Entscheidungsdatum: 29.04.2015
§ 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO gewährt dem Gegner eines Antrags auf Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe kein subjektives Recht auf Akteneinsicht in die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers.
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 7. Zivilsenats - 4. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz vom 18. März 2014 aufgehoben.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Beschwerdewert: 1.000 €
I.
In dem Ausgangsverfahren, einem rechtskräftig abgeschlossenen Scheidungsverfahren, war dem Ehemann Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden. Nach Abschluss des Verfahrens hat die Ehefrau beantragt, ihr die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Ehemanns (§ 117 Abs. 2 ZPO) zugänglich zu machen.
Das Familiengericht hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen hat die Ehefrau Beschwerde eingelegt, die das Oberlandesgericht als unzulässig verworfen hat. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihr Interesse auf Einsichtnahme weiter.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch.
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Beschwerde sei nicht statthaft, da die Ehefrau durch die angefochtene Entscheidung nicht beschwert sei. Sie sei am Verfahren der Verfahrenskostenhilfe für den Ehemann nicht beteiligt. Beteiligt seien nur der Antragsteller, der Verfahrenskostenhilfe begehre, und das Gericht als Bewilligungsstelle. Nicht beteiligt sei der Gegner, auch wenn ihm nach § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben sei. Daran habe sich durch Einfügung des zweiten Halbsatzes in § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO nichts geändert. Die Vorschrift schränke lediglich das gesetzliche Verbot ein, dem Gegner die Erklärung zugänglich zu machen, wenn diesem nach allgemeinen Vorschriften ein Auskunftsrecht zustehe; sie gewähre jedoch keinen eigenständigen Anspruch auf Einsichtnahme in die Erklärung und Belege.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nur insoweit stand, als wegen ihrer der Antrag der Ehefrau auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen ist.
a) Gegen die im Beschwerdeverfahren ergangene Entscheidung ist das vom Oberlandesgericht zugelassene und von der Ehefrau eingelegte Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde statthaft.
aa) Nach allgemeiner Auffassung dürfen Verfahrensbeteiligte dadurch, dass das Gericht seine Entscheidung in einer falschen Form erlässt, keinen Rechtsnachteil erleiden. Ihnen steht deshalb sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form erlassenen Entscheidung zulässig wäre. Dieser Schutzgedanke der Meistbegünstigung führt allerdings nicht dazu, dass das Rechtsmittel auf dem vom vorinstanzlichen Gericht eingeschlagenen falschen Weg weitergehen müsste; vielmehr hat das Rechtsmittelgericht das Verfahren so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre (Senatsbeschluss vom 29. Mai 2013 - XII ZB 374/11 - FamRZ 2013, 1215 Rn. 7 mwN).
bb) Im vorliegenden Fall ist die Rechtsbeschwerde nach § 29 EGGVG das statthafte Rechtsmittel.
(1) Während eines laufenden Verfahrens richtet sich die Einsicht der Parteien in die Verfahrensakten nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 299 Abs. 1 ZPO. Danach können die Beteiligten die Verfahrensakten einsehen und sich aus ihnen durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen.
(2) Dritten Personen kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Beteiligten die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird (§ 299 Abs. 2 ZPO; vgl. auch § 13 Abs. 2 FamFG). Diese Entscheidung stellt einen Justizverwaltungsakt dar, gegen dessen Ablehnung der Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft ist (§ 23 Abs. 1 EGGVG).
