Entscheidungsdatum: 02.09.2015
1. Für die Feststellung nach § 62 Abs. 1 FamFG ist kein Raum, wenn das Vorliegen des Rechtsfehlers noch vor Eintritt der Erledigung jedenfalls inzident festgestellt worden ist. Das ist auch dann zu bejahen, wenn das Beschwerdegericht einen Verfahrensfehler erkannt und geheilt hat.
2. Zu den Voraussetzungen der Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsbehandlung (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom 14. Januar 2015, XII ZB 470/14, FamRZ 2015, 573; vom 30. Juli 2014, XII ZB 169/14, FamRZ 2014, 1694 und vom 4. Juni 2014, XII ZB 121/14, BGHZ 201, 324 = FamRZ 2014, 1358).
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 21. Mai 2015 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
I.
Die im Jahre 1943 geborene Betroffene leidet an einer wahnhaften Störung. Für sie ist eine Berufsbetreuerin unter anderem mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung bestellt. Die Betroffene war seit Mitte Januar 2015 mit gerichtlicher Genehmigung in einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie untergebracht, für den Zeitraum 23. März bis 20. April 2015 war ihre medikamentöse Zwangsbehandlung gerichtlich genehmigt.
Auf entsprechenden Antrag der Betreuerin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 21. April 2015 die weitere Unterbringung der Betroffenen bis längstens zum 16. Juni 2015 sowie die Behandlung der Betroffenen auch gegen ihren Willen mit im Beschlusstenor im Einzelnen bezeichneten Medikamenten bis längstens zum 2. Juni 2015 genehmigt. Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht den Beschlusstenor neu gefasst und dabei insbesondere mit aufgenommen, dass Durchführung und Dokumentation der Maßnahme in der Verantwortung eines Arztes erfolgen müssen. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen.
Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Betroffene die Feststellung, dass sie durch diese beiden Entscheidungen in ihren Rechten verletzt worden ist.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Bei der Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme handelt es sich nach § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG um eine Unterbringungssache. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der hier aufgrund Zeitablaufs eingetretenen Erledigung aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (Senatsbeschluss BGHZ 201, 324 = FamRZ 2014, 1358 Rn. 4 mwN). Nachdem die angefochtene amtsgerichtliche Entscheidung keine einstweilige Anordnung ist, steht § 70 Abs. 4 FamFG der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht entgegen.
Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 8 mwN) zulässigerweise auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der durch Zeitablauf erledigten Gerichtsbeschlüsse gerichtet.
2. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Die Voraussetzungen für die Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme und der Unterbringung lägen vor. Die Betroffene sei aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht in der Lage, die Notwendigkeit der Fortführung ihrer bisherigen Behandlung einzusehen. Diese sei erforderlich, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden von der Betroffenen abzuwenden, weil ansonsten das chronifizierte Störungsbild neuerlich in seiner initialen Umfänglichkeit zutage treten und es zu einer letztlich lebensbedrohenden Eigengefährdung der Betroffenen kommen würde. Mildere, der Betroffenen zumutbare Maßnahmen zur Abwendung dieses Schadens außerhalb einer Unterbringung seien nicht gegeben. Auch überwiege der zu erwartende Nutzen der Zwangsbehandlung die Beeinträchtigungen für die Betroffene deutlich. Sie könne dazu führen, den Gesundheitszustand der Betroffenen so weit zu verbessern, dass der Betroffenen der Wechsel in eine offene Heimeinrichtung ermöglicht werde. Soweit die Betroffene Nebenwirkungen beklage, sei nicht erkennbar, dass diese durch die Behandlung bedingt seien. Dies sei zwar bei den Gehschwierigkeiten nicht völlig ausgeschlossen. Allerdings schildere die Betroffene solche Probleme schon seit 1992, und es seien im Laufe der Behandlung auch nach ihren Angaben bereits wieder Besserungen eingetreten.
Im amtsgerichtlichen Beschluss seien zwar keine Feststellungen dazu enthalten, ob vor der Einwilligung der Betreuerin der gemäß § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB erforderliche Überzeugungsversuch stattgefunden habe. Dies könne das Beschwerdegericht, das eine eigene Sachentscheidung zu treffen und die dafür notwendigen Ermittlungen selbst vorzunehmen habe, jedoch nachträglich feststellen. Der für die Betroffene zuständige Stationsarzt habe solche Versuche ausdrücklich bestätigt.
Auch die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung mit Zwangsbehandlung lägen vor. Gemäß § 323 Abs. 2 FamFG müsse die Beschlussformel enthalten, dass die Zwangsmaßnahme unter der Verantwortung eines Arztes durchzuführen und zu dokumentieren sei. Diese Anordnung habe das Amtsgericht versäumt. Sie sei nunmehr in den Tenor aufgenommen worden, so dass die formellen Rechtmäßigkeitsmängel beseitigt seien.
3. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand, so dass die mit der Rechtsbeschwerde begehrte Feststellung nach § 62 Abs. 1 FamFG ausscheidet.
a) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die Feststellung sei jedenfalls schon für die Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Beschwerdeentscheidung geboten, weil der Beschluss des Landgerichts den im Fehlen des Ausspruchs nach § 323 Abs. 2 FamFG liegenden Rechtmäßigkeitsmangel des amtsgerichtlichen Genehmigungsbeschlusses erst mit Wirkung für die Zukunft habe heilen können.
aa) Mit der Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass im Einzelfall trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels ein Bedürfnis nach einer gerichtlichen Entscheidung fortbestehen kann, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage besonders geschützt ist (BT-Drucks. 16/6308 S. 205 unter Verweis auf BVerfGE 104, 220 = NJW 2002, 2456 f.). Gerade in Fällen schwerwiegender Grundrechtseingriffe oder konkret zu erwartender Wiederholung (§ 62 Abs. 2 FamFG) soll die Klärung von Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Entscheidung nicht daran scheitern, dass das für die Rechtsverfolgung grundsätzlich erforderliche Rechtsschutzinteresse wegen Erledigung, etwa zeitlichem Ablauf einer Genehmigung, entfallen ist. Die Regelung des § 62 Abs. 1 FamFG eröffnet dem Betroffenen mithin die Möglichkeit, eine gerichtliche Feststellung der Rechtslage zu erhalten, obwohl in der Hauptsache selbst - aufgrund der Erledigung - keine Regelung mehr möglich ist (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 205 unter Verweis auf BVerfGE 104, 220 = NJW 2002, 2456 f.).
Für die Feststellung nach § 62 Abs. 1 FamFG ist demnach kein Raum, wenn das Vorliegen des Rechtsfehlers noch vor Eintritt der Erledigung jedenfalls inzident festgestellt worden ist. Das ist auch dann zu bejahen, wenn das Beschwerdegericht einen Verfahrensfehler erkannt und geheilt hat.
bb) Eben dies ist bei dem von der Rechtsbeschwerde der Sache nach zu Recht gerügten Verstoß des Amtsgerichts gegen § 323 Abs. 2 FamFG der Fall.
Nach dieser Bestimmung muss die Beschlussformel enthalten, dass die Zwangsmaßnahme unter der Verantwortung eines Arztes durchzuführen und zu dokumentieren ist. Dabei handelt es sich nicht lediglich um einen klarstellenden Ausspruch. Vielmehr wird durch den Beschlusstenor die Rechtmäßigkeit der ärztlichen Zwangsmaßnahme unabhängig von aus dem zivilrechtlichen Behandlungsvertrag folgenden Pflichten daran geknüpft, dass diese Vorgaben erfüllt sind (Senatsbeschlüsse vom 14. Januar 2015 - XII ZB 470/14 - FamRZ 2015, 573 Rn. 7 und BGHZ 201, 324 = FamRZ 2014, 1358 Rn. 22). Dieser Ausspruch fehlt im Beschluss des Amtsgerichts.
Das Beschwerdegericht hat diesen Mangel jedoch erkannt und die Beschlussformel entsprechend ergänzt. Damit ist die Rechtslage insoweit geklärt, so dass es in diesem Punkt an einem rechtlich anerkennenswerten Bedürfnis der Betroffenen für eine Feststellung nach § 62 Abs. 1 FamFG fehlt.
b) Die Rechtsbeschwerde dringt auch nicht mit der Rüge durch, die beiden Gerichtsentscheidungen verstießen gegen den Anspruch der Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), weil sich nicht aus der Akte ergebe, dass ihr das vom gerichtlichen Sachverständigen in seinem Gutachten vom 17. April 2015 in Bezug genommene Vorgutachten vom 17. März 2015 bekanntgegeben worden sei.
Damit ist aber bereits nicht die Behauptung verbunden, die Betroffene habe das Vorgutachten tatsächlich nicht erhalten. Dafür, dass die Betroffene das Vorgutachten zum Zeitpunkt der Neubegutachtung tatsächlich erhalten hatte, spricht im Übrigen, dass sie gegenüber dem Sachverständigen äußerte, er habe in seinem Vorgutachten nur Unzutreffendes über sie geschrieben (vgl. Seite 3 unten des Sachverständigengutachtens vom 17. April 2015).
