Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 15.01.2013


BGH 15.01.2013 - X ZR 155/10

Schadensersatzanspruch des im Vergabeverfahren ausgeschlossenen Bieters gegen den öffentlichen Auftraggeber: Vergaberechtswidriger Bieterausschluss bei Angebotsabgabe nach der Leistungsbeschreibung in einem Kurztextleistungsverzeichnis - Parkhaussanierung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
10. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
15.01.2013
Aktenzeichen:
X ZR 155/10
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Köln, 21. Juli 2010, Az: 11 U 212/09vorgehend LG Aachen, 17. November 2009, Az: 12 O 140/09
Zitierte Gesetze
§ 13 Abs 1 Nr 6 VOB A

Leitsätze

Parkhaussanierung

Legt der öffentliche Auftraggeber den Vergabeunterlagen ein Kurztextleistungsverzeichnis bei, darf der Bieter als Adressat dies dahin verstehen, bei dessen Verwendung zur Beschreibung der angebotenen Leistung nur die darin geforderten Angaben machen zu müssen. Der öffentliche Auftraggeber kann in diesem Fall den Ausschluss des Angebots nicht darauf stützen, er habe sich an anderer Stelle in den Vergabeunterlagen ausbedungen, dass bei Verwendung selbstgefertigter Abschriften oder Kurzfassungen alle im Langtextleistungsverzeichnis geforderten Textergänzungen in das Kurztextverzeichnis übertragen werden müssen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das am 21. Juli 2010 verkündete Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin beteiligte sich an einer öffentlichen Ausschreibung der Beklagten im Jahre 2008 betreffend eine Baumaßnahme zur Sanierung eines Parkhauses in J.  . Zu den ihr von der Beklagten für die Erstellung des Angebots übermittelten Vergabeunterlagen gehörten ein Langtext und ein Kurztextleistungsverzeichnis. Im Ersteren waren bei einzelnen Positionen nicht nur der Einheitspreis und der auf die Position entfallende Gesamtbetrag anzugeben, sondern darüber hinaus waren in hinzugefügten Rubriken Angaben zum vorgesehenen Material und Hersteller bzw. Lieferwerk zu machen. Entsprechende Eintragungsfelder sah das mitgelieferte Kurztextleistungsverzeichnis nicht vor.

2

Zu den Vergabeunterlagen gehörten des Weiteren Bewerbungsbedingungen, deren Klausel 3.2 lautet:

"Für das Angebot sind die vom Auftraggeber übersandten Vordrucke zu verwenden …

Anstelle des vom Auftraggeber übersandten Leistungsverzeichnisses können selbstgefertigte Abschriften oder Kurzfassungen verwendet werden, wenn der Bieter das vom Auftraggeber verfasste Leistungsverzeichnis als alleinverbindlich anerkennt. Eine selbstgefertigte Abschrift oder Kurzfassung ist zugelassen. Das vom Auftraggeber verfasste Leistungsverzeichnis ist alleinverbindlich.

Kurzfassungen … müssen für jede Teilleistung nacheinander die Ordnungszahl, die Menge, die Einheit, den Einheitspreis und den Gesamtbetrag, darüber hinaus den jeweiligen Kurztext sowie die dem Leistungsverzeichnis entsprechenden Zwischensummen der Leistungsabschnitte, die Angebotssumme und alle vom Auftraggeber geforderten Textergänzungen enthalten. Angebote, die diesen Bedingungen nicht entsprechen, können ausgeschlossen werden.

Die Kurzfassung ist zusammen mit dem vom Auftraggeber übersandten Leistungsverzeichnis Bestandteil des Angebots.

Der Bieter ist verpflichtet, auf Anforderungen des Auftraggebers vor Auftragserteilung ein vollständig ausgefülltes Leistungsverzeichnis nachzureichen."

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Die Klägerin bediente sich für die Abgabe ihres Angebots des Kurztextleistungsverzeichnisses der Beklagten. Die darin geforderten Angaben gab sie vollständig ab. Die Beklagte schloss das Angebot mit der Begründung von der Wertung aus, das eingereichte Kurztextleistungsverzeichnis enthalte entgegen den Vorgaben in Klausel 3.2 Abs. 3 nicht die im Langtextleistungsverzeichnis geforderten Textergänzungen, also die Angaben zum Material und dessen Herkunft.

