Entscheidungsdatum: 20.07.2010
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 30. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 20. März 2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsbeschwerde trägt die Beklagte.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 62.369,95 €.
I.
Die klagende Bank nimmt die Beklagte auf Rückzahlung eines Darlehens und auf Duldung der Zwangsvollstreckung aus einer Grundschuld in Anspruch.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Endurteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 28. Mai 2008 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 24. Juni 2008 hat dieser Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz beantragt. Mit Beschluss vom 17. Oktober 2008, zugestellt am 28. Oktober 2008, hat das Berufungsgericht dem Antrag stattgegeben und der Beklagten ihren bisherigen Anwalt beigeordnet. Dieser hat am 21. Januar 2009 beantragt, seiner Mandantin "zur Berufungseinlegung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" zu gewähren, und gleichzeitig durch die dem Schriftsatz beigefügte Berufungsbegründung konkludent Berufung gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe die Berufungsbegründung bereits am 17. August 2008 verfasst. Diese und die dazu gehörenden Abschriften seien aber aus Versehen nicht an das Gericht geschickt, sondern mit dem Schriftsatz der Gegenseite vom 4. November 2008 zur Akte gelegt worden. Den Fehler habe er erst am 20. Januar 2009 aufgrund eines telefonischen Hinweises des Landgerichts, wo sich die Akte derzeit befunden habe, bemerkt.
Nachdem das Berufungsgericht den Beklagtenvertreter mit Verfügung vom 28. Januar 2009 darauf hingewiesen hatte, dass der bisherige Vortrag für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233, 236 Abs. 2 ZPO) nicht ausreicht, hat er mit glaubhaft gemachten Schriftsatz vom 2. Februar 2009 weiter vorgetragen, dass er die Berufungsbegründung zusammen mit den Abschriften am 7. November 2008 in den auf seinem Schreibtisch stehenden "Postauslaufsammler" gelegt habe. Die Sekretariatsangestellte sei von ihm angewiesen worden, den "Postauslaufsammler" täglich zu leeren, die dort abgelegten Schriftsätze zu kuvertieren und nach Frankierung zur Post oder im Ausnahmefall direkt zum Gericht zu bringen. Die Bürokraft sei absolut zuverlässig. Dass sie die Berufungsbegründungsschrift nebst Abschriften nicht abgeschickt, sondern versehentlich in die Akte gelegt habe, stelle das erste Fehlverhalten in Fristsachen dar.
Das Berufungsgericht hat den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Da die Beklagte allein durch ihre Mittellosigkeit gehindert gewesen sei, die Berufungsfrist zu wahren, habe die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO spätestens ab Zustellung des Prozesskostenhilfebeschlusses an ihren Anwalt am 28. Oktober 2008 begonnen und am 11. November 2008 geendet (§ 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB). Diese Frist habe der Beklagtenvertreter schuldhaft versäumt. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Berufungsfrist (§ 233 Fall 2, § 234 Abs. 1 ZPO) komme nicht in Betracht, weil ein entsprechender Antrag nicht gestellt worden sei. Dies wäre nur dann unschädlich, wenn der Prozessbevollmächtigte die für eine von Amts wegen vorzunehmende Wiedereinsetzung erforderlichen Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist, die nach dem glaubhaft gemachten Vortrag gemäß § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB am 21. Januar 2009 - das Büroversehen sei erst einen Tag vorher bemerkt worden - begonnen und am 4. Februar 2009 geendet habe (§ 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB), dargelegt hätte. Das sei jedoch nicht der Fall.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müsse der Rechtsanwalt sein Personal anweisen, die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages an Hand des Fristenkalenders zu überprüfen und die Fristen erst dann zu streichen, wenn man sich an Hand der Akte vergewissert habe, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen sei. Dazu, dass der Beklagtenvertreter solche organisatorischen Maßnahmen in seiner Kanzlei getroffen habe, sei indes nichts vorgetragen. Andernfalls hätte die Büroangestellte festgestellt, dass sich der Berufungs- und Berufungsbegründungsschriftsatz nebst Abschriften in der Handakte statt auf dem Postweg befinde.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist statthaft. Auch wenn die Berufung wie hier noch nicht als unzulässig verworfen worden ist, kann gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagenden Beschluss gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Rechtsbeschwerde eingelegt werden (BGH, Beschlüsse vom 10. Oktober 2002 - VII ZB 11/02, BGHZ 152, 195, 197 f. und vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03, NJW-RR 2004, 1150). Die Rechtsbeschwerde ist aber unzulässig, weil entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich ist.
