Entscheidungsdatum: 16.10.2018
Zur Verwirkung des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehensverträgen.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 9. Januar 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers.
Der Kläger, ein Versicherungsvermittler, schloss im September 2005 mit der Beklagten einen Darlehensvertrag über 320.000 € mit einem bis zum 30. September 2015 festen Nominalzinssatz von 3,98% p.a. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten dienten ein Grundpfandrecht und Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag. Bei Abschluss des Darlehensvertrags belehrte die Beklagte den Kläger über sein Widerrufsrecht wie folgt:
Der Kläger erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen. Nachdem er verschiedentlich mit Leistungen an die Beklagte in Rückstand geraten war, einigte er sich im September 2011 mit der Beklagten auf eine vorzeitige Beendigung des Darlehensvertrags. Er leistete an die Beklagte eine "Vorfälligkeitsentschädigung" in Höhe von 15.287,13 €. Die Beklagte gab die Sicherheiten frei. Unter dem 11. November 2014 widerrief sein vorinstanzlicher Prozessbevollmächtigter für den Kläger dessen auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung. Zugleich forderte er die Beklagte zur Erstattung des Aufhebungsentgelts bis zum 21. November 2014 "nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Erhalt des Betrages an meinen Mandaten" auf. Die Beklagte wies den Widerruf mit Schreiben vom 19. November 2014 zurück.
Seine Klage auf Zahlung von insgesamt 32.227,78 € hat das Landgericht abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht, nachdem es den Kläger auf die Unschlüssigkeit seines Begehrens auf Erstattung einer "Zinsdifferenz" und auf Herausgabe mutmaßlich gezogener Nutzungen hingewiesen hat und der Kläger zum Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht erschienen ist, durch Versäumnisurteil zurückgewiesen. Gegen dieses Versäumnisurteil hat der Kläger Einspruch eingelegt und seine Berufung teilweise zurückgenommen mit der Maßgabe, dass er zuletzt noch beantragt hat, die Beklagte zur Rückzahlung des überwiegenden Teils des Aufhebungsentgelts in Höhe von 15.280,13 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. November 2014 zu verurteilen. Dem Berufungsantrag in der zuletzt gestellten Form hat das Berufungsgericht vollständig entsprochen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihr Begehren auf Zurückweisung der Berufung weiterverfolgt.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht (OLG Karlsruhe, ZIP 2018, 467 ff.) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung noch im Jahr 2014 widerrufen können, weil die Beklagte ihn bei Vertragsschluss fehlerhaft über das ihm zukommende Widerrufsrecht belehrt habe.
Das Widerrufsrecht des Klägers sei nicht verwirkt. Als einziger Umstand, der das Vertrauen der Beklagten habe begründen können, dass der Kläger nicht mehr widerrufen werde, könne die einvernehmliche Ablösung des Darlehens gelten. Dies genüge auch bei einer Wechselwirkung von Zeitmoment - neun Jahre zwischen Vertragsschluss und Widerruf - und Umstandsmoment nicht, um eine Verwirkung zu bejahen. Sonstige Umstände lägen nicht vor. Die Verwendung der "zurückgeflossenen Gelder" sei kein vertrauensbegründender Umstand, der zur einvernehmlichen Beendigung des Darlehensvertrags hinzutrete. Die Freigabe von Sicherheiten könne ebenfalls keine geeignete Vertrauensinvestition sein.
Der Kläger habe das Widerrufsrecht auch nicht sonst rechtsmissbräuchlich ausgeübt. Der Kläger verlange nach teilweiser Rücknahme der Berufung "nur noch die Vorfälligkeitsentschädigung zurück". Er beanspruche nicht mehr die Herausgabe von der Beklagten mutmaßlich gezogener Nutzungen. Dieses Vorgehen rechtfertige den Vorwurf der Treuwidrigkeit nicht. Es erscheine "vielmehr recht und billig, dass die Beklagte die Vorfälligkeitsentschädigung nicht behalten" dürfe. Zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger den Wunsch nach einer vorzeitigen Beendigung des Darlehensvertrags geäußert habe, sei von der Beklagten "während der Verhandlungen über die Ablösung […] eine Nachbelehrung des Klägers zu erwarten" gewesen.
