Entscheidungsdatum: 29.06.2016
1. Die persönliche Anhörung in einem Betreuungsverfahren dient nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern hat vor allem den Zweck, dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Ihr kommt damit auch in den Fällen, in denen sie nicht durch Gesetz vorgeschrieben ist, eine zentrale Stellung im Rahmen der gemäß § 26 FamFG von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zu (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014, XII ZB 519/13, FamRZ 2014, 652).
2. Allein die Tatsache, dass der Betroffene sich dahingehend äußert, eine Betreuung nicht haben und mit einem möglichen Betreuer nicht zusammen arbeiten zu wollen, genügt nicht, um die Erforderlichkeit der Betreuung entfallen zu lassen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 28. Januar 2015, XII ZB 520/14, FamRZ 2015, 650).
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 25. November 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.000 €
A.
Der weitere Beteiligte begehrt die Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene.
Der weitere Beteiligte und die Betroffene sind geschiedene Eheleute. Zwischen beiden ist seit 2007 ein Zugewinnausgleichsverfahren anhängig. Die Betroffene, die im Jahr 2010 die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlangt hatte, vertritt sich in jenem Verfahren seit Oktober 2010 selbst. Das Amtsgericht bestellte ihr auf Antrag des weiteren Beteiligten einen Prozesspfleger gemäß § 57 ZPO. Das Oberlandesgericht hob die Pflegerbestellung auf die Beschwerde der Betroffenen mit der Begründung auf, es gebe zwar Zweifel an der Prozessfähigkeit der Betroffenen; jedoch komme insoweit allein die Bestellung eines Betreuers mit dem Wirkungskreis, die Betroffene in dem Zugewinnausgleichsverfahren zu vertreten, in Betracht, weil der Prozesspfleger lediglich ein Notvertreter sei.
Demgemäß hat der weitere Beteiligte im vorliegenden Verfahren die Bestellung eines Betreuers mit dem entsprechenden Aufgabenkreis angeregt. Das Amtsgericht hat das Betreuungsverfahren eingestellt, ohne die Betroffene persönlich anzuhören. Das Landgericht hat die Beschwerde des weiteren Beteiligten zurückgewiesen. Hiergegen wendet er sich mit der Rechtsbeschwerde.
B.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
I.
Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten ist zulässig.
Sie ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft, obwohl vorliegend die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 519/13 - FamRZ 2014, 652 Rn. 8 mwN).
Der weitere Beteiligte ist auch beschwerdeberechtigt. Als Kläger in dem Zugewinnausgleichsverfahren ist er hinsichtlich der Entscheidung, mit der das Landgericht die von ihm angeregte Bestellung eines Betreuers für die seiner Ansicht nach prozessunfähige Beklagte ablehnt, grundsätzlich gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 - XII ZB 326/10 - FamRZ 2011, 465 Rn. 9 ff. mwN).
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen, weil nicht festgestellt werden könne, ob die Ablehnung der Betreuung durch die Betroffene auf einem freien Willen beruhe. Die hierfür erforderliche Begutachtung durch einen Sachverständigen könne mangels Mitwirkung der Betroffenen nicht durchgeführt werden. Eine Vorführung der Betroffenen zur Untersuchung wäre unverhältnismäßig. Die Betroffene habe mehrfach erklärt, an einer Begutachtung ebenso wenig mitzuwirken wie an dem Betreuungsverfahren als solchem. Zum Anhörungstermin vom 9. September 2015 vor dem Amtsgericht sei sie nicht erschienen.
Vor einer zwangsweisen Vorführung zur Untersuchung und Befragung der Betroffenen müsse ihre Weigerung immer Anlass sein, die Notwendigkeit der Begutachtung kritisch zu überprüfen. Das Gericht müsse ausreichende Anhaltspunkte dafür haben, dass die betreuungsrechtlichen Maßnahmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in Betracht kämen. Vorliegend könne weder die Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen als überwiegend wahrscheinlich angesehen noch ein konkreter Betreuungsbedarf festgestellt werden. Zwar existierten nach Auffassung des Oberlandesgerichts Anhaltspunkte für das Vorliegen einer partiellen Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen. Der seinerzeit tätige Sachverständige habe festgestellt, dass die Betroffene mit hoher Wahrscheinlichkeit in allen Verfahren, die sich mit ihrer Ehescheidung beschäftigten, partiell geschäftsunfähig sei. Das Sachverständigengutachten datiere indes vom 18. Mai 2013 und biete daher schon aus zeitlicher Sicht keinen zuverlässigen Anhaltspunkt für eine derzeit vorliegende (partielle) Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen. Zudem sei das Gutachten mangels Mitwirkung der Betroffenen ohne deren Exploration nur aufgrund der Auswertung der Akten aus vier Gerichtsverfahren erstellt worden.
