Entscheidungsdatum: 17.09.2013
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 28. September 2012 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: bis 80.000 €
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Beratungspflichtverletzung auf Rückabwicklung einer Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds in Anspruch.
Der Kläger, ein Diplom-Kaufmann und damals als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater tätig, zeichnete Ende 1995 nach Beratung durch die Beklagte, die eine dem Kläger verheimlichte Rückvergütung vereinnahmte, eine Beteiligung an der R. GbR (künftig: Fondsgesellschaft) über 100.000 DM zuzüglich eines Agios in Höhe von 5% der Beteiligungssumme. Zweck der Fondsgesellschaft war die Errichtung und Vermietung von Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus in Berlin. In dem Fondsprospekt, der ihm vorab zur Verfügung gestellt worden war, heißt es unter anderem:
"Die Förderungsmittel für das Bauvorhaben sind am 30.3.1995 bewilligt worden. Die Förderung wird durch öffentlich-rechtlichen Verwaltungsakt zunächst für 15 Jahre verbindlich zugesagt.
Für die Zeit 'danach' ist von einer Anschlussförderung auszugehen. Im Amtsblatt von Berlin vom 30.12.1993 (1993 S. 3922 ff.) sind die Richtlinien über die Anschlussförderung von Sozialwohnungen der Wohnungsbauprogramme 1977-1981 (AnschlussförderungsRL) veröffentlicht. Damit wird die Anschlussförderung fortgeführt, die schon für die Wohnungsbauprogramme 1972-1976 ausgesprochen worden war […]
Rechtsgrundlage der Anschlussförderung ist § 1 des II. Wohnungsbaugesetzes […] Die Förderungssätze sind nach §§ 43, 46 II. WoBauG so zu bemessen, dass die Wohnungen nach Mieten oder Belastungen für die breiten Schichten des Volkes geeignet sind. Soweit die sich danach ergebende Miete oder Belastung für den Wohnungsinhaber im Einzelfall nicht tragbar ist, wird ihm Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz gewährt.
Unter dieser Voraussetzung besteht kein Anspruch auf eine Anschlussförderung. Sie wird dann nicht gewährt werden, wenn den Mietern die Bezahlung der Kostenmiete ohne Förderung zugemutet werden kann, z.B. gemessen an den wirtschaftlichen Verhältnissen und der Lage der Wohnung.
[…]
Schlussfolgerung:
Mit dieser Regelung ist sichergestellt, dass die Mieten im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau für breite Schichten der Bevölkerung erschwinglich bleiben. […]
[…]
Risiken:
Die öffentlichen Förderungsmittel (Aufwendungszuschuss und Aufwendungsdarlehen) sind bewilligt. Die Mittel werden unabhängig von der Vermietung ausgezahlt. Für den Fall, dass die Förderungsbestimmungen verletzt werden oder bei Zahlungsunfähigkeit des Staates wäre ein Wegfall der Mittel denkbar. […]".
Der Berliner Senat entschied im Jahr 2003, eine Anschlussförderung nicht zu gewähren. Die Fondsgesellschaft geriet daraufhin in wirtschaftliche Schwierigkeiten.
Die vom Kläger mit dem Ziel einer Leistung von Schadenersatz Zug um Zug gegen Übertragung der von ihm gehaltenen Anteile, auf Freistellung und auf Feststellung erhobene Klage hat das Landgericht nach Vernehmung des Klägers als Partei abgewiesen.
