Entscheidungsdatum: 08.05.2019
1. § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG ordnet eine persönliche Anhörung des Betroffenen nur vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts an.
2. In einem Verfahren, das nicht mit einer Betreuerbestellung endet, kann das Amtsgericht daher von einer Anhörung des Betroffenen absehen, wenn keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die gesetzlichen Betreuungsvoraussetzungen vorliegen.
Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Baden-Baden vom 4. September 2018 werden auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 1 und 2 zurückgewiesen.
Wert: 5.000 €
I.
Die Beteiligten zu 1 und 2 begehren die Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene.
Die im Jahr 1928 geborene Betroffene lebt in einem Pflegeheim. Mit notarieller General- und Vorsorgevollmacht vom 2. August 2013 bevollmächtigte sie ihren Sohn, den Beteiligten zu 2, und ihre beiden Töchter, die Beteiligten zu 1 und 3, je einzeln zur umfassenden Vertretung in persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten.
Mitte des Jahres 2017 kam es zu einem Zerwürfnis zwischen den Beteiligten zu 1 und 2 einerseits und der Beteiligten zu 3 andererseits, nachdem diese zu ihren eigenen Gunsten verschiedene Verfügungen vom Konto der Betroffenen vorgenommen hatte. Mit anwaltlichem Schreiben vom 3. Mai 2018 ließen die Beteiligten zu 1 und 2 der Beteiligten zu 3 einen von der Betroffenen unterschriebenen Widerruf der General- und Vorsorgevollmacht übermitteln. Mit Schreiben vom 7. Mai 2018 widerrief die Betroffene den Widerruf und erteilte der Beteiligten zu 3 "die Vollmacht im vollen Umfang der notariellen Vollmacht vom 02.08.2013".
Mit Schreiben vom 9. Mai 2018 regte das Pflegeheim beim Amtsgericht die Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene an, da die Beteiligten sich nicht einigen könnten und widersprüchliche Anweisungen erteilten. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind dieser Anregung beigetreten.
Das Amtsgericht hat die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2, die das Landgericht fehlerhaft als sofortige Beschwerde bezeichnet hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten zu 1 und 2 weiterhin das Ziel, dass für die Betroffene ein Betreuer bestellt wird.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Ausführungen des Landgerichts halten der rechtlichen Überprüfung und insbesondere der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rüge, das Landgericht habe der aus § 26 FamFG folgenden Amtsermittlungspflicht nicht genügt, stand.
1. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers nicht festgestellt werden könnten. Die Betroffene sei bereits nicht betreuungsbedürftig. Es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene an einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung leide. Sie habe sich zwar im Verfahren nicht geäußert. Die Beteiligten hätten jedoch selbst vorgetragen, dass die Betroffene voll geschäftsfähig sei. Dies werde durch das vorgelegte hausärztliche Attest vom 14. April 2018 bestätigt. Danach sei die Betroffene bei den ab Juli 2017 durchgeführten Hausbesuchen stets zeitlich und örtlich orientiert und ohne geistige Einschränkungen gewesen. Die Betroffene sei allenfalls nicht in der Lage, an einem einmal gefassten Entschluss festzuhalten, und ändere ihre Meinung unter dem jeweiligen Einfluss ihrer Kinder, um Konflikte zu vermeiden. Dies sei jedoch nicht Ausdruck einer geistigen oder seelischen Behinderung.
Die Einrichtung einer Betreuung sei auch nicht erforderlich. Die Betroffene habe ihren Kindern umfassende Vollmachten erteilt, die auch nach der Übermittlung der Widerrufserklärung am 3. Mai 2018 jedenfalls zugunsten der Beteiligten zu 1 und 2 fortbestünden. Damit sei eine ausreichende Vertretung der Betroffenen geregelt. Zudem sei die Versorgung der Betroffenen durch ihren Aufenthalt im Pflegeheim gewährleistet. Da die Betroffene ihren Kindern jeweils Einzelvertretungsmacht erteilt habe, bestünde trotz des Zerwürfnisses der Geschwister auch nicht die Gefahr eines vertretungslosen Zustands. Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Kontrollbetreuers seien ebenfalls nicht gegeben, weil die geschäftsfähige Betroffene die Ausübung der Vollmachten noch selbst kontrollieren könne.
Das Amtsgericht habe zu Recht ohne Anhörung der Betroffenen und ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens entschieden, weil bereits keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen bestünden und aus Rechtsgründen auch kein Betreuungsbedarf vorliege. Daher sei auch im Beschwerdeverfahren von einer Begutachtung oder Anhörung der Betroffenen abgesehen worden.
