Entscheidungsdatum: 20.12.2011
Glasfasern
1. Durch eine Veröffentlichung, in der hinsichtlich einer bestimmten Gruppe von Produkten die Vermutung geäußert wird, dass diese Krebs verursachen können, ist die Verwendung eines dieser Produkte für Zwecke, bei denen kein kanzerogenes Potential vorhanden sein darf, nicht offenbart.
2. Besteht hinsichtlich einer bestimmten Gruppe von Produkten die Vermutung, dass diese Krebs verursachen können, so hat der Fachmann auch dann nicht ohne weiteres Anlass, aufwendige Versuche zur Ermittlung von eventuellen Unterschieden hinsichtlich des kanzerogenen Potentials der einzelnen Produkte anzustellen, wenn in einer Veröffentlichung berichtet wird, dass ein Hersteller solche Versuche für bestimmte Produkte bereits in Auftrag gegeben hat.
Die Berufung gegen das am 25. Januar 2011 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 399 320 (Streitpatents), das am 12. Mai 1990 unter Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Anmeldung vom 25. Mai 1989 angemeldet worden ist und die Verwendung von Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen, betrifft. Das Streitpatent ist im Einspruchsverfahren in geänderter Fassung aufrechterhalten worden und umfasst in dieser Fassung drei Patentansprüche, von denen die beiden ersten in der Verfahrenssprache Deutsch wie folgt lauten:
"1. Verwendung der Glasfasern mit der folgenden in Mol-% angegebenen Glaszusammensetzung:
SiO2 |
55-70 |
vorzugsweise |
58-65 |
B2O3 |
0-5 |
vorzugsweise |
0-4 |
AI2O3 |
0-3 |
vorzugsweise |
0-1 |
TiO2 |
0-6 |
vorzugsweise |
0-3 |
Eisenoxide |
0-2 |
vorzugsweise |
0-1 |
MgO |
|
|
1-4 |
CaO |
8-24 |
vorzugsweise |
12-20 |
Na2O |
10-20 |
vorzugsweise |
12-18 |
K2O |
0-5 |
vorzugsweise |
0,2-3 |
Fluorid |
0-2 |
vorzugsweise |
0-1 |
und die einen Durchmesser von < 8 μm besitzen, wobei mehr als 10% der Glasfasern einen Durchmesser von < 3 μm aufweisen, als Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen, wobei die Anteile von TiO2, BaO, ZnO, SrO, ZrO2 < 1 Mol-% betragen.
2. Verwendung der Glasfasern nach Anspruch 1 und mit einem mittleren Durchmesser von < 2 μm, wobei folgende zusätzliche Bedingungen für die molaren Anteile von AI2O3, B2O3, CaO und Na2O gelten:
AI2O3 |
< 1 Mol-% |
B2O3 |
< 4 Mol-% |
CaO |
> 11 Mol-% |
Na2O |
> 4 Mol-%“ |
Die Klägerin, die von der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents gerichtlich in Anspruch genommen wird, hat mit ihrer am 20. November 2009 erhobenen Klage das Streitpatent in vollem Umfang angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei nicht patentfähig. Ferner werde die Erfindung nicht so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent zuletzt nur noch im Umfang der Patentansprüche 1 und 2 verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent nur im Umfang des nicht verteidigten Patentanspruchs 3 für nichtig erklärt und die weitergehende Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie weiterhin die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents anstrebt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Die zulässige Berufung, für deren Beurteilung die Verfahrensvorschriften des Patentgesetzes in der seit 1. Oktober 2009 geltenden Fassung maßgeblich sind, ist unbegründet.
I. Das Streitpatent betrifft - abweichend von den Angaben auf der ersten Seite der Patentschrift ("Glasfasern mit erhöhter biologischer Verträglichkeit") - die Verwendung von Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen.
1. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift war im Stand der Technik bekannt, dass Glasfasern zu Krebserkrankungen führen können. Ausschlaggebend für diese Wirkung ist unter anderem die Verweildauer der Fasern in der Lunge. Diese wiederum hängt von der Größe und der Beständigkeit der Fasern ab. Nach einer wissenschaftlichen Definition, die aufgrund von Erkenntnissen über die krebserzeugende Wirkung von Asbest erstellt worden ist, können solche Wirkungen bei Fasern auftreten, die einen geometrischen Durchmesser von weniger als drei Mikrometer, eine Länge von mehr als fünf Mikrometer und ein Verhältnis zwischen Länge und Durchmesser von mehr als drei zu eins aufweisen. In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1986 wurde ausgeführt, die tumorerzeugende Wirkung bestimmter Fasern könne durch intensive Vorbehandlung mit einer Säure reduziert werden.
Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, Glasfasern zur Verfügung zu stellen, die kein kanzerogenes Potential zeigen.
2. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 die Verwendung von Glasfasern mit folgenden Merkmalen vor (die abweichende Gliederung des Patentgerichts ist in eckigen Klammern wiedergegeben):
1. Die Glaszusammensetzung umfasst folgende Stoffe [1]:
a) 55 bis 70 (vorzugsweise 58 bis 65) Molprozent Siliziumdioxid (SiO2),
b) 8 bis 24 (vorzugsweise 12 bis 20) Molprozent Calciumoxid (CaO),
c) 10 bis 20 (vorzugsweise 12 bis 18) Molprozent Natriumoxid (Na2O),
d) 0 bis 5 (vorzugsweise 0 bis 4) Molprozent Bortrioxid (B2O3),
e) 0 bis 3 (vorzugsweise 0 bis 1) Molprozent Aluminiumoxid (AI2O3),
f) 0 bis 2 (vorzugsweise 0 bis 1) Molprozent Eisenoxide,
g) 1 bis 4 Molprozent Magnesiumoxid (MgO),
h) 0 bis 5 (vorzugsweise 0,2 bis 3) Molprozent Kaliumoxid (K2O),
i) 0 bis 2 (vorzugsweise 0 bis 1) Molprozent Fluorid,
2. Folgende Stoffe sind in der Glaszusammensetzung höchstens mit einem Anteil von weniger als 1 Molprozent enthalten [5]:
a) Titandioxid (TiO2),
b) Bariumoxid (BaO),
c) Zinkoxid (ZnO),
d) Strontiumoxid (SrO),
e) Zirkoniumdioxid (ZrO2).
3. Der Durchmesser beträgt
a) weniger als acht Mikrometer bei allen Glasfasern [2],
b) weniger als drei Mikrometer bei mehr als 10 % der Glasfasern [3].
4. Die Glasfasern werden verwendet als Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen [4].
3. Einige Merkmale bedürfen näherer Erörterung.
a) Das Streitpatent ist nicht auf Erzeugnisschutz für Glasfasern mit den Merkmalen 1 bis 3 gerichtet, sondern auf den Schutz der Verwendung solcher Glasfasern für den in Merkmal 4 definierten Zweck. Dennoch erfasst das Streitpatent nicht nur den unmittelbaren Einsatz der Fasern für diesen Zweck. Nach der Rechtsprechung des Senats erfasst ein Patent, das kein Arbeitsverfahren (dazu BGH, Urteil vom 5. Juli 2005 - X ZR 14/03, GRUR 2005, 845, 847 - Abgasreinigungsvorrichtung), sondern die Verwendung einer Sache zu einem bestimmten Zweck betrifft, bereits solche Handlungen, bei denen die Sache zu der betreffenden Verwendung sinnfällig hergerichtet wird (BGH, Beschluss vom 20. September 1983 - X ZB 4/83, BGHZ 88, 209, 216 f. = GRUR 1983, 729 - Hydropyridin). Die sinnfällige Herrichtung kann nicht nur durch eine besondere Gestaltung der Sache, sondern auch durch eine ihr beim Vertrieb beigegebene Gebrauchsanleitung in Form eines Beipackzettels oder in sonstiger Weise geschehen (BGH, Urteil vom 21. November 1989 - X ZR 29/88, GRUR 1990, 505, 506 f. - Geschlitzte Abdeckfolie).
b) Das Streitpatent schränkt den Einsatzzweck der Glasfasern nicht auf konkrete Anwendungsbereiche wie beispielsweise die Herstellung von Isoliermaterial ein. Es erfasst vielmehr die Verwendung der Glasfasern für alle Einsatzzwecke, bei denen die Gefahr von Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden soll, und damit auch die sinnfällige Herrichtung von Gegenständen, die derartige Fasern enthalten, für solche Zwecke.
c) Als Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen, sind nach dem Inhalt der Streitpatentschrift Glasfasern anzusehen, bei denen kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Aufnahme des Materials über die menschliche Lunge und dem Entstehen einer Krebserkrankung besteht.
(1) Ein signifikanter Zusammenhang in diesem Sinne liegt vor, wenn die Glasfasern bei den in der Patentschrift beschriebenen Tierversuchen eine Erkrankungsrate von mehr als rund 10% innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren hervorrufen. Dies ergibt sich aus der Definition in der Beschreibung des Streitpatents. Dort wird ausgeführt, bei intratrachealer Instillation (Einträufeln in die Luftröhre) von Glasfasern gemäß Patentanspruch 2 in Rattenlungen trete nach einer Zeit von zwei Jahren eine Tumorrate von weniger als 10% auf. Solche Glasfasern könnten daher als nicht kanzerogen eingestuft werden (Abs. 18).
