäftsjahres dem Auskunftsberechtigten übermittelt (OLG Bamberg FamRZ 1989, 423; OLG München FamRZ 1992, 1207, 1208). Hieraus wird der Schluss gezogen, dass für sechs Monate nach Ablauf des letzten Geschäftsjahres noch keine Auskunftspflicht besteht (Wendl/Kemper Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 1 Rn. 427) und der Auskunftsanspruch mithin noch nicht fällig ist (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1993, 591, 592).

19

Ob dem zu folgen ist, kann hier dahin stehen. Denn jedenfalls kann dem Jugendamt angesichts dieser Rechtsprechung keine Pflichtwidrigkeit vorgeworfen werden, wenn es davon abgesehen hat, vor Ablauf eines halben Jahres Auskunft zu verlangen und damit sogar möglicherweise ein Kostenrisiko einzugehen (vgl. BGH Urteil vom 5. Februar 1962 - III ZR 218/60 - BayVbl. 1962, 186).

20

b) Erfolg hat die Revision indes mit ihrer in der mündlichen Verhandlung erhobenen Rüge, wonach das Jugendamt nicht darauf hingewirkt hat, dass die Klägerin zu 1 mit Vollendung ihres sechsten Lebensjahres im April 2005 Unterhalt gemäß der zweiten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle erhält und dass beide Klägerinnen ab Juli 2005 mit der Geltung der Düsseldorfer Tabelle 2005 einen höheren Unterhalt verlangen konnten.

21

aa) Ausweislich der von den Klägerinnen zur Akte gereichten Geburtsurkunde ist die Klägerin zu 1 am 9. April 1999 geboren. Damit hatte sie am 9. April 2005 ihr sechstes Lebensjahr vollendet, so dass sie gemäß § 1612 a Abs. 3 BGB bereits für diesen Monat Unterhalt aus der zweiten Altersgruppe hätte verlangen können (bei der Einkommensstufe 10 der Düsseldorfer Tabelle 2003 also 410 € statt 339 €).

22

Dabei kann dahin stehen, ob die Pflichtverletzung schon darin zu sehen ist, dass sich das Jugendamt mit den vom Streithelfer erstellten, statischen Urkunden begnügt hat, statt auf dynamische Titel zu bestehen. Jedenfalls hätte es rechtzeitig darauf hinwirken müssen, dass der Streithelfer den mit Vollendung des sechsten Lebensjahres der Klägerin zu 1 zustehenden erhöhten Unterhalt zahlt.

23

Dem steht eine etwaige Bindung aufgrund der bereits erstellten Urkunde nicht entgegen. Denn im Falle einer - wie hier - einseitig vom Unterhaltspflichtigen erstellten Urkunde kann der Unterhaltsberechtigte ohne Bindung hieran einen höheren Unterhalt verlangen (Senatsurteil BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 Rn. 24 f.).

24

Unschädlich ist insoweit auch, dass der Streithelfer im Jahr 2004 ein gegenüber dem Jahr 2003 geringeres Einkommen erzielt hatte. Denn der Streithelfer hätte sich nicht mit Erfolg auf diesen - wie sich im Nachhinein gezeigt hat - nur kurzfristigen Einbruch seiner Einnahmen berufen können, zumal der nach der Rechtsprechung für die Bewertung des Einkommens Selbständiger erforderliche Dreijahresdurchschnitt zu diesem Zeitpunkt noch nicht ermittelt werden konnte.

25

bb) Ebenso wenig hat das Berufungsgericht beachtet, dass die Düsseldorfer Tabelle zum 1. Juli 2005 geändert worden ist und die Unterhaltsbeträge erhöht worden sind. Demnach konnte die Klägerin zu 1 für die Zeit ab Juli 2005 (unter Berücksichtigung der zweiten Altersgruppe) einen Unterhalt von 420 € (statt 410 €) und die Klägerin zu 2 von 347 € (statt 339 €) beanspruchen.

26

Auch insoweit trifft das Jugendamt eine Pflichtverletzung. Der Schaden liegt in der nicht gezahlten Differenz, die sich für die Klägerin zu 1 bezogen auf den noch im Streit stehenden Zeitraum bis April 2006 auf 1.023 € (410 € - 339 € = 71 € x 3 Monate [April bis Juni 2005] = 213 € zzgl. 420 € - 339 € = 81 € x 10 Monate [Juli 2005 bis April 2006] = 810 €). Die Differenz für die Klägerin zu 2 beläuft sich wegen der Änderung der Düsseldorfer Tabelle zum Juli 2005 auf 80 € (347 € - 339 € = 8 € x 10 Monate [Juli 2005 bis April 2006]).

27

3. Gemäß § 562 Abs. 1 ZPO ist das Urteil aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst abschließend entscheiden, weil die Sache zur Endentscheidung gemäß § 563 Abs. 3 ZPO reif ist.

Dose                                     Schilling                          Günter

              Nedden-Boeger                            Botur