Entscheidungsdatum: 12.06.2012
Desmopressin
1. Die nach § 12 Abs. 1 PatG für den Erwerb eines Vorbenutzungsrechts erforderliche Benutzung oder Veranstaltung setzt voraus, dass der Handelnde selbständigen Erfindungsbesitz erlangt hat. Erfindungsbesitz ist gegeben, wenn die sich aus Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv erkannt worden ist, dass die tatsächliche Ausführung der Erfindung möglich ist.
2. Die für den Erfindungsbesitz erforderliche subjektive Erkenntnis liegt vor, wenn das Handeln planmäßig auf die Verwirklichung einer technischen Lehre gerichtet ist, die alle Merkmale des erfindungsgemäßen Gegenstandes verwirklicht (hier: eine bestimmte Rezeptur für eine pharmazeutische Zusammensetzung). Ob der Handelnde darüber hinaus Kenntnis von Wirkungen hat, die nach den Angaben in der Beschreibung mit der Verwirklichung des erfindungsgemäßen Gegenstandes verbunden sind (hier: eine mit der Beachtung einer Obergrenze für den Oxidationsmittelgehalt erreichte bessere Haltbarkeit), ist unerheblich.
Die Revision gegen das am 12. November 2009 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Gebrauchsmusters 20 2006 004 746 (Klagegebrauchsmusters), das am 24. März 2006 unter Inanspruchnahme von Unionsprioritäten vom 2. und 15. März 2006 angemeldet und dessen Eintragung am 3. August 2006 bekannt gemacht wurde. Das Klagegebrauchsmuster betrifft eine pharmazeutische Zusammensetzung als feste Arzneiform, die Desmopressin als therapeutisch wirksamen Bestandteil umfasst.
Die Beklagte zu 2 hat beim Deutschen Patent- und Markenamt ein Löschungsverfahren gegen das Klagegebrauchsmuster eingeleitet, in welchem die Klägerin den eingetragenen Schutzanspruch 1 beschränkt mit folgendem Wortlaut verteidigt (Beschränkung hervorgehoben):
„Pharmazeutische Zusammensetzung als feste Arzneiform, die Desmopressin oder ein pharmazeutisch akzeptables Salz davon als therapeutisch wirksamen Bestandteil zusammen mit einem pharmazeutisch akzeptablen Exzipienten, Verdünnungsmittel oder Träger oder einer Mischung daraus umfasst, worin die pharmazeutische Zusammensetzung Kieselerde und Stärke umfasst und worin der Gehalt an Oxidationsmitteln gleich oder weniger als 15 Gewichtsteile pro Million der pharmazeutischen Zusammensetzung ist.“
Die Gebrauchsmusterabteilung hat das Klagegebrauchsmuster gelöscht. Die gegen diese Entscheidung von der Klägerin eingelegte Beschwerde ist zurückgewiesen worden. Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde nach § 18 Abs. 4 Satz 2 GebrMG i.V.m. § 102 Abs. 1 PatG ist noch nicht abgelaufen.
Die Beklagte zu 2 stellt in Österreich Tabletten mit einer Zusammensetzung gemäß Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters her. Seit Juni 2006 lässt sie die Tabletten in der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeichnung „N. “ vertreiben, zunächst durch die Beklagte zu 1, später durch die A. GmbH (die Beklagte des Parallelverfahrens X ZR 132/09).
Auf Grund der beschränkt verteidigten Fassung des Schutzanspruchs 1 hat die Klägerin die Beklagten auf Unterlassung, Rechnungslegung, Herausgabe zur Vernichtung und Feststellung der Verpflichtung zu Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Beklagten haben sich demgegenüber auf ein Vorbenutzungsrecht berufen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufung hat die Klägerin ihre Ansprüche in zwei Hilfsanträgen dahin weiter eingeschränkt, dass sich die Klage - bei ansonsten unverändertem Wortlaut - gegen eine pharmazeutische Zusammensetzung richtet, die Kieselerde und Stärke umfasst und darin der Gehalt an Oxidationsmittel weniger als 5 Gewichtsteile pro Million der pharmazeutischen Zusammensetzung ist, und weiter hilfsweise gegen eine pharmazeutische Zusammensetzung richtet, die Siliciumdioxid, Stärke und Povidon umfasst und darin der Gehalt an Oxidationsmittel weniger als 5 Gewichtsteile pro Million der pharmazeutischen Zusammensetzung ist. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerin, mit der diese ihr zweitinstanzliches Begehren weiter verfolgt.
