Entscheidungsdatum: 12.08.2015
1. Ordnet ein Unternehmer ein privat und unternehmerisch (gemischt)genutztes Gebäude in vollem Umfang seinem Unternehmen zu, kann er in vollem Umfang den Vorsteuerabzug aus den Bauerrichtungskosten in Anspruch nehmen und hat für den privat genutzten Gebäudeteil eine unentgeltliche Wertabgabe zu versteuern (sog. Seeling-Rechtsprechung vor Inkrafttreten der Neuregelung in § 15 Abs. 1b UStG).
2. Die Änderung der Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche Wertabgabe in diesen Fällen dahingehend, dass ab dem 1. Juli 2004 10 % der Herstellungskosten des Gebäudes über einen Zeitraum von zehn Jahren zugrunde zu legen sind, ist unionsrechtskonform und verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 29. November 2012 1 K 2535/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
I. Streitig ist die Höhe der Bemessungsgrundlage der für die Jahre 2004 bis 2007 (Streitjahre) anzusetzenden unentgeltlichen Wertabgabe für die Privatnutzung eines dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Rechtsanwalt und Gesellschafter der Rechtsanwalts- und Wirtschaftsprüfungskanzlei. Für die Errichtung eines von ihm (überwiegend) privat genutzten Wohnhauses schloss er im September 2003 einen Generalunternehmervertrag. In seiner im Oktober 2003 abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat September 2003 ordnete er das Gebäude voll seinem Unternehmensvermögen zu und machte in den Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2003 und 2004 den vollen Vorsteuerabzug geltend. Von der Gesamtnutzfläche des Wohnhauses von 410,62 qm sollten --jeweils umsatzsteuerpflichtig-- 19,89 qm Keller an einen Dritten als Archiv sowie ein Drittel der in das Haus integrierten Garage an die Rechtsanwalts- und Wirtschaftsprüfungskanzlei vermietet werden.
Das Gebäude wurde im Juni 2004 fertiggestellt. Die unternehmerische Nutzung des Gebäudes betrug 10,89 % der Gesamtnutzfläche.
Für die Streitjahre 2004 bis 2007 erklärte der Kläger für die Privatnutzung des Hauses eine unentgeltliche Wertabgabe. Als Bemessungsgrundlage der Privatnutzung setzte er in allen Streitjahren auf der Grundlage des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes in der bis einschließlich 30. Juni 2004 geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2003 --StÄndG 2003--) vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645) --UStG a.F.-- 1 % der Herstellungskosten des Gebäudes an. Die Umsatzsteuer wurde zunächst erklärungsgemäß festgesetzt.
Mit Bescheiden für 2005 und 2006 vom 18. November 2008 sowie für 2004 und 2007 vom 7. August 2009 änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Umsatzsteuerfestsetzungen im Hinblick auf die Bemessung der unentgeltlichen Wertabgabe. Der Einspruch des Klägers hatte in der Einspruchsentscheidung vom 14. Juni 2011 nur soweit Erfolg, als bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage der unentgeltlichen Wertabgabe bislang von zu hohen Nettoherstellungskosten ausgegangen worden sei. Anstatt der vom Kläger errechneten Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche Wertabgabe in Höhe von 1.846 € setzte das FA zuletzt einen Betrag für 2004 von 22.125 € und im Übrigen von jährlich 44.251 € an, den es für den Zeitraum ab 1. Juli 2004 unter Heranziehung der neu eingeführten Vorschrift des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften (Richtlinien-Umsetzungsgesetz --EURLUmsG--) vom 9. Dezember 2004 (BGBl I 2004, 3310) ermittelte.
Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobene Klage ab. Es führte im Wesentlichen aus, dass die vom FA (der Höhe nach zutreffend) vorgenommene Berechnung der unentgeltlichen Wertabgabe nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 UStG den unionsrechtlichen Vorgaben entspreche. Die gesetzliche Neuregelung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG verstoße auch nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes --GG--) folgende Rückwirkungsverbot. Denn der Kläger habe kein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand der alten Rechtslage für sich beanspruchen können. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 469 veröffentlicht.
Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Kläger die Verletzung von Verfassungsrecht und verweist insbesondere auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Rückwirkungsverbot (Beschluss vom 17. Dezember 2013 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1).
Das FG habe sich im Streitfall nicht damit befasst, ob es sich vorliegend um eine echte oder unechte Rückwirkung handele, ob er, der Kläger, mit einer über der tatsächlichen Inanspruchnahme liegenden Besteuerung wirklich habe rechnen müssen und ob selbst dann, wenn eine unechte Rückwirkung zwar grundsätzlich möglich sei, bei einer Interessen- und Güterabwägung unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes, der Grundrechte und vom Sinn und Zwecke des Gesetzes z.B. durch Übergangsregelungen dem Betroffenen Vertrauensschutz dann zu gewähren sei, wenn sein schutzwürdiges Vertrauen auf den bisherigen Rechtszustand überwiege.
Der Gesetzgeber regele investitionsrelevante Aufwendungen seit jeher stets in der Weise, dass der Steuerpflichtige bereits bei Vornahme seiner Investition steuerliche Planungssicherheit erhalte. Als Beispiel sei auf die Abschreibungssätze des § 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) hingewiesen, der für die Zukunft die vollständige Absetzung für Abnutzung (AfA) regele. Damit werde dem verfassungsrechtlichen Grundsatz Rechnung getragen, dass der Bauherr bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über seine Investition die steuerliche Belastung im Wesentlichen kennen müsse. Gerade bei langfristig angelegten Investitionen in Immobilien genieße der Steuerpflichtige einen deutlich erhöhten Vertrauensschutz, so wie er u.a. in § 7 EStG deutlich zum Ausdruck komme. Bei der Umsatzsteuer dürfe nichts anderes gelten, soweit es um langfristige Investitionen in Immobilien gehe. Demgegenüber orientiere sich das FG --ohne sich zu diesem zentralen Punkt zu äußern-- zu Unrecht an einer pauschalen Sichtweise, wonach die Abgrenzung zwischen echter und unechter Rückwirkung allein nach dem wirkungsrelevanten Besteuerungszeitraum zu beurteilen sei.
Richtigerweise könne der Steuerpflichtige stets darauf vertrauen, dass zumindest das Prinzip der leistungsgerechten Besteuerung vom Gesetzgeber beachtet werde. Der durch den vorübergehend gewährten vollen Vorsteuerabzug entstandene Liquiditätsvorteil rechtfertige es demgegenüber nicht, von diesem höherrangigen Prinzip mittels rückwirkender Gesetze abzurücken. Damit würde das Risiko rechtswidriger Gesetze systemwidrig, einseitig und pauschal auf den Steuerpflichtigen zurückverlagert, was vom Verbot der Gesetzesrückwirkung gerade nicht bezweckt werde.
Der Kläger beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 2004 bis 2007 in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 14. Juni 2011 dahingehend zu ändern, dass die unentgeltliche Wertabgabe unter Anwendung des § 10 Abs. 4 UStG a.F. mit einem AfA-Satz von 1 % festgesetzt wird.
Das FA beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es hält die Vorentscheidung für zutreffend.
II. Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat zu Recht erkannt, dass die unentgeltliche Wertabgabe aus der Privatnutzung des dem Unternehmen des Klägers zugeordneten Gebäudes ab dem 1. Juli 2004 nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG mit 10 % seiner Herstellungskosten anzusetzen ist. Dabei hat das FG zutreffend entschieden, dass diese Regelung weder unionsrechtswidrig ist noch gegen die Verfassung verstößt.
1. Nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG wird einer sonstigen Leistung gegen Entgelt gleichgestellt u.a. die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands, der zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat, durch einen Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen.
a) Unionsrechtliche Grundlage dieser Vorschrift ist für die Streitjahre 2004 bis 2006 Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) und für das Streitjahr 2007 Art. 26 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach wird die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf eines Steuerpflichtigen oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke den Dienstleistungen gegen Entgelt gleichgestellt, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat.
b) Nach der sog. Seeling-Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sind die entsprechenden unionsrechtlichen Vorgaben so auszulegen, dass ein Steuerpflichtiger, der sich dafür entscheidet, ein Gebäude insgesamt seinem Unternehmen zuzuordnen, und später einen Teil dieses Gebäudes für seinen Bedarf verwendet, zum Abzug der auf die gesamten Herstellungskosten dieses Gebäudes entrichteten Vorsteuerbeträge berechtigt und dementsprechend verpflichtet ist, die Mehrwertsteuer auf den Betrag der Ausgaben für diese Verwendung zu zahlen (EuGH-Urteil Seeling vom 8. Mai 2003 C-269/00, EU:C:2003:254, BStBl II 2004, 378). Der Bundesfinanzhof (BFH) hat danach geklärt, dass ein Unternehmer, der ein Gebäude errichtet, das er teilweise unternehmerisch und teilweise nichtunternehmerisch (zu eigenen Wohnzwecken) nutzt, das Gebäude insgesamt seinem Unternehmen zuordnen und die auf das gesamte Gebäude --einschließlich des nichtunternehmerisch genutzten Teils-- entfallenden Vorsteuerbeträge nach Maßgabe von § 15 Abs. 1 UStG abziehen kann und dass die nichtunternehmerische Verwendung des Gebäudes als steuerpflichtiger Eigenverbrauch (nunmehr unentgeltliche Wertabgabe) der Umsatzbesteuerung unterliegt (BFH-Urteile vom 24. Juli 2003 V R 39/99, BFHE 203, 206, BStBl II 2004, 371; vom 8. Oktober 2008 XI R 58/07, BFHE 223, 487, BStBl II 2009, 394, unter II.1.a aa, Rz 14; vom 17. Dezember 2008 XI R 64/06, BFH/NV 2009, 798, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2009, 598, unter II.3.c, Rz 27; vom 23. September 2009 XI R 18/08, BFHE 227, 226, BStBl II 2010, 313, unter II.1.a, Rz 15; vom 19. Juli 2011 XI R 21/10, BFHE 235, 14, BStBl II 2012, 434, Rz 31; vom 19. Juli 2011 XI R 29/09, BFHE 234, 556, BStBl II 2012, 430, Rz 23, jeweils m.w.N.; vgl. zum Zuordnungswahlrecht allgemein auch EuGH-Urteile Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie --VNLTO-- vom 12. Februar 2009 C-515/07, EU:C:2009:88, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2009, 199, Rz 32; Gemeente's Hertogenbosch vom 10. September 2014 C-92/13, EU:C:2014:2188, Mehrwertsteuerrecht 2014, 686, Rz 25; Senatsbeschluss vom 16. Juni 2015 XI R 15/13, BFHE 250, 276, Deutsches Steuerrecht 2015, 1734, Rz 38).
c) Ausgehend hiervon hat das FG zutreffend entschieden, dass der Kläger berechtigt war, das von ihm teilweise unternehmerisch verwendete Gebäude insgesamt seinem Unternehmen zuzuordnen und dementsprechend den vollen Vorsteuerabzug aus den Bauerrichtungskosten in Anspruch zu nehmen. Mit der teilweisen Nutzung für private Wohnzwecke verwendete der Kläger das Gebäude in den Streitjahren für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens --der gewerblichen Vermietung-- liegen. Dementsprechend hatte der Kläger insoweit eine unentgeltliche Wertabgabe zu versteuern (vgl. auch BFH-Urteil vom 19. April 2007 V R 56/04, BFHE 217, 76, BStBl II 2007, 676).