Auch die Tatsache, dass die Betroffene in dem Zugewinnausgleichsverfahren auf die - vom Amtsgericht für begründet erachtete - Einrede der Verjährung verzichten wolle, stelle für sich genommen keinen Anhaltspunkt dar, der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 BGB spreche. Demgegenüber sprächen einige Anhaltspunkte gegen deren Vorliegen. So sei die Betroffene Apothekerin und zudem als Rechtsanwältin zugelassen. Ihre schriftlichen Eingaben seien zwar offenkundig emotionsgetragen, überwiegend jedoch jedenfalls im Ansatz und der vertretenen Rechtsauffassung nachvollziehbar und in den Grenzen einer sachlichen Auseinandersetzung.
Gegen die Anordnung einer Betreuung spreche zudem der Umstand, dass die Betroffene zur Zusammenarbeit mit einem Betreuer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht bereit sei und daher eine sachdienliche Betreuungsarbeit nicht durchgeführt werden könne.
2. Das hält den Rügen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
Das Landgericht hat seiner Amtsermittlungspflicht gemäß § 26 FamFG nicht hinreichend Rechnung getragen.
a) In welchem Umfang Tatsachen zu ermitteln sind, bestimmt sich nach § 26 FamFG. Das Gericht hat danach von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Dabei muss dem erkennenden Gericht die Entscheidung darüber vorbehalten sein, welchen Weg es innerhalb der ihm vorgegebenen Verfahrensordnung für geeignet hält, um zu der für eine Entscheidung notwendigen Erkenntnis zu gelangen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 18. März 2015 - XII ZB 370/14 - FamRZ 2015, 844 Rn. 15 mwN).
aa) Zwar ordnet § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine persönliche Anhörung nur vor der Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen an. Damit ist aber nicht die Aussage verbunden, dass es einer Anhörung dann, wenn es nicht zur Betreuerbestellung kommt, generell nicht bedarf. Die persönliche Anhörung dient nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG), sondern hat - wie sich auch aus § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG ergibt - vor allem den Zweck, dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Ihr kommt damit auch in den Fällen, in denen sie nicht durch Gesetz vorgeschrieben ist, eine zentrale Stellung im Rahmen der gemäß § 26 FamFG in einem Betreuungsverfahren von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zu (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 519/13 - FamRZ 2014, 652 Rn. 15 mwN).
Erscheint der Betroffene nicht zu einer vom Tatrichter im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht für erforderlich gehaltenen Anhörung, sind zunächst alle zwanglosen Möglichkeiten auszuschöpfen, den Betroffenen anhören zu können bzw. sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Zu diesen Möglichkeiten gehört auch das Aufsuchen des Betroffenen, um ihn in seiner üblichen Umgebung anzuhören (§ 278 Abs. 1 Satz 3 FamFG - Senatsbeschluss vom 2. Juli 2014 - XII ZB 120/14 - FamRZ 2014, 1543 Rn. 18).
bb) § 280 Abs. 1 FamFG verpflichtet das Gericht nur dann zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, wenn das Verfahren mit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts endet. Wird davon abgesehen, ist die Einholung eines Gutachtens nach § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht zwingend erforderlich. Das Gericht hat daher vor der Anordnung der Gutachtenerstattung im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob es das Verfahren im Hinblick auf eine Betreuerbestellung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts weiter betreiben will. Dies setzt hinreichende Anhaltspunkte voraus, dass Betreuungsbedarf besteht oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt (Senatsbeschluss vom 18. März 2015 - XII ZB 370/14 - FamRZ 2015, 844 Rn. 13).
b) Diesen Anforderungen wird das landgerichtliche Verfahren nicht gerecht. Die Würdigung des Landgerichts beruht nicht auf einer ausreichenden Sachaufklärung. Es hat verkannt, dass hinreichende Anhaltspunkte für das Bestehen eines Betreuungsbedarfs für die Betroffene bestehen und dass diese weitere Ermittlungen, wie die Anhörung und gegebenenfalls die Begutachtung der Betroffenen, rechtfertigen.
aa) Dem Landgericht kann bereits nicht in seiner Einschätzung gefolgt werden, dass weitere Ermittlungen nicht notwendig seien.
Zu Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass der Betroffenen in dem Zugewinnausgleichsverfahren vom Amtsgericht bereits ein Prozesspfleger gemäß § 57 Abs. 1 ZPO bestellt worden ist. Zwar hat das Oberlandesgericht diesen Beschluss in der Beschwerdeinstanz aufgehoben. Jedoch hatte es in seiner Entscheidung ebenfalls Zweifel an der Prozessfähigkeit der Betroffenen geäußert und die Bestellung des Prozesspflegers nur deshalb aufgehoben, weil vorliegend allein die Bestellung eines Betreuers mit dem Wirkungskreis einer Vertretung der Betroffenen in dem Zugewinnausgleichsverfahren in Betracht komme (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 - XII ZB 326/10 - FamRZ 2011, 465 Rn. 11). Zudem enthält das seinerzeit eingeholte Sachverständigengutachten hinreichende Anhaltspunkte für eine Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen bezogen auf den hier gegenständlichen Wirkungskreis. Auch wenn das Sachverständigengutachten für die Einrichtung einer Betreuung nicht genügen mag, weil sich die Betroffene einer Exploration entzogen hatte, vermag es jedenfalls hinreichende Anhaltspunkte für eine Betreuungsbedürftigkeit zu begründen.