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Nach den Angaben des Klagegebrauchsmusters wird der Wirkstoff Desmopressin zur Behandlung primärer Enuresis nocturna (Bettnässen bei Kindern), von Nykturie (nächtlichem Harndrang) und Diabetes insipidus (Wasserharnruhr) eingesetzt. Die seit dem Jahr 1987 erhältliche Tablettenformulierung werde durch Verpressen eines geeigneten Granulats hergestellt, welches neben dem Wirkstoff typischerweise Exzipienten (nicht aktive Trägerstoffe), Tablettensprengmittel, Schmiermittel und Bindemittel enthalte, wobei die gebräuchlichste Tablettenformulierung als Exzipienten Kartoffelstärke und Laktose aufweise.
Es sei bekannt, dass das Desmopressin-Molekül empfindlich gegen Abbau sei. Dessen Stabilisierung sei daher ein über die Jahre angegangenes Problem. Zugelassene Desmopressin-Tabletten hätten typischerweise eine Haltbarkeit von nur 12 bis 24 Monaten. Hieraus ergebe sich das technische Problem, ein Mittel zur Verbesserung der Haltbarkeit von Desmopressin in Tablettenformulierungen bereitzustellen. Nach Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters in der von der Klägerin geltend gemachten Fassung soll dies mit folgender Merkmalskombination erreicht werden:
1. Pharmazeutische Zusammensetzung als feste Arzneimittelform.
2. Die Zusammensetzung umfasst
a) als therapeutisch wirksamen Bestandteil Desmopressin oder ein pharmazeutisch akzeptables Salz davon,
b) zusammen mit einem pharmazeutisch akzeptablen Exzipienten, Verdünnungsmittel oder Träger oder einer Mischung daraus,
c) Kieselerde,
d) Stärke.
3. Der Gehalt an Oxidationsmittel ist gleich oder weniger als 15 Gewichtsteile pro Million (ppm) der pharmazeutischen Zusammensetzung.
Die Lehre des Klagegebrauchsmusters sieht damit insbesondere einen geringen Oxidationsmittelgehalt von ≤ 15 ppm der pharmazeutischen Zusammensetzung vor. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Gegenwart von Restoxidationsmitteln den Desmopressin-Wirkstoff während der Lagerung abbaut. Da bestimmte Tablettenbestandteile (z.B. Stärke) Oxidationsmittel enthalten, führt eine sorgfältige Kontrolle und Absenkung des Oxidationsmittelgehalts zu einer verbesserten Haltbarkeit der Desmopressin-Tablettenformulierung.
II. Nach den insoweit unbeanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts weisen die mit der Klage angegriffenen „N. “-Tabletten alle Merkmale des Schutzanspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters in der geltend gemachten Fassung auf. Das Berufungsgericht ist dennoch zu dem Ergebnis gekommen, dass die von der Klägerin geltend gemachten Verbietungsrechte nicht begründet seien, weil der Beklagten zu 2 ein Vorbenutzungsrecht gemäß § 13 Abs. 3 GebrMG i.V.m. § 12 PatG zustehe. Sie habe am Prioritätstag Erfindungsbesitz gehabt und diesen durch Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der gewerblichen Benutzung auch betätigt.
Zwar lasse sich nicht feststellen, dass die Beklagte zu 2 seinerzeit positiv gewusst habe, dass der Oxidationsmittelgehalt in der Tablettenzusammensetzung einen Wert von 15 ppm oder 5 ppm nicht überschreiten dürfe, wenn eine gemäß dem vorbekannten Stand der Technik überlegene Lagerstabilität erhalten werden solle. Darauf komme es aber auch nicht an. Die Beklagte zu 2 habe vielmehr bereits dann Erfindungsbesitz gehabt, wenn sie sich vor dem Prioritätstag für eine Rezeptur ihrer Tablettenformulierung entschieden habe, die zwangsläufig und verlässlich zu einem erfindungsgemäßen Oxidationsmittelgehalt führe. Unter solchen Umständen sei die Beklagte zu 2 nämlich in der Lage gewesen, den vom Klagegebrauchsmuster geschützten Erfindungsgedanken (eine Desmopressin-Tablettenformulierung mit geringem Oxidationsmittelgehalt) beliebig wiederholbar auszuführen und damit den erfindungsgemäßen Erfolg (eine erhöhte Lagerstabilität der pharmazeutischen Zusammensetzung) nicht nur zufällig, sondern planmäßig herbeizuführen.