2. Das FG hat zu Recht angenommen, dass die unentgeltliche Wertabgabe für den Zeitraum ab Juli 2004 in Höhe von 10 % der Herstellungskosten des Gebäudes anzusetzen war.
a) Nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. war dieser Umsatz nach den bei der Ausführung dieser Umsätze entstandenen Kosten zu bemessen, soweit sie zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben; nach Satz 2 der Vorschrift gehörte die Umsatzsteuer nicht zur Bemessungsgrundlage.
Nach der damals einhelligen Auslegung des Begriffs der "Kosten" i.S. des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. war dabei grundsätzlich von den bei der Einkommensteuer zugrunde gelegten Kosten, d.h. von den nach Maßgabe der jährlichen AfA gemäß § 7 Abs. 4 EStG auf 50 Jahre zu verteilenden Herstellungskosten auszugehen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 217, 76, BStBl II 2007, 676, unter II.2., Rz 21, m.w.N.).
b) Für nach dem 30. Juni 2004 ausgeführte Umsätze ist gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 UStG der Umsatz bei sonstigen Leistungen i.S. des § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG nach den bei der Ausführung dieser Umsätze entstandenen Ausgaben zu bemessen, soweit sie zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben. Zu diesen Ausgaben gehören nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 UStG auch die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts, soweit das Wirtschaftsgut dem Unternehmen zugeordnet ist und für die Erbringung der sonstigen Leistung verwendet wird. Betragen die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mindestens 500 €, sind sie gleichmäßig auf einen Zeitraum zu verteilen, der dem für das Wirtschaftsgut maßgeblichen Berichtigungszeitraum nach § 15a UStG entspricht (§ 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 UStG). Nach § 15a Abs. 1 Satz 2 UStG beträgt der Berichtigungszeitraum bei Grundstücken zehn Jahre, weshalb die unentgeltliche Wertabgabe grundsätzlich in Höhe von 10 % der Gebäudeherstellungskosten anzusetzen ist.
c) Dementsprechend hat das FG zutreffend angenommen, dass die vom FA vorgenommene Berechnung der Bemessungsgrundlage der unentgeltlichen Wertabgabe nach Maßgabe der vorstehenden Vorschriften zutreffend erfolgt ist --was im Übrigen zwischen den Beteiligten auch außer Streit steht-- und dass insoweit ab dem 1. Juli 2004 die Neuregelung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG zugrunde zu legen war.
3. Das FG hat außerdem zu Recht dargelegt, dass die Neuregelung in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 UStG den Vorgaben des Unionsrechts entspricht (vgl. EuGH-Urteil Wollny vom 14. September 2006 C-72/05, EU:C:2006:573, BStBl II 2007, 32). Dies wird vom Kläger mit seiner Revision auch nicht beanstandet.
4. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die gesetzliche Neuregelung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Rückwirkungsverbot verstößt (so auch FG Münster, Urteil vom 4. März 2010 5 K 3484/08 U, EFG 2010, 994, Rz 19 ff.; FG München, Urteil vom 24. Februar 2011 14 K 210/08, EFG 2011, 1660, Rz 21 ff.; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. März 2013 3 K 2285/10, EFG 2013, 1174, Rz 48 ff.).
a) Das BVerfG unterscheidet bei rückwirkenden Gesetzen in ständiger Rechtsprechung zwischen Gesetzen mit echter Rückwirkung, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar sind und solchen mit unechter Rückwirkung, die grundsätzlich zulässig sind (vgl. z.B. Beschluss in BVerfGE 135, 1, Rz 40, m.w.N.).
aa) Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 135, 1, Rz 41, m.w.N.). Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"; vgl. z.B. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 135, 1, Rz 41, m.w.N.).
