Entscheidungsdatum: 10.10.2018
Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Leistungsantrag, der auf einen ausländischen vollstreckbaren Unterhaltsvertrag gestützt ist, kann im Hinblick auf eine mögliche Vollstreckbarerklärung im Inland jedenfalls dann nicht verneint werden, wenn und soweit ein entsprechender Antrag bereits rechtskräftig zurückgewiesen wurde. Das gilt auch, wenn der Antragsteller nicht alle ihm im Vollstreckbarerklärungsverfahren zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hat.
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 21. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln vom 30. Januar 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
I.
Die Antragstellerin macht gegen den Antragsgegner Ansprüche auf Kindesunterhalt geltend.
Die Antragstellerin ist die im August 2008 in Zürich geborene nichteheliche Tochter des Antragsgegners. Sie besitzt wie ihre Mutter die schweizerische, tschechische und kanadische Staatsangehörigkeit. Der Antragsgegner ist deutscher Staatsangehöriger und wohnt in Bonn.
Am 3. September 2009 schlossen der Antragsgegner und die durch ihre Mutter vertretene Antragstellerin in Zürich einen von der dortigen Vormundschaftsbehörde genehmigten Unterhaltsvertrag. Darin verpflichtete sich der Antragsgegner, für die Antragstellerin ab deren Geburt bis zum ordentlichen Abschluss einer angemessenen Ausbildung, mindestens bis zu ihrer Mündigkeit, monatlichen Unterhalt von 600 Schweizer Franken (CHF) zu zahlen. Sollte sich das Kind in der Schweiz aufhalten, so sollte der Unterhalt monatlich 900 CHF betragen.
Die Antragstellerin hat im vorliegenden Verfahren zunächst Ansprüche auf rückständigen und laufenden Kindesunterhalt geltend gemacht. Nachdem der Unterhaltsvertrag vom 3. September 2009 unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags nur in Höhe von monatlich 600 CHF im Inland für vollstreckbar erklärt worden ist, verlangt sie noch die Zahlung von weiteren 300 CHF für 35 näher bezeichnete Monate seit 2009, in denen sie sich in der Schweiz aufgehalten habe.
Das Amtsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihren Antrag weiterverfolgt.
II.
Da der Antragsgegner als Rechtsbeschwerdegegner in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Bekanntgabe des Termins nicht vertreten war, ist über die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin durch Versäumnisbeschluss zu entscheiden (§§ 74 Abs. 4, 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 331 ZPO). Dieser beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern berücksichtigt von Rechts wegen den gesamten Sach- und Streitstand (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Mai 2014 - XII ZB 141/13 - FamRZ 2014, 1355 Rn. 5 mwN).
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts fehlt dem Begehren der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis, weil sie bereits einen vollstreckbaren Titel über den geltend gemachten Anspruch besitze und daraus die Zwangsvollstreckung betreiben könne. Dass die Antragstellerin trotz bestehenden Vollstreckungstitels ausnahmsweise einen verständigen Grund oder ein anerkennenswertes Interesse für eine Klage habe, habe sie nicht dargetan.
Für das auf den Unterhaltsvertrag gestützte Begehren sei der Antragstellerin bereits eine Teilvollstreckungsklausel über monatlich 600 CHF für die Zeit ab Januar 2009 erteilt worden. Sie habe nicht aufgezeigt, dass sie gehindert sei, auch wegen der weiteren Unterhaltsforderung über monatlich 300 CHF für die Zeit von Januar 2009 bis 2015, in der sie sich nach ihrem Vorbringen in der Schweiz aufgehalten habe, gemäß §§ 36 ff. AUG iVm Art. 1, 2 und 21 HUntVÜ die Vollstreckbarerklärung des schweizerischen Vollstreckungstitels in Deutschland zu betreiben. Im Vergleich zu einem Leistungsantrag auf Zahlung von Unterhalt handele es sich dabei um einen einfacheren und auch kostengünstigeren Weg. Die im durchgeführten Exequaturverfahren ausgesprochene Teilzurückweisung hinsichtlich der rückständigen Mehrunterhaltsforderungen sei nicht auf die fehlende Eignung des Verfahrens, sondern darauf zurückzuführen, dass die Antragstellerin einen möglichen Antrag nach § 39 Abs. 2 AUG trotz richterlichen Hinweises ausdrücklich nicht gestellt habe. Infolge eines solchen Antrags wären zwar durch die Anhörung des Gegners, eine mögliche mündliche Verhandlung und die Vernehmung von Zeugen weitere Kosten entstanden. Diese wären aber nicht höher gewesen als die in der vorliegenden Familienstreitsache anfallenden Kosten einer Beweisaufnahme.
