Entscheidungsdatum: 10.01.2013
1. NV: Eine Rechnungsberichtigung ist von einer (erstmaligen) Rechnungserteilung abzugrenzen. Eine Bestätigung des Vermieters über in Vorjahren geleistete Mietzahlungen könnte allenfalls dann als Rechnungsberichtigung in Betracht kommen, wenn in den Vorjahren bereits erste, wenn auch unvollständige oder unrichtige Rechnungen ausgestellt worden waren, die berichtigt werden könnten.
2. NV: Ein Mietvertrag, in dem der monatliche Mietzins unter Angabe des darin enthaltenen Umsatzsteuerbetrags vereinbart ist, erfüllt die Voraussetzungen einer Rechnung i.S. des § 14 UStG erst in Verbindung mit ergänzenden Zahlungsbelegen, aus denen sich der zeitliche Umfang der Leistungen ergibt.
3. NV: Im Beschwerdeverfahren über die Ablehnung eines Antrags auf AdV durch das FG hat der BFH als Tatsachengericht grundsätzlich selbst die Befugnis und Pflicht zur Tatsachenfeststellung. Dies steht jedoch einer Zurückverweisung des Verfahrens zur ergänzenden Tatsachenfeststellung durch das FG nicht entgegen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die Feststellungen besser durch das FG getroffen werden können.
I. Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) betrieb in den Streitjahren 2003 bis 2006 ein Fotolabor in gemieteten Räumen.
Nach den --im Wesentlichen unstreitigen-- Feststellungen einer Betriebsprüfung war u.a. die Buchführung in den Streitjahren nicht ordnungsgemäß. Weiterhin war nach Ansicht des Prüfers der Vorsteuerabzug aus den Mietzahlungen nicht anzuerkennen, weil die Miete nur unregelmäßig gezahlt worden sei. Daran vermochte auch eine nachträglich vom Antragsteller beigebrachte "Aufstellung" des Vermieters vom 10. Juli 2009 "über die Mieten, die für die Räume ... in den vergangenen Jahren zu zahlen waren" und die insbesondere auch die Streitjahre umfasste, sowie eine weitere Aufstellung des Vermieters vom 5. August 2009, nichts zu ändern.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -FA-) schloss sich den Schlussfolgerungen des Prüfers an und erließ am 26. Juli 2011 entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide. Gegen die Änderungsbescheide legte der Antragsteller fristgerecht Einspruch ein, über den das FA noch nicht entschieden hat. Einen zugleich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA ab. Dem hiergegen eingelegten Einspruch des Antragstellers half das FA nur zu einem geringen Teil ab.
Das Finanzgericht (FG) gab dem daraufhin bei ihm gestellten Antrag auf AdV mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1115 veröffentlichten Beschluss überwiegend statt. Über die bereits durch das FA verfügte AdV hinaus seien die Umsatzsteuerbeträge aus einer um 10.600 € niedrigeren Zuschätzung pro Jahr zu ermitteln und die Umsatzsteuer damit um jährlich 1.696 € zu vermindern; in dieser Höhe sei AdV zu gewähren. Es bestünden ferner ernstliche Zweifel daran, dass der Vorsteuerabzug für die Mieten der Geschäftsräume vollständig versagt werden durfte. Bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung könnten die Bestätigungen des Vermieters über die geschuldete und insgesamt zu zahlende Miete unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 15. Juli 2010 C 368/09 --Pannon Gép-- (Slg. 2010, I 7467, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2010, 693) ausreichend sein, um die Angaben im Mietvertrag so zu konkretisieren, dass ein Vorsteuerabzug erfolgen könne. Der Höhe nach sei die AdV entsprechend diesen Aufstellungen zu gewähren. Das gelte aber nur für die Kaltmieten, da nur für diese nach dem Mietvertrag Umsatzsteuer geschuldet werde.
Hiergegen wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Beschwerde. Nach der ständigen Rechtsprechung reiche ein Miet- oder Pachtvertrag, in dem lediglich das Entgelt und die Umsatzsteuer für eine (monatliche) Teilleistung i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ausgewiesen seien, nur dann für den Vorsteuerabzug aus, wenn die Leistungsabschnitte durch monatliche Zahlungsaufforderungen oder Bankbelege konkretisiert würden. Die Funktion als rechnungsergänzende Unterlage könnten danach nur schriftliche Belege erfüllen. Derartige Belege hätten hinsichtlich der monatlichen Teilleistungen zum Zeitpunkt der Betriebsprüfung aber nicht vorgelegen.
Das FA beantragt,
den Beschluss des FG vom 16. Februar 2012 aufzuheben, soweit dort AdV auch hinsichtlich des streitigen Vorsteuerabzugs für die Mieten der Geschäftsräume gewährt worden ist, und zwar in Höhe von 6.034,92 € für 2003, 6.034,92 € für 2004, 3.004,32 € für 2005 und 2.398,32 € für 2006, und den Antrag insoweit als unbegründet zurückzuweisen.
