Entscheidungsdatum: 28.09.2010
Geänderte Berufungsbegründungsfrist
Kommen aufgrund einer Gesetzesänderung für die Berechnung einer wichtigen, mit einem drohenden Rechtsverlust verbundenen Frist (hier: der Frist zur Begründung der Berufung in einer Patentnichtigkeitssache) je nachdem, ob es sich um einen Fall handelt, der altem oder neuem Recht unterliegt, unterschiedliche gesetzliche Regelungen in Betracht, darf der Rechtsanwalt oder Patentanwalt die Fristberechnung nur dann seinem Büropersonal übertragen, wenn er geeignete organisatorische Vorkehrungen trifft, um sicherzustellen, dass jeweils vor der Fristberechnung ermittelt wird, welche gesetzliche Regelung in diesem Fall für Beginn und Ablauf der Frist maßgeblich ist .
Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 8. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.
Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten verworfen.
I. Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des unter anderem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 549 705 (Streitpatents). Mit Urteil vom 8. Dezember 2009 hat das Patentgericht das Streitpatent im Umfang des Patentanspruchs 5 für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt. Das Urteil ist den prozessbevollmächtigten Patent- und Rechtsanwälten der Beklagten am 24. März 2010 zugestellt worden. Dagegen hat die Beklagte am 22. April 2010 Berufung eingelegt.
Mit bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 4. Juni 2010 eingegangener gerichtlicher Mitteilung sind diese darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine Begründung der Berufung innerhalb der gesetzlichen Frist nicht eingegangen und daher beabsichtigt sei, das Rechtsmittel durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen. Am 18. Juni 2010 hat die Beklagte Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Berufungsbegründung begehrt und zugleich die Berufung begründet.
Die Klägerin tritt dem Wiedereinsetzungsantrag entgegen und bittet, die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
II. Die Berufung ist zu verwerfen, da die Berufungsbegründungsschrift nicht innerhalb der Monatsfrist ab Einlegung der Berufung am 22. April 2010 und daher nicht fristgemäß eingegangen ist (§ 111 Abs. 2 Satz 2 PatG in der Fassung vom 1. November 1998 [im Folgenden: 1.11.1998]). Der Beklagten kann auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gewährt werden.
1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist zwar statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die für die Antragstellung auch im Patentnichtigkeitsverfahren zugrunde zu legende (vgl. Senatsbeschluss vom 13. November 2007 - X ZR 100/07, GRUR 2008, 280 - Mykoplasmennachweis) Frist von einem Monat nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO eingehalten worden. Denn zwischen dem Eingang des Hinweises des Bundesgerichtshofs auf den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 4. Juni 2010 und dem Eingang des Antrags der Beklagten auf Wiedereinsetzung beim Bundesgerichtshof am 18. Juni 2010 liegt ein kürzerer Zeitraum. Die Frist ist zudem auch dann gewahrt, wenn die Versäumung der Frist bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätte erkannt werden müssen.
2. Die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist darf jedoch nicht gewährt werden. Denn die Beklagte war nicht ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Es liegt ein der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten vor. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht auf einer fehlerhaften Organisation der Fristberechnung und -überwachung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten, welche zur Folge hatte, dass die fehlerhafte Berechnung der Berufungsbegründungsfrist durch die damit beauftragte Bürokraft weder verhindert noch rechtzeitig bemerkt worden ist.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der prozessbevollmächtigte Rechts- oder Patentanwalt die Berechnung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einem gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen. Er hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Unverzichtbar sind insoweit eindeutige Anweisungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die zumindest stichprobenartige Kontrolle des Angestellten (s. etwa BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, NJW 2003, 1815, 1816 und Beschluss vom 22. Juni 2010 - VIII ZB 12/10 Rn. 9).
