Entscheidungsdatum: 18.10.2017
Zur Anfechtung der Vaterschaft durch den biologischen Vater bei bestehender sozial-familiärer Beziehung des Kindes zum rechtlichen Vater.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Senats für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 14. Oktober 2016 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Wert: 2.000 €
I.
In der vorliegenden Abstammungssache ficht der Antragsteller (Beteiligter zu 2) als biologischer Vater die Vaterschaft des Beteiligten zu 4 zu dem im Oktober 2013 geborenen Kind (Beteiligter zu 1) an und begehrt die Feststellung, selbst rechtlicher Vater zu sein.
Der Antragsteller, ein pakistanischer Staatsangehöriger, hatte während der gesetzlichen Empfängniszeit eine intime Beziehung zu der Kindesmutter und ist ausweislich eines außergerichtlich durchgeführten Abstammungstests der biologische Vater des Kindes. Der Beteiligte zu 4, der die libanesische Staatsangehörigkeit besitzt, erkannte die Vaterschaft zu dem Kind im Oktober 2014 an. Er lebt mit der Mutter zusammen. Aus der Beziehung ist ein im Oktober 2015 geborenes Kind hervorgegangen.
Das Amtsgericht hat den Anfechtungsantrag wegen Bestehens einer sozial-familiären Beziehung zwischen dem Beteiligten zu 4 als rechtlichem Vater und dem Kind zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Anfechtungsbegehren weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht hat seine in juris veröffentlichte Entscheidung damit begründet, dass zwischen dem Beteiligten zu 4 und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung bestehe, die die Anfechtung ausschließe. Der Beteiligte zu 4 lebe schon länger mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft zusammen und trage tatsächliche Verantwortung für das Kind. Die gesetzliche Regelung sei auch verfassungsgemäß.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Anfechtung durch den Antragsteller scheitert daran, dass zwischen dem Beteiligten zu 4 als rechtlichem Vater und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht (§ 1600 Abs. 2 BGB).
a) Das Oberlandesgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der vorliegende Anfechtungsantrag nach deutschem Recht zu beurteilen ist.
aa) Bei der Qualifizierung der Anfechtung der Vaterschaft durch den leiblichen Vater ist zu beachten, dass diese aus zwei Komponenten besteht, indem sie im Erfolgsfall die bestehende rechtliche Vaterschaft beseitigt und zugleich zur Feststellung des Antragstellers als (rechtlichem) Vater des Kindes führt (§ 182 Abs. 1 FamFG). Dementsprechend richtet sich die Beurteilung der Beseitigung der bestehenden rechtlichen Vaterschaft nach Art. 20 EGBGB, während die Feststellung der Vaterschaft nach Art. 19 EGBGB zu beurteilen ist (vgl. Senatsurteil vom 23. November 2011 - XII ZR 78/11 - FamRZ 2012, 616 Rn. 14 ff. zur qualifizierten Vaterschaftsanerkennung).
bb) Nach diesen Maßstäben kann die Abstammung gemäß Art. 20 Satz 1 EGBGB nach jedem Recht angefochten werden, aus dem sich ihre Voraussetzungen ergeben. Die Vorfrage der Abstammung bestimmt sich dabei nach Art. 19 EGBGB und führt nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EGBGB aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes zum deutschen Recht und der Vaterschaft des Beteiligten zu 4 gemäß § 1592 Nr. 2 BGB.
Dass auf die Vaterschaftsanfechtung in der vorliegenden Konstellation wahlweise auch eine weitere Rechtsordnung (etwa das Heimatrecht des Antragstellers oder des Beteiligten zu 4) Anwendung finden könnte und diese zudem an den Erfolg der Anfechtung geringere Voraussetzungen stellen würde, ist von keinem der Beteiligten vorgebracht worden. Auch die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit keine Beanstandungen. Das Oberlandesgericht ist daher entsprechend dem Vorbringen des Antragstellers zutreffend von der Anwendbarkeit des deutschen Rechts ausgegangen.
b) Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts besteht zwischen dem Beteiligten zu 4 und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung, welche die Anfechtung ausschließt.
aa) Nach § 1600 Abs. 2 BGB setzt die Anfechtung durch den leiblichen Vater voraus, dass zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt seines Todes bestanden hat. In zeitlicher Hinsicht kommt es abgesehen vom Fall, dass der rechtliche Vater verstorben ist, für das Bestehen der sozial-familiären Beziehung auf den Abschluss der Beschwerdeinstanz als der letzten Tatsacheninstanz an (vgl. Senatsurteil BGHZ 170, 161 = FamRZ 2007, 538, 539; BVerfG FamRZ 2015, 817 f.; aA noch OLG Karlsruhe FamRZ 2010, 1174, 1175; Staudinger/Rauscher BGB [2011] § 1600 Rn. 41a).
bb) Der Beteiligte zu 4 hat nach den Feststellungen der Vorinstanzen tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen und lebt mit diesem wie auch mit seinem im Oktober 2015 geborenen leiblichen Kind und der Kindesmutter bereits längere Zeit zusammen. Dagegen ist in rechtlicher Hinsicht nichts zu erinnern. Von der Rechtsbeschwerde werden insoweit auch keine Beanstandungen erhoben.
cc) Die bestehende gesetzliche Regelung ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verfassungsgemäß. Mit der durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft und das Umgangsrecht von Bezugspersonen des Kindes vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 598) eingeführten und am 30. April 2004 in Kraft getretenen Regelung hat der Gesetzgeber sich an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 9. April 2003 (FamRZ 2003, 816) orientiert. In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben, dass dem leiblichen Vater die Möglichkeit zu eröffnen sei, die rechtliche Vaterposition zu erlangen, wenn dem der Schutz einer familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern nicht entgegensteht (BVerfG FamRZ 2003, 816, 819 f.). Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber der in einer sozial-familiären Beziehung gelebten Elternschaft des rechtlichen Vaters den Vorrang vor dem grundrechtlich geschützten Interesse des leiblichen Vaters eingeräumt hat, seinerseits in die rechtliche Elternstellung einzurücken. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Folgezeit in ständiger Rechtsprechung eine Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung verneint (BVerfG FamRZ 2015, 817 f. mwN). Damit übereinstimmend hat auch der Senat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Regelung erhoben (Senatsurteil BGHZ 170, 161 = FamRZ 2007, 538, 540 f.).
Die Gesetzeslage ist auch mit Art. 8 EMRK vereinbar (vgl. BVerfG FamRZ 2015, 817). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die vom deutschen Gesetzgeber getroffene Entscheidung in mehreren Entscheidungen als im Rahmen des nationalen Beurteilungsspielraums zulässig angesehen (vgl. EGMR FamRZ 2012, 691 f.; FamRZ 2014, 1257 f. und FamRZ 2016, 437). Zwar prüft der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Gesetzeslage bezogen auf den zur Entscheidung stehenden Einzelfall, was nicht ausschließt, dass die gesetzliche Regelung in Anwendung auf einen anderen Fall Bedenken auslösen könnte. Insofern zeichnet sich der vorliegende Fall indessen nicht durch wesentliche Besonderheiten aus, sondern entspricht vielmehr der regelmäßig anzutreffenden allgemeinen Konkurrenz zwischen leiblichem und rechtlichem Vater. Der Gesetzgeber hat diesen Konflikt im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums zugunsten des in einer sozial-familiären Beziehung zum Kind stehenden rechtlichen Vaters aufgelöst. Die weitergehende Frage, ob dies auch zukünftig noch rechtspolitisch wünschenswert erscheint oder ob den Interessen des leiblichen Vaters ein höherer Stellenwert gebührt (vgl. BMJV Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht [2017] S. 52 f.; Frank FamRZ 2017, 386 f.), fällt in die alleinige Zuständigkeit des Gesetzgebers.
Dose |
|
Klinkhammer |
|
Schilling |
|
Nedden-Boeger |
|
Guhling |
|