Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 29.10.2014


BGH 29.10.2014 - XII ZB 250/14

Zulässigkeit der Beistandschaft des Jugendamts zur gerichtlichen Geltendmachung von Kindesunterhalt bei getrenntlebenden, verheirateten und gemeinsam sorgeberechtigten Eltern


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
29.10.2014
Aktenzeichen:
XII ZB 250/14
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 2. April 2014, Az: 11 UF 34/14, Beschlussvorgehend AG Bad Iburg, 13. Januar 2014, Az: 5 F 681/13 UK
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Auch bei getrenntlebenden, verheirateten und gemeinsam sorgeberechtigten Eltern ist eine Vertretung des Kindes durch das Jugendamt als Beistand zur gerichtlichen Geltendmachung von Kindesunterhalt zulässig.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 11. Zivilsenats - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 2. April 2014 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 4.352 €

Gründe

I.

1

Die minderjährige Antragstellerin begehrt von ihrer Mutter, der Antragsgegnerin, Zahlung von Kindesunterhalt.

2

Die getrenntlebenden Eltern der Antragstellerin sind verheiratet und üben das gemeinsame Sorgerecht aus. Die Antragstellerin lebt bei ihrem Vater, auf dessen Antrag eine Beistandschaft des Jugendamtes zur Geltendmachung von Kindesunterhalt eingerichtet wurde.

3

Das Amtsgericht hat den Antrag der vom Jugendamt als Beistand vertretenen Antragstellerin abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

5

1. Das Beschwerdegericht hat seine in FamRZ 2014, 1652 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet:

6

Der Antrag der Antragstellerin auf Zahlung von Kindesunterhalt sei unzulässig. Sie könne den Anspruch nicht im eigenen Namen, vertreten durch den Beistand, geltend machen. Gemäß § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB könne der Kindesunterhalt nur vom Vater im eigenen Namen geltend gemacht werden, weil die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern verheiratet seien und getrennt voneinander lebten. Die Regelung des § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB werde nicht von §§ 1714, 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB verdrängt. Zwar könne der Elternteil, der das Kind in Obhut habe, auch bei gemeinsamer Sorge vor der Scheidung eine Beistandschaft nach § 1713 Abs. 1 Satz 2 BGB beantragen. Dadurch trete allerdings nicht die von der Beschwerde gewünschte Folge ein, nämlich dass das Kind seine Unterhaltsansprüche bei Getrenntleben seiner Eltern im eigenen Namen geltend machen könne. Nicht das Kind, sondern der Elternteil werde Beteiligter im Unterhaltsverfahren. Zweck des § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB sei es, das Kind aus dem elterlichen Konflikt über die mit der Trennung verbundenen Auseinandersetzungen, zu denen auch die Geltendmachung des Kindesunterhalts gehöre, herauszuhalten. Die mit § 234 FamFG zugunsten des Beistands entschiedene Vertretungsbefugnis innerhalb des Verfahrens komme danach nicht zum Zuge, denn der Beistand könne nur im Namen des Kindes handeln, nicht aber im Namen des Elternteils. Die durch § 1713 Abs. 1 Satz 2 BGB geschaffene Erweiterung der Beistandschaft auf Kinder, für die ein gemeinsames Sorgerecht bestehe, lasse nicht erkennen, dass damit ein Hineinziehen des Kindes in die elterlichen Auseinandersetzungen gewünscht gewesen sei.

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Die Beistandschaft werde für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen bei gemeinsamem Sorgerecht auch nicht gänzlich ausgeschlossen. Der Beistand könne außergerichtlich auch in den Fällen des § 1629 Abs. 3 BGB für das Kind tätig werden. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit, bei gemeinsamer elterlicher Sorge nach Scheidung oder in den Fällen nicht verheirateter Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht als Beistand in Unterhaltsachen auch gerichtlich tätig zu werden.

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2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts kann der Beistand das Kind auch dann in einem Unterhaltsverfahren vertreten, wenn die Voraussetzungen des § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB vorliegen.

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a) Gemäß § 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB wird das Jugendamt auf schriftlichen Antrag eines Elternteils Beistand des Kindes namentlich für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen. Nach § 1713 Abs. 1 Satz 2 BGB kann der Antrag von dem Elternteil gestellt werden, in dessen Obhut sich das Kind befindet, wenn die elterliche Sorge für das Kind den Eltern gemeinsam zusteht.

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Gemäß § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB kann allerdings ein Elternteil, solange die verheirateten Eltern getrennt leben oder eine Ehesache zwischen ihnen anhängig ist, Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil nur im eigenen Namen geltend machen.

