Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 16.04.2013


BGH 16.04.2013 - X ZR 49/12

Patentnichtigkeitssache: Wirksamkeitsprüfung für die - konkludente - Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität für eine europäische Patentanmeldung innerhalb eines Konzerns - Fahrzeugscheibe


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
10. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
16.04.2013
Aktenzeichen:
X ZR 49/12
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend BGH, 21. Januar 2013, Az: X ZR 49/12, Beschlussvorgehend BPatG München, 15. Februar 2012, Az: 5 Ni 59/10 (EP), Urteilnachgehend BGH, 21. Juni 2016, Az: X ZR 41/14, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 87 Abs 1 EuPatÜbk

Leitsätze

Fahrzeugscheibe

1. Die Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Patentanmeldung ist auch dann nicht formbedürftig, wenn die Priorität für eine europäische Patentanmeldung in Anspruch genommen werden soll.

2. Zur konkludenten Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität innerhalb eines Konzerns.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15. Februar 2012 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Patentgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 240 041 (Streitpatents), das am 21. Dezember 2000 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Voranmeldung 199 61 706 vom 21. Dezember 1999 angemeldet worden ist und eine Anordnung zum Verbinden einer Fahrzeugscheibe mit einem angrenzenden Bauteil betrifft.

2

Die Klägerin hat das Streitpatent mit Ausnahme von Anspruch 11 mit der Begründung angegriffen, sein Gegenstand sei nicht patentfähig.

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Das Patentgericht hat das Streitpatent im beantragten Umfang für nichtig erklärt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie das Streitpatent in erster Linie in der erteilten Fassung, hilfsweise in beschränkter Fassung verteidigt.

Entscheidungsgründe

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I. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

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Der Gegenstand des Streitpatents sei nicht neu. Die ältere nachveröffentlichte deutsche Anmeldung 199 61 706 nehme die Erfindung neuheitsschädlich vorweg. Der Beklagten sei der Nachweis, dass sie Inhaberin dieser Anmeldung geworden sei, nicht gelungen. Es sei nicht ersichtlich, dass die S.      G.   Deutschland        (im Folgenden: SG Deutschland), die diese Anmeldung eingereicht hat, hierbei treuhänderisch für die Beklagte gehandelt habe. Soweit sich die Beklagte auf eine Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität dieser Anmeldung von SG Deutschland auf sie berufe, sei im Nichtigkeitsverfahren die Wirksamkeit der behaupteten Rechtsnachfolge vom Gericht zu prüfen. Die Beklagte habe den Nachweis, dass ihr das Prioritätsrecht aus der deutschen Anmeldung wirksam übertragen worden sei, nicht geführt. Die zum Beleg der Übertragung vorgelegten Schriftstücke (Anlagen D23 und D24) ließen mehrere Deutungsmöglichkeiten zu. Sei demnach für den Zeitrang des Streitpatents der 21. Dezember 2000 als Tag des Eingangs der Anmeldung maßgeblich, stelle die am 5. Juli 2001 offengelegte und damit nachveröffentlichte deutsche Anmeldung gegenüber dem Streitpatent ein älteres nationales Recht nach Art. 139 Abs. 2 EPÜ dar.

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II. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

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Nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG wird das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilte europäische Patent auf Antrag für nichtig erklärt, wenn sein Gegenstand nach den Artikeln 52 bis 57 EPÜ nicht patentfähig ist. Nach Art. 54, 138 Abs. 1 lit. a, 139 Abs. 2 EPÜ rechnet zum Stand der Technik auch eine ältere nachveröffentlichte nationale Patentanmeldung. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die deutsche Anmeldung 199 61 706 die Lehre des Streitpatents vorwegnimmt. Das führt jedoch nicht zur Nichtigkeit des Streitpatents, weil die Beklagte die Priorität dieser Anmeldung in Anspruch nehmen kann.

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1. Anmelderin des Streitpatents ist die Beklagte. Die deutsche Anmeldung 199 61 706 wurde von SG Deutschland eingereicht. Dabei handelt es sich um eine Gesellschaft, die zum gleichen Konzern gehört wie die Beklagte.

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Die vom Patentgericht erörterte Frage, ob eine Befugnis der Beklagten zur Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Anmeldung mit der Begründung angenommen werden kann, SG Deutschland habe bei der Anmeldung als Treuhänderin der Beklagten gehandelt, bedarf keiner Vertiefung. Es erscheint zweifelhaft, ob eine Anmeldung durch einen Treuhänder mit der Folge möglich ist, dass der Treugeber als Anmelder anzusehen ist (dagegen Keukenschrijver, Mitt. 2001, 233 f.; Benkard/Grabinski, EPÜ, 2. Aufl., Art. 87 Rn. 3). Die Beklagte hat jedenfalls klargestellt, dass sie sich nicht darauf beruft, SG Deutschland habe die deutsche Anmeldung als Treuhänderin vorgenommen, sondern sich auf eine Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität stützt.