Der Antragsteller hat keine Stellungnahme abgegeben und keinen Antrag gestellt.
II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde des FA ist begründet. Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses in dem vom FA begehrten Umfang wird das Verfahren insoweit an das FG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; BFH-Beschluss vom 8. April 2009 I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12, m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss in BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12).
2. Ob sich aus dem EuGH-Urteil --Pannon Gép-- (Slg. 2010, I 7467, UR 2010, 693) für den Fall der Rechnungsberichtigung eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung ergibt, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und finanzgerichtlich sowie im Schrifttum umstritten (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Juli 2012 V B 82/11, BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809, Rz 24 ff.). Dies bedarf vorliegend aber keiner Entscheidung. Denn das FG hat verkannt, dass die "Aufstellung" des Vermieters vom 10. Juli 2009 allenfalls dann eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnungsberichtigung für die Streitjahre darstellen könnte, wenn für die Streitjahre bereits erste, wenn auch unvollständige oder unrichtige Rechnungen ausgestellt worden waren, die berichtigt werden könnten. Die Rechnungsberichtigung ist von einer erstmaligen Rechnungserteilung abzugrenzen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809, Rz 33).
3. Nach der Rechtsprechung des BFH kann die gesonderte Inrechnungstellung von Umsatzsteuer, die gemäß den in den Streitjahren anzuwendenden Vorschriften des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 2003 bzw. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 UStG 2004 beim Rechnungsempfänger zum Vorsteuerabzugsanspruch führen kann, zwar grundsätzlich auch Bestandteil eines Vertrags sein.
a) Hinsichtlich der Anerkennung eines Vertrags als (für Zwecke des Vorsteuerabzugs vollständiges) Abrechnungspapier ist aber Zurückhaltung geboten (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Juli 1988 V B 72/86, BFHE 154, 197, BStBl II 1988, 913, unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 4. März 1982 V R 55/80, BFHE 135, 133, BStBl II 1982, 317). Denn im Hinblick auf die besondere steuerrechtliche Verantwortung des Ausstellers muss die Inrechnungstellung von Umsatzsteuer in solchen Fällen --wie auch sonst-- eindeutig, klar und in jedem Falle unbedingt sein. Einerseits verschafft der Abrechnende dem Empfänger der Abrechnung eine der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, andererseits schuldet er nach in den Streitjahren geltenden § 14 Abs. 2 und 3 UStG (2003) bzw. § 14c UStG (2004) den ausgewiesenen Steuerbetrag.
Maßgeblich ist, dass sich aus den in dem entsprechenden Abrechnungspapier enthaltenen Angaben tatsächlicher Art --ggf. unter Heranziehung weiterer Erkenntnismittel-- entnehmen lässt, welche konkret bestimmten Leistungen dem begehrten Anspruch auf Vorsteuerabzug zugrunde liegen (BFH-Urteil vom 24. September 1987 V R 50/85, BFHE 153, 65, BStBl II 1988, 688, unter II.5. a.E.).
b) Bei Verträgen über --wie im Streitfall-- Dauerleistungen (z.B. Mietverträgen) wird nach der Rechtsprechung der abgerechnete Leistungsgegenstand, nämlich die Vermietung für einen bestimmten Zeitraum (z.B. Monat), als Teilleistung i.S. von § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Sätze 2 und 3 UStG erst durch die monatlichen Zahlungsaufforderungen oder -belege konkretisiert. Erst damit erhält die im Vertrag vereinbarte Monatsmiete (einschließlich gesondert ausgewiesenem Umsatzsteuerbetrag) die erforderlichen tatsächlichen Ergänzungen, aufgrund derer eine für den Vorsteuerabzug ausreichende Leistungsbeschreibung angenommen werden kann (vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 154, 197, BStBl II 1988, 913; vom 9. September 1993 V R 42/91, BFHE 173, 231, BStBl II 1994, 269; vom 7. November 2000 V R 49/99, BFHE 194, 270, BStBl II 2008, 493; vom 4. Februar 2008 V B 170/06, BFH/NV 2008, 829).
Ohne Konkretisierung stellt ein auf eine Dauerleistung gerichteter Vertrag allein keine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung über einen bestimmten Leistungsgegenstand dar. Erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die gebotene Konkretisierung erfolgt ist, sei es durch eine monatliche Zahlungsaufforderung oder durch andere Zahlungsbelege, kann vom --erstmaligen-- Vorliegen einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnung gesprochen werden.
4. Im Streitfall hat das FG für die Streitjahre zwar --zu Recht-- das Vorliegen eines Mietvertrags festgestellt, in dem die auf die Mietzahlungen entfallende Umsatzsteuer offen ausgewiesen wird, nicht aber das Vorliegen der vorbezeichneten Belege, die erst die notwendige Konkretisierung der erbrachten Leistung herbeiführen könnten. Ob --wie es das FG für möglich gehalten hat-- die erst nachträglich angefertigte Aufstellung des Vermieters vom 10. Juli 2009 als ein den Anforderungen der Rechtsprechung genügender Zahlungsbeleg angesehen werden könnte, kann dahinstehen, denn sie stellt jedenfalls nicht die gebotene Konkretisierung des Leistungsgegenstands in den Streitjahren dar.
