Entscheidungsdatum: 22.09.2015
Werden an dem Entwurf einer Rechtsmittelschrift nach der Durchsicht durch den Rechtsanwalt noch eigenmächtig Korrekturen durch das Büropersonal vorgenommen, muss der Rechtsanwalt dafür Sorge tragen, dass ihm der korrigierte Schriftsatz nebst Anlagen grundsätzlich erneut zur Kontrolle vorgelegt wird.
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 3. Februar 2015 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert beträgt bis zu 30.000 €.
I.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 7. März 2014, laut Empfangsbekenntnis zugestellt am 24. März 2014, der Klage des Klägers gegen die beklagte Bank auf Rückabwicklung seiner mit einem Darlehen der Beklagten finanzierten Beteiligung an einem Medienfonds im Wesentlichen stattgegeben und die Hilfswiderklage der Beklagten auf Feststellung der Verpflichtung des Klägers zur Auskehr sämtlicher von ihm im Zusammenhang mit der Beteiligung erzielter Steuervorteile abgewiesen. Hiergegen hat die Beklagte am 24. April 2014 beim Oberlandesgericht Berufung eingelegt. Die Frist zur Berufungsbegründung ist mit Verfügung des Vorsitzenden vom 26. Mai 2014 antragsgemäß bis zum 26. Juni 2014 verlängert worden. Am 26. Juni 2014 ist beim Landgericht per Telefax ein Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Beklagten eingegangen, der ab Seite 2 die (bis auf die fehlende erste Seite vollständige) Berufungsbegründung enthalten hat. Die vorangestellte erste Seite war jedoch bis auf das Datum identisch mit der ersten Seite der erstinstanzlichen Klageerwiderungsschrift, so dass der Schriftsatz als solcher sowohl hinsichtlich der Postanschrift als auch hinsichtlich der aufgedruckten Telefaxnummer an das Landgericht adressiert war. Beim Oberlandesgericht ist der Schriftsatz nach Weiterleitung erst am 27. Juni 2014 eingegangen. Auf den vom Berufungsgericht erteilten Hinweis auf die Fristversäumung hat die Beklagte die vollständige Berufungsbegründung am 15. Juli 2014 eingereicht und zugleich beantragt, ihr gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Beklagte vorgetragen, die zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten, Frau P. , habe - nachdem der zuständige Rechtsanwalt die vollständige Berufungsbegründung unterzeichnet habe - auf der ersten Seite noch eine Korrektur vorgenommen, dann jedoch versehentlich die erste Seite der Klageerwiderung ausgedruckt und dem Schriftsatz vorangestellt. Beim Versenden des Schriftsatzes habe es die Angestellte unterlassen, gesondert zu überprüfen, ob die angegebene Telefaxnummer dem Oberlandesgericht zugeordnet sei. Zudem habe sie anschließend die Begründungsfrist im Fristenkalender ausgetragen, ohne zuvor noch einmal die Daten des Sendeberichts zu kontrollieren.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und deren Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätten weder den Anforderungen an die anwaltliche Fristbehandlung und -kontrolle genügt noch ihren Bürobetrieb so organisiert, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen seien. Nach Aktenlage habe in der Kanzlei keine Weisung bestanden, Schriftsätze von der Bedeutung einer Berufungsbegründung, an denen das Büropersonal nach der abschließenden Unterzeichnung durch den sachbearbeitenden Rechtsanwalt aus eigenem Antrieb noch Änderungen vornehme, vor dem Auslauf erneut dem Rechtsanwalt zur Billigung vorzulegen. Selbst wenn die vorgenommene Korrektur hier nur das Rubrum betroffen haben sollte, könne auch eine solche Änderung im Einzelfall von rechtlicher Bedeutung sein.
Unabhängig davon sei nicht dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich, durch welche konkreten Vorgaben einer (unterstellten) eigenmächtigen Abänderung die gebotenen engen Grenzen gezogen worden seien. Werde dem Büropersonal ausdrücklich oder stillschweigend die Befugnis eingeräumt, nachträglich eine Korrektur am Text einer Rechtsmittelschrift vorzunehmen, sei dies grundsätzlich bedenklich, weil nicht (mehr) gewährleistet sei, dass der Rechtsanwalt mit seiner abschließenden Unterschrift die Verantwortung für den gesamten Schriftsatz übernommen habe. Zu einschlägigen Weisungen, die geeignet sein könnten, diese Bedenken im Streitfall zu zerstreuen, habe die Beklagte nichts vorgetragen.
