Entscheidungsdatum: 14.12.2011
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg vom 31. Mai 2011 ihn in seinen Rechten verletzt hat.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gebührenfrei (§ 128 b KostO). Die notwendigen Auslagen des Betroffenen für das Verfahren in allen Instanzen werden der Staatskasse auferlegt (§ 337 Abs. 1 FamFG).
Beschwerdewert: 3.000 €
I.
Der 42 Jahre alte Betroffene wendet sich gegen die Anordnung seiner ordnungsrechtlichen Unterbringung nach dem Baden-Württembergischen Unterbringungsgesetz (UBG BW).
Bei dem Betroffenen wurde 1997 eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Seit 1998 steht er unter gesetzlicher Betreuung.
Der Betroffene ist weiterhin wahnhaft liebeshungrig; er wünscht sehnlichst eine Beziehung zu einer Frau. Die Begierde des Betroffenen richtete sich ab 1996 auf die ihm flüchtig bekannte K., die er zunehmend verfolgte und belästigte. Sein Besitzstreben an dieser Frau, welche seine Zuneigung nicht erwiderte, steigerte sich mit der Zeit in Sachbeschädigung, Beleidigung, Hausfriedensbruch und Körperverletzung, wegen derer der Betroffene zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung verurteilt wurde.
Im Jahre 2001 wiederholten sich die Vorfälle; der Betroffene versuchte durch das Kellerfenster in das Haus der K. einzudringen und stellte ihr wiederum am Arbeitsplatz nach, wobei es auch zu körperlichen Übergriffen kam. Dieses führte zunächst zu einer ordnungsrechtlichen Unterbringung des Betroffenen nach UBG BW, später zu einer erst vorläufigen und dann endgültigen Unterbringung im strafrechtlichen Maßregelvollzug, dessen weitere Vollstreckung am 16. Dezember 2005 zur Bewährung ausgesetzt wurde. Unter dem Einfluss einer für vier Jahre angeordneten Führungsaufsicht gelang die medikamentöse Einstellung des Betroffenen, der in dieser Zeit ein unauffälliges Leben führte, bis er von Juli bis Dezember 2010 wiederum einer Frau nachstellte, indem er ihr beispielsweise unerbeten Blumen vor die Tür stellte.
Mit dem Ablauf der Führungsaufsicht am 8. Januar 2011 setzte der Betroffene seine Medikamente ab. Im Februar kam es zu einer Auffälligkeit gegenüber einer 20jährigen Frau, die in eine Nachbarwohnung eingezogen war. Vor deren Wohnungstür bereitete der Betroffene einen "Altar" mit Blumen, Süßigkeiten und Stofftieren sowie Kondomen in einer herzförmigen Dose.
Aufgrund dieser Vorfälle kam der Betroffene zunächst freiwillig und dann aufgrund gerichtlicher Unterbringungsanordnung nach UBG BW für zunächst acht Wochen, gerechnet ab 21. Februar 2011, in die geschlossene psychiatrische Unterbringung. Anlässlich eines orthopädischen Konsils während der Unterbringung weckte eine Arzthelferin sein Interesse, welche er danach an ihrem Arbeitsplatz mit weiteren Geschenken bedachte. Auch im Hinblick auf diese Verhaltensweisen ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 15. April 2011 die Verlängerung der Unterbringung für weitere acht Wochen an. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Verfahrenspflegerin hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
II.
Die zulässig eingelegte Rechtsbeschwerde ist in der Sache begründet. Der angefochtene Beschluss hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
1. Hat sich die angefochtene Entscheidung - wie hier - durch Fristablauf in der Hauptsache erledigt, kann das Beschwerdegericht gemäß § 62 Abs. 1 FamFG aussprechen, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat. Diese Vorschrift ist im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden (Senatsbeschluss vom 8. Juni 2011 - XII ZB 245/10 - MDR 2011, 935 Rn. 8; BGH Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09 - FGPrax 2010, 150 Rn. 9). Voraussetzung ist - neben einem auf die Feststellung gerichteten Antrag -, dass ein berechtigtes Interesse an der Feststellung vorliegt.
Das Feststellungsinteresse ist in der Regel anzunehmen, wenn ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegt (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) oder eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 FamFG). Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2011 - XII ZB 263/11 - NJW 2011, 3579 Rn. 6; BVerfG NJW 2011, 1931 Rn. 98).