Die Aufstellung kann auch nicht als ein auf die Streitjahre zurückwirkender Zahlungsbeleg in dem Sinne verstanden werden, dass damit die für den Vorsteuerabzug notwendige Konkretisierung des Leistungsgegenstands als --rückwirkend-- bereits in den Streitjahren erbracht anzusehen wäre. Denn dies stünde im Widerspruch zu § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 2003 bzw. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 UStG 2004, wonach die Ausübung des Vorsteuerabzugs voraussetzt, dass der Unternehmer im Abzugsjahr eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt, die bei einem Mietvertrag, in dem ein monatliches Mietentgelt zzgl. Umsatzsteuer vereinbart ist, wiederum nur in Verbindung mit entsprechenden monatlichen Abrechnungsbelegen (z.B. Bankbelegen) zu bejahen ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 194, 270, BStBl II 2008, 493).
5. Der Senat kann nicht entscheiden, ob eine Vollziehungsaussetzung für die Streitjahre insoweit in Betracht kommt, als das FA den Vorsteuerabzug mit der Begründung zur Gänze versagt hat, die Miete sei nicht regelmäßig monatlich gezahlt worden, der zeitliche Umfang der Leistung sei nicht leicht und eindeutig erkennbar, es sei kein Steuerausweis vorgenommen worden und Zahlungen seien in nicht unerheblichem Umfang bar vorgenommen worden.
a) Zwar ergeht die Entscheidung über einen Antrag auf AdV wegen dessen Eilbedürftigkeit aufgrund des Prozessstoffs, der sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Akten und den präsenten Beweismitteln ergibt, aus denen das Gericht seine Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen hat und es besteht im Beschwerdeverfahren für den BFH als Tatsachengericht grundsätzlich selbst die Befugnis und Pflicht zur Tatsachenfeststellung.
Dies steht aber nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Beschluss vom 3. März 2009 X B 197/08, BFH/NV 2009, 961) einer Zurückverweisung des Verfahrens zur ergänzenden Tatsachenfeststellung durch das FG nach den §§ 132, 155 FGO i.V.m. § 572 Abs. 3 der Zivilprozessordnung nicht entgegen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die Feststellungen besser durch das FG getroffen werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der BFH als Revisions- und Beschwerdegericht in erster Linie die Aufgabe hat, die Entscheidungen der Finanzgerichte zu überprüfen, wohingegen die Finanzgerichte dem Rechtsuchenden den ersten Zugang zum Richter zu bieten haben (BFH-Beschluss in BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809, Rz 31).
b) Danach ist die Sache an das FG zur ergänzenden Tatsachenfeststellung zurückzuverweisen. Denn den Unterlagen der Betriebsprüfung, auf die das FG nicht eingegangen ist, ist zu entnehmen, dass Belege vorgelegen haben und tatsächliche Zahlungen in nennenswertem Umfang vorgenommen worden sind. Dem Senat ist es weder anhand der vorliegenden Akten noch anhand der präsenten Beweismittel mit vertretbarem Aufwand möglich festzustellen, in welchem Umfang damit die erforderlichen tatsächlichen Ergänzungen vorliegen, anhand deren eine für den Vorsteuerabzug ausreichende Leistungsbeschreibung angenommen werden kann (vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 194, 270, BStBl II 2008, 493; in BFH/NV 2008, 829). Insoweit war der Beschluss des FG aufzuheben und die Sache an das FG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FG wird bei der weiteren Prüfung zu beachten haben, dass Miet- und Pachtverträge --wie ausgeführt-- zwar nur dann für den Vorsteuerabzug ausreichen, wenn die Leistungsabschnitte durch schriftliche Unterlagen ergänzt werden, aus denen sich leicht und eindeutig der zeitliche Umfang der Leistungen ergibt. Daraus folgt aber nicht, dass Belege über unregelmäßige monatliche Zahlungen nicht geeignet sein könnten, Auskunft über den zeitlichen Umfang der zugrunde liegenden Leistungen zu geben. Dem Umstand, dass die Miete nur unregelmäßig gezahlt worden ist, lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass die gebotene Konkretisierung hinsichtlich der in dem Mietvertrag vereinbarten Mietzahlungen unmöglich wäre. Entsprechen die belegten tatsächlichen Zahlungen den in dem Vertrag vereinbarten, so erscheint es ferner unerheblich, ob die Umsatzsteuer in dem Zahlungsbeleg offen ausgewiesen wird; denn der Beleg soll nach der Rechtsprechung lediglich Nachweis über den abgerechneten Leistungsgegenstand erbringen.