Entscheidungsdatum: 21.03.2017
Geht am Abend des vorletzten Tages der Rechtsmittelbegründungsfrist bei dem Rechtsmittelgericht ein unvollständig per Telefax übermittelter Schriftsatz ein, bei dem unter anderem die letzte Seite mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten fehlt, gebietet es die gerichtliche Fürsorgepflicht grundsätzlich nicht, den Prozessbevollmächtigten am Folgetag auf die von der Geschäftsstelle erkannte Unvollständigkeit des Schriftsatzes hinzuweisen.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 84 des Landgerichts Berlin vom 26. März 2015 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 800 €.
A. Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von je 400 € an die Kläger verurteilt. Gegen das Urteil hat die Beklagte form- und fristgemäß Berufung eingelegt. Am vorletzten Tag der Berufungsbegründungsfrist empfing das Telefax-Empfangsgerät des Berufungsgerichts ab 18.57 Uhr eine Sendung vom Telefax-Gerät der Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Zur Geschäftsstelle gelangte am nächsten Tag der Ausdruck der ersten Seite einer Berufungsbegründungsschrift und einer weiteren Seite ohne Schriftsatztext mit technischen Informationen zur Sendung. Das Original der fünf Seiten umfassenden Berufungsbegründungsschrift ist einen Tag nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen.
Auf den Hinweis, dass innerhalb der Berufungsbegründungsfrist nur ein unvollständiger und nicht unterschriebener Schriftsatz eingegangen sei, hat die Beklagte rechtzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das Landgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.
Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte, diese Entscheidung - hilfsweise unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - aufzuheben.
B. Die nach § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte, rechtzeitig eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. ZPO), jedoch unbegründet.
I. Das Landgericht hat angenommen, die Frist zur Begründung der Berufung sei nicht gewahrt, weil vor ihrem Ablauf keine vollständige und unterschriebene Berufungsbegründungsschrift eingegangen sei. Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sei nicht zu gewähren, weil die Beklagte nicht dargelegt habe, dass die Frist unverschuldet nicht eingehalten worden sei. Die Begründung des Antrags rechtfertige nicht die Annahme, dass ihre Prozessbevollmächtigte die erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen getroffen habe, um den rechtzeitigen Zugang als Telefax übermittelter fristgebundener Schriftsätze sicherzustellen, wozu insbesondere die Einrichtung einer die Prüfung der Vollständigkeit der Übermittlung einschließenden Ausgangskontrolle gehöre. Der Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs sei nicht zu entnehmen, dass in der Kanzlei die Weisung bestehe, Fristen erst nach eigener Prüfung des Sendeberichts zu löschen und dass dies im Streitfall so gehandhabt worden sei.
II. Dies hält der Nachprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren stand.
1. Die Frist zur Begründung der Berufung (§ 520 Abs. 2 ZPO) ist durch das unvollständige und insbesondere ohne Unterschrift eingegangene Telefax nicht gewahrt worden. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, das Berufungsgericht sei pflichtwidrig nicht allen aus dem Akteninhalt ersichtlichen Anhaltspunkten dafür nachgegangen, dass die Berufungsbegründungsschrift doch rechtzeitig in einem für die Zulässigkeit hinreichenden Umfang eingegangen sein könnte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss das Berufungsgericht zwar alle aus dem Akteninhalt ersichtlichen Anhaltspunkte für einen möglichen rechtzeitigen Eingang einer Rechtsmittel(begründungs)schrift prüfen und würdigen (BGH, Beschluss vom 19. April 1994 - VI ZB 3/94, NJW 1994, 1881, 1882). Entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht aber nicht versäumt, alle aus dem Akteninhalt ersichtlichen Anhaltspunkte zu berücksichtigen. In ihrem seinerzeit nicht nur hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag ist die Beklagte selbst von einer Versäumung der Begründungsfrist ausgegangen. Die Fehlerzeilen auf dem Faxausdruck des Empfangsgeräts ("Verbindungsende während der Übertragung (Abbruch durch Gegenstelle)"), der Umstand, dass der von der Beklagten vorgelegte Sendebericht jedenfalls nur vier (statt fünf) Seiten aufführt und den Vermerk
* Bisher gesendet : Seiten 1
enthält, deuten darauf hin, dass das Fax vom Sendegerät ungeachtet des als "korrekt" ausgewiesenen Ergebnisses tatsächlich nicht vollständig gesendet worden ist. Dies korrespondiert damit, dass auch nur der Ausdruck einer Seite des Begründungsschriftsatzes zur Geschäftsstelle gelangt ist. Das Berufungsgericht hatte unter diesen Umständen keinen Anlass, zu überprüfen, ob weitere Seiten der Berufungsbegründung als elektronische Signale auf dem Empfangsgerät des Gerichts eingegangen sein könnten.
2. Der Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt worden. Sie war nicht ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten.