(2) Die weiteren, mit diesen Angaben zum Teil nicht ohne weiteres in Einklang zu bringenden Ausführungen in der Beschreibung des Streitpatents führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
Für Glasfasern gemäß Patentanspruch 1 wird in der Streitpatentschrift eine Tumorrate von weniger als 5 % angegeben (Abs. 13). Hieraus kann nicht gefolgert werden, dass nur Fasern mit dieser Rate als nicht kanzerogen im Sinne des Streitpatents angesehen werden können. Dies hätte nämlich zur Folge, dass - sofern die in der Beschreibung genannten Tumorraten zutreffend sind - Verwendungen gemäß Patentanspruch 2 nicht als zum Gegenstand des Streitpatents gehörend angesehen werden könnten. Aus dem Umstand, dass für solche Verwendungen in Patentanspruch 2 ausdrücklich Schutz beansprucht wird, ist indes zu folgern, dass die dafür angegebene Tumorrate von weniger als 10 % ebenfalls als nicht kanzerogen zu qualifizieren ist.
Im Zusammenhang mit der Schilderung der Ausführungsbeispiele wird über Versuche an Ratten berichtet, denen unterschiedliche Mengen der untersuchten Faserproben intraperitoneal (in die Bauchhöhle) injiziert worden sind. Bei der in Ausführungsbeispiel 2 eingesetzten Faserprobe C traten nach zwei Jahren Tumorraten von 29,2 % und 52,1 % auf (Tabelle in Abs. 37). Im Hinblick darauf werden Fasern dieses Typs in der Streitpatentschrift als stark kanzerogen eingestuft (Abs. 38). Bei den in Ausführungsbeispiel 1 eingesetzten Faserproben A und B, die sich untereinander nur hinsichtlich des Faserdurchmessers unterscheiden, trat hingegen eine Tumorrate von 0 % auf. Hieraus kann aus den bereits genannten Gründen nicht gefolgert werden, dass nur Verwendungen, die zu einer Tumorrate von 0 % führen, als nicht kanzerogen anzusehen sind. Gegen eine Auslegung in diesem engen Sinne spricht auch der von der Klägerin in anderem Zusammenhang angeführte Umstand, dass in der Regel jedes Material ein gewisses, wenn auch unter Umständen sehr geringes kanzerogenes Potential aufweist.
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung hinsichtlich der von der Beklagten verteidigten Patentansprüche 1 und 2 im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 gehe nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus. In diesen sei die Verwendung von Glasfasern mit einem Durchmesser, wie er in Merkmalsgruppe 3 [Merkmale 2 und 3 nach der Gliederung des Patentgerichts] definiert sei, als zur Erfindung gehörend offenbart. Dass sich diese Größenangaben in Patentanspruch 1 in der Fassung der Anmeldung auf den mittleren Durchmesser der Fasern bezögen, führe nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei ferner die Merkmalsgruppe 2 [Merkmal 5] nicht nur für Fasern mit einem mittleren Durchmesser von weniger als einem Mikrometer, sondern auch für alle anderen von Patentanspruch 1 erfassten Fasern ursprungsoffenbart. Hinreichend offenbart sei auch, unter welchen Voraussetzungen eine Faser als Glasfaser anzusehen sei, die kein kanzerogenes Potential zeige. Die im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen in der Beschreibung des Streitpatents führten ebenfalls nicht zu einer unzulässigen Erweiterung.
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei patentfähig. In keiner Entgegenhaltung werde die Verwendung einer Glasfaser offenbart, die die Merkmalsgruppe 2 [Merkmal 5] aufweise. Die Verwendung einer solchen Glasfaser für den in Patentanspruch 1 angegebenen Zweck sei durch den Stand der Technik auch nicht nahegelegt worden. In der Entgegenhaltung K3, die den nächstliegenden Stand der Technik beschreibe, seien die Merkmalsgruppen 1 bis 3 [Merkmale 1 bis 3 und 5] nur teilweise verwirklicht. Ferner sei Merkmal 4 [4] nicht offenbart. In K3 werde vielmehr die Vermutung geäußert, dass Fasern bis zu einem maximalen Durchmesser von drei Mikrometer eine kanzerogene Wirksamkeit aufwiesen. Der Fachmann, ein Diplomchemiker mit Erfahrung in der Mineralfaserherstellung, der in Zusammenarbeit mit erfahrenen Toxikologen, Pathologen oder klinischen Medizinern stehe, habe weder aus K3 noch aus K5 Hinweise darauf entnehmen können, dass Fasern mit geringen Anteilen an Titandioxid, Bariumoxid, Zinkoxid, Strontiumoxid und Zirkoniumdioxid schneller abbaubar seien und deshalb kein kanzerogenes Potential zeigten.
Die Erfindung sei auch so deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Dem stehe nicht entgegen, dass die in der Patentschrift geschilderten Beispiele nicht mehr von Patentanspruch 1 umfasst würden. Der Fachmann sei aufgrund der Angaben in der Patentschrift in der Lage, das kanzerogene Potential der Fasern im Tierversuch zu ermitteln.
