Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 17.10.2012


BGH 17.10.2012 - XII ZB 181/12

Betreuungsverfahren: Anhörung oder Begutachtung des Betroffenen gegen seinen Willen in seiner Wohnung; notwendige Anordnung einer Vorführung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
17.10.2012
Aktenzeichen:
XII ZB 181/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Duisburg, 27. Februar 2012, Az: 12 T 216/11vorgehend AG Duisburg-Hamborn, 20. Oktober 2011, Az: 4 XVII 554/11
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. In einem Betreuungsverfahren darf der Betroffene gegen seinen Willen in seiner Wohnung weder angehört noch begutachtet werden.

2. Wirkt der Betroffene an einer erforderlichen Anhörung bzw. Begutachtung nicht mit, so kann das Gericht seine Vorführung anordnen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 12. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 27. Februar 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe

I.

1

Der Betroffene wendet sich gegen seine Betreuung.

2

Das Amtsgericht hat die Betreuung angeordnet und den weiteren Beteiligten für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Wohnungsangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten, Behördenangelegenheiten sowie Empfang und Öffnung der Post zum Betreuer des Betroffenen bestellt. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet er sich mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

4

1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden sei. Es sei davon auszugehen, dass der volljährige Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit seine Angelegenheiten nicht besorgen könne. Nach den Ausführungen des Sachverständigen leide der Betroffene unter einer psychotischen Störung (wahrscheinlich im Sinne einer Schizophrenie mit ausgeprägtem Wahnerleben). Aufgrund dieser Erkrankung könne der Betroffene keine seiner Angelegenheiten, die von ihm eine rechtsverbindliche Äußerung erfordern, selbst interessengerecht besorgen.

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Auch § 1896 Abs. 1 a BGB stehe der Bestellung des Betreuers nicht entgegen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei davon auszugehen, dass der Betroffene hinsichtlich der Frage der Betreuerbestellung keinen freien Willen bilden könne.

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Die in der Beschwerdeschrift gerügten Begleitumstände der erstinstanzlich erfolgten Anhörung und Untersuchung des Betroffenen, die die Kammer zunächst veranlasst hätten, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, rechtfertigten auch kein anderes Ergebnis. Denn zu einer neuen Begutachtung habe es der Betroffene nach Mitteilung des gerichtlich beauftragten Sachverständigen nicht kommen lassen. Von einer Vorführung zur Untersuchung sei abzusehen gewesen, da eine solche mit Begleitumständen einhergehen würde, die mit denen vergleichbar seien, die bereits zur Gutachtenerstellung vom 19. Oktober 2011 geführt hätten. Zu dem eingeholten Gutachten habe der Betroffene inzwischen auch Stellung nehmen können. Konkrete Anhaltspunkte, die gegen die Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen sprächen, seien jedoch nicht aufgezeigt worden. Die angeführten Fehler des Gutachtens hätten evident keine Auswirkung auf die Beantwortung der Beweisfrage. Auch hätten dem Sachverständigen die anlässlich des Anhörungstermins gewonnenen Erkenntnisse für eine Gutachtenerstellung genügt. Das Gespräch mit dem Betroffenen sei dem Sachverständigen insbesondere nicht etwa als zu kurz erschienen. Von einer Anhörung des Betroffenen habe die Kammer gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen. Das Amtsgericht habe den Betroffenen angehört; von einer erneuten Anhörung des Betroffenen seien wegen seiner Verweigerungshaltung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten.

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2. Dies hält hinsichtlich der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen rechtlicher Überprüfung nicht stand.

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a) Das Landgericht hätte von einer Anhörung des Betroffenen nicht absehen dürfen.

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aa) Gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören. Es hat sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Diesen persönlichen Eindruck soll sich das Gericht in dessen üblicher Umgebung verschaffen, wenn es der Betroffene verlangt oder wenn es der Sachaufklärung dient und der Betroffene nicht widerspricht (§ 278 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG).

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Nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann das Beschwerdegericht zwar von einer Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Im Beschwerdeverfahren kann allerdings nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszuges zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (Senatsbeschlüsse vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 18 und vom 9. November 2011 - XII ZB 286/11 - FamRZ 2012, 104 Rn. 24).

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bb) Die vom Amtsgericht durchgeführte Anhörung war verfahrensfehlerhaft, weshalb das Beschwerdegericht die Anhörung des Betroffenen hätte wiederholen müssen.

