Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 15.02.2012


BGH 15.02.2012 - XII ZB 133/11

Betreuung: Ermessensausübung bei beantragter Beteiligung des Vaters der Betroffenen am Verfahren über die Verlängerung der Betreuung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
15.02.2012
Aktenzeichen:
XII ZB 133/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Ulm, 14. Februar 2011, Az: 3 T 87/10, Beschlussvorgehend Notariat Geislingen, 5. August 2010, Az: I VG 8/2010
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ulm vom 14. Februar 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe

A.

1

Der Beschwerdeführer begehrt die Beteiligung an dem für seine Tochter geführten Betreuungsverfahren, in dem die Entscheidung über eine Verlängerung der Betreuung ansteht.

2

Das Notariat hat den hierauf gerichteten Antrag abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt worden, die Betreuungsbehörde habe sich mit gewichtigen Argumenten gegen eine Hinzuziehung des Vaters ausgesprochen. Die Gründe hierfür könnten nicht näher dargelegt werden, da dies einer Akteneinsicht gleichkäme, die dem Vater verwehrt bleiben solle.

3

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Vaters hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Begehren weiter.

B.

4

I. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft, da das Landgericht sie zugelassen hat. Der Beschluss, durch den ein Antrag auf Verfahrensbeteiligung nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG abgelehnt wird, kann gemäß § 7 Abs. 5 Satz 2 FamFG mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572 ZPO angefochten werden. Die Rechtsbeschwerde findet in diesen Fällen unter anderem statt, wenn das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (Senatsbeschlüsse vom 5. Januar 2011 - XII ZB 152/10 - FamRZ 2011, 368 Rn. 2 und vom 30. März 2011 - XII ZB 698/10 - FamRZ 2011, 966 Rn. 11; BT-Drucks. 16/6308 S. 179). Das Rechtsmittel ist auch sonst zulässig. Der Beteiligte zu 3 ist beschwerdebefugt, weil sein Hinzuziehungsantrag zurückgewiesen worden ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 5. Januar 2011 - XII ZB 152/10 - FamRZ 2011, 368 Rn. 2 und vom 30. März 2011 - XII ZB 698/10 - FamRZ 2011, 966 Rn. 11; BT-Drucks. 16/6308 S. 179).

5

II. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

6

1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Das Notariat habe den Beteiligungsantrag im Wesentlichen abgelehnt, weil der Verdacht geäußert worden sei, der Beteiligte zu 3 misshandle bzw. missbrauche die Betroffene. Die durchgeführte Anhörung habe ergeben, dass dem Beteiligten zu 3 diese Verdächtigungen bekannt seien. Er habe sie auch im Rahmen eines Antrittsbesuches der Betreuerin offen thematisiert. Obwohl die Missbrauchsvorwürfe gegen den Vater keinen Einfluss auf den weiteren Fortgang und das Ergebnis des bisherigen Betreuungsverfahrens gehabt hätten, erscheine es nicht sachgerecht und verfahrensfördernd, den Beteiligten zu 3 hinzuzuziehen. Das damit verbundene Recht zur Akteneinsicht könne zur Folge haben, dass die Auseinandersetzung mit den von dritter Seite in den Raum gestellten Verdächtigungen gegenüber dem Beschwerdeführer das weitere Verfahren belasteten.

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2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

8

a) Nach § 7 Abs. 3 FamFG iVm § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG kann das Betreuungsgericht im Interesse des Betroffenen unter anderem dessen Eltern am Verfahren beteiligen. Das setzt voraus, dass die Beteiligung sachgerecht und verfahrensfördernd ist. Maßstab ist mithin das wohlverstandene Interesse des vom Verfahren betroffenen Beteiligten, da die Beteiligung der selbst in ihren Rechten nicht betroffenen Personen ausschließlich in dessen Interesse erfolgt (BT-Drucks. 16/6308 S. 179).

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b) Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die Entscheidung über die Hinzuziehung von Angehörigen des Betroffenen in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt ist (Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 274 Rn. 18; Brosey in Bork/Jacoby/Schwab FamFG § 274 Rn. 12; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 32. Aufl. § 7 FamFG Rn. 12). Die Entscheidung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren deshalb nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob das Ermessen sonst fehlerhaft ausgeübt worden ist (Senatsbeschlüsse vom 26. November 2011 - XII ZB 465/11 - FamRZ 2012, 24, Rn. 17; vom 14. Februar 2007 - XII ZB 150/05 - FamRZ 2007, 711 Rn. 9; vom 3. November 2004 - XII ZB 165/00 - FamRZ 2005, 104, 105 und BGHZ 155, 127 = FamRZ 2003, 1267, 1268).