Nicht nachvollziehbar sind im Übrigen die Ausführungen des Landgerichts dazu, dass die Betroffene von Beruf Apothekerin und Rechtsanwältin sei. Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der einmal erlernte Beruf in keinem Zusammenhang mit einer später eintretenden psychischen Erkrankung steht. Hinzu kommt, dass der Betroffenen - auch nach ihrer eigenen Einlassung zur Rechtsbeschwerde - mittlerweile die Zulassung als Rechtsanwältin entzogen worden ist. Selbst wenn die Entziehung noch nicht bestandskräftig sein sollte, begründet dieser Umstand einen weiteren Anhaltspunkt für eine Betreuungsbedürftigkeit.
Schließlich hat das Landgericht das Schreiben der Landesoberkasse vom 7. Oktober 2015 unbeachtet gelassen, wonach erhebliche Bedenken gegen die Geschäftsfähigkeit der Betroffenen entstanden sind.
bb) Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht die Betroffene in jedem Fall persönlich anhören müssen.
Dies folgt auch daraus, dass eine Anhörung in der ersten Instanz unterblieben war (vgl. § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG). Das Landgericht durfte sich nicht damit begnügen, dass die Betroffene nicht zu dem vom Amtsgericht anberaumten Anhörungstermin erschienen war. Bevor es ganz von einer Anhörung absieht, hätte es erwägen müssen, sich einen persönlichen Eindruck von der Betroffenen in ihrer üblichen Umgebung zu verschaffen (§ 278 Abs. 1 Satz 3 FamFG). Hätte sich die Betroffene weiterhin geweigert, an einer Anhörung teilzunehmen, hätte das Landgericht als weitere Maßnahme erwägen müssen, die Betroffene darüber zu belehren, dass es sie notfalls mit Gewalt vorführen lassen könne und dazu notfalls auch ihre Wohnung betreten werden dürfe (vgl. § 278 Abs. 5 bis 7 FamFG). Jedenfalls diese Maßnahmen erscheinen in Anbetracht dessen, dass hinreichende Anhaltspunkte für das Bestehen eines Betreuungsbedarfs vorliegen, nicht als unverhältnismäßig.
cc) Hätten sich die Anhaltspunkte für eine Betreuungsbedürftigkeit aufgrund der Anhörung verdichtet, hätte das Landgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens erwägen müssen.
III.
Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts ist gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Da das Landgericht weitere Ermittlungen durchzuführen haben wird, die Sache also noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).
Sollten die Ermittlungen ergeben, dass die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung nach § 1896 BGB dem Grunde nach gegeben sind, wird das Landgericht zu beachten haben, dass allein eine mangelnde Bereitschaft der Betroffenen, mit einem Betreuer zu kooperieren, die Erforderlichkeit für die hier angeregte Betreuung nicht entfallen lässt (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Januar 2015 - XII ZB 520/14 - FamRZ 2015, 650 Rn. 11 ff.). In diesem Zusammenhang wird das Landgericht zu berücksichtigen haben, dass der weitere Beteiligte das Verfahren lediglich mit dem Ziel angeregt hat, der Betroffenen einen Betreuer für den Wirkungskreis "Vertretung in dem Zugewinnausgleichsverfahren" zu bestellen. Hinzu kommt im vorliegenden Fall die Besonderheit, dass der weitere Beteiligte auf die Einrichtung der Betreuung angewiesen ist, um das Zugewinnausgleichsverfahren abschließen zu können. Deshalb wird das Landgericht bei der Prüfung, welche Maßnahmen zu treffen sind, auch zu berücksichtigen haben, dass dem weiteren Beteiligten als Kläger in dem Zugewinnausgleichsverfahren - im Rahmen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes - die Möglichkeit einzuräumen ist, seine Forderung auch gegen eine prozessunfähige Partei durchzusetzen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 - XII ZB 326/10 - FamRZ 2011, 465 Rn. 11 mwN).
Ein Betreuungsbedarf entfiele auch nicht dadurch, dass der Senat die Entscheidung des Oberlandesgerichts zur Prozesspflegerbestellung mit Beschluss vom 22. Juni 2016 (XII ZB 142/15 - zur Veröffentlichung bestimmt) aufgehoben hat, weil die sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht unstatthaft war. Damit bleibt die Bestellung des Prozesspflegers zwar zunächst bestehen. Bei ihm handelt es sich jedoch lediglich um einen Notvertreter, der bis zur Bestellung des ordentlichen gesetzlichen Vertreters, hier also des Betreuers, einstweilen die Vertretung zu übernehmen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 - XII ZB 326/10 - FamRZ 2011, 465 Rn. 11).
Dose Klinkhammer Schilling
Günter Guhling