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, das Landgericht habe die Einrichtung einer Betreuung nicht ablehnen dürfen, ohne die Betroffenen persönlich anzuhören.
a) Die Vorschrift des § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG ordnet eine persönliche Anhörung nur vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für den Betroffenen an. Damit ist allerdings nicht die Aussage verbunden, dass es einer Anhörung dann, wenn es nicht zur Betreuerbestellung oder Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts kommt, generell nicht bedarf. Denn die persönliche Anhörung dient nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG), sondern hat - wie sich auch aus § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG ergibt - vor allem den Zweck, dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Ihr kommt damit auch in den Fällen, in denen sie nicht durch Gesetz vorgeschrieben ist (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 FamFG), eine zentrale Stellung im Rahmen der gemäß § 26 FamFG in einem Betreuungsverfahren von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zu (Senatsbeschluss vom 6. September 2017 - XII ZB 180/17 - FamRZ 2017, 1962 Rn. 6 mwN). Die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen in einem Betreuungsverfahren setzt jedoch hinreichende Anhaltspunkte dafür voraus, dass die gesetzlichen Betreuungsvoraussetzungen vorliegen. Denn schon die Prüfung einer Betreuungsbedürftigkeit kann für den Betroffenen eine erhebliche Belastung darstellen und mit ihr kann zudem eine stigmatisierende Wirkung verbunden sein, wenn Dritte hiervon Kenntnis erlangen (Senatsbeschluss vom 6. September 2017 - XII ZB 180/17 - FamRZ 2017, 1962 Rn. 7 mwN).
Über Art und Umfang dieser Ermittlungen entscheidet der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat lediglich nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat, ferner, ob es von zutreffenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist (Senatsbeschluss vom 6. September 2017 - XII ZB 180/17 - FamRZ 2017, 1962 Rn. 8 mwN).
b) Bei Anlegung dieses Maßstabs ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht - wie auch das Amtsgericht - die Betroffene nicht persönlich angehört hat. Denn nach den getroffenen Feststellungen besteht im vorliegenden Fall jedenfalls kein Betreuungsbedarf und somit fehlte es an hinreichenden Anhaltspunkten für eine Fortführung der Ermittlungen.
aa) Voraussetzung für die Bestellung eines Betreuers ist gemäß § 1896 Abs. 1 BGB zum einen, dass ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Zum anderen darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB). An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Anders kann es zum einen liegen, wenn Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmachterteilung oder am Fortbestand der Vollmacht bestehen, die geeignet sind, die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr und damit die Wahrnehmung von Rechten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten zu beeinträchtigen. Zum anderen kann trotz erteilter Vorsorgevollmacht eine Betreuung erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint (Senatsbeschluss vom 8. August 2018 - XII ZB 139/18 - FamRZ 2018, 1769 Rn. 15 f. mwN).
bb) Danach ist die Annahme des Landgerichts, es bestehe im vorliegenden jedenfalls kein Betreuungsbedarf, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Die Betroffene hat mit notarieller General- und Vorsorgevollmacht vom 2. August 2013 ihren drei Kindern jeweils Einzelvollmacht zur umfassenden Vertretung in persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten erteilt. Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen zum Zeitpunkt der notariellen Vollmachtserteilung hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. Hiergegen erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.
Zu Recht ist das Landgericht auch davon ausgegangen, dass durch das Zerwürfnis zwischen den Beteiligten zu 1 und 2 einerseits und der Beteiligten zu 3 andererseits kein Betreuungsbedarf begründet wird. Da die Betroffene ihren Kindern jeweils Einzelvollmacht erteilt hat, ist sichergestellt, dass die Betroffene trotz der Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten zu 1 bis 3 in allen persönlichen und rechtlichen Angelegenheiten wirksam vertreten werden kann.
Konkrete Umstände, die auf eine Unredlichkeit der Beteiligten zu 1 bis 3 als Bevollmächtigte schließen lassen, hat das Landgericht nicht festgestellt. Solche Umstände werden auch von der Rechtsbeschwerde nicht geltend gemacht. Im Übrigen führt ein Geschwisterstreit für sich genommen noch nicht zur Ungeeignetheit eines Bevollmächtigten, sondern nur dann, wenn er sich zum Nachteil des Wohls der Betroffenen auswirkt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10. Oktober 2018 - XII ZB 230/18 - FamRZ 2019, 140 Rn. 11 und vom 19. Juli 2017 - XII ZB 141/16 - FamRZ 2017, 1712 Rn. 23). Auch hierfür lässt sich den getroffenen Feststellungen nichts entnehmen.
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
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