Die Klärung des Aufenthalts der Antragstellerin in der Schweiz als aufschiebende Bedingung ihres Mehrunterhaltsanspruchs habe das Exequaturgericht nicht etwa wegen unzureichender Bestimmtheit ablehnen können. Werde ein ausländischer Titel den nach deutschem Vollstreckungsrecht zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen nicht gerecht, ergäben sich jedoch die Kriterien, nach denen sich die titulierte Leistungspflicht bestimme, aus ausländischen Bestimmungen oder ähnlichen im Inland gleichermaßen zugänglichen und sicher feststellbaren Umständen, so sei es grundsätzlich zulässig und geboten, diese Feststellungen nach Möglichkeit im Verfahren der Vollstreckbarerklärung zu treffen und den ausländischen Titel in der Entscheidung über seine Vollstreckbarkeit entsprechend zu konkretisieren. So liege es auch hier. Ob die vertragliche Bedingung für die Verpflichtung zur Zahlung eines um 300 CHF über dem Regelbetrag liegenden Unterhalts ("Sollte sich das Kind in der Schweiz aufhalten") eingetreten sei, könne im Verfahren nach Art. 39 Abs. 2 AUG mit den zulässigen Beweismitteln nicht weniger fundiert und zugleich prozessökonomischer geklärt werden als in einem neuen inländischen Erkenntnisverfahren. Auch die zwischen den Beteiligten bestehende Streitfrage über die Auslegung des Begriffs des Aufenthalts könne ebenso gut im einfacheren Verfahren der Vollstreckbarerklärung geklärt werden.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Die im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist gegeben. Diese ergibt sich entweder aus Art. 3 lit. a EuUntVO oder aus Art. 2 Abs. 1 Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (LugÜ 2007).
Ob Art. 3 EuUntVO in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegenüber dem von der Europäischen Union ratifizierten und im Verhältnis zur Schweiz anwendbaren Luganer Übereinkommen 2007 vorrangig ist (so etwa Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. 1. Teil C.I.3 Rn. 343, 409 ff.; MünchKommFamFG/Lipp 2. Aufl. Vorbem. zu Art. 3 ff. EuUntVO Rn. 5, Art. 69 EuUntVO Rn. 9 ff. mwN und Prütting/Helms/Hau FamFG 4. Aufl. Anh. 3 zu § 110 Rn. 24, 181 mwN), braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn beide Rechtsgrundlagen führen im vorliegenden Fall zur internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Da der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, ist nach Art. 3 lit. a EuUntVO die internationale Zuständigkeit gegeben. Nichts anderes ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1, 59 Abs. 1 LugÜ 2007 iVm § 7 BGB, weil auch der danach maßgebliche Wohnsitz des Antragsgegners in Deutschland ist.
b) Dem Antrag fehlt entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht das Rechtsschutzbedürfnis.
aa) Leistungsklagen (bzw. -anträge), mit denen fällige Ansprüche verfolgt werden, sind grundsätzlich ohne Darlegung eines besonderen Interesses an einer Entscheidung zulässig. Nur wenn das Rechtsschutzbedürfnis ausnahmsweise aus besonderen Gründen fehlt, ist eine solche Klage als unzulässig abzuweisen. Dies kann der Fall sein, wenn der Gläubiger bereits einen vollstreckbaren Titel über die Forderung besitzt und daraus unschwer die Zwangsvollstreckung betreiben kann. Allerdings ist dem Gläubiger trotz eines Vollstreckungstitels die Erhebung der Klage nicht verwehrt, wenn er hierfür einen verständigen Grund hat (vgl. BGH Urteil vom 19. Dezember 2006 - XI ZR 113/06 - WM 2007, 588 Rn. 10 mwN; Senatsurteil vom 10. November 2010 - XII ZR 37/09 - FamRZ 2011, 97 Rn. 19).
