Entscheidungsdatum: 16.10.2018
Zur Verwirkung des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehensverträgen.
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 9. Januar 2018 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht zum Nachteil der Klägerin erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Parteien streiten in dritter Instanz noch um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss eines im Jahr 2004 geschlossenen Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen der Beklagten.
Die Parteien schlossen im Oktober 2004 einen Darlehensvertrag über 12.500 € mit einem bis zum 31. August 2013 festen Nominalzinssatz von 5,16% p.a. Zur Sicherung der Ansprüche der Klägerin dienten Grundpfandrechte. Bei Abschluss des Darlehensvertrags belehrte die Klägerin die Beklagten über ihr Widerrufsrecht wie folgt:
Die Beklagten erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen. Nach Ablauf der Zinsbindungsfrist lösten sie das Darlehen zum 31. August 2013 ab. Die Klägerin gab die Sicherheiten frei. Unter dem 18. Dezember 2015 widerriefen die Beklagten durch ihren vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten ihre auf Abschluss dieses und eines im November 2002 geschlossenen Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen. Zugleich erklärten sie gegenüber Ansprüchen der Klägerin aus dem Rückgewährschuldverhältnis die Aufrechnung mit eigenen (nach ihren Berechnungen) niedrigeren Ansprüchen. Die Klägerin wies den Widerruf mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 zurück. Der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten bekräftigte daraufhin mit Schreiben vom 4. Januar 2016 deren Rechtsauffassung, mangels ordnungsgemäßer Belehrung seien die auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen der Beklagten noch widerruflich gewesen. Zugleich setzte er der Klägerin eine Frist bis zum 15. Januar 2016, den mit Schreiben vom 18. Dezember 2015 "vorgetragenen Forderungen unserer Mandanten zu entsprechen". An die Erledigung erinnerte er mit E-Mail vom 2. Februar 2016 und verlängerte die Frist bis zum 15. Februar 2016. Die Klägerin teilte daraufhin mit E-Mail vom 4. Februar 2016 mit, sie werde den "von Ihnen geforderten Ansprüchen […] nicht entsprechen". Darauf reagierten die Beklagten vor Klageerhebung nicht mehr.
Die Klage der Klägerin auf Feststellung, dass die Darlehensverträge durch den Widerruf der Beklagten vom 18. Dezember 2015 nicht in Rückgewährschuldverhältnisse umgewandelt worden seien, sondern wirksam fortbestünden, hat das Landgericht abgewiesen. Der dagegen gerichteten Berufung hat das Berufungsgericht den Darlehensvertrag von November 2002 betreffend stattgegeben. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie ihren Antrag auf Feststellung weiterverfolgt, dass sich der im Oktober 2004 geschlossene Darlehensvertrag durch den Widerruf der Beklagten vom 18. Dezember 2015 nicht in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt habe.
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht (OLG Karlsruhe, WM 2018, 622 ff.) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Die negative Feststellungsklage sei zulässig. Sie sei allerdings, soweit der Darlehensvertrag von Oktober 2004 in Rede stehe, unbegründet. Die Klägerin habe die Beklagten bei Vertragsschluss unzureichend deutlich über das ihnen zukommende Widerrufsrecht belehrt, ohne dass sie sich auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung berufen könne.
Das Widerrufsrecht der Beklagten sei nicht verwirkt. Als einziger Umstand, der das Vertrauen der Klägerin habe begründen können, dass die Beklagten nicht mehr widerriefen, könne die einvernehmliche Ablösung des Darlehens gelten. Dies genüge auch bei einer Wechselwirkung von Zeitmoment - elf Jahre und neun Monate zwischen Vertragsschluss und Widerruf - und Umstandsmoment nicht, um eine Verwirkung zu bejahen. Sonstige Umstände lägen nicht vor. Die Verwendung der "zurückgeflossenen Gelder" sei kein vertrauensbegründender Umstand, der zur einvernehmlichen Beendigung des Darlehensvertrags hinzutrete. Die Freigabe von Sicherheiten könne ebenfalls keine geeignete Vertrauensinvestition sein. Die Beklagten hätten das Widerrufsrecht auch nicht sonst rechtsmissbräuchlich ausgeübt.
II.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Im Ergebnis zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, die Ansprüche der Beklagten aus einem Rückgewährschuldverhältnis leugnende Feststellungsklage sei zulässig.
Der Feststellungsantrag, den der Senat selbst auslegen kann, ist dahin zu verstehen, die klagende Bank bestreite Ansprüche der beklagten Darlehensnehmer aus einem aufgrund des Widerrufs vom 18. Dezember 2015 bestehenden Rückgewährschuldverhältnis nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung (künftig: aF) in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB. Die Beklagten berühmen sich solcher Ansprüche, so dass ein Feststellungsinteresse der Klägerin besteht.
