Entscheidungsdatum: 30.06.2010
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 10. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle vom 6. November 2007 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Klägerin wird für das Berufungsverfahren als Berufungsbeklagte Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin T. aus H. bewilligt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
2. Gerichtskosten werden für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
3. Beschwerdewert: bis 600 €
I.
Der Beklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - zur Zahlung von Trennungs- und Kindesunterhalt verpflichtet. Gegen dieses Urteil legte er form- und fristgerecht Berufung ein und begründete diese binnen verlängerter Frist mit am 24. September 2007 eingegangenem Schriftsatz. Die Berufungsbegründung wurde der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 10. Oktober 2007 zugestellt. Zugleich erhielt diese den begründeten Beschluss vom 28. September 2007, mit welchem der Beklagte unter Setzung einer Stellungnahmefrist auf eine beabsichtigte Verfahrensweise nach § 522 Abs. 2 ZPO hingewiesen wurde. Das Berufungsgericht stellte der Klägerin anheim, seine Entscheidung bzw. die Stellungnahme des Beklagten abzuwarten. Bereits mit am 27. September 2007 eingegangenem Schriftsatz vom 26. September 2007 hatte die erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin ihre Bestellung auch für das Berufungsverfahren angezeigt und beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Unter dem 22. Oktober 2007 ist der Klägerseite die Stellungnahme des Beklagten übersandt worden. Mit Beschluss vom 5. November 2007 hat das Oberlandesgericht die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig zurückgewiesen.
Die ebenfalls mit Schriftsatz vom 26. September 2007 unter Beifügung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beantragte Prozesskostenhilfe für das Verfahren zweiter Instanz hat das Berufungsgericht der Klägerin versagt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin dieses Begehren weiter.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 ZPO i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG statthaft, weil das Berufungsgericht sie nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen hat. Daran ist der Senat gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO).
Zwar kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (vgl. Senatsbeschluss vom 2. April 2008 - XII ZB 266/03 - FamRZ 2008, 1159 m.w.N.). Das ist hier indes der Fall, da die Klägerin geltend macht, die Beurteilung ihrer Rechtsverteidigung als mutwillig sei nicht gerechtfertigt (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juni 2005 - XII ZB 247/03 - FamRZ 2005, 1477).
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
a) Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass einer mittellosen Partei Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden dürfe, wenn eine vermögende Partei die für die Kosten selbst aufkommen müsste, auf die Rechtsverfolgung oder -verteidigung vernünftigerweise verzichten würde. In der hier gegebenen Situation hätte eine vernünftige vermögende Partei (eventuell nach Belehrung durch ihre erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte, die noch im Rahmen des erstinstanzlichen Mandats zu erfolgen habe) darauf verzichtet, sich mit überflüssigen Kosten zu belasten, und vor Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten für die zweite Instanz zunächst abgewartet, ob das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückweist.
Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
b) Ob einem Berufungsbeklagten Prozesskostenhilfe schon zu bewilligen ist, solange das Berufungsgericht noch nicht über die Möglichkeit der Zurückweisung durch einstimmigen Beschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO) befunden hat, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
aa) Zum Teil wird davon ausgegangen, dass eine Verteidigung des Rechtsmittelgegners nicht notwendig und ihm daher Prozesskostenhilfe noch nicht zu bewilligen sei, wenn das Berufungsgericht mit der Übersendung der Berufungsbegründung darauf hinweise, dass es die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückweisen wolle. Denn dann bestehe die Aussicht, dass das Rechtsmittel ohne Zutun des Rechtsmittelgegners abgewehrt werden könne (OLG Dresden Beschluss vom 22. Oktober 2007 - 3 U 1141/07 - juris Tz. 3; OLG Köln MDR 2006, 947; OLG Düsseldorf MDR 2003, 658, 659; Zöller/Philippi ZPO 28. Aufl. § 119 Rdn. 55; Musielak/Fischer ZPO 7. Aufl. § 119 Rdn. 16; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 30. Aufl. § 119 Rdn. 13; Hk-ZPO/Pukall 2. Aufl. § 119 Rdn. 14). Teilweise wird die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch dann abgelehnt, wenn das Berufungsgericht zwar noch nicht auf die Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, hingewiesen hat, diese Möglichkeit aber noch besteht (OLG Schleswig - 14. ZS - NJW-RR 2009, 416; OLG Celle Beschluss vom 12. Dezember 2007 - 13 U 141/07 - juris Tz. 5 ff.; OLG Nürnberg - 3. ZS - MDR 2007, 1337, 1338; OLG Dresden - 6. ZS - MDR 2007, 423; OLG Celle - 6. ZS - MDR 2004, 598). Differenziert wird weiter hinsichtlich der Frage, ob dem bedürftigen Rechtsmittelgegner Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, wenn ihm eine Frist zur Äußerung gesetzt wurde (bejahend: OLG Schleswig - 14. ZS - NJW-RR 2009, 416, 417; OLG Celle Beschluss vom 12. Dezember 2007 - 13 U 141/07 - juris Tz. 7; OLG Dresden - 6. ZS - MDR 2007, 423; verneinend für eine vorsorgliche Fristsetzung zur Erwiderung: OLG Celle - 4. ZS - OLGR 2007, 923 f.; OLG Nürnberg - 4. ZS - FamRZ 2005, 46 f.).
bb) Nach der Gegenansicht kann dem erstinstanzlichen obsiegenden Berufungsbeklagten Prozesskostenhilfe nicht mit der Begründung versagt werden, dass infolge einer noch ausstehenden Entscheidung über eine Verfahrensweise nach § 522 Abs. 2 ZPO eine Rechtsverteidigung noch nicht notwendig sei (OLG Brandenburg MDR 2008, 285; OLG Schleswig - 1. ZS - FamRZ 2006, 1550 [unter Aufgabe der gegenteiligen Ansicht in OLGR 2006, 190, 191]; OLG Rostock OLGR 2005, 840, 841 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 67. Aufl. § 119 Rdn. 57; Vossler MDR 2008, 722, 724 f.; Fölsch NJW 2006, 3521, 3523; Schellenberg MDR 2005, 610, 614; Hansens RVGreport 2008, 278 und 2004, 277 f.).
cc) Der Senat hat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden, dass die zuletzt dargestellte Auffassung den Vorzug verdient (Senatsbeschluss vom 28. April 2010 - XII ZB 180/06 - zur Veröffentlichung bestimmt).
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG nämlich eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Der unbemittelten Partei darf im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht unverhältnismäßig erschwert bzw. unmöglich gemacht werden. Dabei braucht der Unbemittelte zwar nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfG NJW 2003, 2976, 2977; 1991, 413 f. und FamRZ 1988, 1139, 1140). Deshalb ist stets zu prüfen, ob eine bemittelte Partei bei Abwägung zwischen dem erzielbaren Vorteil und dem dafür einzugehenden Kostenrisiko ihre Rechte in einer bestimmten Art und Weise wahrgenommen hätte (vgl. BGH Beschluss vom 19. Mai 1981 - VI ZR 264/80 - JurBüro 1981, 1169).
Auch § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO, wonach in einem höheren Rechtszug nicht zu prüfen ist, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat, bedeutet nicht, dass Prozesskostenhilfe ausnahmslos in jedem Fall zu bewilligen ist. Denn die dieser Bestimmung innewohnende Vermutungswirkung, dass die Verteidigung des Urteils der Vorinstanz hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig ist, gilt nur für die Verteidigung der angefochtenen Entscheidung als solche. Sie besteht demgegenüber nicht dafür, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts in jeder Lage des Rechtsmittelverfahrens nicht mutwillig ist, und gebietet deshalb nicht, dem Rechtsmittelbeklagten Prozesskostenhilfe bereits zu einer Zeit zu gewähren, in der dies zur Wahrung seiner Rechte noch nicht notwendig ist (Senatsbeschluss vom 28. April 2010 - XII ZB 180/06 - zur Veröffentlichung bestimmt; vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 10. Februar 1988 - IVb ZR 67/87 - FamRZ 1988, 942 und vom 30. September 1981 - IVb ZR 694/80 - FamRZ 1982, 58, 59 f.).
