Entscheidungsdatum: 08.02.2017
Ein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen den anderen Elternteil auf - teilweise - Erstattung des an ein gemeinsames Kind gezahlten Unterhalts wird nicht ohne weiteres dadurch ausgeschlossen, dass der Elternteil mit der Unterhaltszahlung eine Verpflichtung aus einem gerichtlichen Vergleich erfüllt (Abgrenzung zu den Senatsurteilen vom 25. Mai 1994, XII ZR 78/93, FamRZ 1994, 1102 und vom 20. Mai 1981, IVb ZR 558/80, FamRZ 1981, 761).
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 4. Senats für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 11. Februar 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Wert: 4.906 €
Von Rechts wegen
I.
Der Antragsteller macht einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch für Unterhaltszahlungen an die gemeinsame Tochter im Zeitraum von November 2010 bis einschließlich September 2011 geltend.
Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute. Aus ihrer Ehe ist neben zwei Söhnen die Tochter J., geboren am 14. August 1993, hervorgegangen, die nach Trennung und Scheidung der Beteiligten mit ihren Brüdern zunächst im Haushalt der Antragsgegnerin lebte. Die elterliche Sorge für ihre Tochter stand den Beteiligten gemeinsam zu. Durch einen am 8. November 2004 vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht geschlossenen Vergleich verpflichtete sich der Antragsteller, für seine Tochter ab Januar 2005 Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 160 % des Regelbedarfs der zweiten Altersgruppe der Regelbetragsverordnung und ab August 2005 in Höhe von monatlich 160 % des Regelbedarfs der dritten Altersgruppe der Regelbetragsverordnung jeweils zuzüglich Krankenkassenbeitrag (derzeit 30,26 €) und abzüglich des nach § 1612 b BGB anrechenbaren Kindergeldes zu zahlen.
Nach einem Zerwürfnis mit der Antragsgegnerin zog die Tochter Ende Oktober 2010 aus dem Haushalt der Antragsgegnerin aus. Da sie unter keinen Umständen bereit war, dorthin zurückzukehren, obwohl sie weiterhin die dortige Schule besuchte, brachte der damals in Schwerin lebende Antragsteller sie bei seiner Freundin in Lübeck unter, wo sie bis Anfang Oktober 2011 lebte. Er richtete ein Konto ein, über das die Ausgaben für Kost und Logis bezahlt wurden und von dem die Tochter regelmäßig Barbeträge abheben konnte. Für den Zeitraum November 2010 bis einschließlich Juli 2011 sind Zahlungen des Antragstellers auf dieses Konto in Höhe von insgesamt 4.350 € belegt. In seiner Beschwerdebegründung hat der Antragsteller geltend gemacht, dass Zahlungen in Höhe von jeweils 278 € in den Monaten August und September 2011 zu Unrecht nicht berücksichtigt worden seien.
Anfang November 2010 forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin zur Auskunftserteilung und anteiligen Zahlung von Barunterhalt auf. Die Antragsgegnerin, die weiterhin Naturalunterhalt in ihrem Haushalt gewähren wollte und daher zunächst keinen Barunterhalt leistete, nahm ab April 2011 Zahlungen an die Tochter auf. Im streitgegenständlichen Zeitraum hat sie in den Monaten April bis einschließlich Juli 2011 jeweils 300 € gezahlt und im August 2011 336 €. Ob im September eine weitere Zahlung von 336 € erfolgte, ist zwischen den Beteiligten umstritten.
Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin zur Zahlung von 3.140 € nebst Zinsen verpflichtet. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung der Beschwerde des Antragstellers den Antrag insgesamt abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers, mit der er seinen Antrag in Höhe von 4.906 € weiterverfolgt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil sie das Beschwerdegericht in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 70 Abs. 1 FamFG), und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, ein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch bestehe hier bereits dem Grunde nach nicht wegen der Sperrwirkung des vor dem Oberlandesgericht am 8. November 2004 protokollierten Vergleichs, der nachfolgend nicht nach §§ 323 ZPO, 239 FamFG abgeändert worden sei. Voraussetzung für den Ausgleichsanspruch sei, dass der den Unterhalt leistende Elternteil mit seiner Leistung eine im Innenverhältnis der Eltern zueinander dem anderen Elternteil obliegende Verpflichtung gegenüber dem Kind erfüllt habe. Dagegen könne die Unterhaltszahlung eines Elternteils, der eine rechtskräftig festgestellte Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind zu erbringen habe, nicht als eine an Stelle des anderen Elternteils erbrachte Unterhaltsleistung angesehen werden, weshalb in solchen Fällen ein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch gegenüber dem anderen Elternteil nicht bestehen könne. So verhalte es sich bei den vorliegend geltend gemachten Zahlungen des Antragstellers, mit denen er (nur) seiner Verpflichtung aus dem Vergleich nachgekommen sei, nicht aber eine der Antragsgegnerin obliegende Zahlungsverpflichtung erfüllt habe. Die eigene Zahlungsverpflichtung des Antragstellers aus dem Vergleich vom 8. November 2004 ginge über die von ihm im streitgegenständlichen Zeitraum geleisteten Zahlungen sogar hinaus.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist allerdings die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass sich ein Anspruch des Antragstellers auf (teilweise) Erstattung seiner Unterhaltszahlungen aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs ergeben kann.
Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich für solche Fälle anerkannt, in denen ein Elternteil für den Unterhalt eines gemeinsamen Kindes aufgekommen ist und dadurch dessen Unterhaltsanspruch erfüllt hat, obwohl (auch) der andere Elternteil ganz oder teilweise unterhaltspflichtig war. Der Anspruch beruht auf der Unterhaltspflicht beider Eltern gegenüber ihrem Kind und ergibt sich aus der Notwendigkeit, die Unterhaltslast im Verhältnis zwischen ihnen nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB entsprechend ihrem Leistungsvermögen gerecht zu verteilen (Senatsbeschluss vom 20. April 2016 – XII ZB 45/15 – FamRZ 2016, 1053 Rn. 11 mwN).
b) Für den streitgegenständlichen Unterhalt ihrer gemeinsamen Tochter hafteten die Beteiligten als Eltern durchgehend nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (vgl. Senatsurteile vom 13. April 1988 – IVb ZR 49/87 – FamRZ 1988, 1039, 1041; vom 6. November 1985 – IVb ZR 69/84 – FamRZ 1986, 153 f. und vom 2. Juli 1980 – IVb ZR 519/80 – FamRZ 1980, 994 f.), nachdem die Tochter auch während der letzten Monate ihrer Minderjährigkeit auswärts durch Dritte betreut wurde.
aa) Eine Bestimmung dahingehend, der gemeinsamen Tochter in der Zeit ihrer Minderjährigkeit weiterhin Naturalunterhalt zu gewähren, konnte die Antragsgegnerin demgegenüber schon deswegen wirksam nicht treffen, weil das Bestimmungsrecht nach § 1612 Abs. 2 BGB den Eltern als Inhabern der gemeinsamen elterlichen Sorge hier nur gemeinsam zustand (vgl. Senatsurteil vom 26. Oktober 1983 – IVb ZR 14/82 – FamRZ 1984, 37, 38 f.). Ob eine solche Bestimmung zudem die nach § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB gebotene Rücksicht auf die Belange der gemeinsamen Tochter genommen hätte, kann danach dahinstehen.
bb) Die konkrete Höhe des Haftungsanteils der Antragsgegnerin kann mangels der erforderlichen Feststellungen derzeit nicht abschließend beurteilt werden.
Das Amtsgericht hat insoweit auf der Grundlage der beiderseitigen Einkünfte Quoten von 23 % für den Antragsteller und 77 % für die Antragsgegnerin (im Jahr 2010) bzw. 22 % für den Antragsteller und 78 % für die Antragsgegnerin (Januar bis März 2011) sowie 21 % für den Antragsteller und 79 % für die Antragsgegnerin (ab April 2011) ermittelt, die allerdings im Beschwerdeverfahren angegriffen wurden. Weitere Feststellungen hierzu hat das Beschwerdegericht indessen nicht getroffen.
c) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts entfaltet der gerichtliche Vergleich vom 8. November 2004 keine "Sperrwirkung", die der Geltendmachung des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs entgegen gehalten werden könnte.
aa) Zwar hat der Senat bereits entschieden, dass einem Elternteil, der eine ihm durch rechtskräftige Entscheidung auferlegte Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem gemeinsamen Kind erfüllt, kein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch auf – teilweise – Erstattung seiner Unterhaltszahlungen gegenüber dem anderen Elternteil zusteht (Senatsurteile vom 25. Mai 1994 – XII ZR 78/93 – FamRZ 1994, 1102, 1103 f. und vom 20. Mai 1981 – IVb ZR 558/80 – FamRZ 1981, 761, 762).