10

2. Die Beklagte kann die Priorität der deutschen Anmeldung für den Zeitrang des Streitpatents in Anspruch nehmen, weil ihr das Recht auf Inanspruchnahme der Priorität dieser Anmeldung rechtzeitig und wirksam von SG Deutschland übertragen worden ist.

11

a) Die Priorität einer nationalen Anmeldung kann nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ von dem personenverschiedenen Anmelder einer europäischen Nachanmeldung in Anspruch genommen werden, wenn ihm das Recht zur Inanspruchnahme der Priorität rechtzeitig - das heißt vor Einreichung der Nachanmeldung - und wirksam übertragen worden ist (EPA, Beschluss vom 14. November 2006 - T 62/05 Rn. 3.6; Benkard/Grabinski, aaO Rn. 3 f.; Bremi in Singer/Stauder, EPÜ, 6. Aufl., Art. 87 Rn. 53).

12

b) Nach welchem nationalen Recht die Wirksamkeit einer Übertragung des Rechts zur Inanspruchnahme der Priorität einer Patentanmeldung zu beurteilen ist, bestimmt sich nach den Regelungen des internationalen Privatrechts. Da hier eine Übertragung des Prioritätsrechts im Jahr 2000 in Rede steht, findet Art. 33 Abs. 2 EGBGB Anwendung. Danach unterfällt die Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität dem Recht des Staates der ersten Anmeldung, hier also dem deutschen Recht (Benkard/Grabinski, EPÜ, 2. Aufl., Art. 87 Rn. 5; Singer/Stauder/Bremi, EPÜ, 6. Aufl., Art. 87 Rn. 52; Wieczorek, Die Unionspriorität, 1975, S. 143; aA Ruhl, Unionspriorität, 2000 Rn. 260). Nach deutschem Recht ist die Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität gemäß §§ 413, 398 BGB nicht formbedürftig (Benkard/Grabinski, aaO; Fischer/Gleiter in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatG, 4. Aufl., § 40 Rn. 3).

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c) Weitergehende Formerfordernisse lassen sich auch aus dem Europäischen Patentübereinkommen nicht ableiten. Art. 87 EPÜ sieht vor, dass das Prioritätsrecht nicht nur von demjenigen in Anspruch genommen werden kann, der eine nationale Patentanmeldung vorschriftsmäßig eingereicht hat, sondern auch durch seinen Rechtsnachfolger. Regelungen über die Form, in der eine Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität zu erfolgen hat, enthält die Bestimmung nicht. Die Auffassung einer Technischen Beschwerdekammer, aus Gründen der Rechtssicherheit seien die in Art. 72 EPÜ aufgestellten Anforderungen an die Form der Übertragung einer europäischen Patentanmeldung auf die Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität anzuwenden (EPA, Technische Beschwerdekammer, Beschluss vom 14. November 2006 - T 62/05 Rn. 3.9; krit. Bremi, epi-information, 1/2010, 17 ff., anders noch EPA, Beschwerdekammer, Beschluss vom 21. März 1988 - J 19/87), hält der Senat nicht für zutreffend. Die Mitgliedstaaten des Europäischen Patentübereinkommens haben hier - anders als in Art. 72 für den Fall der Übertragung einer europäischen Patentanmeldung - kein Formerfordernis vorgesehen. Diese Entscheidung haben die Gerichte hinzunehmen.

14

d) Aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen ergibt sich unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten, dass SG Deutschland das Recht zur Inanspruchnahme der Priorität aus der deutschen Patentanmeldung 199 61 706 übertragen hat. Das Patentgericht hat die Anforderungen an den Nachweis einer konkludenten Übertragung des Prioritätsrechts überspannt.

15

aa) Die Gesellschaften des S.  -G.  -Konzerns haben im Dezember 1991 den als Anlage D25 vorgelegten Vertrag über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung geschlossen. Der Vertrag sieht vor, dass die Konzerngesellschaften sich gegenseitig über ihre jeweiligen Rechte an geistigem Eigentum informieren, diese untereinander zur Verfügung stellen und sie gegebenenfalls an eine als Koordinator bezeichnete Stelle übertragen. Aus dieser Regelung ergibt sich die Verpflichtung der konzernangehörigen Gesellschaften, der für die Koordination zuständigen Stelle die erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen, deren Entscheidung über das weitere Vorgehen abzuwarten und die für die Umsetzung der Entscheidung gegebenenfalls erforderlichen Maßnahmen durchzuführen. Da der Zeitpunkt der Priorität für den Rechtsbestand eines Patents Bedeutung hat, ist eine Konzerngesellschaft danach für den Fall einer vorangegangenen nationalen Anmeldung regelmäßig auch gehalten, diese Anmeldung oder das Recht auf Inanspruchnahme ihrer Priorität zu übertragen.