Nach der Begründung des Rechtsmittels hat der Berufungsbeklagte jedoch ein berechtigtes Interesse daran, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern und eine Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege durch eigene zusätzliche Argumente zu fördern. Eine entsprechende Ankündigung des Gerichts gibt nur eine vorläufige Auffassung wieder; die Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege ist keineswegs sicher. An einer Entscheidung im Beschlusswege hat der Berufungsbeklagte aber nicht nur wegen der damit regelmäßig verbundenen Beschleunigung, sondern auch wegen der durch § 522 Abs. 3 ZPO angeordneten Unanfechtbarkeit ein besonderes Interesse (Senatsbeschluss vom 28. April 2010 - XII ZB 180/06 - zur Veröffentlichung bestimmt; BGH Beschluss vom 9. Oktober 2003 - VII ZB 17/03 - FamRZ 2004, 99). Deshalb kann einem Berufungsbeklagten nach Erhalt der Berufungsbegründung auch unter prozesskostenhilferechtlichen Aspekten die Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht versagt werden. Das gilt unabhängig davon, ob schon vorsorglich eine Erwiderungsfrist gesetzt wurde oder nicht. Denn andernfalls würde dem bedürftigen Rechtsmittelgegner die Chance genommen, in seinem Sinne auf eine Entscheidung des Gerichts nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO hinzuwirken (Senatsbeschluss vom 28. April 2010 - XII ZB 180/06 - zur Veröffentlichung bestimmt).
c) Darüber hinaus war die begehrte Prozesskostenhilfe hier auch schon deshalb zu bewilligen, weil das Oberlandesgericht der Klägerin anheim gestellt hatte, seine Entscheidung über die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO bzw. die Stellungnahme des Rechtsmittelführers auf den Hinweis, dass eine Zurückweisung im Beschlussverfahren erwogen werde, abzuwarten. Aufgrund dieses Hinweises konnte es der Klägerin jedenfalls ab Erhalt der darauf folgenden Stellungnahme des Beklagten ohne gleichzeitige Zurückweisung der Berufung auch unter prozesskostenhilferechtlichen Gesichtspunkten nicht mehr verwehrt sein, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
d) Unschädlich ist schließlich, dass die Klägerin ihren Antrag, die Berufung zurückzuweisen, vorliegend schon zu einem Zeitpunkt gestellt hatte, als ihr weder die Berufungsbegründung noch die Stellungnahme des Beklagten zur beabsichtigten Zurückweisung der Berufung im Beschlussverfahren vorlagen. Denn der zuvor angebrachte Zurückweisungsantrag wirkt fort. Es würde auf eine unnötige Förmelei hinauslaufen, von der Klägerin zu erwarten, dass sie nach Erhalt der Stellungnahme des Beklagten auf die Ankündigung einer Verfahrensweise nach § 522 Abs. 2 ZPO nochmals einen identischen Schriftsatz bei Gericht einreicht (vgl. Senatsbeschluss vom 1. April 2009 - XII ZB 12/07 - FamRZ 2009, 1047, 1048 zur vergleichbaren Konstellation im Rahmen von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
3. Danach durfte das Oberlandesgericht der offenkundig bedürftigen Klägerin die begehrte Prozesskostenhilfe nicht versagen. Da mit weiteren Feststellungen nicht zu rechnen ist, kann der Senat diese Entscheidung nachholen.
Hahne Weber-Monecke Vézina
Dose Klinkhammer