Nach dem Inhalt der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehe fest, dass sich die Beklagte zu 2 vor dem Prioritätstag für eine Rezeptur entschieden habe, welche die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters in sämtlichen von der Klägerin geltend gemachten Anspruchsfassungen vorweggenommen habe. Aufgrund der Zeugenaussagen und der vorgelegten Unterlagen sei davon auszugehen, dass sich die Beklagte zu 2 endgültig auf eine pharmazeutische Zusammensetzung aus Desmopressinacetat, Laktose, Kartoffelstärke, Kollidon 25, Siliciumdioxid und Magnesiumstearat festgelegt habe. Aus den Unterlagen ergebe sich weiter, dass die Beklagte zu 2 eine bestimmte Kartoffelstärke, nämlich eine des Herstellers R. , endgültig in ihre Formulierung aufgenommen habe. Damit habe sich die Beklagte zu 2 vor dem Prioritätstag für eine Rezeptur ihrer Tablettenformulierung entschieden, die zwangsläufig und verlässlich zu einem erfindungsgemäßen Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm geführt habe.
Die Beklagte zu 2 habe überdies zum Prioritätstag ihren Erfindungsbesitz im Inland durch Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der gewerblichen Nutzung betätigt. Sie habe vor diesem Zeitpunkt hinsichtlich der erfindungsgemäßen „N. “-Tablettenformulierung eine Arzneimittelzulassung für Öster-reich erwirkt und einen Zulassungsantrag für die Bundesrepublik Deutschland gestellt, die Beklagte zu 1 als deutschen Vertriebspartner gewonnen und vertraglich an sich gebunden sowie diese mit Hilfe von Produkt-Dossiers, Etiketten, Gebrauchsinformationen und Musterlieferungen in die Lage versetzt, die Vertriebstätigkeit nach erfolgter Arzneimittelzulassung aufzunehmen. Dies habe für Dritte nur den Schluss zugelassen, dass am Prioritätstag alle Vorbereitungen erfolgt seien, um die „N. “-Tabletten alsbald auch im Bundesgebiet zu vertreiben.
Ob die Beklagte zu 1 in ihrer Person ein eigenes Vorbenutzungsrecht erworben habe, bedürfe keiner Entscheidung. Die Beklagte zu 1 könne sich als Vertriebsunternehmen der Beklagten zu 2 jedenfalls auf deren Vorbenutzungsrecht berufen. Dass die Beklagte zu 2 nach dem Prioritätstag ihren Vertriebspartner gewechselt habe, ändere hieran nichts; hierdurch habe diese ihr Vorbenutzungsrecht weiter ausgeübt.