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c) Letzteres ist hier der Fall.

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aa) Es ist nicht erkennbar, dass das Beschwerdegericht bei seiner Entscheidungsfindung das Ergebnis der durchgeführten Anhörung in vollem Umfang berücksichtigt hat. Die Betroffene hat in einem Schreiben an das Notariat Widerspruch gegen die für sie bestellte Betreuerin erhoben und ausgeführt, als Betreuer kämen nur Vater und Bruder in Frage. Bei der Anhörung hat die Betroffene angegeben, dass sie das Schreiben allein verfasst habe. Der Umstand, dass sie ihren Vater als Betreuer möchte, lässt aber darauf schließen, dass sie auch seine Beteiligung an dem Verfahren wünscht. Einen solchen Wunsch hat das Gericht zu berücksichtigen (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 265). Die persönliche Einschätzung eines Betroffenen kann als Indiz dafür herangezogen werden, dass die Beteiligung eines Angehörigen dem Wohl des Betroffenen dient (Bohnert in Hahne/Munzig Beck OK FamFG § 274 Rn. 37). Das Landgericht hat daher den Sachverhalt in dieser Hinsicht nicht hinreichend gewürdigt.

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bb) Darüber hinaus sind die angestellten Erwägungen nicht ermessensfehlerfrei. Das Landgericht stützt seine Auffassung wesentlich auf den Gesichtspunkt, eine Beteiligung des Vaters sei nicht sachgerecht und verfahrensfördernd, weil zu befürchten sei, dass die Auseinandersetzung mit den aktenkundigen Verdächtigungen gegen ihn das Betreuungsverfahren belastete. Andererseits hat das Landgericht festgestellt, dass dem Vater die Verdächtigungen bekannt sind. Dies hatte bereits bisher keinen Einfluss auf den Fortgang des Betreuungsverfahrens. Eine Belastung des Verfahrens ist, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht, vor diesem Hintergrund auch nicht zu befürchten. Die Verdächtigungen sind in pauschaler Weise und anonym in den Akten festgehalten. Eine Auseinandersetzung damit kann deshalb allenfalls in einem schlichten Bestreiten bestehen. Dies würde das Verfahren aber nicht befrachten. Die Würdigung des Landgerichts ist deshalb insofern nicht widerspruchsfrei.

13

cc) Abgesehen davon hat auch das Landgericht zu erkennen gegeben, dass für den Fall, dass die Vorwürfe künftig nicht weiterverfolgt werden sollten, nichts gegen eine Beteiligung des Vaters spreche. Ob und gegebenenfalls wann es zu einer solchen Weiterverfolgung kommt, erscheint allerdings offen. Die Betreuerin hat zur Zeit ihrer Anhörung jedenfalls keinen Anlass gesehen, Polizei oder Staatsanwaltschaft einzuschalten; sie müsse sich erst Klarheit über die Lebenssituation der Betroffenen verschaffen. Von welchem Zeitpunkt an davon auszugehen sein würde, dass der Vater mit Rücksicht darauf mit einer Beteiligung an dem Verfahren rechnen kann, ist damit nicht absehbar und von ihm auch nicht beeinflussbar.

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d) Mit der gegebenen Begründung kann die Entscheidung, den Vater nicht als Beteiligten zu dem Betreuungsverfahren hinzuzuziehen, deshalb keinen Bestand haben. Tragfähige Informationen über Einschränkungen der Lebensbewältigungskompetenz eines Betroffenen und über seinen tatsächlichen Hilfebedarf werden am ehesten von denjenigen Angehörigen zu erwarten sein, die mit dem Betroffenen durch ein Näheverhältnis verbunden sind (Keidel/Budde aaO § 274 Rn. 18). Das ist hier der Beteiligte zu 3, mit dem die Betroffene in Haushaltsgemeinschaft lebt. Dass dieser Gesichtspunkt gebührend berücksichtigt worden ist, obwohl der ihm entgegengesetzte Umstand einer Belastung des Verfahrens jedenfalls nicht maßgebend sein kann, ist nicht ersichtlich.

15

e) Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen, das unter Berücksichtigung aller Umstände erneut über den Antrag des Vaters zu befinden haben wird.

Hahne                                        Weber-Monecke                                              Klinkhammer

                      Schilling                                                  Nedden-Boeger