Der Senat hat hierzu ausgeführt, dass der Unterhaltsverpflichtete, der an sein unterhaltsberechtigtes Kind jeweils die Unterhaltsbeträge gezahlt hat, zu deren Leistung er ihm gegenüber rechtskräftig verurteilt worden ist, nur seiner eigenen rechtskräftig festgestellten Unterhaltspflicht nachgekommen ist, nicht aber eine Verbindlichkeit erfüllt hat, die sich im Verhältnis gegenüber dem Kind als Verpflichtung des anderen Elternteils darstellt. Bei dieser Sachlage entspricht die Zubilligung eines familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs nicht dem Sinn und Zweck dieses Anspruchs. Der Ausgleichsanspruch ist nämlich nicht dazu bestimmt, gerichtlich festgesetzte Unterhaltsverpflichtungen, die auf einer Abwägung der Leistungsfähigkeit beider Eltern beruhen, durch "Ausgleich" von Unterhaltsanteilen im Verhältnis der Eltern zueinander abzuändern (Senatsurteile vom 25. Mai 1994 – XII ZR 78/93 – FamRZ 1994, 1102, 1103 f. und vom 20. Mai 1981 – IVb ZR 558/80 – FamRZ 1981, 761, 762).
bb) Diese Erwägungen sind jedenfalls auf eine durch einen gerichtlichen Vergleich geregelte Unterhaltsverpflichtung nicht übertragbar.
Im Gegensatz zu der durch gerichtliche Entscheidung auferlegten Unterhaltsverpflichtung können Unterhaltsregelungen in gerichtlichen Vergleichen – wie in vollstreckbaren Urkunden – nicht in materielle Rechtskraft erwachsen. Soweit ein gerichtlicher Vergleich im Verfahren nach § 239 FamFG abgeändert werden kann, richtet sich der Umfang der Abänderung allein nach materiellem Recht (§ 239 Abs. 2 FamFG). Der Tatsachenvortrag in einem solchen Abänderungsverfahren unterliegt keiner zeitlichen Einschränkung, da die Präklusion aus § 238 Abs. 2 FamFG, die nur der Sicherung der Rechtskraftwirkung gerichtlicher Entscheidungen dient, keine entsprechende Anwendung findet (vgl. Senatsurteile BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 Rn. 23 (für den Fall einer Jugendamtsurkunde); BGHZ 186, 1 = FamRZ 2010, 1238 Rn. 12; vom 23. November 1994 – XII ZR 168/93 – FamRZ 1995, 221, 223 und BGHZ (GSZ) 85, 64, 73 = FamRZ 1983, 22, 24 f.). Daher können grundsätzlich auch Tatsachen geltend gemacht werden, die schon im Zeitpunkt der Errichtung des Titels bestanden haben. Dabei ist – vorrangig gegenüber einer Störung der Geschäftsgrundlage – durch Auslegung zu ermitteln, ob und mit welchem Inhalt die Beteiligten eine bindende Regelung hinsichtlich einer möglichen Abänderung getroffen haben (vgl. Senatsurteile vom 23. November 2011 – XII ZR 47/10 – FamRZ 2012, 197 Rn. 15 und BGHZ 186, 1 = FamRZ 2010, 1238 Rn. 12 f.). Ebenso wenig bestehen mangels Rechtskraft hinsichtlich des Zeitpunktes, ab dem eine Abänderung begehrt werden kann, verfahrensrechtliche Einschränkungen; § 238 Abs. 3 FamFG findet deswegen auch keine entsprechende Anwendung (vgl. Senatsurteil BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 Rn. 23).
cc) Mit seinen Zahlungen auf das Konto zum Unterhalt der gemeinsamen Tochter ist der Antragsteller im Verhältnis zur Tochter nicht einer eigenen rechtskräftig festgestellten Unterhaltspflicht nachgekommen. Vielmehr hat er – soweit die Antragsgegnerin ihrer Unterhaltsverpflichtung nicht nachgekommen ist – an ihrer Stelle eine Unterhaltsverbindlichkeit erfüllt, die ihr gegenüber der gemeinsamen Tochter oblegen hat.
Der gerichtliche Vergleich vom 8. November 2004 ist nach Ziff. 3 des Vergleichs bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse frei abänderbar. Da sich der Umfang der Abänderung allein nach materiellem Recht bestimmt, kann die Abänderbarkeit des Vergleichs auch inzident im Rahmen des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs überprüft werden. Wegen der fehlenden materiellen Rechtskraft des Vergleichs stehen auch Sinn und Zweck des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs einem Erstattungsanspruch des Antragstellers nicht entgegen.
Dass der Antragsteller die Antragsgegnerin unmittelbar nach Aufnahme der Zahlungen aufgefordert hatte, sich anteilig am Unterhalt für die gemeinsame Tochter zu beteiligen, ist zwischen den Eltern unstreitig.
3. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben. Der Senat kann mangels der erforderlichen Feststellungen zu den Einkünften der Beteiligten und zu den von beiden erbrachten Unterhaltszahlungen nicht selbst entscheiden.
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