Entscheidungsdatum: 13.11.2012
Die Revision gegen das am 5. Januar 2012 verkündete Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Kläger begehren jeweils eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600 € gemäß § 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/2001, ABl. Nr. L 46 S. 1 (nachfolgend: Fluggastrechteverordnung FluggastrechteVO), pauschalen Schadenersatz von jeweils 20 € für nicht gewährte Betreuungsleistungen sowie Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Die Kläger buchten bei der Beklagten, einem Luftverkehrsunternehmen mit Sitz im Sultanat Oman, einen Flug von Frankfurt am Main nach Bangkok über Maskat und zurück. Der Hinflug von Frankfurt am Main nach Maskat mit der Flugnummer … erfolgte planmäßig. In Maskat traten die Kläger den Anschlussflug mit der Flugnummer … nach Bangkok an, der jedoch erst rund 8 Stunden später als vorgesehen startete, so dass die Fluggäste etwa 8 Stunden später als geplant in Bangkok eintrafen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Berufungsantrag weiter.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei entgegen der Auffassung des Amtsgerichts zulässig. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit ergebe sich aus § 29 ZPO. Erfüllungsort im Sinne dieser Vorschrift für die geltend gemachten Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung sei nach dem Rechtsgedanken des Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Spiegelstrich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (ABl. EG 2001 Nr. L 12 S. 1) (nachfolgend: Brüssel-I-VO) auch der vereinbarte Abflugort in Frankfurt am Main. Dies gelte, auch wenn die Verspätung sich nicht am vertragsgemäßen Abflugort, sondern erst im Rahmen eines Anschlussflugs an einem anderen Ort ereignet habe.
Allerdings sei der Anspruch nicht begründet, da die Fluggastrechteverordnung auf die vorliegende Fallkonstellation nicht anwendbar sei. Die Kläger hätten den verspäteten Flug in Maskat und damit nicht auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union angetreten. Auf den originären vertragsgemäßen Abflugort in Frankfurt am Main könne nicht abgestellt werden, da die Kläger den Flug von Maskat nach Bangkok mit einem anderen Flugzeug und unter anderer Flugnummer als den Flug von Frankfurt am Main nach Maskat hätten antreten sollen und es sich damit um zwei separate Flüge im Sinne der Fluggastrechteverordnung gehandelt habe. Dass beide Flüge gemeinsam gebucht und jeweils von der Beklagten durchgeführt worden seien, sei nicht von Bedeutung. Auch ein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von jeweils 20 € pauschalen und fiktiven Schadenersatz für nicht gewährte Betreuungsleistungen bestehe mangels Anspruchsgrundlage nicht.
II. Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
1. Die auch vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist mit dem Berufungsgericht zu bejahen. Sie ergibt sich in entsprechender Anwendung des § 39 ZPO jedenfalls daraus, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung die erhobene Rüge mangelnder internationaler Zuständigkeit ausdrücklich nicht aufrechterhalten und die Sachentscheidung des Berufungsgerichts verteidigt hat.
2. Das Berufungsgericht hat den Klägern zu Recht einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c FluggastrechteVO wegen der Verspätung des Flugs von Maskat nach Bangkok versagt.
a) Ein Ausgleichsanspruch nach dieser Vorschrift steht den Fluggästen eines Flugs zu, wenn in einer anderen Vorschrift der Verordnung auf Art. 7 Bezug genommen wird (Art. 7 Abs. 1 Satz 1). Art 5 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO bestimmt insoweit, dass das ausführende Luftverkehrsunternehmen bei Annullierung eines Fluges den betroffenen Fluggästen grundsätzlich eine Ausgleichsleistung nach Art. 7 schuldet. Eine entsprechende Ausgleichsleistung ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 19. November 2009 - C-402/07, Slg. 2009, I-10923 = NJW 2010, 43 = RRa 2010, 93 - Sturgeon/Condor; Urteil vom 23. Oktober 2012 - C-581/10 - Nelson/Lufthansa), der der Bundesgerichtshof beigetreten ist (BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 - Xa ZR 95/06, NJW 2010, 2281 = RRa 2010, 93), gegenüber den Fluggästen eines verspäteten Fluges zu erbringen, wenn diese infolge der Verspätung einen erheblichen Zeitverlust bei der Ankunft an ihrem letzten Zielort erleiden (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO).
b) Der Begriff des Fluges ist nicht nach nationalem Luftbeförderungsrecht zu bestimmen, sondern wird von der Fluggastrechteverordnung autonom definiert.