III. Dies hält im Ergebnis und in der Begründung den Angriffen der Revision stand.
1. Der Rüge der Revision, das Berufungsgericht verkenne den Begriff des Erfindungsbesitzes, indem es alleine die objektive Verwirklichung der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters für ausreichend angesehen habe, ohne dass es auf irgendeine Form der Kenntnis des Vorbenutzers von dieser Lehre ankomme, ist nicht begründet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die nach § 12 PatG für den Erwerb eines Vorbenutzungsrechts erforderliche Benutzungshandlung oder Veranstaltung voraus, dass der Handelnde selbständigen Erfindungsbesitz erlangt hat. Erfindungsbesitz ist gegeben, wenn die sich aus Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv derart erkannt ist, dass die tatsächliche Ausführung der Erfindung möglich ist (BGH, Urteil vom 10. September 2009 - Xa ZR 18/08, Rn. 17, GRUR 2010, 47, 48 - Füllstoff; Urteil vom 30. Juni 1964 - Ia ZR 206/63, GRUR 1964, 673, 674 - Kasten für Fußabtrittsroste; vgl. auch RGZ 123, 58, 61; RG, GRUR 1943, 286, 287; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., 2006, § 12 PatG, Rn. 5; Busse/Keukenschrijver, 6. Aufl., 2003, § 12 PatG, Rn. 16; Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., 2008, § 12 PatG, Rn. 9). An einer solchen Erkenntnis fehlt es, wenn das technische Handeln über das Stadium von Versuchen noch nicht hinausgegangen ist (RG Mitt. 1931, 72, 74) oder ein Gegenstand benutzt worden ist, der lediglich in einzelnen Exemplaren „zufällig“ die erfindungsgemäßen Eigenschaften aufgewiesen hat (RG MuW 1936, 406, 407, r. Sp.). Denn in beiden Fällen ist das Handeln nicht von einer Erkenntnis getragen, die es jederzeit möglich macht, die technische Lehre wiederholbar auszuführen, so dass es auch nicht gerechtfertigt ist, daran eine Besitzstand vermittelnde Rechtsposition anzuknüpfen. Von derartigen Fällen eines unbewussten oder zumindest nicht hinreichend gefestigten Gebrauchs der technischen Lehre hebt sich ein Handeln ab, das planmäßig auf die Verwirklichung derselben gerichtet ist. Dieses ist als Erfindungsbesitz begründend anzusehen, weil ihm die gesicherte Erkenntnis zugrunde liegt, dass die Erfindung ausgeführt werden kann. Nur insoweit kann es auch auf die Kenntnis des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung ankommen (vgl. RG, MuW 1931, 449, 450; GRUR 1939, 300, 302; GRUR 1940, 434, 436; Eichmann, GRUR 1993, 73, 80; Benkard/Rogge, aaO, Busse/Keukenschrijver, aaO; Klauer/Möhring, Patentrechtskommentar Band 1, 3. Aufl., 1971, § 7 PatG, Rn. 7). Hingegen ist es nicht erforderlich, dass der Handelnde über die Erkenntnis der gesicherten Ausführbarkeit der Erfindung hinausgehendes Wissen um vorteilhafte Wirkungen der Erfindung hat. Denn der Erfindungsbesitz kann nicht von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die nicht Teil der technischen Lehre geworden sind, so wie diese im Patentanspruch definiert worden ist. Auf die Kenntnis von Wirkungen, die zwar nach den Angaben in der Beschreibung mit der Verwendung des erfindungsgemäßen Gegenstandes verbunden sein sollen, die aber nicht in den Patentanspruch aufgenommen worden sind, kann es daher für die Frage, ob Erfindungsbesitz begründet worden ist, nicht entscheidend ankommen.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Beklagte zu 2 bereits am Prioritätstag des Klagegebrauchsmusters für ihre zum Vertrieb in der Bundesrepublik Deutschland vorgesehene Desmopressin-Tablettenformulierung eine Rezeptur in Händen, wonach die Tablette „N. 0,1 mg“ 0,1 mg Desmopressinacetat, 60,0 mg Lactose, 38,2 mg Kartoffelstärke des Herstellers R. , 1,0 mg Povidon (Kollidon 25), 0,2 mg Siliciumdioxid und 0,5 mg Magnesiumstearat enthielt bzw. die Tablette „N. 0,2 mg“ die jeweils doppel-te Menge der vorgenannten Bestandteile. Mit dieser Rezeptur ging die gesicherte Erkenntnis bei der Beklagten zu 2 einher, dass es möglich war, eine Tablette in der genannten Zusammensetzung herzustellen. Derartige Desmopressin-Tabletten wiesen nach den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts einen Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm auf und entsprachen damit der Lehre aus Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters sowohl in der Fassung des Hauptantrags als auch in den Fassungen der beiden Hilfsanträge der Klägerin. Bei der Beklagten zu 2 war damit Erfindungsbesitz gegeben.