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Prozessbevollmächtigte der Beklagten nach deren Vorbringen keine hinreichenden organisatorischen Vorkehrungen für eine wirksame Ausgangskontrolle getroffen hat. Diese Beurteilung ist rechtlich nicht zu beanstanden und wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht angegriffen.
b) Ein Wiedereinsetzungsgrund ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer für das Versäumnis mitursächlichen Pflichtverletzung des Gerichts. Das Berufungsgericht war nicht verpflichtet, die Beklagte am folgenden Tag auf die Unvollständigkeit des am Vortag eingegangenen Telefaxes hinzuweisen.
aa) Im Rahmen der dem verfassungsrechtlichen Anspruch der Prozessparteien auf ein faires Verfahren korrespondierenden Fürsorgepflicht des Gerichts (BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1995 - 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99, 114 ff.) ist dieses grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, am letzten Tag einer Frist zu prüfen, ob ein am Vortag eingegangener Schriftsatz formelle Mängel aufweist, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechende Hinweise auf deren Behebung hinzuwirken (BGH, Beschluss vom 16. März 2015 - NotS (Brfg) 7/14, WM 2015, 900 Rn. 14 ebenfalls zu einem unvollständig eingegangenen Telefax).
bb) Zu einem sofortigen Hinweis ist das Berufungsgericht im vorliegenden Fall auch nicht auf Grund des von der Rechtsbeschwerde aufgezeigten besonderen Umstandes verpflichtet gewesen, dass die Geschäftsstelle des Berufungsgerichts die Unvollständigkeit ausweislich des Vermerks "Fax unvollst. z. Fr. (Orig.?)" vom 25. November 2014 am letzten Tag der Frist tatsächlich bemerkt hat.
(1) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die Fürsorgepflicht eines für die Berufung unzuständigen Gerichts von Verfassungs wegen auch dann keinen sofortigen Hinweis durch Telefonanruf oder Telefax erfordert, wenn die Unzuständigkeit am letzten Tag der Berufungsfrist vom Richter erkannt wird: Mit einer solchen Hinweispflicht würde den Parteien die Verantwortung für die Formalien vollständig abgenommen und den unzuständigen Gerichten übertragen, was die Anforderungen an die richterliche Fürsorgepflicht überspannte (BVerfG, Beschluss vom 3. Januar 2001 - 1 BvR 2147/00, NJW 2001, 1343). Dies schließt es zwar nicht notwendigerweise aus, in ähnlichen Situationen von dem zuständigen Gericht sofortige Maßnahmen zu verlangen. Auch insoweit darf sich aber die Bestimmung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung von Verfassungs wegen geboten ist, nicht nur am Interesse des Rechtssuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss (BVerfG, NJW 2001, 1343).
(2) Die danach gebotene Abwägung zwischen den betroffenen Belangen fällt für den Fall einer am letzten Tag der Frist von der Geschäftsstelle des Gerichts bemerkten Unvollständigkeit eines am Vortag durch Telefax eingegangenen Schriftsatzes zu Lasten der Partei aus. Die Unvollständigkeit eines durch Telefax übermittelten Schriftsatzes unterscheidet sich unter einem wesentlichen Gesichtspunkt von anderen als Anlass gerichtlicher Fürsorge erörterten formellen Mängeln. Ein Gericht, das etwa die eigene Unzuständigkeit oder das Fehlen der Unterschrift (siehe dazu BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - VI ZB 37/08, NJW-RR 2009, 564 Rn. 10) bemerkt, muss davon ausgehen, dass etwaige Vorkehrungen gegen derartige Fehler gescheitert sind und dass die für die Einhaltung der formellen Anforderungen an ihren Schriftsatz verantwortliche Prozesspartei eben deshalb keinen Anlass hat, weitere Anstrengungen zur Wahrung der Frist zu unternehmen. Demgegenüber belegt die Unvollständigkeit eines durch Telefax übermittelten Schriftsatzes lediglich das Scheitern eines einzelnen Übermittlungsversuchs, dem eine Fax-Ausgangskontrolle zu folgen hat, die dem Absender den Fehler offenbaren soll (s. nur BGH, Beschluss vom 28. September 1989 - VII ZB 9/89, NJW 1990, 187; ständige Rechtsprechung). Der Eingang eines unvollständigen Telefaxes lässt aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Gerichts nicht erkennen, dass auch die Fax-Ausgangskontrolle versagt hat und der Absender deshalb der Fehlvorstellung unterliegt, die Frist gewahrt zu haben. Die bloße Möglichkeit einer unzureichenden Ausgangskontrolle rechtfertigt es nicht, das Gericht mit der Pflicht zu einem sofortigen Hinweis zu belasten, der sich im Regelfall als überflüssig erweisen wird, weil der durch seine Ausgangskontrolle gewarnte Absender eine erneute Übermittlung (z. B. nach Behebung eines Defekts am Sendegerät oder durch Boten) bereits veranlasst hat. Eine entsprechende Hinweispflicht liefe vielmehr auf eine weitgehende Verlagerung der Verantwortung für die Fax-Ausgangskontrolle von dem dafür zuständigen Absender auf das Gericht und damit auf eine Überspannung der gerichtlichen Fürsorgepflicht hinaus.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck |
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