III. Diese Beurteilung hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren, die gemäß § 117 Satz 1 PatG und § 519 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich auf der Grundlage der vom Patentgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen zu erfolgen hat, stand.
1. Zutreffend ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgeht.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Festlegung in Merkmal 3 a, wonach der Durchmesser aller Glasfasern weniger als acht Mikrometer beträgt, bereits in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung (K9) als zur Erfindung gehörend offenbart.
Dem steht nicht entgegen, dass in Patentanspruch 1 in der Fassung der Anmeldung eine Höchstgrenze von acht und vorzugsweise drei Mikrometern nur für den mittleren Durchmesser der Fasern vorgegeben ist. Der Inhalt der Patentanmeldung bestimmt sich nicht allein nach den darin formulierten Ansprüchen. Maßgeblich ist vielmehr die Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht des Fachmanns aus diesen Unterlagen zu entnehmen ist, dass der geänderte Lösungsvorschlag von dem ursprünglichen Schutzbegehren mit umfasst werden sollte (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 28/06, GRUR 2010, 513 Rn. 28 - Hubgliedertor II).
In den ursprünglich eingereichten Unterlagen wird bei der Beschreibung der beiden Ausführungsbeispiele nicht nur der mittlere Durchmesser der untersuchten Fasern angegeben. Vielmehr werden anhand von grafischen Darstellungen (Figuren 1 bis 4) auch die Einzelwerte und deren prozentuale Häufigkeit mitgeteilt (K9 S. 7 Z. 8-11, S. 10 Z. 5-8 und S. 15 Z. 14 f.). Sowohl aus den Einzeldarstellungen in den Figuren 2 bis 4 als auch aus der Zusammenfassung in Figur 1 ist ersichtlich, dass der Faserdurchmesser bei 100% aller Fasern durchweg unter fünf, bei den Faserproben B und C sogar durchweg unter zwei Mikrometer liegt. Daraus ist zu entnehmen, dass auch Glasfasern mit solchen Durchmesserverteilungen zur Erfindung gehören. Dass in dem in der Anmeldung formulierten Patentanspruch 1 großzügigere Anforderungen an den Durchmesser vorgesehen sind und nur auf den mittleren Durchmesser abgestellt wird, führt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu einer anderen Beurteilung.
Ob der Gegenstand des Streitpatents auch die Verwendung von Glasfasern mit den Merkmalen 1 bis 3 in Kombination mit Glasfasern größeren Durchmessers umfasst, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Diese Frage ist unabhängig davon zu beantworten, ob der Höchstwert für erfindungsgemäße Fasern anhand des mittleren oder anhand des maximalen Durchmessers bestimmt wird. In den ursprünglich eingereichten Unterlagen wird Schutz für Glasfasern der dort beschriebenen Art unabhängig von einem bestimmten Verwendungszweck beansprucht. Dies umfasst auch die Verwendung von Glasfasern mit einem mittleren Durchmesser von weniger als acht Mikrometer in Kombination mit Glasfasern, die einen größeren mittleren Durchmesser aufweisen. Der Übergang von der Festlegung des mittleren Durchmessers zur Festlegung des größten Durchmessers hat auch insoweit nicht zu einer Erweiterung geführt.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin führt die Festlegung des maximalen anstelle des mittleren Durchmessers auch nicht dazu, dass das Merkmal 3 b, wonach mehr als 10% der Glasfasern einen Durchmesser von weniger als drei Mikrometer aufweisen müssen, auch bei Glasfasermischungen erfüllt ist, die nicht zum Gegenstand der ursprünglichen Anmeldung gehören.
Hierbei ist unerheblich, dass sich bei einer isolierten Betrachtung von Patentanspruch 1 in der Fassung der ursprünglichen Anmeldung ein engerer Gegenstand ergeben könnte, weil bei der Berechnung des Prozentsatzes unter Umständen auch Glasfasern mit einem Durchmesser von mehr als acht Mikrometern zu berücksichtigen wären, so dass der Prozentsatz bezogen auf die Glasfasern, deren Durchmesser unter diesem Mittelwert liegt, größer ist. Aus der Beschreibung der Ausführungsbeispiele und den dort in Bezug genommenen Figuren 2 bis 4 der ursprünglich eingereichten Unterlagen ist ersichtlich, dass sich die dort enthaltenen Prozentangaben durchweg auf Faserproben beziehen, bei denen der größte Durchmesser unterhalb von acht Mikrometern liegt. Damit sind auch solche Glasfasermischungen als zur Erfindung gehörend offenbart, bei denen Fasern mit einem Durchmesser von mehr als acht Mikrometer bei der Berechnung des in Merkmal 3 b festgelegten Prozentsatzes nicht berücksichtigt werden. Dass in Patentanspruch 1 in der Fassung der Anmeldung insoweit möglicherweise engere Grenzen definiert wurden, führt nicht dazu, dass auch der Gegenstand der Anmeldung entsprechend beschränkt worden ist.
c) Entgegen der Auffassung der Klägerin sind auch Glasfasern, die das Merkmal 2 und einen mittleren Durchmesser von einem Mikrometer und mehr aufweisen, in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart.
Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, weist die in Ausführungsbeispiel 1 beschriebene Faserprobe A die in Merkmal 2 vorgesehenen Höchstwerte für die dort genannten Stoffe und einen mittleren Faserdurchmesser von mehr als einem Mikrometer auf. Weder aus den in der Anmeldung formulierten Patentansprüchen noch aus dem sonstigen Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen kann entnommen werden, dass Glasfasern, die das Merkmal 2 aufweisen, nur dann zum Gegenstand der Anmeldung gehören sollen, wenn sie zugleich einen mittleren Faserdurchmesser von weniger als einem Mikrometer haben. Aus dem Umstand, dass Patentanspruch 3 in der Fassung der Anmeldung diese beiden Merkmale in Kombination vorsieht, kann nicht gefolgert werden, dass der Gegenstand der Anmeldung entsprechend beschränkt und damit kein Schutz für die als Ausführungsbeispiel beschriebene Faserprobe A beansprucht werden sollte. Entsprechendes gilt für die Ausführungen in der Beschreibung der Anmeldung, wonach die Zusammensetzung nach Patentanspruch 3 zu besonders günstigen Werten bei der Halbwertszeit und der Tumorrate nach zwei Jahren führt (K9 S. 6 Z. 11-14). Aus dem Zusammenhang dieser Ausführungen (K9 S. 5 Z. 16 ff.) wird deutlich, dass auch Zusammensetzungen, die zu höheren Halbwertszeiten und Tumorraten führen, als erfindungsgemäß beansprucht wurden. Hierzu gehört auch die Faserprobe A.
Dass das diese Faserprobe betreffende Ausführungsbeispiel 1 in der Fassung, die die Streitpatentschrift im Einspruchsverfahren erhalten hat, als nicht erfindungsgemäß bezeichnet wird (S. 3 Z. 27), führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die Bezeichnung als nicht erfindungsgemäß ist zutreffend, weil bei den in Ausführungsbeispiel 1 beschriebenen Glasfasern der Anteil an Magnesiumoxid bei 4,7 Molprozent und damit oberhalb der in Merkmal 1 g definierten Höchstgrenze von 4 Molprozent liegt. Anhaltspunkte dafür, dass diese Zusammensetzung darüber hinaus aus weiteren Gründen als nicht zur Erfindung gehörend gelten soll, sind weder festgestellt noch sonst ersichtlich.
d) Entgegen der Auffassung der Klägerin geht der Gegenstand des Streitpatents nicht deshalb über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinaus, weil die Angaben zu Halbwertszeit (42 Tage) und Tumorrate (weniger als 5 %), die in der Anmeldung zu Glasfasern nach dem dort formulierten Patentanspruch 3 gemacht wurden (K9 S. 6 Z. 11-14), in der Beschreibung des Streitpatents nach dem Einspruchsverfahren auf Glasfasern nach Patentanspruch 1 bezogen sind (Abs. 11).
Diese Änderung hat zwar zu einer inhaltlichen Abweichung geführt, weil Patentanspruch 3 in der Fassung der Anmeldung zusätzlich zu den Merkmalen von Patentanspruch 1 in der Fassung nach dem Einspruchsverfahren einen mittleren Durchmesser von weniger als einem Mikrometer vorsieht. Diese Abweichung hat jedoch keinen Einfluss auf den Gegenstand des Streitpatents.
Eine Passage in der Beschreibung oder eine Zeichnung, die nicht Inhalt der ursprünglichen Unterlagen gewesen ist, kann nur dann den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung begründen, wenn deren Berücksichtigung bei der Auslegung des Patentanspruchs des erteilten Patents zu einem veränderten Verständnis der darin verwendeten Begriffe oder des geschützten Gegenstands führt (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 28/06, GRUR 2010, 513 Rn. 50 - Hubgliedertor II).
Die hier in Rede stehenden Angaben zu Halbwertszeit und Tumorrate haben, wie bereits oben dargelegt wurde, keinen Niederschlag in den Patentansprüchen gefunden. Als Glasfasern ohne kanzerogenes Potential im Sinne von Merkmal 4 sind vielmehr schon solche Fasern anzusehen, bei denen die im Tierversuch ermittelte Tumorrate weniger als 10 % beträgt. Ob dieser Wert durch die Verwendung von Glasfasern, die die Merkmale von Patentanspruch 1, nicht aber die zusätzlichen Merkmale von Patentanspruch 2 aufweisen, auf unter 5 % reduziert werden kann, ist für die Auslegung der Patentansprüche mithin unerheblich.