16

bb) Vor diesem Hintergrund ist dem als Anlage D23 vorgelegten Schreiben nicht nur zu entnehmen, dass SG Deutschland die zuständige Stelle darüber informiert, dass sie am 21. Dezember 1999 eine nationale Patentanmeldung eingereicht hat. Mit diesem Schreiben sollte, wie sich insbesondere aus dem vorletzten Absatz ergibt, die französische Zentrale in die Lage versetzt werden, die ihr nach dem erwähnten Vertrag vorbehaltene Entscheidung darüber zu treffen, ob eine Ausweitung der Anmeldung der Erfindung auf andere Staaten erfolgen solle, wer diese vorzunehmen habe und wer die Kosten trage. Unter den hier vorliegenden Umständen, insbesondere unter Berücksichtigung dessen, dass auf beiden Seiten patentrechtlich geschulte Personen handelten, liegt in diesem Schreiben bereits das Angebot, gegebenenfalls das Recht auf Inanspruchnahme der Priorität aus der deutschen Patentanmeldung auf die Konzerngesellschaft zu übertragen, die weitere Anmeldungen im Ausland vorzunehmen hätte.

17

cc) Die als Anlage D24 vorgelegte Urkunde belegt, dass der hierfür zuständige M. L.   sich am 4. Dezember 2000 - und damit vor Ablauf der Prioritätsfrist nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ - für eine Ausweitung des Schutzes auf zahlreiche Staaten und für eine Anmeldung durch die Beklagte entschieden hat. In dieser Entscheidung liegt zugleich die Annahme des Angebots von SG Deutschland zur Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität aus der deutschen Anmeldung. Wie der weitere Gang der Dinge zeigt, wurde diese Entscheidung auch an die zuständigen Stellen innerhalb des Konzerns übermittelt und dort umgesetzt. Wann SG Deutschland hierüber informiert wurde, ist nicht ausschlaggebend. Das Zustandekommen des Vertrags, mit dem SG Deutschland der Beklagten das Recht zur Inanspruchnahme der Priorität übertrug, setzt nicht voraus, dass SG Deutschland gegenüber die Annahme erklärt worden ist, denn aus dem erwähnten Vertrag ergibt sich, dass die Konzerngesellschaften untereinander hierauf verzichtet haben (§ 151 BGB).

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dd) Die Annahme einer konkludenten Einigung der Beteiligten wird dadurch gestützt, dass SG Deutschland in der Folge Erklärungen unterzeichnet hat, mit denen die Übertragung des Prioritätsrechts zur Vorlage bei den zuständigen Stellen solcher Staaten belegt werden sollte, nach deren Recht es eines schriftlichen Nachweises hierüber bedarf (Anlagen BU 3, 4 und 5). Ob diese Erklärungen innerhalb der Frist des Art. 87 Abs. 1 EPÜ unterzeichnet wurden, ist nicht maßgeblich. Unerheblich ist auch, ob die Erklärungen inhaltlich zutreffend waren, was zweifelhaft wäre, wenn mit ihnen nicht lediglich zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass eine Übertragung des Prioritätsrechts in der Vergangenheit erfolgt ist. Unabhängig davon zeigen diese Erklärungen jedenfalls, dass SG Deutschland bereit war, der Beklagten das Recht zur Inanspruchnahme der Priorität zu übertragen.

19

3. Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 PatG). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Der Senat kann aufgrund der Feststellungen des Patentgerichts und des Sach- und Streitstandes am Schluss der mündlichen Verhandlung nicht abschließend beurteilen, ob das Streitpatent für nichtig zu erklären ist. Eine abschließende Sachentscheidung durch den Senat ist nicht angezeigt (§ 119 Abs. 5 PatG).

20

Das Patentgericht wird im neu eröffneten Verfahren der zwischen den Parteien streitigen Frage nachzugehen haben, wie die Patentansprüche aus der Verfahrenssprache richtigerweise in die deutsche Sprache zu übersetzen sind.

Meier-Beck                         Mühlens                            Gröning

                    Schuster                          Deichfuß