Kommen aufgrund einer Gesetzesänderung für die Berechnung einer wichtigen, mit einem drohenden Rechtsverlust verbundenen Frist - wie der Berufungsbegründungsfrist - je nachdem, ob es sich um einen Fall handelt, der altem oder neuem Recht unterliegt, unterschiedliche gesetzliche Regelungen in Betracht, bedarf es, sofern der Rechtsanwalt oder Patentanwalt nicht jeweils eine Einzelweisung erteilt, zudem geeigneter Vorkehrungen, die sicherstellen, dass vor der Fristberechnung festgestellt wird, welche gesetzliche Regelung für Beginn und Ablauf der Frist maßgeblich ist.
b) Durch das am 1. Oktober 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts vom 31. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2521) ist die Frist zur Begründung der Berufung in Patentnichtigkeitssachen neu geregelt worden. Während nach § 111 Abs. 2 Satz 2 PatG in der Fassung vom 1. November 1998 (im Folgenden: 1.11.1998) die Frist für die Berufungsbegründung einen Monat beträgt und mit der Einlegung der Berufung beginnt, beträgt die Frist nach § 112 Abs. 2 Satz 2 PatG in der seit dem 1. Oktober 2009 geltenden Fassung des Gesetzes drei Monate. Die Frist beginnt nach § 112 Abs. 2 Satz 3 PatG - entsprechend der Regelung in § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO - nunmehr mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Nach § 147 Abs. 2 PatG sind auf Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats oder wegen Erteilung oder Rücknahme der Zwangslizenz oder wegen der Anpassung der durch Urteil festgesetzten Vergütung für eine Zwangslizenz, die vor dem 1. Oktober 2009 durch Klage beim Bundespatentgericht eingeleitet wurden, jedoch weiterhin die Vorschriften des Patentgesetzes in der bis zum 30. September 2009 geltenden Fassung anzuwenden.
Die Neuregelung der Berufungsbegründungsfrist ist somit mit der Gefahr verbunden, dass die Frist versäumt wird, wenn in einer nach § 147 Abs. 2 PatG dem alten Recht unterliegenden Patentnichtigkeitssache die Berufungsbegründungsfrist versehentlich nach neuem Recht berechnet wird. Denn schon wegen der Verlängerung der Frist auf drei Monate ab Zustellung des patentgerichtlichen Urteils besteht selbst bei Notierung einer längeren Vorfrist die Gefahr, dass die Berufungsbegründungsfrist bereits abgelaufen ist, wenn die Akte dem sachbearbeitenden Rechts- oder Patentanwalt vorgelegt wird und dieser die zutreffende Fristberechnung prüft. Da es außerdem von dem Tag, an dem die Klage beim Patentgericht eingereicht worden ist, abhängt, ob das geltende oder altes Verfahrensrecht anzuwenden ist, bedarf es zudem der Feststellung des Zeitpunkts der Klageeinreichung und damit der Ermittlung eines Zeitpunkts, der regelmäßig für die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist ohne jede Bedeutung ist. Aufgrund dieser Besonderheiten handelt es sich bei der Berufungsbegründungsfrist in Patentnichtigkeitssachen seit dem Inkrafttreten des Patentrechtsmodernisierungsgesetzes um eine Frist, deren Berechnung besondere Aufmerksamkeit erfordert. Überlässt sie der Rechts- oder Patentanwalt seinem geschulten Personal, muss er dieses nicht nur eingehend über die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen belehren. Er muss auch durch geeignete Vorkehrungen sicherstellen, dass vor der Fristberechnung zuverlässig geprüft wird, ob altes oder neues Recht anzuwenden ist.
c) An solchen Vorkehrungen haben es die Prozessbevollmächtigten der Beklagten fehlen lassen. Dieser Organisationsmangel war mitursächlich dafür, dass weder vermieden wurde noch auffiel, dass die in der zentralen Fristenabteilung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten beschäftigte Mitarbeiterin S. als Frist für die Berufungsbegründung nicht wie zutreffend, weil es sich um die Berufung in einem vor dem 1. Oktober 2009 eingeleiteten Nichtigkeitsverfahren handelte, nach § 111 Abs. 2 Satz 2 PatG (1.11.1998) den 24. Mai 2010 (der 22. Mai war ein Samstag), sondern den 24. Juni 2010 errechnete, welches Datum sie dann zusammen mit einer Vorfrist für den 24. Mai 2010 in das elektronische Fristenüberwachungssystem "WINPAT" eintrug und der Assistentin des sachbearbeitenden Patentanwalts Dr. H., Frau D., mitteilte, damit diese es zusätzlich auf der Handakte vermerkte. Die fehlerhafte Handhabung der Fristermittlung hatte wiederum zur Folge, dass die am 24. Mai 2010 ablaufende Berufungsbegründungsfrist durch die Beklagte nicht eingehalten worden ist.