Vor diesem Hintergrund ist auch unerheblich, dass nach der jetzigen Fassung des Streitpatents für Glasfasern nach dem auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentanspruch 2 eine höhere Halbwertszeit (115 Tage) und eine höhere Tumorrate (weniger als 10%) angegeben werden (Abs. 18) als für Glasfasern nach dem Hauptanspruch. Diese Ausführungen bestätigen lediglich, dass die Einhaltung einer Tumorrate von unter 5 % für die Verwirklichung der Merkmale von Patentanspruch 1 nicht zwingend erforderlich ist.
2. Zutreffend ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
a) Der Umstand, dass in der Fassung, die die Streitpatentschrift im Einspruchsverfahren erhalten hat, kein Ausführungsbeispiel geschildert wird, bei dem alle Merkmale von Patentanspruch 1 verwirklicht sind, macht es dem Fachmann - als den das Patentgericht zutreffend und von der Berufung unbeanstandet einen Diplomchemiker mit Erfahrung in der Mineralfaserherstellung angesehen hat, der in Zusammenarbeit mit erfahrenen Toxikologen, Pathologen oder klinischen Medizinern steht - nicht unmöglich, an Glasfasern zu gelangen, die erfindungsgemäß verwendet werden können.
Bei einem Vergleich der in den Merkmalen 1 und 2 definierten Anforderungen an die Glaszusammensetzung und den bei Ausführungsbeispiel 1 aufgeführten Werten ergibt sich für den Fachmann, dass lediglich der Anteil von Magnesiumoxid mit 4,70 Molprozent (in der Streitpatentschrift mit 3,2 Gewichtsprozent angegeben) geringfügig außerhalb des in Merkmal 1 g definierten Bereichs von 1 bis 4 Molprozent liegt. Ausgehend von dieser Erkenntnis kann der Fachmann den Anteil an Magnesium geringfügig verringern und so Glasfasern erhalten, die alle Merkmale der Merkmalsgruppen 1 bis 3 aufweisen.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin bedarf es für eine deutliche und vollständige Offenbarung keiner zusätzlichen Angaben dazu, wie die in der Streitpatentschrift als maßgeblich definierte Tumorrate von weniger als 10 % zu erreichen ist.
Selbst wenn sich diese Rate bei der Verwirklichung der Merkmale 1 bis 3 nicht ohne weiteres einstellt, kann der Fachmann durch Nacharbeiten des Ausführungsbeispiels 1 zu geeigneten Glasfasern gelangen. Dass er hierzu möglicherweise ergänzend auf sein Fachwissen zurückgreifen muss, ist in diesem Zusammenhang unerheblich (BGH, Urteil vom 13. Juli 2010 - Xa ZR 126/07, GRUR 2010, 916 Rn. 17- Klammernahtgerät).
Ebenfalls unerheblich ist die von der Berufung behandelte Frage, ob der Fachmann der Beschreibung des Streitpatents entnehmen kann, dass Glasfasern, die das Merkmal 2 nicht aufweisen, eine hohe Tumorrate aufweisen. Die Ausführbarkeit der im Streitpatent beanspruchten Erfindung hängt nicht davon ab, ob es auch noch andere Glaszusammensetzungen gibt, die zur Herstellung von Glasfasern für den hier in Rede stehenden Verwendungszweck geeignet sind. Zur Offenbarung der Erfindung reicht es aus, wenn die in Patentanspruch 1 beschriebenen Glasfasern diese Eignung aufweisen.
3. Zu Recht hat das Patentgericht den Gegenstand des Streitpatents als patentfähig angesehen.
a) Wie auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, ist der Gegenstand des Streitpatents neu.
(1) In der Produktinformation "Bayer - Microglasfasern für den technischen Einsatz", die am Prioritätstag in zwei inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmenden Fassungen mit Stand vom Juli 1987 (K3) und vom Februar 1989 (K5) öffentlich zugänglich war, werden Glasfasern aus verschiedenen Glaszusammensetzungen und mit unterschiedlichen Durchmessern beschrieben. Für Glasfasern des Typs ATF 3101 wird dabei folgende Zusammensetzung angegeben (K3 und K5, jeweils vorletzte Seite):
Bestandteil |
Anteil in |
Anteil in |
SiO2 |
61,0 |
59,78-60,26 |
Al2O3 |
- |
- |
B2O3 |
3,3 |
2,79-2,81 |
TiO2 |
- |
- |
FeO+Fe2O3 |
<0,5 |
0-0,18 |
ZnO |
- |
- |
MgO |
3,2 |
4,67-4,71 |
CaO |
16,5 |
17,33-17,46 |
BaO |
- |
- |
Na2O |
15,4 |
14,63-14,75 |
K2O |
<1,0 |
0-0,62 |
F2 |
- |
- |
Sonstige |
- |
- |
Dies entspricht der Zusammensetzung der Glasfasern, die in Ausführungsbeispiel 1 des Streitpatents beschrieben werden.