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Mit ihrer Klage, der die Beklagte entgegengetreten ist, hat die Klägerin den ihr durch Nichterteilung des Auftrags entgangenen Gewinn geltend gemacht. Das Landgericht hat den Klageantrag dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; das Oberlandesgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

5

I. Das Berufungsgericht meint, der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen Verletzung von durch die Teilnahme an der Ausschreibung begründeten Pflichten nicht zu, weil ihr Angebot zwingend nach § 25 Nr. 1 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A aF von der Wertung auszuschließen gewesen sei. Die Klägerin sei ihrer Verpflichtung aus § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A aF, alle geforderten Erklärungen abzugeben, nicht nachgekommen, weil sie die im Langtextleistungsverzeichnis bei bestimmten Positionen geforderten zusätzlichen Angaben entgegen Klausel 3.2 der Bewerbungsbedingungen nicht gemacht habe. Diese Angaben hätten auch bei Verwendung einer Kurzfassung des Leistungsverzeichnisses zwingend erfolgen müssen. Zwar räume diese Klausel dem Bieter die Möglichkeit ein, anstelle der vom Auftraggeber übersandten Vordrucke selbstgefertigte Abschriften oder Kurzfassungen zu verwenden, wenn er das vom Auftraggeber verfasste Leistungsverzeichnis als verbindlich anerkenne und die dort geforderten Angaben vollständig enthalten seien. Mit "Leistungsverzeichnis" sei in diesem Zusammenhang aber allein das Langtextleistungsverzeichnis gemeint, das bei gewissenhafter Lektüre der Bewerbungsbedingungen als maßgeblicher "Vordruck" im Sinne von Nummer 3.2 Abs. 1 der Bewerbungsbedingungen habe verstanden werden können. Die Bewerbungsbedingungen seien insoweit auch nicht unklar. Soweit die Vergabestelle sich die Nachforderung eines vollständig ausgefüllten Leistungsverzeichnisses vorbehalten habe, ergebe sich daraus kein Recht des Bieters, bei Einreichung eines Kurztextleistungsverzeichnisses die Abgabe der geforderten Bieterangaben zu Material und dessen Herkunft von einer Nachforderung durch die Beklagte abhängig zu machen.

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II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

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1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs korrespondiert mit der Ausschlusssanktion für Angebote, welche geforderte Erklärungen nicht enthalten, die Verpflichtung der Auftraggeber, die Vergabeunterlagen so eindeutig zu gestalten, dass die Bieter ihnen deutlich und sicher entnehmen können, welche Erklärungen von ihnen in welchem Stadium des Vergabeverfahrens abzugeben sind. Genügen die Vergabeunterlagen dem nicht, darf der Auftraggeber ein Angebot nicht ohne weiteres wegen Fehlens einer entsprechenden Erklärung aus der Wertung nehmen, sondern muss dieses Defizit der Vergabeunterlagen ausgleichen und den Bietern Gelegenheit geben, die fraglichen Erklärungen nachzureichen (BGH, Urteil vom 3. April 2012 - X ZR 130/10, VergabeR 2012, 724 Rn. 9 - Straßenausbau).

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2. Das Berufungsurteil lässt nicht erkennen, dass das Berufungsgericht bei seiner Annahme, den Vergabeunterlagen habe klar entnommen werden können, dass die Textergänzungen des Langtextleistungsverzeichnisses in jedem Fall bei Einreichung des Angebots zu machen waren, alle für die Ermittlung des maßgeblichen Erklärungsgehalts der Vergabeunterlagen wesentlichen Umstände in gebotenem Umfang berücksichtigt hat.

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a) Für das Verständnis der vom Auftraggeber vorformulierten Vergabeunterlagen ist der objektive Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, also eines abstrakt bestimmten Adressatenkreises, maßgeblich (BGH, VergabeR 2012, 724 Rn. 10 - Straßenausbau; BGH, Urteil vom 11. November 1993 - VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64). Bei der Prüfung, welcher Erklärungsgehalt den übermittelten Vergabeunterlagen in ihrer Gesamtheit aus der Sicht der Bieter zukam, ist zu berücksichtigen, dass diese Unterlagen ein vom öffentlichen Auftraggeber selbst vorformuliertes Kurztextleistungsverzeichnis einschlossen. Die Verwendung von Kurzfassungen des Leistungsverzeichnisses ist im öffentlichen Auftragswesen eine seit langem gebräuchliche Rationalisierungshilfe. Mit solchen Auszügen aus dem Angebot kann sich die Vergabestelle überblicksartig ein Bild von dem für sie wesentlichen Gehalt des Angebots machen. Nach der seit dem 11. Juni 2010 geltenden Fassung der Vergabe und Vertragsordnung für Bauleistungen können Bieter für die Angebotsabgabe stets selbstgefertigte Abschriften oder Kurzfassungen des Leistungsverzeichnisses benutzen (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A), wenn die in dieser Vorschrift vorgesehenen Angaben gemacht werden; nach der im Streitfall anwendbaren Fassung der Vergabe und Vertragsordnung gilt sinngemäß das Gleiche (§ 21 Nr. 1 Abs. 4 VOB/A aF). Die Vergabe und Vertragsordnung für Bauleistungen selbst bestimmt den unabdingbaren Inhalt solcher Kurzfassungen lediglich dahin, dass die Ordnungszahlen (Positionen) vollzählig, in der gleichen Reihenfolge und mit den gleichen Nummern wie in dem vom Auftraggeber verfassten Leistungsverzeichnis anzugeben sind (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A; § 21 Nr. 1 Abs. 4 VOB/A aF); dem Auftraggeber ist es aber grundsätzlich nicht verwehrt, insoweit weitergehende Anforderungen zu stellen (vgl. Kratzenberg in Ingenstau/Korbion, VOB-Kommentar, 18. Aufl., § A 13 Rn. 20 f.).