An dieser Beurteilung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass das Berufungsgericht bei der Beklagten zu 2 keine positive Kenntnis davon hat feststellen können, dass der Oxidationsmittelgehalt in der ansonsten erfindungsgemäßen Tablettenzusammensetzung einen Wert von 15 ppm oder 5 ppm nicht überschreiten darf, wenn eine gegenüber dem vorbekannten Stand der Technik überlegene Lagerstabilität erhalten soll. Darauf kommt es für die gesicherte Erkenntnis, dass die objektiv erfindungsgemäße Tablettenzusammensetzung nach der vorgenannten Rezeptur hergestellt werden kann, nicht an. Die Beklagte zu 2 befand sich nicht mehr in einem Stadium bloßer Versuche, sondern hatte sich hinsichtlich der für den Vertrieb vorgesehenen Desmopressin-Tabletten auf die genannte Formulierung festgelegt. Der Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm wurde auch nicht nur zufällig bei einzelnen Tabletten erzielt, sondern war planmäßig in der vorgenannten Rezeptur angelegt. Das Berufungsgericht hat insoweit festgestellt, dass der tatsächliche Oxidationsmittelgehalt unter den von der Beklagten zu 2 beachteten Herstellungsbedingungen, wie sie sich aus den Produktionsdokumentationen (Anlagen 7 bis 10) ergeben, dem rechnerischen Gehalt an Oxidationsmitteln nach der Rezeptur der pharmazeutischen Zusammensetzung entspricht.
Entgegen der Auffassung der Klägerin genügt diese Erkenntnis, dass und wie eine Tablette mit einem Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm wiederholbar hergestellt werden kann, für den Erfindungsbesitz. Denn es handelt sich um die Erkenntnis einer technischen Lehre, die sich - wie ein Unteranspruch - als Anwendungsfall oder Ausführungsbeispiel der im Schutzanspruch des Klagegebrauchsmusters bezeichneten allgemeineren Lehre darstellt, dass die Zusammensetzung so zu wählen ist, dass eine bestimmte Obergrenze für den Oxidationsmittelgehalt nicht überschritten wird. Die weitere Erkenntnis, dass es dieser Oxidationsmittelgehalt ist, der sich auf die Haltbarkeit der Zusammensetzung vorteilhaft auswirkt, ist nicht Bestandteil der technischen Lehre und weder für die Erlangung des patent- oder gebrauchsmusterrechtlichen Erfindungsschutzes erforderlich noch Voraussetzung eines Vorbenutzungsrechts.
Die Frage, wie weit ein Vorbenutzungsrecht reicht, das sich auf die Erkenntnis gründet, dass und wie eine bestimmte Ausführungsform der Erfindung erzeugt werden kann, stellt sich im Streitfall nicht. Denn das Berufungsgericht hat, von der Revision unbeanstandet, nicht festgestellt, dass sich das Erzeugnis, das nach der Veröffentlichung der Gebrauchsmustereintragung von der Beklagten zu 2 hergestellt und von der Beklagten zu 1 vertrieben worden ist und nunmehr von der Klägerin als das Klagegebrauchsmuster verletzend angegriffen wird, von dem vorbenutzten unterscheidet.
2. Die Feststellungen des Berufungsgerichts halten den Verfahrensrügen der Revision stand.
a) Soweit die Revision sich gegen die Feststellung des Berufungsgerichts wendet, im Streitfall komme eine "zufällige" Benutzung der Erfindung nicht in Betracht, weil die Beklagte sich schon vor dem Prioritätsdatum auf eine bestimmte qualitative und quantitative Zusammensetzung unter Benutzung konkreter Hilfsstoffe festgelegt habe, und darauf hinweist, dass die konkret ausgewählten Hilfsstoffe Kollidon 25 und Kartoffelstärke des Herstellers R. jederzeit hätten ausgetauscht werden können, bleibt ihre Rüge ohne Erfolg. Zwar ist es zutreffend, dass das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2009 noch selbst darauf hingewiesen hat, aus dem Europäischen Arzneibuch (Anlage D 2) ergebe sich der schwankende Oxidationsmittelgehalt von Kartoffelstärke (bis 20 ppm) und Povidon (bis 400 ppm). Es hat aber in seinem Urteil festgestellt, dass die Beklagte zu 2 sich auf die Kartoffelstärke des Herstellers R. festgelegt hatte und dass der Oxidationsmittelgehalt dieser von der Beklagten zu 2 verwendeten Stärke lediglich 9 ppm betrug. Insoweit hat das Berufungsgericht vor allem auf Qualitätskontrollen hingewiesen, die auf der Grundlage des zwischen den Beklagten am 15. November 2005 zustande gekommene Lizenz- und Vertriebsvereinbarung nach einer Anfrage der Beklagten zu 1 vom 3. November 2005 ab dem 25. November 2005 anhand von Musterlieferungen durchgeführt worden seien und die sich ausweislich der Herstellungsberichte jeweils auf N. -Tablettenformulierungen mit den Bestandteilen Desmopressinacetat, Laktose, Kollidon 25, Magnesiumstearat, hochdisperses Siliciumdioxid und Kartoffelstärke des Hersteller R. bezogen hätten. Entsprechendes gilt für den Hilfs-stoff Kollidon 25. Soweit die Revision demgegenüber meint, dass auch der Restoxidationsmittelgehalt der Produkte Kollidon 25 und Kartoffelstärke von R. Produktionsschwankungen unterliege und sich selbst bei sehr geringen Änderungen des Gehaltes an Restoxidationsmittel Werte deutlich über 5 ppm ergäben, setzt sie sich in Widerspruch zu den Feststellungen des Berufungsgerichts, ohne dass insoweit eine Verfahrensrüge erhoben und ordnungsgemäß ausgeführt wäre.
b) Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Verwertung der Ergebnisse der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht.
(1) Insoweit wird zunächst beanstandet, dass beide Vordergerichte ihre Beweiswürdigung unter anderem auf die Aussagen der Zeugen Dr. H. und Dr. D. gestützt und diese als glaubhaft beurteilt haben. Schon dem Landgericht sei die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen, welche der Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen denknotwendig vorausgehe, aber verwehrt gewesen, weil der mit der Beweisaufnahme beauftragte Richter vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung ausgeschieden sei. Dem Landgericht habe es ohne Wiederholung der Zeugenvernehmung deshalb an einem persönlichen Eindruck von den Zeugen gefehlt; derartige Eindrücke des beauftragten Richters seien auch nicht protokolliert worden. Das Landgericht habe hierdurch die Grundsätze der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der freien Beweiswürdigung verletzt. Die Revision meint, jedenfalls das Berufungsgericht habe die Zeugenvernehmung deshalb gemäß § 398 Abs. 1 ZPO wiederholen müssen.
(2) Die Rüge greift nicht durch.
(a) Das Berufungsgericht hat eine erstinstanzliche Beweisaufnahme zu wiederholen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen bestehen, §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 398 Abs. 1 ZPO. Das Berufungsgericht muss daher einen in erster Instanz vernommenen Zeugen wiederholt vernehmen, wenn es protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder werten will (BGH, Beschluss vom 21. April 2010 - IV ZR 172/09, WM 2011, 1533 Rn. 5 mwN; BGH, Urteil vom 3. April 1984 - VI ZR 195/82, NJW 1984, 2629) oder wenn es die Glaubwürdigkeit eines in der ersten Instanz vernommenen Zeugen abweichend vom Erstrichter beurteilen will (BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 275 mwN; Urteil vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285). Eine erneute Zeugenvernehmung durch das Berufungsgericht ist zudem dann notwendig, wenn bereits die Beweiswürdigung durch das erstinstanzliche Gericht gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 Abs. 1 Satz 1 ZPO) verstößt (Musielak/Huber, ZPO, 9. Aufl., § 398 Rn. 4 und Musielak/Ball, aaO, § 529 Rn. 13, 16).
(b) Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.
Entgegen der Revision ist es nicht als verfahrensfehlerhaft zu beanstanden, dass das Landgericht seine Beweiswürdigung ohne wiederholte Vernehmung auf die protokollierten Aussagen der Zeugen Dr. H. und Dr. D. gestützt hat, obwohl der mit der Zeugenvernehmung beauftragte Richter vor der Entscheidung ausgeschieden ist.
