Entscheidungsdatum: 11.09.2012
Ist ein Rechtsstreit entgegen § 7 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt worden, können die Parteien jederzeit dessen Fortsetzung verlangen, auch wenn sie zuvor gegen den Aussetzungsbeschluss kein Rechtsmittel eingelegt haben.
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 13. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf bis zu 30.000 € festgesetzt.
I.
1. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit der von ihm am 23. August 2004 gezeichneten Beteiligung an der F. Medienfonds GmbH & Co. KG (im Folgenden: Fonds).
Er stützt sein Klagebegehren zum einen auf eine angebliche Prospektverantwortung der Beklagten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Prospekthaftung im engeren Sinne mit der Begründung, der für die Anlage herausgegebene Prospekt sei inhaltlich aus verschiedenen Gründen falsch. Zum anderen nimmt er die Beklagte als die seine Beteiligung finanzierende Bank in Anspruch mit der Begründung, die Beklagte habe Aufklärungspflichten bei Eingehung des Darlehensvertrages verletzt. Des Weiteren hat er gegenüber der Beklagten den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärung erklärt.
Gesellschaftszweck des Fonds ist die weltweite Entwicklung, (Co-)Produktion, Verwertung und Vermarktung und der Vertrieb von Kino-, TV- und Musikproduktionen sowie anderer audiovisueller Produktionen nebst Nebenrechten. Das Anlagemodell sieht eine obligatorische Fremdfinanzierung jedes Anlegers in Höhe von 45,5% des Beteiligungsbetrages durch die Beklagte vor. Die vom Kläger gezeichnete Anlage entwickelte sich nicht wie prognostiziert. Zum einen blieben die Ausschüttungen hinter den Prognosen zurück. Zum anderen entzog das Finanzamt M. dem Fonds die gewährte steuerliche Anerkennung als Abschreibungsmodell. Der Initiator des Fonds ist wegen der unzutreffenden steuerlichen Gestaltung des Fonds rechtskräftig zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden.
Beim Oberlandesgericht München ist unter dem Aktenzeichen KAP 1/07 ein Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (nachfolgend: KapMuG) durchgeführt worden, gegen dessen Musterentscheid vom 30. Dezember 2011 (BeckRS 2012, 01153) nunmehr ein Rechtsbeschwerdeverfahren beim Bundesgerichtshof unter dem Aktenzeichen II ZB 1/12 anhängig ist. Die Beklagte ist dort Musterbeklagte zu 2). Zu klären sind in diesem Verfahren, soweit es die hiesige Beklagte betrifft, deren Prospektverantwortlichkeit und die Fehlerhaftigkeit des Prospekts.
2. Mit Beschluss vom 19. November 2009 hat das Landgericht das Verfahren nach § 7 KapMuG ausgesetzt. Dagegen haben die Parteien keine Rechtsbehelfe eingelegt. Mit Schriftsatz vom 22. August 2011 hat der Kläger die Fortsetzung des Verfahrens beantragt, weil der Rechtsstreit entscheidungsreif und außerdem eine Aussetzung des Verfahrens nach § 7 KapMuG nicht zulässig gewesen sei. Diesen Antrag hat das Landgericht abgelehnt. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hat das Oberlandesgericht den Beschluss des Landgerichts aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde sei auch gegen den auf § 7 Abs. 1 KapMuG gestützten Aussetzungsbeschluss gemäß §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, weil hier der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 KapMuG nicht eröffnet sei und damit § 7 Abs. 1 Satz 4 KapMuG nicht zur Anwendung komme. Der Aussetzungsbeschluss sei zwar in Rechtskraft erwachsen, weil gegen ihn keine Beschwerde eingelegt worden sei. Hierbei handele es sich aber nur um eine Rechtskraft im formellen Sinne, die das Landgericht nicht hindere, sich mit den für eine Fortsetzung des Verfahrens sprechenden Argumenten des Klägers zu befassen. Dies gelte insbesondere für den Umstand, dass der Kläger seine Ansprüche auch auf eine Verletzung der darlehensvertraglichen Pflichten der Beklagten stütze und deshalb eine Aussetzung des Verfahrens nach § 7 KapMuG unzulässig gewesen sei. Ein Beharren auf der formellen Rechtskraft des - nicht gesetzeskonformen - Aussetzungsbeschlusses würde den hierdurch herbeigeführten Zustand perpetuieren. Im Übrigen sei die Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss gemäß §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und zulässig.
Die Beschwerde sei auch begründet. Die Aussetzung des Verfahrens sei vorliegend unzulässig gewesen, weil die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 KapMuG nicht vorgelegen hätten. Aufgrund dessen bestehe weder für das Ausgangs- noch für das Beschwerdegericht ein Ermessen, ob das Verfahren wieder aufgenommen werde; vielmehr sei dies zwingend. Das Landgericht habe daher über den Antrag des Klägers neu zu entscheiden.