2. Das Berufungsgericht ist weiter richtig davon ausgegangen, die Klägerin habe die Beklagten auf der Grundlage des nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, § 32 Abs. 1, § 38 Abs. 1 EGBGB maßgeblichen Rechts unzureichend deutlich über das ihnen zustehende Widerrufsrecht nach § 495 Abs. 1 BGB belehrt (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 17 ff., 20 ff. und vom 7. November 2017 - XI ZR 369/16, WM 2018, 45 Rn. 15). Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gemäß Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der hier maßgeblichen, bis zum 7. Dezember 2004 geltenden Fassung kann sich die Klägerin, wie der Senat für eine insoweit inhaltsgleiche Widerrufsbelehrung bereits entschieden hat (Senatsurteil vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, BGHZ 212, 207 Rn. 26 f.), nicht berufen.
3. Freilich weisen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Anwendung des § 242 BGB revisionsrechtlich erhebliche Rechtsfehler auf. Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung der Frage, ob das Widerrufsrecht der Beklagten verwirkt sei, revisionsrechtlich beachtlich wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen.
a) Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zeit- und Umstandsmoment können nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden (Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 393/16, WM 2017, 2247 Rn. 9; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 9). Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles, ohne dass insofern auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 40 und - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 37, vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, BGHZ 212, 207 Rn. 30, vom 21. Februar 2017 - XI ZR 185/16, BGHZ 214, 94 Rn. 33 sowie vom 14. März 2017 - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018, aaO). Die Bewertung des Tatrichters kann in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, aaO, Rn. 18 und - XI ZR 564/15, aaO, Rn. 43; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018, aaO).
b) Das Berufungsgericht hat zulasten der Klägerin erhebliche Gesichtspunkte bei der Prüfung der Verwirkung unberücksichtigt gelassen.
Dass die Klägerin mit Leistungen der Beklagten nach Beendigung des Darlehensvertrags gearbeitet hat, ist ein Umstand, der bei der Entscheidung über die Verwirkung des Widerrufsrechts veranschlagt werden kann (Senatsbeschluss vom 5. Juni 2018 - XI ZR 577/16, juris Rn. 4). Das Berufungsgericht, das gemeint hat, die "Weiterverwendung der zurückgeflossenen Gelder" sei generell "kein vertrauensbegründender Umstand, der zur einvernehmlichen Darlehensablösung" hinzutrete, hat ihn bei der Prüfung der Verwirkung des Widerrufsrechts nicht wie geboten mit in den Blick genommen.
Entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts, das die Würdigung dieses Umstands bei der Prüfung der Verwirkung kategorisch ausgeschlossen hat, ist überdies die Tatsache, dass der Darlehensgeber Sicherheiten freigegeben hat, ein Aspekt, den der Tatrichter bei der Prüfung des Umstandsmoments berücksichtigen kann. Dem steht nicht entgegen, dass der Darlehensgeber nach Beendigung des Darlehensvertrags und vollständiger Erfüllung der aus dem unwiderrufenen Darlehensvertrag resultierenden Pflichten des Darlehensnehmers die Sicherheiten ohnehin freizugeben hätte. Vom Darlehensgeber bestellte Sicherheiten sichern regelmäßig auch Ansprüche aus einem Rückgewährschuldverhältnis nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB. Dem Rückgewähranspruch des Darlehensnehmers aus der Sicherungsabrede haftet die für den Fall des Widerrufs auflösende Rechtsbedingung einer Revalutierung an. Beendet der Darlehensgeber trotz der Möglichkeit der Revalutierung durch Rückgewähr der Sicherheit den Sicherungsvertrag, kann darin die Ausübung beachtlichen Vertrauens im Sinne des § 242 BGB liegen (Senatsurteil vom 11. September 2018 - XI ZR 125/17, n.n.v., Rn. 34; Senatsbeschlüsse vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 20 und vom 7. März 2018 - XI ZR 298/17, juris).
III.
Das Berufungsurteil unterliegt der Aufhebung, soweit zum Nachteil der Klägerin erkannt ist (§ 562 ZPO). Der Senat, der der dem Tatrichter obliegenden Würdigung der konkreten Umstände nach § 242 BGB nicht vorgreifen kann (st. Rspr., vgl. zuletzt nur Senatsurteile vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 393/16,
WM 2017, 2247 Rn. 11, vom 3. Juli 2018 - XI ZR 702/16, WM 2018, 1601 Rn. 16, vom 24. Juli 2018 - XI ZR 305/16, juris Rn. 19 und vom 11. September 2018 - XI ZR 125/17, n.n.v., Rn. 35), verweist die Sache daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 ZPO).
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