Von dem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze bestehen Ausnahmen (ständige Rechtsprechung; vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 135, 1, Rz 64, m.w.N.). Das Rückwirkungsverbot gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 135, 1, Rz 64, m.w.N.). Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 135, 1, Rz 64, m.w.N.). Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen ist beispielsweise gegeben, wenn die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, sondern mit deren Änderung rechnen mussten (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 135, 1, Rz 65, m.w.N.).
bb) Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet, so wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung", vgl. BVerfG-Beschluss vom 10. Oktober 2012 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, BStBl II 2012, 932, Rz 43, m.w.N.). Sie ist grundsätzlich zulässig. Allerdings können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Diese Grenzen sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 132, 302, BStBl II 2012, 932, Rz 43, m.w.N.). Dabei geht der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht so weit, vor jeder Enttäuschung zu bewahren; soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 132, 302, BStBl II 2012, 932, Rz 45, m.w.N.).
cc) Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 135, 1, Rz 42; in BVerfGE 132, 302, BStBl II 2012, 932, Rz 44, jeweils m.w.N.).
dd) Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies beispielsweise, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum jedenfalls in formaler Hinsicht der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 der Abgabenordnung i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt des Kalenderjahres (§ 25 Abs. 1 EStG; vgl. z.B. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 135, 1, Rz 42, m.w.N.).
b) Der Senat kann im Streitfall offenlassen, ob es sich bei der in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG getroffenen Neuregelung bezogen auf die für die Monate ab Juli 2004 streitbefangene Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe um eine echte Rückwirkung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG handelt, oder ob --wie jedenfalls für die Streitjahre 2005 bis 2007-- insoweit eine unechte Rückwirkung anzunehmen ist. Eine echte Rückwirkung käme nur in Betracht, als nicht auf den bei Verkündung des EURLUmsG noch nicht abgeschlossenen Besteuerungszeitraum: das Kalenderjahr (§ 16 Abs. 1 Satz 2 UStG), sondern auf den einzelnen Voranmeldungszeitraum (§ 18 UStG) abzustellen wäre.
c) Dies kann vorliegend aber unentschieden bleiben, weil die streitbefangene gesetzliche Regelung auch bei Annahme einer echten Rückwirkung (so FG Münster in EFG 2010, 994, Rz 24; FG München in EFG 2011, 1660, Rz 25; FG Rheinland-Pfalz in EFG 2013, 1174, Rz 54) den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt. Denn der Kläger konnte schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird --hier ab dem 1. Juli 2004--, nicht mehr auf den Fortbestand der früheren gesetzlichen Regelung in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. vertrauen, sondern musste mit einer Änderung der Gesetzeslage rechnen (vgl. dazu z.B. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 135, 1, Rz 65, m.w.N).
aa) Dies ergab sich für die Zeit ab dem 1. Juli 2004 jedenfalls aus dem vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) veröffentlichten Schreiben vom 13. April 2004, wonach ab dem 1. Juli 2004 bei der Ermittlung der Kosten i.S. von § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Gegenstands abweichend von den ertragsteuerrechtlichen Grundsätzen gleichmäßig auf den nach § 15a UStG für diesen Gegenstand jeweils maßgeblichen Berichtigungszeitraum zu verteilen waren (BMF-Schreiben vom 13. April 2004 IV B 7 -S 7206- 3/04, BStBl I 2004, 468, UR 2004, 331, Der Betrieb 2004, 960). Diese Regelung entsprach damit inhaltlich der zum 1. Juli 2004 rückwirkend in Kraft gesetzten Neufassung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG. Dem Kläger als Angehörigen der in § 3 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes angeführten Berufe musste daher schon im Mai oder Juni 2004 bekannt sein, dass sich ab dem 1. Juli 2004 die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche Wertabgabe in den sog. Seeling-Fällen verändern würde. Er durfte daher insoweit für die Zeit ab dem 1. Juli 2004 nicht mehr auf den Fortbestand der gesetzlichen Regelung in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. vertrauen (ebenso FG Münster in EFG 2010, 994, Rz 27 f.; vgl. auch FG München in EFG 2011, 1660, Rz 26 ff.; FG Rheinland-Pfalz in EFG 2013, 1174, Rz 55 ff.).