Sie enthält allerdings keine ausdrückliche Definition, insbesondere nicht in Art. 2, der die Bedeutung verschiedener Begriffe bestimmt. Die Definition des Flugs ist daher aus Sinn und Zweck der Fluggastrechteverordnung und insbesondere derjenigen Vorschriften der Verordnung zu entwickeln, die sich dieses Begriffs bedienen (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2008 - C-173/07, Slg. 2008 I-5252 = NJW 2008, 2697 = RRa 2008, 237 Rn. 28 - Emirates/Schenkel).
Einen entscheidenden Hinweis darauf, was Flug im Sinne der Verordnung ist, gibt dabei bereits Art. 3 Abs. 1 FluggastrechteVO, der bestimmt, dass die Verordnung für Fluggäste gilt, die auf Flughäfen auf dem Gebiet der Europäischen Union einen Flug antreten oder die - sofern das ausführende Luftverkehrsunternehmen ein Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft ist - von einem Flughafen eines Drittstaates einen Flug zu einem Flughafen auf dem Gebiet der Union antreten. Die Verordnung bezieht sich damit auf die (Gesamtheit der) Fluggäste eines Fluges, der von einem bestimmten Luftverkehrsunternehmen auf einer bestimmten Flugroute ausgeführt wird und mit dem die Fluggäste von einem Flughafen A zu einem Flughafen B befördert werden (BGH, Urteil vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 113/08, NJW 2009, 2743). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den weiteren Sprachfassungen der Verordnung (so bereits EuGH, Urteil vom 10. Juli 2008 - C-173/07 Rn. 24 f. - Emirates/Schenkel), die zwar - etwa in der englischen oder französischen Fassung - in Art. 3 Abs. 1 selbst den Begriff des Fluges nicht erwähnen, jedoch in Art. 3 Abs. 2 auf ihn Bezug nehmen ("the flight concerned"; "le vol concerné"). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat dies dahin ausgedrückt, dass es bei einem Flug im Sinne der Verordnung im Wesentlichen um einen Luftbeförderungsvorgang handele, der in gewisser Weise eine "Einheit" dieser Beförderung darstelle, die von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt werde, das die entsprechende Flugroute festlege (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2008 - C-173/07 Rn. 40 - Emirates/Schenkel). Eine einheitliche Buchung wirkt sich auf die Eigenständigkeit zweier Flüge nicht aus (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2008 - C-173/07 Rn. 51 - Emirates/Schenkel).
Den individuellen Reiseplan des einzelnen Fluggastes und den von ihm abgeschlossenen Beförderungsvertrag nimmt die Verordnung nicht in den Blick, sondern betrachtet die Fluggäste eines Flugs sozusagen als Kollektiv, dessen Mitgliedern bei einem in den Anwendungsbereich der Verordnung fallenden Flug bestimmte Rechte eingeräumt werden, die grundsätzlich unabhängig davon sind, ob die einzelnen Fluggäste nur diesen Flug oder auch weitere, dem betreffenden Flug vorangehende oder sich an ihn anschließende Flüge gebucht haben und von welchem Luftverkehrsunternehmen diese weiteren Flüge durchgeführt werden. Die Verordnung spricht deswegen auch regelmäßig nicht von (individuellen) Ansprüchen des einzelnen Fluggastes, sondern von Rechten der Fluggäste. Auch inhaltlich sind diese Rechte auf die Gesamtheit der Fluggäste eines Fluges, bezogen, wie etwa Art. 5 deutlich macht, nach dem bei Annullierung eines Flugs gegenüber den Fluggästen dieses Flugs, d.h. denjenigen, die - wie immer ihr individueller Reiseplan aussehen mag - über eine bestätigte Buchung für die unter einer bestimmten Flugnummer von einem bestimmten Luftverkehrsunternehmen auszuführende "Luftbeförderungseinheit" verfügen, Unterstützungsleistungen nach Art. 8 und Betreuungsleistungen nach Art. 9 der Verordnung sowie Ausgleichszahlungen zu erbringen sind. Ähnliches gilt nach Art. 6 im Verspätungsfall. Die Verpflichtung zu Betreuungsleistungen nach Art. 9 knüpft daran an, dass für ein ausführendes Luftverkehrsunternehmen vernünftigerweise absehbar ist, dass sich der Abflug gegenüber der planmäßigen Abflugzeit erheblich verzögern wird. Sie kann nicht anders verstanden werden als eine Verpflichtung gegenüber der Gesamtheit der von der Abflugverspätung eines konkreten Fluges betroffenen Fluggäste. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass die Verordnung davon ausgehe, dass die Störungen des vorgesehenen Flugablaufs, an die die Verpflichtungen des Luftverkehrsunternehmens anknüpfen, bei einem Flug nur einmal auftreten könnten, und die Fluggäste deshalb den ihnen gewährten Schutz nur einmal in Anspruch nehmen könnten (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2008 - C-173/07 Rn. 36 - Emirates/Schenkel); auch dazu stünde es in Widerspruch, wenn bei einer Anschlussverbindung die Verspätungen des Erst- und des Zweitfluges als zwei Verspätungen ein- und desselben Flugs gewertet würden oder die zweite Verspätung als nicht den Abflug eines einheitlichen Flugs betreffend außer Betracht gelassen werden müsste.
Für Ausgleichszahlungen gilt nichts anderes. Der Ausgleichsanspruch knüpft ebenso wie die anderen Fluggastrechte an den Flug an, der annulliert oder verspätet durchgeführt worden ist oder auf dem Fluggästen die Beförderung verweigert worden ist. Lediglich bei der Höhe der Ausgleichszahlung berücksichtigt die Verordnung (in pauschalierter Weise), dass die einzelnen Fluggäste durch die Annullierung eines Fluges oder durch die Verweigerung der Beförderung in unterschiedlicher Weise betroffen sein können, je nachdem, wie sich diese Maßnahme auf die Erreichung ihres individuellen Endziels auswirkt. Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO wird deshalb bei der Ermittlung der für die Höhe der Ausgleichszahlung maßgeblichen Entfernung der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast (hier und nur hier verwendet die Verordnung im erörterten Zusammenhang den Singular) infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt.
Der Senat kann diese Auslegung seiner Entscheidung zugrunde legen, ohne eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen. Der Gerichtshof hat zwar ausdrücklich nur entschieden, dass bei einer einheitlichen Buchung eines Hin- und Rückflugs zwei Flüge im Sinne der Verordnung vorliegen. Die hierfür vom Gerichtshof gegebene Begründung gilt jedoch gleichermaßen für eine Flugreise, die sich aus zwei unterschiedlichen Flügen im Sinne von jeweils von einem Luftverkehrsunternehmen unter einer bestimmten Flugnummer auf einer bestimmten Route durchgeführten Luftbeförderungsvorgängen zusammensetzt, und entspricht, wie ausgeführt, dem Grundkonzept der Verordnung, zu dem die Zusammenfassung zweier oder mehrerer Flüge zu einem aus der Sicht des einzelnen Fluggastes und seiner Reiseroute definierten einzigen "Flug" in einen unheilbaren Widerspruch träte.
c) Danach hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass den Klägern ein Ausgleichsanspruch nicht zusteht. Dem Anwendungsbereich der Verordnung unterfällt nur der Flug von Frankfurt am Main nach Maskat. Er wurde weder annulliert, noch war er verspätet oder wurde den Klägern die Beförderung verweigert. Auf den erheblich verspäteten Flug von Maskat nach Bangkok kann die Verordnung hingegen weder nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a noch nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b FluggastrechteVO angewendet werden.
3. Auch ein Anspruch auf Betreuungsleistungen nach Art. 9 der Verordnung bestand mithin nicht, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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