Zur Begründung hat es - soweit hier relevant - ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Beklagte eine aus dem Beratungsvertrag resultierende Pflicht dadurch verletzt habe, dass sie den Kläger nicht hinreichend darüber aufgeklärt habe, eine Anschlussförderung sei von einer entsprechenden politischen Entscheidung des Berliner Senats abhängig. Denn insofern sei auf der Grundlage des Beweisergebnisses die für den Kläger streitende Vermutung, dass er sich bei zutreffender Beratung gegen die Beteiligung entschieden hätte, widerlegt. Der Kläger habe in erster Linie Steuern sparen wollen. Diesen Effekt habe er in der ersten Förderungsperiode in vollem Umfang erzielen können. Ein Ausbleiben der Anschlussförderung habe aus der damaligen Sicht nicht notwendigerweise zu einem Verlust oder einer Reduzierung der Rendite führen müssen. Der Kläger habe bereits vor dem Gespräch mit dem Mitarbeiter der Beklagten und unabhängig von den Hinweisen in dem Fondsprospekt Interesse an einer Investition in den Berliner Immobilienmarkt gehabt. Dass dieses Interesse entscheidend von einem rechtlich gesicherten Anspruch auf eine durchgängige staatliche Subvention abhängig gewesen sei, sei sehr unwahrscheinlich, da der Kläger anlässlich seiner Vernehmung als Partei bekundet habe, diesen Gesichtspunkt mit dem Mitarbeiter der Beklagten nicht erörtert zu haben. Aufgrund der Angaben des Klägers im Zuge seiner Parteivernehmung sei auch der klägerische Vortrag widerlegt, ihm sei die Anlage von einer weiteren Mitarbeiterin der Beklagten, mit der er tatsächlich nie gesprochen habe, als absolut sicher angepriesen worden. Gleichfalls widerlegt sei die Ursächlichkeit des Verschweigens von Rückvergütungen für die Anlageentscheidung.
Der dagegen gerichteten Berufung hat das Berufungsgericht teilweise stattgegeben. Zwar treffe es zu, dass die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens widerlegt sei, soweit die Beklagte den Kläger nicht über von ihr vereinnahmte Rückvergütungen unterrichtet habe. Soweit die Beklagte aber unzureichend über die Unsicherheiten bei der Gewährung der Anschlussförderung aufgeklärt habe, gelte dies nicht. So sei es bei einem zutreffenden Hinweis auf die rechtliche Ungewissheit der Anschlussförderung für einen durchschnittlichen Anlageinteressenten durchaus vernünftig gewesen, nicht in dieses Vorhaben zu investieren. Der Anleger habe unabhängig von der Anschlussförderung zwar Steuern sparen können. Er habe aber riskiert, dass der Fonds bei Ausbleiben der Anschlussförderung nach 15 Jahren insolvent werde und damit das investierte Kapital verloren sei, denn die Anschlussförderung sei ein für die Rentabilität des Fonds wesentlicher Umstand gewesen. Der Anspruch des Klägers sei nicht verjährt, weil die Verjährungsfrist erst im Jahr 2007 angelaufen sei und die Erhebung der im Dezember 2009 anhängig gemachten Klage im Januar 2010 noch hemmende Wirkung entfaltet habe. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Soweit das Berufungsgericht gegen die Beklagte erkannt hat, ist die Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f. und vom 9. Februar 2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515, 516). Aus demselben Grund ist es gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, zwischen der Beklagten und dem Kläger sei ein Beratungsvertrag zustande gekommen, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Kläger über die Risiken der Anlage aufzuklären. Weiter hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, die Beklagte habe den unrichtigen Eindruck erweckt, die staatliche Förderung sei für den gesamten für die Anlage relevanten Zeitraum rechtlich gesichert (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2009 II ZR 241/08, DStR 2009, 2610).
2. Das Berufungsurteil verletzt jedoch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), weil es eine Beweislastentscheidung zu ihrem Nachteil getroffen hat, ohne die in erster Instanz durchgeführte Vernehmung des Klägers als Partei - wie nach § 529 Abs. 1 Nr. 1, §§ 451, 398 Abs. 1 ZPO erforderlich - zu wiederholen.
