Entscheidungsdatum: 22.01.2013
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17. Oktober 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 23. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Streitwert: 215.643,43 €.
I.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie der beklagten Sparkasse nicht zum Ausgleich eines (kausalen negativen) Saldos nach Beendigung eines Kontokorrents aufgrund Girovertrags verpflichtet sei.
Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten ein Girokonto, über das sie neben "privaten" (gemeint wohl: der privaten Lebensführung gewidmeten) Einnahmen und Ausgaben über Jahre hinweg auch Devisenoptionsgeschäfte abwickelte. Bei der Durchführung dieser Geschäfte, bei denen es sich der Sache nach um Wechselkurswetten mit der Beklagten auf das Verhältnis des Euro zum japanischen Yen handelte, ließ sich die Klägerin durch ihren Onkel, früher zeitweilig Kursmakler an der Frankfurter Wertpapierbörse, vertreten.
Da die Klägerin nicht bereit war, der Forderung der Beklagten nach der Erhöhung von Sicherheiten zu entsprechen, kündigte die Beklagte die "Geschäftsverbindung" mit Schreiben vom 23. Januar 2009 fristlos und rechnete zu ihren Gunsten 215.643,43 € ab. Die Klägerin focht die Devisenoptionsgeschäfte wegen arglistiger Täuschung über die Risiken der Geschäfte an.
Ihre mit Gegenansprüchen begründete negative Feststellungsklage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch der Klägerin aus Leistungskondiktion gegen den Anspruch der Beklagten aus kausalem Saldo gemäß § 355 Abs. 3 HGB bestehe nicht, weil in einer von der Klägerin behaupteten unzureichenden Risikoaufklärung durch die Beklagte keine arglistige Täuschung liege. Außerdem sei wohl die Frist für die Anfechtung "der meisten Geschäfte abgelaufen". Einen Anspruch auf Schadenersatz unter dem Gesichtspunkt einer Beratungspflichtverletzung habe die Klägerin - das Zustandekommen von Beratungsverträgen und eine Beratungspflichtverletzung mangels hinreichender Risikoaufklärung dahingestellt - nicht substantiiert dargelegt, weil sie nicht den Verlauf sämtlicher Devisenoptionsgeschäfte nachgezeichnet, sondern sich im Wesentlichen auf eine (für sich ebenfalls nicht vollständige) Darstellung der für sie mit Verlusten verbundenen Geschäfte beschränkt habe. Ansprüche wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung aus dem Gesichtspunkt einer durchgängig auf eine unzureichende Vergütung der Klägerin zielenden Geschäftsgestaltung schieden aus, weil die Entgelte frei vereinbart worden seien.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
1. Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f. und vom 9. Februar 2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515, 516). Aus demselben Grund ist es gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 60, 247, 249; 65, 293, 295; 70, 288, 293; 83, 24, 35). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus (vgl. BVerfGE 22, 267, 274; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 79, 51, 61; 86, 133, 145 f.; 96, 205, 216 f.). Überspannt das Gericht offenkundig Anforderungen an die Substantiierung und versäumt es deshalb, entscheidungserheblichen Sachvortrag in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen, ist der verfassungsrechtlich verbürgte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs evident verletzt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 - VIII ZR 124/11, WuM 2012, 311 Rn. 5).
b) Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die prozessuale Darlegungslast der Klägerin in einem nach Art. 103 Abs. 1 GG relevanten Maße verfehlt:
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts oblag es nicht der Klägerin, sondern zunächst der Beklagten als Anspruchstellerin des vom Berufungsgericht als kausale Saldoforderung nach § 355 Abs. 3 HGB (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 1967 - II ZR 46/65, BGHZ 49, 24, 26; Urteil vom 4. Juli 1985 - IX ZR 135/84, WM 1985, 969, 971 f.; Oetker/Maultzsch, HGB, 2. Aufl., § 355 Rn. 84) erkannten Anspruchs, zu den in den Saldo eingestellten Aktiv- und Passivposten konkret vorzutragen. Sie konnte sich dabei entweder darauf beschränken, das letzte Saldoanerkenntnis und etwaige danach eingetretene Änderungen des Saldos substantiiert darzutun oder, sofern sie diesen Weg nicht gehen konnte oder wollte (etwa weil es zu einem bestätigten Rechnungsabschluss nicht gekommen oder ein solcher nicht zu beweisen war), die in das Kontokorrent eingestellten Einzelforderungen darlegen. Dabei hatte sie unter Einschluss aller von ihr akzeptierten Passivposten so vorzutragen, dass das Gericht die eingeklagte Saldoforderung rechnerisch nachvollziehen und überprüfen konnte (Senatsurteile vom 18. Dezember 2001 - XI ZR 360/00, WM 2002, 281, 282 und vom 28. Mai 1991 - XI ZR 214/90, WM 1991, 1294, 1295; BGH, Urteil vom 2. November 1967 - II ZR 46/65, BGHZ 49, 24, 26 f.; Urteil vom 5. Mai 1983 - III ZR 187/81, WM 1983, 704, 705). Die Umkehr der Parteirollen bei der negativen Feststellungsklage war auf die Darlegungs- und Beweislastverteilung gemäß dieser Grundsätze ohne Einfluss (Senatsurteil vom 17. Juli 2012 - XI ZR 198/11, NJW 2012, 3294 Rn. 35).