bb) Dies gilt unabhängig von der später ergangenen Rechtsprechung des BFH, dass die in diesem Verwaltungserlass vorgesehene Rückwirkung auf Zeiträume vor dem 1. Juli 2004 in Ermangelung einer Rechtsgrundlage unzulässig war (vgl. BFH-Urteil in BFHE 217, 76, BStBl II 2007, 676; s. dazu BMF-Schreiben vom 10. August 2007 IV A 5-S 7206/07/0003, BStBl I 2007, 690). Denn die Anwendung von § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. auf diese Zeiträume steht vorliegend außer Streit.
d) Auch wenn entsprechend dem Vorbringen des Klägers für die Prüfung des aus seiner Sicht bestehenden Vertrauensschutzes auf den Zeitraum seiner Investitionsentscheidung Ende 2003 abgestellt würde, durfte der Kläger damals nicht darauf vertrauen, § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. werde für die nächsten 50 Jahre unverändert bleiben (vgl. dazu z.B. BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 2002 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 17, Leitsatz 2 und Rz 63 ff.).
aa) Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger bis zum Bekanntwerden der sog. Seeling-Rechtsprechung des EuGH (Urteil Seeling, EU:C:2003:254, BStBl II 2004, 378) nach der seinerzeit geltenden Rechtslage ohnehin keinen Anspruch auf den Vorsteuerabzug auch für die anteiligen Bauerrichtungskosten für den privat genutzten Gebäudeteil hatte. Denn damals wurde nach der Rechtsprechung des BFH und der entsprechenden Verwaltungsauffassung die anteilige Privatnutzung von Gebäudeteilen als steuerfreie Vermietung i.S. von § 4 Nr. 12 UStG behandelt, so dass der Vorsteuerabzug aus den entsprechenden Anschaffungs- und Herstellungskosten nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG ausgeschlossen war (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10. Februar 1994 V R 33/92, BFHE 174, 258, BStBl II 1994, 668, unter II.5.b und c, Rz 30 f.). Es lag insoweit von vornherein keine steuerpflichtige unentgeltliche Wertabgabe vor, so dass auch kein Bedürfnis für die Anwendung der in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. geregelten Bemessungsgrundlage bestand. Für die Zeit vor dem Ergehen der sog. Seeling-Rechtsprechung am 8. Mai 2003 konnte somit kein Vertrauenstatbestand dahingehend entstehen, dass bei entsprechender anteiliger Privatnutzung eines errichteten Gebäudes eine unentgeltliche Wertabgabe anzunehmen wäre, deren Bemessungsgrundlage sich nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. bestimmte.
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers konnte sich auch nach Ergehen der sog. Seeling-Rechtsprechung (EuGH-Urteil Seeling, EU:C:2003:254, BStBl II 2004, 378) bis zum Inkrafttreten der Neuregelung in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 UStG zum 1. Juli 2004 kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der Regelung in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. entwickeln.
(1) Zwar ergab sich für die anteiligen Bauerrichtungskosten im Hinblick auf die beabsichtigte Nutzung des während dieses Zeitraums errichteten Gebäudes zu privaten Wohnzwecken nun infolge der Zuordnung des gesamten Gebäudes zum Unternehmen des Klägers ein Vorsteuerabzugsrecht in vollem Umfang (EuGH-Urteil Seeling, EU:C:2003:254, BStBl II 2004, 378). Diesen hat der Kläger allerdings erhalten. Sein Vertrauen wurde insoweit nicht enttäuscht.
(2) Dies hatte aber zugleich zur Folge, dass hinsichtlich der beabsichtigten anteiligen Privatnutzung des Gebäudes nunmehr eine unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 9a UStG vorlag. Mit der Anwendung der seinerzeit vorgesehenen Bemessungsgrundlage von § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. hat einem vollem Vorsteuerabzug eine --aufgrund der einkommensteuerrechtlichen Regelung in § 7 Abs. 4 EStG vorgesehene Verteilung der Herstellungskosten auf 50 Jahre-- im Verhältnis nur geringfügige anteilige Besteuerung der Privatnutzung gegenübergestanden. Da der Berichtigungszeitraum des § 15a UStG lediglich zehn Jahre betrug, drohte das Entstehen eines unversteuerten Letztverbrauchs.