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b) Es mag zwar auf der Hand liegen, dass ein Bieter, der eine selbstgefertigte Abschrift oder statt dessen eine selbstgefertigte Kurzfassung des Leistungsverzeichnisses benutzen will, sich anhand der Vergabeunterlagen vergewissern muss, welche Angaben darin zu machen sind. Zu klären, welche Informationen von der Vergabestelle bei Verwendung eines selbst gefertigten Kurztextleistungsverzeichnisses verlangt werden, hat ein Bieter dann aber keinen Anlass, wenn die Vergabestelle, wie im Streitfall, dafür ein von ihr selbst vorformuliertes Verzeichnis zur Verfügung stellt. Liegt den Vergabeunterlagen ein solches Verzeichnis bei, darf der Bieter als Adressat dies dahin verstehen, bei Verwendung der Unterlage der Vergabestelle zur Beschreibung der angebotenen Leistung nur die dort geforderten Angaben machen zu müssen. Handelt es sich dabei um ein Kurzleistungsverzeichnis, in dem Textergänzungen nicht vorgesehen sind, kann der öffentliche Auftraggeber den Ausschluss des Angebots nicht darauf stützen, er habe sich an anderer Stelle in den Vergabeunterlagen ausbedungen, dass bei Verwendung selbstgefertigter Abschriften oder Kurzfassungen alle im Langtextleistungsverzeichnis geforderten Textergänzungen in das Kurztextverzeichnis übertragen werden müssen.

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c) Ob, worauf das Berufungsgericht maßgeblich abgestellt hat, unter dem Begriff des Leistungsverzeichnisses in Klausel 3.2 Abs. 2 der Bewerbungsbedingungen das Langtextleistungsverzeichnis zu verstehen ist, ist nicht entscheidungserheblich. Soweit in dieser Klausel geregelt ist, welche Mindestinhalte vom Bieter selbst gefertigte Leistungsverzeichnisse aufweisen müssen, brauchte ein bei der Angebotserstellung rationell und systematisch vorgehender Bieter keinen Anlass zu sehen, sich mit dieser Klausel zu befassen, wenn er, wie hier, ein auftraggeberseitig vorgefertigtes Kurztextleistungsverzeichnis benutzte. Er musste nicht damit rechnen, dass dieses den gewünschten Vorgaben nicht nur nicht entsprach, sondern dessen unabgeänderte Verwendung sogar dazu berechtigen sollte, ein auf dieser Basis eingereichtes Angebot ohne weitere Aufklärung (vgl. dazu Kratzenberg aaO Rn. 21) auszuschließen. Andernfalls würde das Risiko für die hinreichend klare Abfassung der Vergabeunterlagen in unangemessener Weise von der Vergabestelle als deren Verwenderin auf die Bieter übergewälzt.

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III. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben. Der Senat kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht abschließend über den Anspruchsgrund entscheiden. Ein auf das positive Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch steht einem Bieter nach ständiger Rechtsprechung zu, wenn der ausgeschriebene oder ein diesem wirtschaftlich gleichzusetzender Auftrag erteilt worden ist und ihm bei rechtmäßigem Verlauf des Vergabeverfahrens der Zuschlag hätte erteilt werden müssen. Das Berufungsgericht stellt zwar fest, dass die Klägerin das preisgünstigste Angebot abgegeben hat. Es liegt nach den gesamten Umständen auch nicht fern, dass es damit zum Ausdruck bringen wollte, dass die Klägerin den Auftrag hätte erhalten müssen. Da das Berufungsgericht jedoch keine Feststellungen zu den maßgeblichen Zuschlagskriterien getroffen hat, ist dem Senat eine abschließende Beurteilung verwehrt.

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IV. Für die neueröffnete Verhandlung vor dem Berufungsgericht weist der Senat in diesem Zusammenhang vorsorglich auf Folgendes hin:

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Der Wirtschaftlichkeitsprüfung dürfen nur die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen mitgeteilten Zuschlagskriterien zugrunde gelegt werden. Sind solche Kriterien nicht publik gemacht worden, kann, nachdem der Auftrag erteilt worden ist, nur auf den niedrigsten Angebotspreis abgestellt werden (vgl. Stolz in Wildenbruch/Wieddekind, Vergaberecht Kompaktkommentar, 2. Aufl., 7. Los Rn. 152 mwN; Kulartz in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOB/A, § 16 Rn. 268). Hat der Auftraggeber zwar mehrere Zuschlagskriterien rechtzeitig bekanntgegeben, sich hinsichtlich ihrer Gewichtung aber nicht vor Kenntnis der Angebote durch eine Bewertungsmatrix festgelegt, kommt dem Preis bei der Gewichtung umso größere Bedeutung zu, je standardisierter der Gegenstand der Beschaffung ist oder je detaillierter der Leistungsinhalt in den Vergabeunterlagen festgelegt wurde (vgl. Kulartz, aaO Rn. 261).

Meier-Beck                           Mühlens                           Gröning

                       Schuster                          Deichfuß