II.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts, das auf der Grundlage des nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, § 32 Abs. 1, § 38 Abs. 1 EGBGB maßgeblichen Rechts zutreffend davon ausgegangen ist, die Beklagte habe den Kläger unrichtig über das ihm zustehende Widerrufsrecht nach § 495 Abs. 1 BGB belehrt (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 17 ff., 20 ff. und vom 7. November 2017 - XI ZR 369/16, WM 2018, 45 Rn. 15), weisen zur Anwendung des § 242 BGB revisionsrechtlich erhebliche Rechtsfehler auf.
1. Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung der Frage, ob das Widerrufsrecht des Klägers verwirkt sei, zulasten der Beklagten wesentliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen.
a) Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zeit- und Umstandsmoment können nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden (Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 393/16, WM 2017, 2247 Rn. 9; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 9). Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles, ohne dass insofern auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 40 und - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 37, vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, BGHZ 212, 207 Rn. 30, vom 21. Februar 2017 - XI ZR 185/16, BGHZ 214, 94 Rn. 33 sowie vom 14. März 2017 - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018, aaO). Die Bewertung des Tatrichters kann in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, aaO, Rn. 18 und - XI ZR 564/15, aaO, Rn. 43; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018, aaO).
b) Das Berufungsgericht hat zulasten der Beklagten erhebliche Gesichtspunkte bei der Prüfung der Verwirkung unberücksichtigt gelassen.
Dass die Beklagte mit Leistungen des Klägers nach Beendigung des Darlehensvertrags gearbeitet hat, ist ein Umstand, der bei der Entscheidung über die Verwirkung des Widerrufsrechts veranschlagt werden kann (Senatsbeschluss vom 5. Juni 2018 - XI ZR 577/16, juris Rn. 4). Das Berufungsgericht, das gemeint hat, die "Weiterverwendung der zurückgeflossenen Gelder" sei generell "kein vertrauensbegründender Umstand, der zur einvernehmlichen Darlehensablösung" hinzutrete, hat ihn bei der Prüfung der Verwirkung des Widerrufsrechts nicht wie geboten mit in den Blick genommen.
Entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts, das die Würdigung dieses Umstands bei der Prüfung der Verwirkung kategorisch ausgeschlossen hat, ist überdies die Tatsache, dass der Darlehensgeber Sicherheiten freigegeben hat, ein Aspekt, den der Tatrichter bei der Prüfung des Umstandsmoments berücksichtigen kann. Dem steht nicht entgegen, dass der Darlehensgeber nach Beendigung des Darlehensvertrags und vollständiger Erfüllung der aus dem unwiderrufenen Darlehensvertrag resultierenden Pflichten des Darlehensnehmers die Sicherheiten ohnehin freizugeben hätte. Vom Darlehensgeber bestellte Sicherheiten sichern regelmäßig auch Ansprüche aus einem Rückgewährschuldverhältnis nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der hier maßgeblichen, bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB. Dem Rückgewähranspruch des Darlehensnehmers aus der Sicherungsabrede haftet die für den Fall des Widerrufs auflösende Rechtsbedingung einer Revalutierung an. Beendet der Darlehensgeber trotz der Möglichkeit der Revalutierung durch Rückgewähr der Sicherheit den Sicherungsvertrag, kann darin die Ausübung beachtlichen Vertrauens im Sinne des § 242 BGB liegen (Senatsurteil vom 11. September 2018 - XI ZR 125/17, n.n.v., Rn. 34; Senatsbeschlüsse vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 20 und vom 7. März 2018 - XI ZR 298/17, juris).
Unzutreffend ist der Einwand der Revisionserwiderung, eine Freigabe von Sicherheiten in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beendigung des Darlehensvertrags tauge nicht, um die Ausübung beachtlichen Vertrauens zu belegen. Einen Rechtssatz des Inhalts, Dispositionen des Darlehensgebers im Vertrauen auf das Unterbleiben des Widerrufs seien bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen für das Umstandsmoment nur dann beachtlich, wenn zwischen der Beendigung des Darlehensvertrags und diesen Dispositionen ein gewisser Zeitraum liege, hat der Senat für die Verwirkung des Rechts zum Widerruf der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung nicht aufgestellt. Nimmt der Tatrichter das zusätzliche Erfordernis eines Zeitmoments in den Blick, kann er mithin die zeitnahe Freigabe von Sicherheiten bei der Prüfung des Umstandsmoments berücksichtigen (Senatsbeschluss vom 7. März 2018 - XI ZR 298/17, juris).