Für Standardprodukte, zu denen auch der Typ ATF 3101 gehört, werden in K3 und K5 mehrere Spezifikationen angeboten, die sich unter anderem hinsichtlich des mittleren Durchmessers unterscheiden. Der mittlere Durchmesser der als lieferbar aufgeführten Spezifikationen liegt im Bereich zwischen 0,5 und 2,0 Mikrometer (K3 S. 2 f., K5 S. 2).
(2) Damit sind die Merkmalsgruppen 1 und 3 - mit Ausnahme des Merkmals 1 g - und auch die zusätzlichen Merkmale von Patentanspruch 2 offenbart. Lediglich der Anteil an Magnesiumoxid liegt - ebenso wie bei Ausführungsbeispiel 1 des Streitpatents - mit rund 4,7 Molprozent außerhalb des in Patentanspruch 1 definierten Bereichs.
(3) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch Merkmalsgruppe 2 offenbart.
Die in den Merkmalen 2 a, 2 b und 2 c aufgeführten Stoffe (Titandioxid, Bariumoxid und Zinkoxid) werden in der Liste der Bestandteile aufgeführt; in der Rubrik für den Anteil ist jeweils ein Strich eingetragen. Daraus ist zu folgern, dass diese Stoffe allenfalls in nicht messbaren Mengen in den Glasfasern enthalten sind.
Entgegen der Auffassung der Beklagten können die Angaben nicht dahin verstanden werden, dass hinsichtlich dieser Stoffe keine Messungen erfolgt sind. Dagegen spricht schon, dass für jeden dieser Stoffe bei zumindest einem anderen Glasfasertyp Mengenangaben aufgeführt werden, dort also Messungen durchgeführt worden sind. Hinweise darauf, dass solche Messungen beim Typ ATF 3101 unterblieben sind, lassen sich K3 und K5 nicht entnehmen.
Unabhängig davon ergibt sich aus den angegebenen Anteilen (ohne die nur als Obergrenze angegebenen Werte für Eisenoxide und Kaliumoxid) bereits eine Summe von 99,4 Gewichtprozent bzw. 99,2 Molprozent. Selbst wenn keine Messungen stattgefunden hätten, würde der Anteil aller anderen in Betracht kommenden Inhaltsstoffe mithin unter der in Merkmalsgruppe 2 definierten Grenze von einem Molprozent liegen. Angesichts dessen ist der Aufstellung in K3 und K5 auch zu entnehmen, dass Glasfasern des Typs ATF 3101 auch die in den Merkmalen 2 d und 2 e aufgeführten Stoffe (Strontiumoxid und Zirkoniumdioxid) allenfalls in Anteilen von weniger als einem Molprozent enthalten.
(4) Nicht offenbart ist das Merkmal 4.
In K3 und K5 wird ausgeführt, Fasern mit einem maximalen Durchmesser von drei Mikrometer und einer Länge von 5 bis 200 Mikrometer gälten als lungengängig. Aufgrund ihrer ausgeprägten Faserfeinheit seien Microglasfasern in die Gruppe III.B der MAK-Liste eingestuft. Dies bedeute, dass eine kanzerogene Wirksamkeit vermutet werde. Um hier vollständige Klarheit zu bekommen, seien bereits 1986 zwei unabhängige Institute mit entsprechenden Untersuchungen beauftragt worden. Als voraussichtliches Abschlussdatum dieser Untersuchungen wird in K3 (S. 4) "nicht vor 1988" und in K5 (S. 3) "in 1989" angekündigt.
Damit ist die Verwendung der Glasfasern für Einsatzzwecke, bei denen die Gefahr von Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden soll, in K3 und K5 nicht offenbart. Dass Glasfasern des Typs ATF 3101 nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift objektiv kein kanzerogenes Potential aufweisen und deshalb für diese Zwecke geeignet sind, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Zwar ist die Verwendung eines Stoffes für einen bestimmten Zweck auch dann offenbart, wenn nicht bekannt ist, welche naturwissenschaftlichen Zusammenhänge für die Erzielung der angestrebten Wirkung maßgeblich sind (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 68/08, GRUR 2011, 999 Rn. 43 f. - Memantin). In K3 und K5 fehlt es aber nicht nur an der Angabe, dass gerade die in Patentanspruch 1 definierten Merkmale dazu führen, dass die Glasfasern kein kanzerogenes Potential zeigen. Dem in K3 und K5 enthaltenen, auch auf Glasfasern vom Typ ATF 3101 bezogenen Hinweis, eine kanzerogene Wirksamkeit werde vermutet, ist vielmehr zu entnehmen, dass diese Fasern als nicht zur Verwendung als Glasfasern ohne kanzerogenes Potential geeignet angesehen wurden. Das Streitpatent offenbart demgegenüber eine zusätzliche Verwendungsmöglichkeit, die durch objektive Merkmale von den im Stand der Technik bekannten Verwendungsmöglichkeiten abgegrenzt werden kann. Das Streitpatent ermöglicht es, Glasfasern für Verwendungszwecke einzusetzen, bei denen aufgrund rechtlicher oder sonstiger Vorgaben die Gefahr einer durch die Fasern verursachten Krebserkrankung ausgeschlossen sein muss. Die Verwendung von Glasfasern in einem solchen Umfeld dient objektiv einem anderen Zweck als die Verwendung von Glasfasern, bei der die Möglichkeit einer Verursachung von Krebserkrankungen in Kauf genommen wird. Diese neue Verwendung ist in K3 und K5 nicht offenbart.