12

Wie den Gerichtsakten zu entnehmen ist, hat das Amtsgericht die Anhörung des Betroffenen in dessen Wohnung durchgeführt, ohne ihn vorher von diesem Termin zu benachrichtigen. Der Betroffene war nicht dazu bereit, den Richter und den zu diesem Termin geladenen Sachverständigen in seine Wohnung zu lassen. Erst nachdem der Richter den Schlüsseldienst und die Polizei herbeigeholt hatte, öffnete der Betroffene die Tür. Das Amtsgericht hat mit dieser Vorgehensweise den deutlichen Widerspruch des Betroffenen übergangen und - ohne Rechtsgrundlage - die Anhörung (und Begutachtung) des Betroffenen in dessen Wohnung in verfahrenswidriger Weise durchgesetzt.

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An der Rechtswidrigkeit dieser Verfahrensweise hätte sich auch dann nichts geändert, wenn sich der Betroffene (zuvor) einer richterlichen Anhörung entzogen hätte. Für solche Fälle sieht § 278 Abs. 5 FamFG vielmehr die Vorführung des Betroffenen vor.

14

Im Übrigen erscheint es wegen der ausnahmeähnlichen Situation, in der sich der Betroffene befand, zweifelhaft, ob der Anhörungstermin überhaupt geeignet war, dem Gericht einen zutreffenden Eindruck von ihm zu vermitteln.

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Da sonach die Anhörung durch das Amtsgericht fehlerhaft erfolgt war, hätte das Landgericht den Betroffenen erneut, notfalls nach Anordnung der Vorführung gemäß § 278 Abs. 5 i.V.m. § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG, anhören müssen.

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b) Ferner ist die Einholung des Sachverständigengutachtens - wie von der Rechtsbeschwerde ebenfalls zutreffend gerügt - verfahrensfehlerhaft erfolgt.

17

aa) Im Verfahren zur Bestellung eines Betreuers hat gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden.

18

Ebenso wenig, wie der Betroffene gegen seinen Willen in seiner Wohnung angehört werden darf, darf der Sachverständige den Betroffenen gegen dessen Willen in dessen Wohnung untersuchen. Hierfür gibt es keine Rechtsgrundlage. Wirkt der Betroffene an einer Begutachtung nicht mit, so kann das Gericht gemäß § 283 Abs. 1 und Abs. 3 FamFG (nur) seine Vorführung anordnen und gegebenenfalls die Befugnis aussprechen, die Wohnung des Betroffenen zu betreten. Letztere Maßnahme dient freilich allein dem Ziel, die Person des Betroffenen aufzufinden, um ihn der Untersuchung zuzuführen (Schulte-Bunert/Weinreich/Eilers FamFG 3. Aufl. § 283 Rn. 15).

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Unbeschadet der Frage, ob das Amtsgericht eine solche Anordnung - konkludent - erlassen hat, wäre diese jedenfalls rechtswidrig. Denn sie hätte ersichtlich allein dem von § 283 Abs. 3 FamFG nicht umfassten Zweck gedient, die Untersuchung des Betroffenen in seiner Wohnung zu ermöglichen, nicht aber seiner Verbringung in die Räumlichkeiten des Sachverständigen.

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Hier kommt ebenfalls hinzu, dass die bereits oben dargestellte Ausnahmesituation einer fachgerechten Begutachtung entgegengestanden haben dürfte. So erklärt sich auch, dass der Sachverständige laut seines Gutachtens darauf verzichtet hat, dem Betroffenen "gezielte Fragen zu seiner Lebensgeschichte" zu stellen, "da die Umstände, die die Begutachtung ermöglicht hatten, die Bereitschaft des Betroffenen, bereitwillig über sich zu berichten, nicht vergrößerten."

21

bb) Ersichtlich wegen seiner Bedenken gegen das amtsgerichtliche Verfahren hat das Beschwerdegericht eine weitere Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen angeordnet. Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass das Landgericht von diesem - rechtlich gebotenen - Entschluss nicht abrücken durfte, weil sich der Betroffene laut Mitteilung des neuen Sachverständigen nicht ohne weiteres begutachten lassen wollte. Insofern hätte das Landgericht eine Vorführung des Betroffenen nach § 283 FamFG erwägen müssen.

22

3. Die angegriffene Entscheidung beruht auf den festgestellten Verfahrensfehlern. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Beschwerdegericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn der Betroffene ordnungsgemäß angehört und begutachtet worden wäre.

23

4. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Da die Sache wegen der noch ausstehenden Ermittlungen nicht zur Entscheidung reif ist, ist sie zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).

Dose                                                  Weber-Monecke                                             Schilling

                          Günter                                                              Botur