Entscheidungsdatum: 27.04.2016
Zu den Voraussetzungen der Einrichtung einer Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt bei vorliegender Alkoholabhängigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 21. Dezember 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beschwerde der Betroffenen gegen die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Beschwerdewert: 5.000 €
I.
Auf eigenen Antrag der 73jährigen Betroffenen hat das Amtsgericht - gestützt auf ein ärztliches Zeugnis über Sehstörungen sowie Zustand nach C2-Krankheit, Hirnblutung und Leberschaden - durch Beschluss vom 10. März 2015 eine Betreuung für die Aufgabenkreise der Gesundheitsfürsorge, Regelung des Postverkehrs, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie Wohnungsangelegenheiten eingerichtet und die Beteiligte zu 1 zur Berufsbetreuerin sowie die Beteiligte zu 2 zur Ersatzbetreuerin bestimmt. Auf weiteren eigenen Antrag der Betroffenen hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 25. März 2015 den Gegenstand der Betreuung um den Aufgabenkreis der Vermögensangelegenheiten erweitert, nachdem zugunsten der Betroffenen eine Erbschaft angefallen war.
Nachdem die Betreuerin bei Gericht angeregt hatte, einen Einwilligungsvorbehalt anzuordnen, hat die Betroffene die Aufhebung der Betreuung beantragt. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 19. Oktober 2015 den Aufhebungsantrag zurückgewiesen und den Gegenstand der Betreuung um den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung erweitert sowie einen Einwilligungsvorbehalt für Vermögensangelegenheiten angeordnet. Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht die Überprüfungsfrist auf den 19. Oktober 2018 festgesetzt und das Rechtsmittel im Übrigen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist insoweit begründet, als sie sich gegen die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts richtet; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Betroffene leide an einem alkoholbedingten hirnorganischen Psychosyndrom sowie vermutlich Leberzirrhose bei massiver Einschränkung der Sehkraft und Untergewicht. Über leichte kognitive Beeinträchtigungen hinaus bestünden eine mangelnde Affektkontrolle sowie aggressives Verhalten. Aufgrund dessen könne die Betroffene bei fehlender Krankheitseinsicht und mangelnder Impulskontrolle in sämtlichen Aufgabenkreisen ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen. Der Einwilligungsvorbehalt sei anzuordnen gewesen, weil die Betroffene sich im März 2015 noch selbst überfordert gesehen habe, mit dem ererbten Vermögen eigenverantwortlich umzugehen, und keine Anhaltspunkte erkennbar seien, weshalb der Betroffenen dies nun möglich sei. Es bestehe die Gefahr, dass die Betroffene sich krankheitsbedingt erheblichen Schaden zufüge. Sie sei nicht in der Lage, einen freien Willen zu bilden, weil sie krankheitsbedingt in ihrer Kritik- und Urteilsfähigkeit erheblich eingeschränkt und aktuell nicht in der Lage sei, realitätsbezogene Argumente für und gegen die eigene Entscheidung bzw. das eigene Handeln kritisch abzuwägen und danach zu entscheiden.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
a) Nach § 1908 d BGB ist eine Betreuung aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Daher kann ein Antrag auf Aufhebung der Betreuung nur dann abgelehnt werden, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sämtliche Voraussetzungen für die Bestellung des Betreuers noch vorliegen. Der Wegfall nur einer dieser Voraussetzungen reicht für die Aufhebung der Betreuung aus (Senatsbeschluss vom 7. Oktober 2015 - XII ZB 58/15 - FamRZ 2015, 2158 Rn. 8 mwN).
b) Gemäß § 1896 Abs. 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht einen Betreuer, wenn ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann.
Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn der Alkoholismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen, insbesondere einer psychischen Erkrankung steht, oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25. März 2015 - XII ZA 12/15 - FamRZ 2015, 1017 Rn. 7 ff. und vom 3. Februar 2016 - XII ZB 317/15 - juris Rn. 3).
Insoweit hat der Sachverständige aufgezeigt, dass die Betroffene nach langjähriger Alkoholabhängigkeit bereits unter hirnorganischen Beeinträchtigungen leidet, die sich in Defiziten bei der Merkfähigkeit, mangelnder Affektkontrolle, aggressivem Verhalten und paranoiden Anschuldigungen Nachbarn gegenüber äußern. Ihr physischer Zustand sei inzwischen besorgniserregend; notwendiger Krankenbehandlung widersetze sie sich vehement. Ihr eigenes Gewicht gebe die Betroffene mit inzwischen nur noch 35,6 kg an. Unter diesen Voraussetzungen durfte das Landgericht vom Vorliegen einer auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführenden Hirnbeeinträchtigung, die das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat, ausgehen.
c) Da nach § 1896 Abs. 1a BGB gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden darf, ist bei der Ablehnung eines Antrags auf Aufhebung einer Betreuung festzustellen, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen hinsichtlich der Einrichtung einer Betreuung frei zu bestimmen. Dabei müssen die Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbestimmung durch ein (noch) aktuelles Sachverständigengutachten belegt sein (Senatsbeschluss vom 16. September 2015 - XII ZB 500/14 - FamRZ 2015, 2160 Rn. 12 mwN).
Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass er seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann. Ist der Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen (Senatsbeschluss vom 7. Oktober 2015 - XII ZB 58/15 - FamRZ 2015, 2158 Rn. 9 mwN).
Insoweit ist in dem vom Landgericht in Bezug genommenen Gutachten ausgeführt, dass die Betroffene aufgrund ihrer Erkrankung und den damit einhergehenden hirnorganischen Veränderungen, die zu einer massiven Reduzierung ihrer Kritikfähigkeit geführt haben, nicht in der Lage sei, die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen, gegeneinander abzuwägen und entsprechend zu entscheiden.
Damit haben der Gutachter und ihm folgend das Landgericht nicht aus der Alkoholabhängigkeit für sich genommen und dem darauf beruhenden Mangel an Steuerungsfähigkeit in Bezug auf den Konsum von Alkohol auf ein Unvermögen zur freien Willensbildung geschlossen, was unzulässig wäre (vgl. BVerfG FamRZ 2015, 565 Rn. 31), sondern aus den bereits eingetretenen hirnorganischen Veränderungen.
d) Auch gegen die Erstreckung und Erweiterung der Betreuung auf alle erfassten Aufgabenkreise bestehen nach den getroffenen Feststellungen keine Bedenken.
e) Im Ergebnis zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde allerdings, dass die Voraussetzungen für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts nicht hinreichend festgestellt worden sind.
Gemäß § 1903 Abs. 1 Satz 1 BGB ordnet das Betreuungsgericht an, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf (Einwilligungsvorbehalt), soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist. Ob dies der Fall ist, hat das Betreuungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht festzustellen (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Juli 2015 - XII ZB 92/15 - FamRZ 2015, 1793 Rn. 7 mwN). Auch bei einem umfangreichen Vermögen des Betreuten kann ein Einwilligungsvorbehalt nur dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Vermögensgefährdung erheblicher Art vorliegen (Senatsbeschluss vom 28. Juli 2015 - XII ZB 92/15 - FamRZ 2015, 1793 Rn. 9 mwN). Der Grundsatz der Erforderlichkeit bedeutet dabei auch, dass der Einwilligungsvorbehalt je nach den Umständen auf einen einzelnen Vermögensgegenstand oder eine bestimmte Art von Geschäften beschränkt werden kann (Senatsbeschluss vom 28. Juli 2015 - XII ZB 92/15 - FamRZ 2015, 1793 Rn. 10 mwN).
Diesen Grundsätzen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Nachdem die Betroffene zunächst selbst eine Betreuung für Vermögensangelegenheiten beantragt hatte, um die ihre Erbschaft betreffenden finanziellen Angelegenheiten zu regeln, und dies inzwischen durch verzinsliche Geldanlage erledigt ist, bedarf es konkreter Anhaltspunkte für eine Vermögensgefährdung erheblicher Art und Feststellungen dazu, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts auch bei der aktuell gegebenen Sachlage erforderlich ist, um eine erhebliche Gefahr abzuwenden. Solche hat das Beschwerdegericht nicht getroffen.
Zwar hat das Landgericht insoweit auf Ausführungen des Amtsgerichts Bezug genommen. Danach seien der Betroffenen nach den gerichtlichen Ermittlungen „in erheblichem Umfang Vermögenswerte wie Bargeld und wertvoller Schmuck offenbar dadurch verloren gegangen, dass diese bedenkenlos Dritten überlassen und nicht mit Erfolg zurückgefordert werden konnten“. Das genügt jedoch als Voraussetzung für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts zum einen deshalb nicht, weil die Umstände des Verlusts der genannten Gegenstände im Spekulativen bleiben, und zum anderen weil nicht festgestellt ist, dass einer möglichen Freigiebigkeit der Betroffenen gegenüber ihren Verwandten, zumal im Zusammenhang mit der überraschend hoch ausgefallenen Erbschaft, krankhafte Ursachen zugrunde liegen. Jedenfalls fehlt es an hinreichenden Feststellungen über konkrete Anhaltspunkte für eine künftig drohende Vermögensgefährdung, die einen Eingriff von der Schwere des Einwilligungsvorbehalts rechtfertigen könnten. Auch hat das Landgericht sich nicht die Frage vorgelegt, ob der Einwilligungsvorbehalt auf eine bestimmte Art von Geschäften, beispielsweise Schenkungen, beschränkt werden kann.
3. Der angefochtene Beschluss kann daher insoweit keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Nedden-Boeger Guhling