Eine erneute Vorlage des Schriftsatzes unter Hinweis auf die vermeintlich korrigierte (tatsächlich jedoch vertauschte) erste Seite hätte mutmaßlich zur Folge gehabt, dass dem Rechtsanwalt die Fehler - falsche Adressierung, falscher Antrag - aufgefallen wären; andernfalls hätte in dem Übersehen ein eigenständiges, zurechenbares Anwaltsverschulden gelegen.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig.
Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich. Es liegt weder eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor noch verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281).
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht der Beklagten die begehrte Wiedereinsetzung versagt. Die Beklagte hat die Begründungsfrist nicht unverschuldet versäumt (§ 233 ZPO). Ihre Prozessbevollmächtigten trifft an der Fristversäumnis ein Verschulden, das sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die anwaltlichen Organisationspflichten bei der Anfertigung fristgebundener Schriftsätze nicht überspannt, sondern unter Beachtung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist rechtsfehlerfrei versagt und das Rechtsmittel der Beklagten als unzulässig verworfen.
a) Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierbei hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen (Senatsbeschluss vom 2. Februar 2010 - XI ZB 23/08 und XI ZB 24/08, WM 2010, 567 Rn. 11 mwN; BGH, Beschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 8). Ein Rechtsanwalt darf zwar diverse Bürotätigkeiten an Büroangestellte delegieren, die sich als zuverlässig erwiesen haben. Die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift gehört aber zu den Aufgaben, die der Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu überprüfen. Die Aufgabe darf in einem so gewichtigen Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem Büropersonal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss die Rechtsmittelschrift deswegen vor der Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts, überprüfen (BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 11 mwN). Werden an dem Entwurf einer Rechtsmittelschrift nach der Durchsicht durch den Rechtsanwalt noch eigenmächtig Korrekturen durch das Büropersonal vorgenommen, muss der Rechtsanwalt dafür Sorge tragen, dass ihm der korrigierte Schriftsatz nebst Anlagen grundsätzlich erneut zur Kontrolle vorgelegt wird.
b) Diesen Anforderungen sind die Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht gerecht geworden. Das Berufungsgericht hat zu Recht ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten an der Fristversäumung darin gesehen, dass sie keine ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen dagegen getroffen haben, dass Schriftsätze von der Bedeutung einer Berufungsbegründung nach deren Billigung durch den sachbearbeitenden Rechtsanwalt noch eigenmächtig von deren Büropersonal abgeändert werden, oder für einen solchen Fall nicht dafür Sorge getragen haben, dass dem zuständigen Rechtsanwalt die korrigierte Fassung nochmals zur erneuten Bestätigung vorgelegt wird. Die Beklagte hat etwas anderes weder hinreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht.
aa) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist aus den Ausführungen der Beklagten schon nicht ersichtlich, dass das Büropersonal ihrer Prozessbevollmächtigten - entgegen den Maßgaben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - zu einer eigenmächtigen Abänderung von bereits anwaltlich gebilligten Schriftsätzen von der Bedeutung einer Berufungsbegründung grundsätzlich nicht befugt war. Die generelle Untersagung einer solchen Abänderungsbefugnis ergibt sich nicht aus dem Vorbringen der Beklagten, die Fristversäumnis beruhe auf einem außergewöhnlichen und einmaligen Fehlverhalten der Mitarbeiterin P. , was auch insoweit gelte, als sie "eigenmächtig" die erste Seite der schon fertigen und unterschriebenen Berufungsbegründung wegen eines vermeintlichen Korrekturbedarfs ausgetauscht habe. Daraus folgt zunächst nur, dass die Korrektur des Schriftsatzes nicht aufgrund einer konkreten Einzelweisung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts vorgenommen worden ist; es besagt aber nichts dazu, dass dem Büropersonal eine eigenmächtige Korrektur generell untersagt war. Dass letzteres im Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht völlig unüblich war, ergibt sich dagegen aus der eidesstattlichen Versicherung der Kanzleiangestellten P. , wonach sie dem zuständigen Rechtsanwalt den Vorgang nicht mehr vorgelegt habe, weil sie davon ausgegangen sei, "nur das Rubrum ("wahrscheinlich Schreibung des Namens des Klägers") korrigiert zu haben". Diese Erklärung kann nur dahin verstanden werden, dass sich Frau P. für befugt hielt, gewisse Änderungen eigenmächtig vornehmen zu dürfen.