Das Rechtsschutzbedürfnis kann nach diesen Grundsätzen auch fehlen, wenn der Gläubiger einen ausländischen Titel besitzt und diesen im Inland auf einfachere und kostengünstigere Weise für vollstreckbar erklären lassen kann (Senatsurteil vom 26. November 1986 - IVb ZR 90/85 - FamRZ 1987, 370; vgl. BGH Beschluss vom 4. Februar 2010 - IX ZB 57/09 - NJW-RR 2010, 571 Rn. 10; Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrechtlichen Praxis 9. Aufl. § 9 Rn. 704 ff.). Das Rechtsschutzbedürfnis für eine neue Klage (Antrag) im Inland ist aber jedenfalls dann und insoweit zu bejahen, als ein vom Gläubiger gestellter Antrag auf Vollstreckbarerklärung rechtskräftig zurückgewiesen worden ist. Denn für das Rechtsschutzbedürfnis genügt, dass ein anderer Weg zur Durchsetzung des Anspruchs im Inland aktuell nicht zur Verfügung steht, weil der Gläubiger bei Unzulässigkeit des Leistungsantrags andernfalls rechtlos gestellt wäre (vgl. Senatsurteil vom 26. November 1986 - IVb ZR 90/85 - FamRZ 1987, 370).
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen durfte das Oberlandesgericht nicht von der Unzulässigkeit des Antrags wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses ausgehen.
Da der von den Beteiligten geschlossene Unterhaltsvertrag nur im Hinblick auf den monatlichen Betrag von 600 CHF für im Inland vollstreckbar erklärt und der weitergehende Antrag auf Vollstreckbarerklärung rechtskräftig zurückgewiesen worden ist, hat die Antragstellerin keine Möglichkeit, auf einfacherem oder kostengünstigerem Weg zu einem Vollstreckungstitel zu gelangen. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts ist es nicht von Bedeutung, ob die Antragstellerin im Vollstreckbarerklärungsverfahren gemäß § 39 Abs. 2 AUG eine Beweisaufnahme hätte erwirken und aufgrund dessen letztlich dasselbe Ergebnis hätte erzielen können, wie sie es im vorliegenden Verfahren erstrebt. Denn das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll nur überflüssige Verfahren vermeiden, wenn und soweit dem Gläubiger einfachere Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Es rechtfertigt indessen keine Sanktion für eine im Vorverfahren unzureichende Verfahrensführung. Da der Antrag auf Vollstreckbarerklärung hinsichtlich der Mehrforderung materiell rechtskräftig zurückgewiesen worden ist, ist ein Vollstreckbarerklärungsverfahren insoweit nicht mehr möglich und kann daher dem Rechtsschutzbedürfnis nicht entgegenstehen.Aufgrund der Ansicht des Oberlandesgerichts würde dagegen die Zurückweisung des Antrags im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht nur die Rechtskraftwirkung entfalten, dass der Titel im Inland insoweit nicht vollstreckbar ist (vgl. Senatsurteil vom 26. November 1986 - IVb ZR 90/85 - FamRZ 1987, 370), sondern hätte darüber hinausgehend im Ergebnis sogar die gleiche Wirkung wie eine rechtskräftige Abweisung des Unterhaltsantrags. Eine solche Bedeutung kommt der Entscheidung im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht zu.
Dem im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Antrag auf Zahlung von monatlich weiteren 300 CHF fehlt mithin nicht das Rechtsschutzbedürfnis.
3. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben. Das Verfahren ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, weil dieses sich mit dem auf den Unterhaltsvertrag vom 3. September 2009 gestützten Antrag noch nicht in der Sache befasst hat. Soweit das Oberlandesgericht im angefochtenen Beschluss Bedenken gegen die Begründetheit des Antrags geäußert hat, teil der Senat diese Bedenken nicht.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen diesen Versäumnisbeschluss steht dem säumigen Beteiligten der Einspruch zu. Dieser ist von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisbeschlusses bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, Karlsruhe, durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.
Dose |
|
Klinkhammer |
|
Günter |
|
Nedden-Boeger |
|
Guhling |
|