Entscheidungsdatum: 23.11.2016
1. Hat das Beschwerdegericht ein neues Sachverständigengutachten eingeholt, auf das es seine Entscheidung zu stützen beabsichtigt, ist der Betroffene vor der Entscheidung erneut persönlich anzuhören (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2015, XII ZB 227/12, FamRZ 2016, 300).
2. Im Hinblick auf dessen Verfahrensfähigkeit (§ 316 FamFG) ist das in einem Unterbringungsverfahren eingeholte vollständige Gutachten grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich zur Verfügung zu stellen (Fortführung von Senatsbeschluss vom 16. September 2015, XII ZB 250/15, FamRZ 2015, 2156).
3. Die Verpflichtung des Gerichts gemäß § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG, einen externen Gutachter zu bestellen, setzt nicht voraus, dass die Unterbringung bereits im Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz vier Jahre vollzogen ist. Ausreichend ist vielmehr, dass der mit der angefochtenen Entscheidung verlängerte Unterbringungszeitraum über das Fristende hinausreicht.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 11. August 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
I.
Die Betroffene wendet sich gegen die Verlängerung ihrer geschlossenen Unterbringung.
Sie leidet seit den achtziger Jahren an einer schizoaffektiven Psychose und an einer langjährig bestehenden Alkoholabhängigkeit. Der Vater und der Bruder der Betroffenen sind zu ihren Betreuern bestellt worden. Sie lebt seit dem 14. November 2013 im geschützten Bereich des Seniorenzentrums H., wobei die geschlossene Unterbringung der Betroffenen durch das Amtsgericht zuletzt bis zum 30. April 2016 genehmigt war.
Das Amtsgericht hat die weitere Unterbringung der Betroffenen auf Antrag der Betreuer nach Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen P. und nach Anhörung der Betroffenen bis zum 20. März 2018 genehmigt. Das Landgericht, das ein ergänzendes Sachverständigengutachten der Gutachterin F. zur Frage des freien Willens eingeholt hatte, hat die Beschwerde ohne erneute Anhörung der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das vom Landgericht durchgeführte Verfahren hält den Rügen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
a) Das Landgericht hätte die Betroffene selbst anhören müssen, weil es in der Beschwerdeinstanz ein neues Sachverständigengutachten zur Frage des freien Willens eingeholt und seine Entscheidung hierauf gestützt hat.
aa) Zwar kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung vorgetragene Tatsachen oder eine Änderung der Sachlage erfordern aber nur dann keine erneute Anhörung, wenn diese Tatsachen oder die Änderung offensichtlich für die Entscheidung unerheblich sind. Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung mit einem neuen Sachverständigengutachten eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Anhörung datiert, so ist eine erneute Anhörung des Betroffenen dagegen geboten (Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2015 - XII ZB 227/12 - FamRZ 2016, 300 Rn. 9 mwN).
bb) Vorliegend hat das Landgericht zu der Frage, ob die Betroffene noch in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden, ein neues Sachverständigengutachten eingeholt. Der Beweisbeschluss des Amtsgerichts verhält sich hierzu demgegenüber nicht, weshalb die Sachverständige P. auch nicht vertieft auf diese Frage eingegangen ist. Das Landgericht hat seine Entscheidung zur Frage des freien Willens demgemäß maßgeblich auf das Gutachten der Sachverständigen F. gestützt. Bei dieser Sachlage hätte es die Betroffene indes selbst anhören müssen, da es mit dem Sachverständigengutachten eine neue Tatsachengrundlage herangezogen hat.
b) Außerdem hätte das Gutachten der Sachverständigen P. nicht verwertet werden dürfen.
aa) Dies folgt bereits daraus, dass das Gutachten - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - der Betroffenen nach Aktenlage nicht übergeben worden ist.
(1) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Im Hinblick auf dessen Verfahrensfähigkeit (§ 316 FamFG) ist das vollständige Gutachten grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich zur Verfügung zu stellen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. September 2015 - XII ZB 250/15 - FamRZ 2015, 2156 Rn. 15 mwN zur Betreuung).
(2) Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht. Ausweislich des Protokolls des Amtsgerichts vom 22. April 2016 wurde das Gutachten lediglich "auszugsweise" erörtert. Es lässt sich daher nicht feststellen, ob sich die Betroffene hierzu abschließend einlassen konnte.
bb) Einer Verwertung des Sachverständigengutachtens steht ferner die Regelung des § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG entgegen.
(1) Danach soll das Gericht bei Unterbringungen mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt oder begutachtet hat oder in der Einrichtung tätig ist, in der der Betroffene untergebracht ist. Dabei muss die Unterbringung nicht bereits im Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz vier Jahre vollzogen sein. Ausreichend ist vielmehr, dass der mit der angefochtenen Entscheidung verlängerte Unterbringungszeitraum über das Fristende hinausreicht. Denn die gesetzliche Vorschrift will gerade vermeiden, dass eine Unterbringung über einen Zeitraum von vier Jahren hinaus aufrechterhalten wird, ohne dass ihr das Gutachten eines außenstehenden Sachverständigen zugrunde liegt (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 329 Rn. 15 mwN).
(2) Nach den getroffenen Feststellungen ist die Betroffene seit November 2013 geschlossen untergebracht. Rechnet man den mit dem angefochtenen Beschluss genehmigten Zeitraum bis zum 20. März 2018 hinzu, dauert die Unterbringung mehr als vier Jahre. Deshalb hätte die Sachverständige P., die - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - ersichtlich auch die behandelnde Ärztin der Betroffenen ist bzw. war und deren Gutachten sich u.a. auf "den persönlichen Kontakt (...) zur Betroffenen seit November 2013 im Rahmen der psychiatrischen Betreuung des Seniorenzentrums H." stützt, nicht zur Gutachterin bestellt werden dürfen. Besondere Gründe dafür, dass ausnahmsweise von der in § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG niedergelegten Regel abgewichen werden konnte, hat das Landgericht nicht benannt.
Dieser Verfahrensfehler wird auch nicht etwa deshalb entkräftet, weil ein weiteres Gutachten der Sachverständigen F. eingeholt worden ist. Denn dieses verhält sich allein zum freien Willen, weshalb das Landgericht seine Entscheidung maßgeblich auch auf das Gutachten des Sachverständigen P. gegründet hat.
2. Danach ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil die Sache nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Sie ist deshalb an das Landgericht zurückzuverweisen.
Die Zurückverweisung wird dem Landgericht Gelegenheit geben, zu klären, ob § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG auch einer Bestellung der Sachverständigen F. und damit der Verwertbarkeit ihres Gutachtens entgegensteht.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Dose Klinkhammer Schilling
Botur Guhling