Nach dem durch eidesstattliche Versicherungen vom 18. Juni 2010 von Patentanwältin Dr. B., Frau K. und Frau S. glaubhaft gemachten Vorbringen der Beklagten erläuterte zwar Patentanwältin Dr. B. bei einer Besprechung am 23. September 2009 Frau S. und Frau K., die neben Frau S. ebenfalls als Angestellte in der zentralen Fristenabteilung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten arbeitet, die neuen Regelungen zur Fristenberechnung nach dem Patentrechtsmodernisierungsgesetz und wies darauf hin, wie die Berufungsbegründungsfrist im Nichtigkeitsverfahren zu berechnen sei. Danach sollte in Verfahren, bei denen die Nichtigkeitsklage nach dem 30. September 2009 beim Bundespatentgericht eingereicht worden war, eine Hauptfrist von drei Monaten ab Zustellung des Urteils des Bundespatentgerichts mit einer Vorfrist von einem Monat vor der Hauptfrist notiert werden und in Verfahren, bei denen die Einreichung der Nichtigkeitsklage vor dem 1. Oktober 2009 erfolgt war, die Berufungsbegründungsfrist wie bisher erst dann notiert werden, wenn der Fristenabteilung das Datum der Einlegung der Berufung von dem sachbearbeitenden Patentanwalt oder dessen Assistenten mitgeteilt worden war.
Damit mag den Angestellten zwar zum einen hinreichend deutlich vermittelt worden sein, dass sie im Kanzleibetrieb künftig - und zwar während einer nicht unbeträchtlichen Übergangszeit - mit zwei unterschiedlich zu berechnenden Berufungsbegründungsfristen konfrontiert sein würden, und zum anderen mag damit auch in einer für die Kanzleikräfte hinreichend deutlichen Weise festgelegt worden sein, wie die Neuregelung im Kanzleiablauf in fristenrechtlicher Hinsicht überhaupt so gehandhabt werden sollte, dass eine richtige Notierung der im Einzelfall einschlägigen Berufungsbegründungsfrist sichergestellt war. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätten jedoch zusätzlich zu bedenken gehabt, dass mit der Neuregelung die Gefahr einherging, dass versehentlich in nach altem Recht zu berechnenden Fällen die Berufungsbegründungsfrist nach neuem Recht berechnet würde oder umgekehrt, wobei aus in der Natur der Änderungsregelung liegenden Gründen der erstere Fall die besonders große Gefahr eines Rechtsmittelverlusts infolge von Fristversäumung barg. Dieser Gefahr hätten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten durch geeignete organisatorische Anweisungen vorbeugen müssen. Die den Kanzleikräften erteilten Erläuterungen schlossen jedoch nichts ein, was dieser Gefahr angemessen vorzubeugen geeignet gewesen wäre. Es war nicht durch entsprechende organisatorische Anordnungen dafür Sorge getragen worden, dass eine Fristberechnung nach neuem Recht nur und erst dann erfolgte, wenn sich die damit befasste Person zuvor vergewissert hatte, dass die Klage in dem betreffenden Verfahren nach dem 30. September 2010 eingereicht worden war.