Unabhängig davon stützen sich Amts- und Landgericht in ihren hier verfahrensgegenständlichen Beschlüssen nicht auf das Vorgutachten. Das Landgericht erwähnt es zwar zur Frage der Krankheitseinsicht. Sein Beschluss beruht jedoch nicht hierauf, weil insoweit auch das Sachverständigengutachten vom 17. April 2015 angeführt wird, das hierzu eigenständige Feststellungen enthält. Dieses der Betroffenen durch das Amtsgericht bekanntgegebene Gutachten nimmt lediglich hinsichtlich der Vorgeschichte auf das Vorgutachten Bezug, legt diese im Folgenden aber nochmals - wenn auch zusammenfassend - dar und genügt aus sich heraus inhaltlich den Anforderungen des § 280 Abs. 3 FamFG.
c) Die - der Sache nach berechtigte - Rüge der Rechtsbeschwerde, das Sachverständigengutachten vom 17. April 2015 wahre nicht die Voraussetzungen des § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG, weil die Ernennung des Sachverständigen der Betroffenen nicht zumindest formlos mitgeteilt worden sei, führt ebenfalls nicht zur Feststellung nach § 62 Abs. 1 FamFG.
aa) Zutreffend ist allerdings, dass § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG für das Unterbringungsverfahren im Hinblick auf die damit einhergehenden erheblichen Eingriffe in die Freiheitsrechte eine förmliche Beweisaufnahme vorsieht, die gemäß § 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FamFG entsprechend der Zivilprozessordnung durchzuführen ist. Danach bedarf es zwar nicht zwingend eines förmlichen Beweisbeschlusses (vgl. § 358 ZPO). Jedoch ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen wenn nicht förmlich zuzustellen, so doch zumindest vor Beginn der Begutachtung formlos mitzuteilen, damit dieser gegebenenfalls von seinem Ablehnungsrecht nach § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 406 ZPO Gebrauch machen kann (Senatsbeschlüsse vom 19. August 2015 - XII ZB 610/14 - zur Veröffentlichung bestimmt und vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 19).
Diesen rechtlichen Anforderungen hat das Amtsgericht nicht genügt, als es den Sachverständigen fernmündlich beauftragt und dies der Betroffenen nicht mitgeteilt hat.
bb) Auf diesem Fehler beruhen die angefochtenen Entscheidungen jedoch nicht. Denn die Betroffene hat spätestens mit Beginn des Explorationsgesprächs Kenntnis von der Beauftragung des Sachverständigen erlangt. Sie hat den Sachverständigen im Übrigen nach Kenntniserlangung nicht gegenüber dem Gericht gemäß § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgelehnt, was hier auch nach der Exploration und selbst nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens möglich gewesen wäre. Soweit sie gegenüber dem Sachverständigen selbst eingangs der Untersuchung geäußert hat, sie verlange im Hinblick auf das Vorgutachten einen neuen, "unbelasteten" Gutachter, stellt das keinen verfahrensrechtlich beachtlichen Ablehnungsantrag dar.
d) Schließlich rügt die Rechtsbeschwerde zu Unrecht, die Ausführungen des Beschwerdegerichts zu einem den Anforderungen des § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB genügenden Überzeugungsversuch seien unzureichend.
aa) Die Zulässigkeit einer zwangsweisen Behandlung setzt gemäß § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB voraus, dass vor der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme versucht wurde, den Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen und seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen. Dieser Versuch muss ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks durch eine überzeugungsfähige und -bereite Person unternommen worden sein, was das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen hat (Senatsbeschlüsse vom 30. Juli 2014 - XII ZB 169/14 - FamRZ 2014, 1694 Rn. 15 und BGHZ 201, 324 = FamRZ 2014, 1358 Rn. 15; BVerfG Beschluss vom 14. Juli 2015 - 2 BvR 1549/14 - juris Rn. 31).
bb) Dem wird die Entscheidung des Beschwerdegerichts gerecht. Das Landgericht hat der von ihm eingeholten Stellungnahme des die Betroffene behandelnden Stationsarztes entnommen, dass seit Januar 2015 mindestens zweimal wöchentlich im Rahmen der Visitengespräche durch Stationsarzt und Oberärztin erfolglos versucht wurde, der Betroffenen Sinnhaftigkeit, Notwendigkeit und Gründe der Behandlung zu vermitteln. Damit sind sowohl hinsichtlich der die Überzeugungsversuche durchführenden Personen als auch zu zeitlichem Umfang und inhaltlicher Ausgestaltung die Anforderungen erfüllt, die § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB als materiell-rechtliche Voraussetzung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsbehandlung aufstellt.
e) Auch im Übrigen sind die vom Landgericht eingehend begründeten Genehmigungen der Unterbringung und der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme nicht zu beanstanden.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Dose Klinkhammer Nedden-Boeger
Botur Guhling