b) Zutreffend hat das Patentgericht entschieden, dass der Gegenstand des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
(1) Die geschützte Verwendung ist dem Fachmann durch die Ausführungen in K3 und K5 nicht nahegelegt.
Aus diesen Entgegenhaltungen ergibt sich allerdings, dass es am Prioritätstag über das kanzerogene Potential der dort beschriebenen Glasfasern keine abschließenden Erkenntnisse, sondern lediglich Vermutungen gab und dass entsprechende Untersuchungen bereits in Auftrag gegeben waren. Der Fachmann, der diesen Hinweis zum Anlass genommen hätte, seinerseits entsprechende Untersuchungen aufzunehmen, wäre, wie die Ausführungen in der Streitpatentschrift belegen, zu dem Ergebnis gekommen, dass Glasfasern vom Typ ATF 3101 kein kanzerogenes Potential im Sinne des Streitpatents aufweisen. Damit wäre er zum Gegenstand des Streitpatents gelangt. Geringfügige Variationen in der Zusammensetzung, wie sie Patentanspruch 1 zulässt, und die geringfügige Verringerung der Obergrenze für Magnesiumoxid in Merkmal 1 g wären in diesem Zusammenhang auch nach den Ausführungen im Streitpatent ohne ausschlaggebende Bedeutung. Unerheblich wäre auch, ob der Fachmann auf diesem Weg die Erkenntnis gewonnen hätte, auf welchen naturwissenschaftlichen Zusammenhängen es beruht, dass gerade Glasfasern des Typs ATF 3101 kein kanzerogenes Potential haben, und ob dies tatsächlich auf der Einhaltung der in Merkmalsgruppe 2 definierten Obergrenzen für bestimmte Inhaltsstoffe beruht. Wie bereits dargelegt ist die Verwendung einer Sache für einen bestimmten Zweck auch dann offenbart, wenn nicht bekannt ist, aus welchem Grund die offenbarte Verwendung zu der angestrebten Wirkung führt.
Der Fachmann hatte am Prioritätstag aber keinen Anlass, Versuche zur Ermittlung des kanzerogenen Potentials der in K3 und K5 aufgeführten Glasfasern durchzuführen. Die Ausführungen in K3 und K5, wonach solche Versuche bereits in Auftrag gegeben waren, belegen zwar, dass eine derartige Vorgehensweise möglich war. Weder daraus noch aus sonstigen Umständen ergaben sich für den Fachmann aber hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass auf diesem - mit relativ hohem Aufwand verbundenen - Weg Glasfasern zu finden waren, die zu der in Merkmal 4 beschriebenen Verwendung geeignet sind. Nach den auch in K3 und K5 wiedergegebenen Erkenntnissen am Prioritätstag mag zwar einiges dafür gesprochen haben, dass die Verweildauer in der Lunge auch von der Abbaubarkeit und damit von der chemischen Zusammensetzung des Ausgangsmaterials abhängt. Daraus ergab sich aber keine hinreichende Aussicht darauf, dass die in K3 und K5 aufgeführten Glasfasern insoweit zu unterschiedlichen Versuchsergebnissen führen würden, die eine gezielte Auswahl von geeigneten Ausgangsmaterialien ermöglichten. Der Entschluss, diesen Weg zu beschreiten, war damit nicht in einer Weise vorgezeichnet, dass der Fachmann Anlass hatte, ihn zur Lösung des dem Streitpatent zu Grunde liegenden Problems zu beschreiten. Dass andere ihn - mit unbekanntem Ausgang - bereits beschritten hatten, führt insoweit nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
(2) Aus den weiteren Entgegenhaltungen ergeben sich keine zusätzlichen Anhaltspunkte, die es dem Fachmann hätten nahelegen können, Versuche mit Glasfasern vom Typ ATF 3101 und mit anderen Glasfasern, die höhere Anteile der in Merkmal 2 aufgeführten Komponenten enthalten, durchzuführen.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Gröning Bacher
Hoffmann Schuster