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b) Weil § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB eine gesetzliche Verfahrensstandschaft anordnet, § 1716 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 1915 Abs. 1 Satz 1 BGB und § 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB andererseits die gesetzliche Vertretung des Kindes durch das Jugendamt als Beistand eröffnet (vgl. auch § 234 FamFG), ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, in welchem Verhältnis § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB zu den §§ 1712 ff. BGB steht.

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aa) Nach einer Auffassung, der auch das Beschwerdegericht beigetreten ist, ist die Vertretung durch das Jugendamt als Beistand in Fällen der vorliegenden Art unzulässig, weil § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB anordne, dass das Kind selbst den Anspruch nicht geltend machen dürfe, weshalb es auch nicht von einem Beistand vertreten werden könne. Der Sinn der gesetzlichen Verfahrensstandschaft bestehe darin, die Kinder während der Trennungszeit der Eltern oder einer anhängigen Ehesache aus den Streitigkeiten ihrer Eltern herauszuhalten (OLG Celle FamRZ 2013, 53, 54 und NJW-RR 2012, 1409; AG Regensburg JAmt 2003, 366; B. Hamdan in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 1629 Rn. 75; Zöller/Lorenz ZPO 30. Aufl. § 234 FamFG Rn. 5; Staudinger/Rauscher BGB [2014] § 1713 Rn. 6c; Prütting/Helms/Bömelburg FamFG 3. Aufl. § 234 Rn. 5).

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bb) Demgegenüber hält die wohl überwiegende Auffassung die Vertretung des Kindes durch einen Beistand in einem Verfahren auf Kindesunterhalt auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB für zulässig. Insoweit wird auf die Intention des Gesetzgebers verwiesen, der für den Fall der gemeinsamen elterlichen Sorge, die nach Trennung verheirateter Eltern der Regelfall sei, die Möglichkeit der Beistandschaft habe eröffnen wollen (OLG Schleswig FamRZ 2014, 1712, 1713; OLG Stuttgart JAmt 2007, 40; Erman/Roth BGB 14. Aufl. § 1713 Rn. 2 a; MünchKommBGB/v. Sachsen Gessaphe 6. Aufl. § 1713 Rn. 8; Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1713 Rn. 3; NK-BGB/Zempel 3. Aufl. § 1712 Rn. 19; Knittel JAmt 2007, 40 ff.; Meysen JAmt 2008, 120, 121 f.; Mix JAmt 2013 S. 122, 123).

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cc) Der Senat hält die letztgenannte Auffassung für zutreffend.

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(1) Dass eine Vertretung des ehelichen Kindes durch den Beistand bei getrenntlebenden Eltern im Unterhaltsverfahren zulässig ist und demgemäß das vertretene Kind auch Beteiligter sein muss, lässt sich bereits dem Wortlaut der einschlägigen Normen entnehmen.

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Gemäß § 1713 Abs. 1 Satz 2 BGB kommt es für die Berechtigung des Antrags auf Einrichtung einer Beistandschaft bei gemeinsamer elterlicher Sorge allein darauf an, dass sich das Kind in der Obhut des Antragstellers befindet. Eine Beschränkung dahingehend, dass der Antrag nicht von einem verheirateten Elternteil gestellt werden kann, findet sich im Gesetz nicht. Demgemäß hält auch das Beschwerdegericht eine Beistandschaft bei außergerichtlicher Tätigkeit für zulässig.

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Ebenso wenig schließt der Wortlaut des § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB den wirksam bestellten Beistand von der gerichtlichen Geltendmachung des Kindesunterhalts aus. Diese Norm ordnet lediglich an, dass der betreuende Elternteil Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil nur im eigenen Namen geltend machen kann. Zwar folgt daraus, dass der betreffende Elternteil das Kind im Unterhaltsverfahren selbst nicht gesetzlich vertreten kann. Das schließt die Vertretung des Kindes durch das Jugendamt als Beistand indes nicht aus (s. auch Knittel JAmt 2007, 40, 41).

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(2) Entsprechendes ergibt sich auch aus einer teleologischen Auslegung.