d) Das Fehlen solcher Vorkehrungen ist im Streitfall auch nicht deshalb unschädlich, weil der sachbearbeitende Patentanwalt eine Einzelanweisung zur Fristberechnung erteilt hätte, deren Beachtung die Wahrung der Berufungsbegründungsfrist zur Folge gehabt hätte. Nach den durch eidesstattliche Versicherungen vom 18. Juni 2010 von Frau D. und Frau S. glaubhaft gemachten weiteren Darlegungen der Beklagten unterschrieb Patentanwalt Dr. H. am 22. April 2010 die Berufungsschrift gegen das Urteil des Bundespatentgerichts und wies Frau D. mündlich an, diese vorab per Telefax und anschließend als Original an den Bundesgerichtshof zu senden, den Eingang der Berufungsschrift beim Bundesgerichtshof anhand des Telefax-Sendeberichts festzustellen und dieses Datum anschließend direkt der zentralen Fristenabteilung zu übermitteln sowie diese anzuweisen, aufgrund des Datums der Berufungseinlegung die Berufungsbegründungsfrist zu errechnen, in das Fristenüberwachungssystem der Kanzlei einzugeben und ihr, Frau D., zur Notierung in der Handakte mitzuteilen. Diese Anweisung war jedoch nicht hinreichend, um mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass Frau S. die Berufungsbegründungsfrist nach neuem Recht berechnen würde. Da Frau S. mit der Anweisung zur Berechnung der Berufungsbegründungsfrist nicht zugleich auch die Handakte vorgelegt wurde, hatte sie keine Gelegenheit, dieser zu entnehmen, ob es sich bei dem Verfahren um einen Fall handelte, der nach altem oder neuem Recht zu beurteilen ist. Zwar ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung von Frau S. vom 18. Juni 2010, dass nicht nur aus der Handakte, sondern auch aus dem elektronischen Fristenüberwachungssystem "WINPAT" ersichtlich war, dass das Nichtigkeitsverfahren bereits im September 2008 beim Bundespatentgericht eingeleitet worden war, mit der Folge, dass die Fristberechnung nach altem Recht zu erfolgen hatte. Frau S. war jedoch weder von Patentanwältin Dr. B. bei der allgemeinen Belehrung über die Fristenberechnungen nach Inkrafttreten des Patentrechtsmodernisierungsgesetzes noch von Patentanwalt Dr. H. angewiesen worden, diese Informationsmöglichkeit zu nutzen. Der bloße Umstand, dass Frau D. die Mitarbeiterin der Fristenabteilung anweisen sollte, die Berufungsbegründungsfrist aufgrund des Datums der Berufungseinlegung zu ermitteln, und die darin liegende mittelbare Information über das in diesem Fall maßgebliche Recht konnten nicht gewährleisten, dass Frau S. auch tatsächlich die Frist nach § 111 Abs. 2 Satz 2 PatG (1.11.1998) berechnete, zumal nichts dafür geltend gemacht ist, dass Frau D., die diese Information übermitteln sollte, überhaupt über die Bedeutung dieses Details (Berechnung aufgrund des Datums der Berufung) unterrichtet war.
e) Dem Erfordernis einer Anweisung oder organisatorischen Vorkehrung der genannten Art steht schließlich auch nicht entgegen, dass nach dem durch einen Auszug aus dem "WINPAT"-Hauptfristenbuch vom 15. November 2009 und der Ablichtung eines Schriftsatzes der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 13. Januar 2010 glaubhaft gemachten Vorbringen der Beklagten bereits in zwei von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten seit Inkrafttreten der Neuregelung der Berufungsbegründungsfrist am 1. Oktober 2009 eingeleiteten Nichtigkeitsberufungsverfahren die Frist zutreffend nach § 111 Abs. 2 Satz 2 PatG (1.11.1998) berechnet wurde. Denn das Erfordernis, Vorkehrungen gegen eine fehlerhafte Fristberechnung zu treffen, entstand mit Inkrafttreten der Neuregelung der Berufungsbegründungsfrist und der sich daraus ergebenden Gefahr einer fehlerhaften Berechnung dieser Frist bei "Altfällen", und es bestand auch nach der zutreffenden Berechnung der Berufungsbegründungsfrist in zwei Fällen noch kein Grund, die Erwartung als hinreichend gesichert anzusehen, dass die Berufungsbegründungsfrist bei weiteren "Altfällen" durch die Angestellten der Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausnahmslos fehlerfrei berechnet werde.
Meier-Beck Gröning Berger
Grabinski Hoffmann