1. Allerdings ist der Rechtsbeschwerde darin zuzustimmen, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Eingreifen des Bundesgerichtshofs erfordert, wenn die angefochtene Entscheidung das Verfahrensgrundrecht einer Partei auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt und darauf beruht (BGHZ 154, 288, 296 zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO; BGHZ 159, 135, 139 f.).
2. Ein Verstoß gegen ein Verfahrensgrundrecht der Beklagten liegt jedoch nicht vor, weil das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht wegen eines der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Organisationsverschuldens ihres Prozessbevollmächtigten abgelehnt hat.
a) Dem Berufungsgericht kann freilich nicht gefolgt werden, soweit es den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist für unzulässig erachtet hat. Zwar hat der Prozessvertreter der Beklagten am 20. Januar 2009 von dem Fehlverhalten seiner Angestellten erfahren und in der damit beginnenden Zweiwochenfrist des § 234 ZPO nicht ausdrücklich beantragt, seiner Mandantin Wiedereinsetzung gegen die Versäumung eines Wiedereinsetzungsantrags zu gewähren. Für einen Antrag gemäß § 236 ZPO reicht es aber aus, dass die Partei - wie die Beklagte mit ihrem Schriftsatz vom 21. Januar 2009 - konkludent zum Ausdruck bringt, dass sie das Verfahren trotz Ablaufs der Frist fortsetzen will (siehe etwa BGHZ 61, 394, 395; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 236 Rn. 4 m.w.N.).
b) Indessen hat das Berufungsgericht bei Anwendung der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden Vorschriften die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um von Amts wegen Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannt.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der auch das Berufungsgericht im Ausgangspunkt ausgeht, gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt in seiner Kanzlei eine zuverlässige Ausgangskontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass die im Kalender vermerkten Fristen grundsätzlich erst dann gestrichen werden oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird, nachdem die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der bestimmende Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, d.h. die Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist (siehe etwa BGH, Beschlüsse vom 9. November 2005 - XII ZB 270/04, FamRZ 2006, 192, vom 10. Dezember 2008 - XII ZB 132/08, juris, Tz. 11 und vom 16. Februar 2010 - VIII ZB 76/09, NJW 2010, 1378, Tz. 7).
bb) Eine solche Ausgangskontrolle gewährleistet die Organisation des Fristenwesens in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht. Vielmehr lässt es der Organisationsablauf dessen eigenen Angaben zufolge zu, dass die im Kalender vermerkten Fristen gestrichen werden, obwohl der bestimmende Schriftsatz noch nicht postfertig gemacht worden ist. Das ist nämlich erst dann der Fall, wenn die mit dem Fristenwesen betraute Angestellte die einzelnen Schriftstücke kuvertiert, frankiert und damit so zur Versendung fertig gemacht hat, dass die Beförderung normalerweise nicht mehr durch ein Versehen verhindert werden kann (BGH, Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00, NJW 2001, 1577, 1578). Das bloße Ablegen der Schriftsätze in dem sogenannten "Postauslaufsammler" stellte daher nicht die "letzte Station" zum Adressaten dar. Zudem wurde die Fehleranfälligkeit der Ausgangskontrolle dadurch erhöht, dass sich in dem "Postauslaufsammler" nach den eigenen Angaben des Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch Schriftsätze der Gegenseite befanden, die lediglich in der jeweiligen Handakte abzuheften waren. Es war somit - wie der vorliegende Streitfall zeigt - nicht sicher ausgeschlossen, dass die Beförderung der Berufungsbegründungsschrift wegen einer Unachtsamkeit der als zuverlässig geltenden Angestellten unterblieb und das auf einem Organisationsverschulden beruhende Fehlverhalten nicht sofort bemerkt wurde.
Wiechers Müller Ellenberger
Maihold Matthias