19

Zweck des § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB ist es zu verhindern, dass das Kind in den Streit der Eltern "förmlich als Partei einbezogen wird"(BT-Drucks. 13/4899 S. 96). Demgegenüber ist die Erstreckung der Beistandschaft nach §§ 1712 ff. BGB auf Eltern, die die gemeinsame Sorge inne haben, von dem Gedanken getragen, Kinder solcher Eltern nicht schlechter zu stellen als Kinder, bei denen ein Elternteil die elterliche Sorge allein ausübt. Dazu heißt es in der Gesetzesbegründung: "Auch bei beibehaltener gemeinsamer Sorge kann eine Beistandschaft des Jugendamtes sinnvoll oder sogar notwendig sein. Die Neuregelung erspart es dem betreuenden Elternteil in diesem Fall, einen Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für den Aufgabenkreis Unterhalt allein zu dem Zweck zu beantragen, eine Beistandschaft des Jugendamtes für das Kind zu erreichen" (BT-Drucks. 14/8131 S. 10). Auch wenn hiermit in erster Linie erläutert werden sollte, warum die früher nur im Falle des alleinigen Sorgerechts mögliche Beistandschaft auf die Fälle gemeinsamer Sorge zu erweitern ist, verdeutlichen diese Aussagen des Gesetzgebers den Sinn und Zweck der Ausweitung der Beistandschaft. Der Gesetzgeber wollte ersichtlich die - durch die Regelungen der Beistandschaft den Eltern an die Hand gegebene - Unterstützung möglichst vielen Betroffenen zuteil werden lassen, ohne dass diese aufwändige und gegebenenfalls auch unnötige Sorgerechtsänderungen beantragen müssten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Einrichtung einer Beistandschaft keine Kosten verursacht, weil die Vertretung durch das Jugendamt als Beistand kostenfrei ist (vgl. OLG Schleswig FamRZ 2014, 1712, 1713; Mix JAmt 2013, 122, 123). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll kein Kind benachteiligt und sollen deshalb für alle Kinder einheitliche Bedingungen geschaffen werden. Eine Benachteiligung würde indes eintreten, wenn man - wie das Beschwerdegericht - die Vertretung des Kindes verheirateter Eltern durch einen Beistand in einem Kindesunterhaltsverfahren untersagte (vgl. OLG Schleswig FamRZ 2014, 1712, 1713).

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Auch der mit § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB verfolgte Zweck, wonach das Kind aus dem Streit der Eltern herausgehalten werden soll, gebietet keine Einschränkung der Beistandschaft. Vielmehr wird die Hinzuziehung eines Beistands als gesetzlicher Vertreter des Kindes regelmäßig dafür sorgen, dass sowohl der betreuende Elternteil als auch das Kind aus dem Unterhaltsverfahren herausgehalten werden, so dass hierdurch im Zweifel Konflikte eher vermieden werden (OLG Schleswig FamRZ 2014, 1712, 1713; Mix JAmt 2013, 122, 123; NK-BGB/Zempel 3. Aufl. § 1712 Rn. 19).

21

Die Frage, ob dies im Rahmen eines Scheidungsverbundverfahrens anders zu beurteilen wäre, stellt sich schon deshalb nicht, weil das als Beistand bestellte Jugendamt den Kindesunterhalt gemäß § 137 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FamFG nicht als Folgesache anhängig machen kann.

22

(3) Schließlich steht auch eine systematische Auslegung einer Vertretung des Kindes durch den Beistand in einem Unterhaltsverfahren in Fällen des § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht entgegen.

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Zwar wird von der Gegenauffassung eingewandt, dass im Falle der Kündigung der Beistandschaft durch den betreuenden Elternteil während eines laufenden Unterhaltsverfahrens das Kind zunächst Beteiligter bleibe (OLG Celle FamRZ 2013, 53, 54). Dies führt indes nicht zu einer § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB widersprechenden Vertretung des Kindes durch den Elternteil. Vielmehr muss in diesem Fall der Antrag des Kindes im Wege eines Beteiligtenwechsels in einen solchen des betreuenden Elternteils umgestellt werden.

24

c) Somit war die Antragstellerin nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts durch das Jugendamt in zulässiger Weise vertreten.

25

Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass die Eltern der Antragstellerin verheiratet sind und das gemeinsame Sorgerecht ausüben. Ferner hat es festgestellt, dass die Antragstellerin beim Vater lebt, der den Antrag auf Einrichtung der Beistandschaft gestellt hat. Schließlich hat es Bezug genommen auf den Beschluss des Amtsgerichts, wonach die Eltern zumindest seit Juni 2013 voneinander getrennt leben.

26

3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, da diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG. Denn das Oberlandesgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - lediglich über die Zulässigkeit des Antrags, nicht aber in der Sache selbst entschieden.

Dose                    Klinkhammer                                 Schilling

            Günter                             Nedden-Boeger