Diese Rechtslage hat der BFH zwar in seiner Nachfolgerechtsprechung für Wertabgaben bis zum 30. Juni 2004 dem Grunde nach bestätigt (z.B. BFH-Urteile in BFHE 203, 206, BStBl II 2004, 371; in BFHE 217, 76, BStBl II 2007, 676). Dies bedeutet aber nicht, dass der Kläger uneingeschränkt auf den Fortbestand von § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. für die nächsten 50 Jahre vertrauen durfte.
(3) Das FG ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger aus Sicht Ende 2003 mit einer zukünftigen Änderung der Rechtslage rechnen musste. Ansonsten hätte er langfristig einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber dem Endverbraucher erhalten, der einen Gegenstand kauft und dafür Mehrwertsteuer entrichtet; insoweit wäre eine unzulässige Ungleichbehandlung des Steuerpflichtigen im Verhältnis zum Endverbraucher entstanden, was nach der Rechtsprechung des EuGH unzulässig ist (Urteil Wollny, EU:C:2006:573, BStBl II 2007, 32, Rz 32, m.w.N.; vgl. auch Dziadkowski, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2004, 339; Nieskens, Der Umsatz-Steuer-Berater --UStB-- 2003, 311). Außerdem hätte dies langfristig die Logik des im Mehrwertsteuersystem bestehenden Zusammenhangs zwischen Vorsteuerabzug und Erhebung der Mehrwertsteuer in Frage gestellt (EuGH-Urteil Wollny, EU:C:2006:573, BStBl II 2007, 32, Rz 32, m.w.N.). Dies ist seinerzeit auch in der Fachwelt erörtert worden (vgl. z.B. Dziadkowski, IStR 2004, 339; Nieskens, UStB 2003, 311), was insbesondere dem fachkundigen Kläger bekannt sein musste. Das Interesse des Staates, die durch die Rechtsprechung des EuGH entstandene Besteuerungslücke zu schließen, überwiegt insoweit das Interesse des Klägers, zumal der Gesetzgeber an die Frist des BMF-Schreibens in BStBl I 2004, 468 angeknüpft hat.
e) Soweit der Kläger sinngemäß ausführt, der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung in § 15 Abs. 1b UStG durch das Jahressteuergesetz 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768), die nach § 27 Abs. 16 UStG auf ab dem 1. Januar 2011 hergestellte Gebäude anzuwenden ist, das sog. "Seeling-Modell" zur Gänze abgeschafft, was die Neuregelung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG entbehrlich gemacht habe, führt dies zu keinem anderen Ergebnis.
§ 15 Abs. 1b Satz 1 UStG schränkt für den Fall der (beabsichtigten) gemischten Nutzung eines Grundstücks den Vorsteuerabzug von vornherein auf die Verwendung des Grundstücks für unternehmerische Zwecke ein. Diese erst nach den Streitjahren eingeführte Regelung beruht auf einer entsprechenden Änderung der MwStSystRL durch die Einfügung von Art. 168a MwStSystRL durch die Richtlinie 2009/162/EU vom 22. Dezember 2009 zur Änderung verschiedener Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Amtsblatt der Europäischen Union 2010 Nr. L 10/14). Erst nach Inkrafttreten von Art. 168a MwStSystRL war es dem deutschen Gesetzgeber möglich, diese Regelung mit § 15 Abs. 1b Satz 1 UStG umzusetzen.
Dies geschah mithin unabhängig von der mit § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 UStG geschaffenen Änderung der Bemessungsgrundlage für unentgeltliche Wertabgaben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.