Nach zutreffender Auffassung unterfällt auch das Einsichtsgesuch eines Verfahrensbeteiligten in ein bereits abgeschlossenes Verfahren der Regelung des § 299 Abs. 2 ZPO. Das Akteneinsichtsrecht nach § 299 Abs. 1 ZPO dient allein der Prozessführung und erlischt, sobald das betreffende Verfahren endgültig abgeschlossen ist. Hingegen ist die Aufbewahrung und Verwaltung von Gerichtsakten nach Abschluss eines Verfahrens grundsätzlich nicht Aufgabe des Spruchkörpers, der mit ihm befasst war, sondern der Gerichtsverwaltung. Dementsprechend muss gegebenenfalls die Gerichtsverwaltung eine Entscheidung darüber treffen, ob einem Beteiligten nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens Akteneinsicht gewährt werden soll (BFH NJW 2006, 399, 400; OLG München MDR 2009, 1065; Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. § 299 Rn. 6c; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 73. Aufl. Rn. 16 "Rechtskraft"; vgl. auch BVerfG NJW 2015, 610, 611; aA OLG Schleswig FamRZ 2013, 233; OLG Nürnberg Beschluss vom 13. Februar 2015 - 4 VA 2462/14 - juris; Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. § 299 Rn. 21; MünchKommZPO/Prütting 4. Aufl. § 299 Rn. 9; Wieczorek/Schütze/Assmann ZPO 4. Aufl. Rn. 9; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 36. Aufl. § 299 Rn. 1; Hk-ZPO/Saenger 6. Aufl. § 299 Rn. 3).
Im Übrigen ist der Gegner, soweit es im Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfeverfahren um die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen geht, von vornherein kein Beteiligter mit eigenen Verfahrensrechten (BGHZ 89, 65, 67 = FamRZ 1984, 373, 374), sondern steht, wenn er die Einsicht in die Unterlagen beantragt, einem "Dritten" im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO gleich. Über ein solches Einsichtsgesuch hat - jedenfalls nach Abschluss des Verfahrens - die Gerichtsverwaltung zu entscheiden.
(3) Zwar hat im vorliegenden Fall tatsächlich nicht die Gerichtsverwaltung, sondern das Familiengericht und damit eine funktional unzuständige Stelle über das Akteneinsichtsgesuch entschieden. Auch diesbezüglich gilt jedoch der Meistbegünstigungsgrundsatz, wonach die auf Akteneinsicht antragende Ehefrau dadurch keinen Rechtsnachteil erleiden darf. Ihr stand deshalb sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft war, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form und in funktionaler Zuständigkeit erlassenen Entscheidung zulässig gewesen wäre. Nach Einlegung eines der danach statthaften Rechtsmittel - hier Einlegung der Beschwerde - hätte das Oberlandesgericht das Verfahren weiter so betreiben müssen, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre, nämlich als Justizverwaltungssache gemäß § 23 ff. EGGVG. Soweit die vom Oberlandesgericht tatsächlich getroffene Beschwerdeentscheidung in der falschen Verfahrensart ergangen ist, kann sie deshalb als solche mit der Beschlussformel einer Beschwerdezurückweisung keinen Bestand haben.
b) In der Sache selbst ist die Rechtsbeschwerde allerdings nicht begründet.
aa) Über den Antrag der Ehefrau auf gerichtliche Entscheidung kann der Senat in der Sache abschließend entscheiden, da diese zur Endentscheidung reif ist (§ 29 Abs. 3 EGGVG i.V.m. § 74 Abs. 6 FamFG).
Dass die an sich zuständige Gerichtsverwaltung noch keine Ausgangsentscheidung nach Maßgabe des § 299 Abs. 2 ZPO getroffen hat, hindert eine Sachentscheidung des Senats nicht. Denn die Rechtsbeschwerde kann gemäß § 29 Abs. 3 EGGVG i.V.m. § 72 Abs. 2 FamFG nicht darauf gestützt werden, dass das Familiengericht seine Zuständigkeit für die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch zu Unrecht angenommen hat.
bb) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet, da die Ehefrau ein rechtlich geschütztes Interesse an der Einsicht in die Erklärung des Ehemanns über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht hat (§ 299 Abs. 2 ZPO).