Das erkennende Gericht darf eine Beweiswürdigung grundsätzlich auch dann vornehmen, wenn es die Beweisaufnahme nicht selbst durchgeführt hat, wenn also die Zusammensetzung des Gerichts zwischen Beweisaufnahme und Entscheidung gewechselt hat. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Zivilprozessordnung die Beweisaufnahme durch den beauftragten und den ersuchten Richter (§ 361 f. ZPO) vorsieht. Ein Richterwechsel nach einer Beweisaufnahme erfordert daher nicht in jedem Fall deren Wiederholung. Frühere Zeugenaussagen können durch Auswertung der Vernehmungsprotokolle im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, sofern es auf einen persönlichen Eindruck von ihren Bekundungen nicht ankommt (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, Urteil vom 4. Februar 1997 - XI ZR 160/96, NJW 1997, 1586, 1587 mwN). Ein Gericht verstößt erst dann gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn es sich auf Erwägungen zur Glaubwürdigkeit eines Zeugen stützt, ohne dass alle erkennenden Richter - etwa wegen eines Richterwechsels - an dessen Vernehmung teilgenommen und so einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen gewonnen haben oder auf eine aktenkundige und der Stellungnahme durch die Parteien zugängliche Beurteilung zurückgreifen können (BGH, Urteil vom 4. Februar 1997 - XI ZR 160/96, NJW 1997, 1586, 1587; Urteil vom 9. Januar 1997 - III ZR 162/95, NJW-RR 1997, 506; Urteil vom 19. September 1994 - II ZR 161/93, NJW-RR 1994, 1537; Urteil vom 4. Dezember 1990 - XI ZR 310/89, NJW 1991, 1180). Eine Verletzung des so verstandenen Gebots der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme liegt nicht vor. Das Landgericht hat die persönliche Glaubwürdigkeit der Zeugen Dr. H. und Dr. D. nicht in Zweifel gezogen, sondern nur den sachlichen Inhalt ihrer Aussagen anhand anderweitiger Umstände, insbesondere anhand von Zulassungsunterlagen und Schriftverkehr, gewürdigt. Das war trotz des Ausscheidens des mit der Zeugenvernehmung beauftragten Richters zulässig.
Das Berufungsgericht hat die Aussagen der Zeugen Dr. H. und Dr. D. auch nicht anders verstanden als das Landgericht. Ebenso wie das Landgericht hat das Berufungsgericht diese Aussagen als glaubhaft beurteilt, weil ihr Erklärungsgehalt durch anderweitige Umstände, insbesondere Zulassungsunterlagen und Schriftverkehr, bestätigt worden sei. Beide Gerichte beziehen sich ausschließlich auf die Sachdarstellung und damit die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen wird weder vom Landgericht noch vom Berufungsgericht erörtert und ersichtlich von beiden Vorinstanzen im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der Aussagen und mangels die Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehender Umstände stillschweigend bejaht.
3. Die Revision beanstandet schließlich die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Beklagte zu 1 sich als Vertriebsunternehmen auf ein von der Beklagten zu 2 abgeleitetes Vorbenutzungsrecht habe berufen können, obwohl die Beklagte zu 2 zu einem späteren Zeitpunkt die Beklagte zu 1 durch die A. GmbH (der Beklagten des Parallelverfahrens X ZR 132/09) als Vertriebspartner ausgetauscht habe. Als Folge dieser Auffassung sei es der Beklagten zu 2 unbenommen, den Vertrieb in der Bundesrepublik Deutschland parallel durch mehrere Vertriebsgesellschaften durchführen zu lassen, obwohl es sich bei der Beklagten zu 1 ursprünglich um den einzigen Vertriebspartner für die Bundesrepublik gehandelt habe. Ein solcher paralleler Vertrieb führe zu einer von § 12 PatG nicht erlaubten Ausweitung des Vorbenutzungsrechts im Inland.
Die von der Revision erhobenen Bedenken stellen sich im Streitfall bereits deshalb nicht, weil nach den von der Revision nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts die Beklagte zu 2 ihre Vertriebspartner für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lediglich ausgetauscht und nicht deren Anzahl erhöht hat.
Darüber hinaus ist allgemein anerkannt, dass das Vorbenutzungsrecht des Herstellers umfassend und mengenmäßig nicht beschränkt ist und den Wechsel der Benutzungsart erlaubt (RGZ 153, 321, 326 - Gleichrichterröhren; RG GRUR 1938, 770, 771 - Eisenbahnpostwagen; RG GRUR 1940, 434, 436 - Massekerne; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 12 PatG Rn. 23; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 12 Rn. 45; Kraßer, Patentrecht, 6. Aufl., S. 825; Keukenschrijver, GRUR 2001, 944, 945; jeweils mwN). Entsprechend umfasst das Vorbenutzungsrecht auch den Aufbau eines Vertriebssystems (Busche, GRUR 1999, 645, 648) und dessen Ausgestaltung mit mehreren Vertriebspartnern.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens
Grabinski Schuster