Mit der - vom Beschwerdegericht zugelassenen - Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Aufhebung des Beschlusses des Beschwerdegerichts und die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Klägers gegen die Entscheidung des Landgerichts.
II.
Die statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) ist nicht begründet.
1. Das Beschwerdegericht hat zu Recht die Ablehnung der Verfahrensfortsetzung durch das Landgericht als rechtsfehlerhaft angesehen und dessen Beschluss aufgehoben.
a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Beschwerdegericht zutreffend davon ausgegangen, dass das Landgericht aufgrund des Antrags des Klägers über eine Fortsetzung des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden hat und daran nicht durch die Rechtskraft des Aussetzungsbeschlusses gehindert ist.
Der Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses steht nicht entgegen, dass dieser - mangels Einlegung eines Rechtsbehelfs durch eine der Parteien - rechtskräftig geworden ist. Die dadurch eingetretene Unanfechtbarkeit gilt nur für den Aussetzungsbeschluss selbst, nicht aber für eine Entscheidung des Landgerichts, mit der der Aussetzungsbeschluss aufgehoben wird (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2011 - II ZB 11/10, BGHZ 190, 383 Rn. 6 zur Aufhebbarkeit eines - unanfechtbaren - Vorlagebeschlusses nach § 4 Abs. 1 KapMuG). Dies folgt aus den - mangels spezieller Regelungen im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz - hier anwendbaren §§ 150, 250 ZPO, die die Aufnahme eines ausgesetzten Verfahrens grundsätzlich zulassen und die Entscheidung darüber in das Ermessen des Gerichts stellen, soweit nicht einerseits ein Aussetzungszwang oder andererseits eine Fortsetzungspflicht besteht.
Aufgrund dessen stellt, anders als die Rechtsbeschwerde meint, eine Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses auch keine Umgehung der Frist des § 569 Abs. 1 ZPO dar. Ganz im Gegenteil verlangt das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes die Aufhebung eines entgegen § 7 Abs. 1 KapMuG erlassenen Aussetzungsbeschlusses. Es ist einem Kläger nicht zuzumuten, dass sein wegen Verletzung darlehensvertraglicher Pflichten geführter Prozess ausgesetzt bleibt und er unabsehbare Zeit auf das Ergebnis des Musterverfahrens warten muss, obwohl nicht feststeht, dass es auf den Ausgang des Musterverfahrens in seinem Prozess tatsächlich ankommt. Hinzu kommt, dass der Anleger durch die - gesetzeswidrige - Aussetzung gegebenenfalls erhebliche Rechtsnachteile erleiden kann. Vergehen bis zum Abschluss des Musterverfahrens mehrere Jahre, kann der Kläger in seinem Prozess erhebliche Schwierigkeiten haben, eine Pflichtverletzung der Bank im Zusammenhang mit der Darlehensgewährung beweisen zu können, so wenn Zeugen verstorben sind oder sich wegen Zeitablaufs nicht mehr genau an den Inhalt des Beratungsgesprächs erinnern können (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Juni 2009 - XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 Rn. 15).
b) Nach diesen Maßgaben hat das Beschwerdegericht zu Recht angenommen, dass das Landgericht eine Fortsetzung des Verfahrens nicht hätte ablehnen dürfen, sondern dem Antrag des Klägers hätte entsprechen müssen.
Ein Aussetzungszwang, der die Aufhebung eines Aussetzungsbeschlusses verbieten würde, besteht nicht. Die Aussetzung des Rechtsstreits durch das Landgericht ist fehlerhaft, weil - wie der Senat für den streitgegenständlichen Fonds in einem Parallelfall entschieden und im Einzelnen begründet hat - § 7 KapMuG auf das Streitverhältnis der Parteien insoweit keine Anwendung findet, als Ansprüche aus vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten aus dem Darlehensverhältnis im Streit sind (vgl. Senatsbeschluss vom 30. November 2010 - XI ZB 23/10, WM 2011, 110 Rn. 10 ff.).
Vielmehr ist eine Fortsetzung des Verfahrens geboten. Die Aussetzung nach § 7 Abs. 1 KapMuG ist - wie dargelegt - rechtsfehlerhaft. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil dessen Voraussetzungen - wie der Senat für einen vergleichbaren Fall ebenfalls bereits entschieden und im Einzelnen begründet hat - nicht vorliegen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Juni 2009 - XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 Rn. 18). Andere Aussetzungstatbestände sind nicht ersichtlich.
2. Eine Kostenentscheidung ergeht nicht. Die Kosten des Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig vom Ausgang des Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff. ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 30. November 2010 - XI ZB 23/10, WM 2011, 110 Rn. 18 mwN).
Wiechers Grüneberg Maihold
Pamp Menges