2. Überdies weisen die Erwägungen des Berufungsgerichts Rechtsfehler auf, soweit es eine sonst rechtsmissbräuchliche Ausübung des Widerrufsrechts verneint hat.
a) Die Ausübung eines Verbraucherwiderrufsrechts kann im Einzelfall eine unzulässige Rechtsausübung aus sonstigen Gründen darstellen und in Widerspruch zu § 242 BGB stehen, obwohl die Voraussetzungen einer Verwirkung nicht vorliegen. Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung auf eine Rechtsposition rechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden, wobei die Interessen aller an einem bestimmten Rechtsverhältnis Beteiligten zu berücksichtigen sind. Diese Bewertung vorzunehmen ist Sache des Tatrichters und demgemäß in der Revisionsinstanz nur daraufhin zu überprüfen, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 18 und - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 43).
b) Nach diesen Maßgaben hat das Berufungsgericht fehlerhaft angenommen, die Beschränkung der klägerischen Berufung auf die Rückgewähr des Aufhebungsentgelts nach einem Hinweis des Berufungsgerichts auf Bedenken gegen die Schlüssigkeit des weiteren Begehrens des Klägers schließe die Anwendung des § 242 BGB aus. Das Berufungsgericht hat denkgesetzwidrig "Umstände, die den Vorwurf eines Rechtsmissbrauchs bei der Ausübung des Widerrufsrechts begründen könnten", aufgrund des Prozessverhaltens des Klägers lange nach Erklärung des Widerrufs ausgeschlossen. Die zunächst anhand des Verhaltens des Klägers bei Ausübung des Widerrufsrechts zu beantwortende Frage, ob ihm ein Rechtsmissbrauch zur Last fällt (BGH, Urteil vom 23. Januar 1991 - VIII ZR 42/90, WM 1991, 897, 900; Kähler in BeckOGK BGB, § 242 Rn. 373 [Stand: 15. Juni 2018]), ist von der Frage zu trennen, ob bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung Umstände eingetreten sind, die den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs ausschließen (vgl. zu diesem Zeitpunkt Senatsurteil vom 7. November 2017 - XI ZR 369/16, WM 2018, 45 Rn. 17; Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl., § 242 Rn. 38).
c) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Bewertung, der Darlehensnehmer habe das Widerrufsrecht rechtsmissbräuchlich ausgeübt, auch nicht deshalb per se ausgeschlossen, weil der Darlehensgeber im Zuge der Verhandlungen über die vorzeitige Beendigung des Darlehensvertrags keine Nachbelehrung erteilt hat. Die Nachbelehrung hat nicht den Zweck, den Darlehensnehmer in Fällen der vorzeitigen Beendigung des Darlehensvertrags vor der Entrichtung eines Aufhebungsentgelts zu bewahren. Der Darlehensgeber hat die Möglichkeit, nicht eine Verpflichtung zur Nachbelehrung. Die Verpflichtung, den Darlehensnehmer deutlich über sein aus § 495 Abs. 1 BGB folgendes Widerrufsrecht nach Maßgabe des bis zum 10. Juni 2010 geltenden Rechts zu belehren, ist keine Dauerverpflichtung, die ab dem Vertragsschluss als Verpflichtung zur Nachbelehrung gleichsam ständig neu entstünde. Mit der Präzisierung der Modalitäten einer Nachbelehrung im Zuge der Einführung des § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB in der Fassung des OLG-Vertretungsänderungsgesetzes vom 23. Juli 2002 (BGBl. I S. 2850) wollte der Gesetzgeber vielmehr befürchtete Härten für die Unternehmer aus der zeitgleichen Einführung des § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB kompensieren (Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 19).
III.
Das Berufungsurteil unterliegt der Aufhebung (§ 562 ZPO). Der Senat, der der dem Tatrichter obliegenden Würdigung der konkreten Umstände nach § 242 BGB nicht vorgreifen kann (st. Rspr., vgl. zuletzt nur Senatsurteile vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 393/16, WM 2017, 2247 Rn. 11, vom 3. Juli 2018 - XI ZR 702/16, WM 2018, 1601 Rn. 16, vom 24. Juli 2018 - XI ZR 305/16, juris Rn. 19 und vom 11. September 2018 - XI ZR 125/17, n.n.v., Rn. 35), verweist die Sache daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 ZPO).
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