2. Das Landgericht hat seine Entscheidung auf Fremdgefährdung gemäß § 1 Abs. 4 UBG BW gestützt und sie wie folgt begründet:
Der Betroffene leide an einer psychischen Krankheit im Sinne des § 1 Abs. 2 UBG BW. Er sei auch unterbringungsbedürftig im Sinne von § 1 Abs. 4 UBG BW, da er infolge seiner Krankheit eine erhebliche Gefahr für Rechtsgüter anderer darstelle und diese Gefahr nicht auf andere Weise abgewendet werden könne. Der Betroffene zeige keine Krankheitseinsicht und habe angekündigt, die notwendige medikamentöse Behandlung im Falle seiner Entlassung umgehend einzustellen.
Die Vorgeschichte und auch die jüngste Entwicklung hätten gezeigt, dass der Betroffene ohne einen kontrollierenden Raum unmittelbar nach seiner Entlassung in einen Liebes- und Beziehungswahn zu einer beliebigen Frau verfallen werde. Der Sachverständige habe in der mündlichen Anhörung deutlich gemacht, dass ziemlich bald nach der Entlassung damit zu rechnen sei, dass es zu Belästigungen von Frauen kommen werde, die sich in Überschütten von Karten, Stofftieren und dergleichen äußern werde. Auch Handgreiflichkeiten und körperliche Übergriffe seien sehr wahrscheinlich, schwierig sei allerdings eine Prognose, in welchem Zeitraum damit zu rechnen sei.
Die Gefahr sei zwar nicht "gegenwärtig" im geläufigen Sinne, gleichwohl sei sie gegenwärtig vor dem Hintergrund, dass der Betroffene bei einem Leben in einem unkontrollierten Umfeld sehr wahrscheinlich eine seelische Entwicklung nehmen werde, die in einer erheblichen Gefahr für fremde Rechtsgüter münden werde. Von dem Betroffenen gehe daher bereits jetzt ein ganz erhebliches Risiko aus.
Die Gefahr könne auch nicht durch weniger einschneidende Mittel gebannt werden, da der Betroffene weder zur freiwilligen Medikamenteneinnahme noch zu einer kontrollierten Medikamenteneinnahme in einer Wohnform des betreuten Wohnens bereit sei.
3. Die Entscheidung des Landgerichts hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Nach der landesgesetzlichen Vorschrift des § 1 Abs. 1 UBG BW können psychisch Kranke gegen ihren Willen in einer anerkannten Einrichtung untergebracht werden, wenn sie unterbringungsbedürftig sind. Unterbringungsbedürftig sind nach § 1 Abs. 4 UBG BW psychisch Kranke, die infolge ihrer Krankheit ihr Leben oder ihre Gesundheit erheblich gefährden oder eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für Rechtsgüter anderer darstellen, wenn die Gefährdung oder Gefahr nicht auf andere Weise abgewendet werden kann.
Durch diese Vorschriften wird unter anderem das Grundrecht der Freiheit der Person eingeschränkt (vgl. § 18 UBG BW). Inhalt und Reichweite des freiheitsbeschränkenden Gesetzes sind von den Fachgerichten so auszulegen, dass dieses eine der Bedeutung des Grundrechtes angemessene Wirkung entfaltet (BVerfG NJW 1998, 1774).
Die Freiheit der Person nimmt - als Grundlage und Voraussetzung der Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen - einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sie als "unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien statuiert. Präventive Eingriffe in das Freiheitsgrundrecht sind daher nur zulässig, wenn der Schutz hochwertiger Rechtsgüter dies unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert. Dem Freiheitsanspruch des Untergebrachten ist das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit entgegenzuhalten; beide sind im Einzelfall abzuwägen (vgl. BVerfG NJW 2011, 1931 Rn. 98 mwN).
b) Ob die weitere Unterbringung nach diesen Maßstäben zu rechtfertigen war, hat das Landgericht unzureichend geprüft. Zwar hat das Landgericht in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen festgestellt, dass der Betroffene unter einer paranoiden Schizophrenie leidet, und dass diese Erkrankung einer langfristigen Medikation bedarf, um seine gestörte Empathie und sein aggressives, unnatürliches Besitzstreben einzudämmen. Ebenso fehlerfrei hat das Landgericht festgestellt, dass der Betroffene nicht über die nötige Krankheits- und Therapieeinsicht verfügt, um die notwendigen Medikamente dauerhaft aus eigenem Antrieb einzunehmen, und dass die geschlossene Unterbringung grundsätzlich ein geeignetes Mittel sein kann, um drohende Fremdgefährdungen auszuschließen.