bb) Entsprechenden Vortrag hat die Beklagte nicht gehalten, sondern in erster Instanz zunächst lediglich in Aussicht gestellt. Die Angabe des Berufungsgerichts, die Höhe des Saldos stehe nicht in Streit, steht in Widerspruch zu den vom Berufungsgericht ebenfalls umfänglich festgestellten Einwendungen der Klägerin und ist nur so zu verstehen, die Klägerin habe die rechnerische Richtigkeit des Saldos akzeptiert. Mangels einer schlüssigen Darlegung der in Streit stehenden Forderung aus § 355 Abs. 3 HGB kam es auf die Erheblichkeit der Einwendungen der Klägerin gar nicht an, so dass das Berufungsgericht nicht unter Verweis auf die mangelnde Substanz des klägerischen Vortrags entscheiden durfte.
cc) Darüber hinaus geht das Berufungsgericht in der Annahme fehl, es habe der Klägerin oblegen, zum Umfang der von ihr mit Gewinn durchgeführten Devisenoptionsgeschäfte vorzutragen. Bei den von der Klägerin getätigten Geschäften handelte es sich - die übrigen Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs mangels anderer Feststellungen des Berufungsgerichts als gegeben unterstellt - um selbständige Schadensereignisse, die auch durch die Gleichförmigkeit einer möglichen (Aufklärungs-)Pflichtverletzung seitens der Beklagten nicht zu einem einzigen Schadensereignis verbunden wurden. Entsprechend war bei der Bemessung des aus jedem Schadensereignis resultierenden Vermögensschadens mittels der Differenzhypothese nur die tatsächliche Güterlage mit der im gedachten Falle eines Absehens vom konkreten Geschäft zu vergleichen und von der Klägerin darzulegen. Bei der Ermittlung des negativen Interesses beachtlich waren lediglich die im Zuge von Verlustgeschäften erlangten Prämien. Gewinne aus sonstigen Geschäften waren weder bei der Schadensberechnung nach der Differenzhypothese zu berücksichtigen noch im Zuge einer - von der Beklagten darzulegenden und zu beweisenden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2010 - III ZR 336/08, BGHZ 186, 205 Rn. 45) - Vorteilsausgleichung in Ansatz zu bringen, weil es an einem kongruenten Vorteil fehlte (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 1997 - V ZR 115/96, BGHZ 136, 52, 54 f.).
c) Das angefochtene Urteil beruht auf dem in der Überspannung von Substantiierungsanforderungen liegenden Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast die richtigen Maßstäbe angelegt hätte.
2. Im weiteren Verfahren wird zu beachten sein, dass die Einwände der Klägerin gegen die Einstellung von Ansprüchen der Beklagten aus Devisenoptionsgeschäften in das Kontokorrent keine Aufrechnung mit Gegenansprüchen aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB oder § 280 BGB zum Gegenstand hatten. Die Einstellung in das Kontokorrent erfolgte im Wege der Belastungsbuchung. Eine Belastungsbuchung auf einem Girokonto ist ein bloßer Realakt mit rein deklaratorischer Wirkung (Senatsurteile vom 11. Oktober 1988 - XI ZR 67/88, BGHZ 105, 263, 269 f. und vom 18. April 1989 - XI ZR 133/88, BGHZ 107, 192, 197; außerdem BGH, Urteil vom 7. März 2002 - IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122, 128; Mayen in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 47 Rn. 51). Besteht die angebliche Forderung nicht, ist die Belastungsbuchung unwirksam (Mayen aaO) und der kausale Saldo ohne weiteres um diesen Betrag reduziert. Das gilt auch, soweit der Anspruchsgegner - hier die Klägerin - einen untechnisch auf "Freistellung" gerichteten Schadenersatzanspruch gegen den Anspruchsteller geltend macht (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - IX ZR 135/08, WM 2009, 1818 Rn. 3).
Sollte die Beklagte ein abstraktes Saldoanerkenntnis dartun und beweisen, sind die dieses Saldoanerkenntnis betreffenden Einwendungen der Klägerin nach Maßgabe des § 821 BGB relevant (näher Oetker/Maultzsch, HGB, 2. Aufl., § 355 Rn. 77; MünchKommHGB/Langenbucher, 2. Aufl., § 355 Rn. 105).
Bei der Prüfung einer Haftung der Beklagten aufgrund unzureichender Aufklärung über die Eigenart und Risiken der Devisenoptionsgeschäfte wird das Berufungsgericht sich nach Maßgabe der Rechtsprechung des Senats (Senatsurteil vom 28. September 2004 - XI ZR 259/03, WM 2004, 2205, 2206 f. mwN) mit dem Vorbringen der Parteien zur Aufklärungsbedürftigkeit der Klägerin bzw. ihres Vertreters zu befassen haben. Im Übrigen wird es dem in Anlehnung an die Rechtsprechung des Senats zur Haftung eines außerhalb des banküblichen Effektenhandels tätigen gewerblichen Vermittlers von Terminoptionen, der von vornherein chancenlose Geschäfte zum ausschließlich eigenen Vorteil vertreibt (vgl. Senatsurteile vom 9. März 2010 - XI ZR 93/09, BGHZ 184, 365 Rn. 25 f., vom 8. Juni 2010 - XI ZR 349/08, WM 2010, 2025 Rn. 41, vom 13. Juli 2010 - XI ZR 57/08, ZIP 2010, 2004 Rn. 37 und - XI ZR 28/09, WM 2010, 1590 Rn. 39, vom 12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, WM 2010, 2214 Rn. 40 und vom 25. Januar 2011 - XI ZR 195/08, WM 2011, 543 Rn. 21 mwN), gehaltenen Vortrag der Klägerin zu einer sittenwidrigen Übervorteilung durch die Beklagte unter dem Gesichtspunkt einer Nichtigkeit der von den Parteien getätigten Devisenoptionsgeschäfte nach § 138 Abs. 2 BGB nachzugehen haben.
Wiechers Joeres Ellenberger
Matthias Menges