(1) Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, hat der Gegner des Antragstellers im Prozesskostenhilfeverfahren kein Anhörungsrecht bei der vom Gericht neben der Erfolgsaussicht weiter vorzunehmenden Prüfung, ob die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechtfertigen (BGHZ 89, 65, 67 = FamRZ 1984, 373, 374). Die Prüfung dieser Voraussetzung ist allein Sache des Gerichts, das nach eigener Beurteilung etwaige zusätzliche Ermittlungen zu führen hat. Mit dem diesbezüglich fehlenden Anhörungsrecht des Gegners korrespondiert, dass dieser bereits während des noch laufenden Verfahrens kein Recht nach § 299 Abs. 1 ZPO auf Einsichtnahme in die diese Angaben enthaltenden, gesondert geführten Teile der Prozessakten hat (BGHZ 89, 65, 67 = FamRZ 1984, 373, 374).
(2) An den insoweit fehlenden Verfahrensrechten des Gegners hat auch die Einfügung des zweiten Halbsatzes in § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO durch Art. 29 Nr. 6 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-RG) vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586) nichts geändert, wonach die Erklärung und die Belege dem Gegner auch ohne Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden können, wenn der Gegner gegen den Antragsteller nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts einen Anspruch auf Auskunft über Einkünfte und Vermögen des Antragstellers hat.
Die eingefügte Bestimmung begründet kein Anhörungs- und auch kein Akteneinsichtsrecht des Gegners, sondern beschreibt die Modalitäten, unter denen die Erklärung und die Belege zugänglich gemacht werden können. Zweck der eingefügten Bestimmung ist, dem Gericht im Interesse der Richtigkeitsgewähr bezüglich der Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers grundsätzlich die Befugnis zu geben, die Erklärung des Antragstellers dem Gegner zur Stellungnahme zuzuleiten. Unter der Voraussetzung, dass zwischen den Parteien ein materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch über Einkünfte und Vermögen besteht, erschien es verfahrensökonomisch, den Gegner sogleich in das Verfahren einzubeziehen, um etwaige Unrichtigkeiten in der Erklärung so früh wie möglich korrigieren zu können (BT-Drucks. 16/6308 S. 325; vgl. auch OLG Koblenz FamRZ 2011, 389; OLG Naumburg Beschluss vom 20. September 2013 - 8 WF 140/13 - juris Rn. 10 mwN).
Die Regelung hat somit lediglich objektiv-rechtlichen Charakter; sie dient allein einer verbesserten Aufklärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch das Gericht im Interesse zutreffender Ergebnisse bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 167, 325). Die Bezugnahme auf bestehende materiell-rechtliche Auskunftsansprüche als Voraussetzung für die Zugänglichmachung der Erklärung dient lediglich der Gewährleistung datenschutzrechtlicher Belange (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 181 f.).
Eine Verbesserung der subjektiven Rechtsstellung des Verfahrensgegners war damit nicht beabsichtigt. Das hätte nämlich eine Rechtsnorm erfordert, die nicht nur der Verwirklichung von Gemeinschafts- und Gemeinwohlinteressen dient, sondern zumindest auch bezweckt, Interessen des Einzelnen zu verwirklichen. Die eingefügte Regelung bezweckt dies jedoch nicht (Schürmann FamRB 2009, 58, 59; BeckOK ZPO/Reichling [Stand: 1. März 2015] § 117 Rn. 42; aA BeckOK ZPO/Kratz [Stand: 1. März 2015] § 127 Rn. 9a). Sie dient nicht der Befriedigung von - im Einzelfall streitigen - privatrechtlichen Auskunftsansprüchen der Parteien, sondern nur der verbesserten Amtsaufklärung. Subjektive Ansprüche auf Auskunftserteilung sind weiterhin in einem darauf gerichteten Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Sie in das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren eines anderen Verfahrens zu verlagern, entspricht erkennbar nicht der mit Einfügung des zweiten Halbsatzes in § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO verfolgten Absicht des Gesetzgebers.
(3) Wenn aus den vorstehenden Gründen aber schon während des laufenden Verfahrens dem Gegner kein rechtlich geschütztes Interesse auf Einsicht in die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers zusteht, entsteht ein solches Recht erst recht nicht nach Abschluss des Verfahrens.
Dose Schilling Günter
Nedden-Boeger Botur