a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist aber eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1487; BGH, Beschluss vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5). Insbesondere muss das Berufungsgericht einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals gemäß § 398 Abs. 1 ZPO vernehmen, wenn es dessen Aussage anders würdigen will als die Vorinstanz (Senatsurteile vom 9. Februar 2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515 und vom 28. November 1995 - XI ZR 37/95, WM 1996, 196, 198; BGH, Urteil vom 8. Dezember 1999 - VIII ZR 340/98, NJW 2000, 1199, 1200). Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit der Aussage betreffen (BGH, Urteil vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285, 3286; Urteil vom 10. März 1998 - VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223). Diese Grundsätze gelten nach § 451 ZPO für die Parteivernehmung entsprechend. Auch von der Würdigung der Aussage der Partei darf das Rechtsmittelgericht nicht abweichen, ohne die Partei erneut vernommen zu haben (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 1981 II ZR 11/81, VersR 1981, 1175, 1176; Urteil vom 16. Juli 1998 I ZR 32/96, NJW 1999, 363, 364). Trägt das Berufungsgericht dem nicht Rechnung, liegt darin ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
Das Landgericht hat auf der Grundlage eines erheblichen Beweisangebots der Beklagten gemäß seinem persönlichen Eindruck anlässlich der Vernehmung des Klägers als Partei und aufgrund der sonst von ihm gewürdigten Umstände die Überzeugung gewonnen, dem Kläger, dem es um die Ersparnis von Steuern gegangen sei, sei es unwichtig gewesen, ob eine Anschlussförderung gewährleistet sei oder nicht. Dieses Beweisergebnis hat das Berufungsgericht mit der Erwägung in Zweifel gezogen, es sei "für einen durchschnittlichen Anlageinteressenten durchaus vernünftig" gewesen, "nicht in dieses Vorhaben zu investieren". Es hat damit in der Sache nicht (bloß) einen falschen Maßstab angelegt und bei der Beurteilung der Frage, ob die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens widerlegt sei, anstelle einer konkreten Betrachtung der Motivation des Klägers auf den "durchschnittlichen Anleger" abgestellt. Vielmehr hat das Berufungsgericht - wie aus dem Zitat des Urteils des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. März 2010 (II ZR 203/08, juris Rn. 24, 28) und aus der Entscheidung zur Ursächlichkeit des Verschweigens der Rückvergütung für die Anlageentscheidung des Klägers mittels des Verweises auf die Überlegungen des Landgerichts hervorgeht - zwar die Perspektive des Klägers eingenommen, dann aber dessen mutmaßliche Entscheidung anders eingeschätzt. Daran war es ohne erneute Vernehmung des Klägers als Partei gehindert. Da es eine Beweislastentscheidung getroffen hat, war sein Vorgehen auch nicht von § 445 Abs. 2 ZPO gedeckt.
c) Das Berufungsurteil beruht auf der Gehörsverletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (vgl. BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 65, 305, 308; 89, 381, 392 f.). Dies ist der Fall, weil die Beklagte den Nachweis einer mangelnden Kausalität der vom Berufungsgericht festgestellten Aufklärungspflichtverletzung mit dem von ihr angebotenen Beweismittel möglicherweise auch in zweiter Instanz geführt hätte.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
1. Das Berufungsgericht wird, sofern es nach erneuter Vernehmung des Klägers als Partei die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens weiterhin nicht als widerlegt ansehen sollte, der Frage nachzugehen haben, ob die Beklagte, was Voraussetzung ihrer Haftung nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, ein Verschulden trifft. Das Verschulden wird nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet. Zur Widerlegung der Vermutung reicht ein Rechtsirrtum der Beklagten über die Verbindlichkeit der Anschlussförderung nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2010 II ZR 66/08, WM 2010, 972 Rn. 25 ff.).
2. Sollte das Berufungsgericht die Kausalität und ein Verschulden der Beklagten bejahen, wird es sich mit der von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung zu befassen haben. Dabei wird es zu beachten haben, dass für den Beginn der Verjährung maßgeblich ist, wann der Kläger von dem Beschluss des Berliner Senats vom 4. Februar 2003, von einer Anschlussförderung abzusehen, Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte Kenntnis erlangen müssen (vgl. BGH, Urteile vom 17. Mai 2011 - II ZR 202/09, AG 2011, 554 Rn. 29 und - II ZR 123/09, juris Rn. 30). Auf das Kennen oder Kennenkönnen (erst) der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Mai 2006 (BVerwGE 126, 33 ff.) oder des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Januar 2007 (1 BvR 2078/06, n.v.) kommt es für den Beginn der Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht an. Eindeutige Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nach dieser Maßgabe wird das Berufungsgericht nachzuholen haben.
IV.
Bei der Bemessung des Streitwerts waren Zinsen und vorprozessuale Anwaltskosten als Streitwert erhöhender Hauptanspruch zu berücksichtigen, soweit die Hauptforderung nicht mehr Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens war (BGH, Beschluss vom 4. April 2012 - IV ZB 19/11, MDR 2012, 738 Rn. 5).
Wiechers Grüneberg Maihold
Pamp Menges