Das Landgericht hat jedoch keine ausreichende Gefährlichkeitsprognose angestellt und die bestehende Gefährdung nicht unter dem Blickwinkel des Übermaßverbots bewertet.
Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der krankhafte Liebeswahn des Betroffenen im Jahre 1997 zu den im Tatbestand aufgeführten Vergehen zum Nachteil der K. sowie zu Nachstellungen gegenüber weiteren Frauen. Zwar handelt es sich hierbei - zumindest teilweise - um strafbewehrte Handlungen, jedoch erreichen diese keinen besonderen Schweregrad. Sie gehen nicht darüber hinaus, dass der Betroffene Frau K., der er nachstellte, in 1997 einmal kräftig am linken Oberarm packte und drückte sowie ein weiteres Mal in 2001 an beiden Handgelenken gepackt gegen die Hauswand drückte. Inzwischen liegen diese Vorfälle zehn Jahre zurück, ohne dass später weitere Nötigungen oder Handgreiflichkeiten festgestellt sind.
Der Senat stellt weder die Schutzwürdigkeit der bisherigen und künftigen Nachstellungsopfer in Frage noch verkennt er, dass die bisher hauptsächlich belästigte Frau K. ärztliche Hilfe wegen Unruhe, Ängstlichkeit und Schlaflosigkeit in Anspruch nehmen musste. Jedoch muss unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit bewertet werden, ob Rechtsgüter gefährdet sind, die einen Freiheitsentzug durch geschlossene Unterbringung rechtfertigen. Dieses ist nach den getroffenen Feststellungen nicht der Fall. Es genügen nämlich nicht Belästigungen, Beleidigungen, Beschimpfungen, unter Umständen nicht einmal leichte körperliche Beeinträchtigungen, da diese einen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht nicht rechtfertigen, vielmehr die Rechtsordnung derartige Verhaltensweisen von psychisch Kranken hinzunehmen hat (BayObLGZ 1989, 17; Marschner in Marschner/Lesting Freiheitsentziehung und Unterbringung Kap. B Rn. 135). Im Fall krankheitsbedingter unablässiger Stalking-Attacken kommt eine Unterbringung vielmehr nur ausnahmsweise in Betracht, wenn diese im Einzelfall geeignet sind, die Gesundheit der attackierten Person erheblich zu gefährden (Marschner a.a.O.).
Das Landgericht hat auch keine Gefährdungsprognose darüber anstellen lassen, ob der Betroffene die Belästigungen über das bisherige Maß hinaus steigern werde und künftig eine Gefährdung höherwertiger Rechtsgüter droht, etwa durch schwerwiegende Körperverletzungen oder durch Sexualstraftaten. Das Landgericht hat anhand der Ausführungen des Sachverständigen lediglich festgestellt, dass es "auch wieder" zu körperlichen Übergriffen kommen werde, zu "Handgreiflichkeiten" und "massiven Übergriffen". Welcher Art und welchen Schweregrads die darunter konkret zu verstehenden Rechtsverletzungen sein könnten, ergibt der angefochtene Beschluss nicht. Zwar bedarf es nach den Ausführungen des Landgerichts keiner besonderen Fantasie, sich auch deutlich gravierendere Szenarien vor Augen zu führen: Entschieden heftigere Übergriffe als gegenüber Frau K. erfolgt bewegten sich im Rahmen dessen, was angesichts des Krankheitsbildes des Betroffenen nach Absetzen der Medikamente ernsthaft zu befürchten sei. Diese Ausführungen beruhen jedoch auf keiner hinreichenden Tatsachengrundlage. Die Beurteilung der erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit erfordert eine Prognose anhand tatsächlicher Feststellungen. Solche Feststellungen hat das Landgericht nicht getroffen. Insbesondere beruhen die Mutmaßungen des Landgerichts in diesem Punkt nicht auf der Gefährdungsprognose eines Sachverständigen. Damit fehlt es insgesamt an ausreichend tragenden Feststellungen dazu, dass das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit wegen des Schweregrads künftig drohender Rechtsgutverletzungen unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine geschlossene Unterbringung des Betroffenen rechtfertigen könnte.
Hahne Weber-Monecke Klinkhammer
Günter Nedden-Boeger