bb) Soweit dem Büropersonal nach Billigung eines Schriftsatzes durch den sachbearbeitenden Rechtsanwalt Schreibfehler auffallen, muss deren nachträgliche Berichtigung auch noch nachträglich möglich sein. Ob und inwiefern der Rechtsanwalt diese Aufgabe seinem Büropersonal in eigener Verantwortung überlassen kann, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls bei der Korrektur von Schriftsätzen von der Bedeutung einer Rechtsmittelbegründung muss der Rechtsanwalt dafür Sorge tragen, dass ihm im Fall einer erforderlichen Berichtigung der Schriftsatz nochmals zur Kontrolle vorgelegt wird. Dies gilt insbesondere bei Änderungen auf der ersten Seite eines solchen Schriftsatzes, weil bei einer solchen Fehlerkorrektur stets die Gefahr besteht, dass versehentlich oder durch eine Fehlbedienung des Schreibcomputers auch andere Angaben, wie etwa der Briefkopf oder die Telefaxnummer des Gerichts, geändert werden.
Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass eine entsprechende allgemeine Büroanweisung ihrer Prozessbevollmächtigten bestanden hat. Der mit der Rechtsbeschwerde vorgelegte Auszug aus dem Kanzleihandbuch ihrer Prozessbevollmächtigten, wonach bei einem Korrekturerfordernis dem zuständigen Rechtsanwalt der korrigierte Ausdruck des Schriftsatzes nebst Anlagen nochmals vorzulegen ist, bezieht sich nur auf solche Korrekturen, die der Rechtsanwalt in dem ihm zunächst vorgelegten Entwurf selbst angebracht hat, nicht dagegen auf nachträglich von dem Büropersonal eigenmächtig vorgenommene Berichtigungen. Insoweit lassen die allgemeinen Anweisungen die erforderliche Klarheit vermissen. Im Streitfall kommt hinzu, dass auch die Rechtsanwaltsfachangestellte P. - was aus ihrer eidesstattlichen Versicherung hervorgeht - die Anweisung offensichtlich nicht auf von ihr vorgenommene Korrekturen einzelner Schreibfehler bezogen hat.
cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war ein Hinweis des Berufungsgerichts nach § 139 ZPO, dass es den Vortrag der Beklagten als unzureichend ansieht, nicht erforderlich. Dem Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass die Anforderungen der Rechtsprechung erfüllt worden sind, so dass ein Hinweis zur Präzisierung oder Klarstellung einer zuvor bereits vorgetragenen Tatsache nicht veranlasst war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. September 2013 - VI ZB 61/12, NJW-RR 2013, 1467 Rn. 10 und vom 14. Oktober 2014 - XI ZB 13/13, NJW-RR 2015, 624 Rn. 20, jeweils mwN).
c) Die mangelhafte Organisation war für die Fristversäumung ursächlich. Für die Beurteilung, ob ein Organisationsfehler für die Versäumung der Frist ursächlich geworden ist, ist von einem ansonsten pflichtgemäßen Verhalten auszugehen und darf kein weiterer Fehler hinzugedacht werden (BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2012 - II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rn. 14 und vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 14). Hätte in der Kanzlei der Beklagtenvertreter eine umfassende Anordnung zur nochmaligen Kontrolle korrigierter Schriftsätze bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten des zuständigen Rechtsanwalts das fehlerhafte Adressfeld aufgefallen und die Berufungsfrist nicht versäumt worden.
Ellenberger Grüneberg Menges
Derstadt Dauber