Entscheidungsdatum: 29.08.2012
1. NV: Ist die Hauptsacheerledigung auf ein nachträglich eingetretenes außerprozessuales Ereignis (hier die Bescheinigung der Denkmalschutzbehörde) zurückzuführen, ist nicht § 138 Abs. 2 FGO, sondern § 138 Abs. 1 FGO der Maßstab für die Kostentragungspflicht .
2. NV: Die insofern gebotene Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands verlangt nicht, schwierige rechtliche Fragen, die in der Hauptsache zu entscheiden gewesen wären, erstmals zu prüfen .
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erwarben eine unsanierte Eigentumswohnung in X, die sie im September 2010 bezogen. Sie reichten am 21. September 2010 beim Amt für Bauordnung und Denkmalpflege der Stadt X (Denkmalschutzbehörde) einen Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung gemäß §§ 7i, 10f und 11b des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein, was von der Denkmalschutzbehörde ebenso bestätigt wurde wie die Tatsache, dass das erforderliche denkmalschutzrechtliche Abstimmungsverfahren eingehalten worden sei.
In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr 2010 begehrten die Kläger gemäß § 10f Abs. 1 EStG die Berücksichtigung von 24.480 € als Aufwendungen für Wohneigentum; dieses wurde von dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) abgelehnt. Mit dem Urteil vom 11. Januar 2012 hat das Finanzgericht (FG) der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage teilweise stattgegeben und den Einkommensteuerbescheid 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. August 2011 dahingehend geändert, dass weitere Sonderausgaben in Höhe von 22.032 € zu berücksichtigen seien. Das FA hat die zugelassene Revision fristgerecht eingelegt und begründet, das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.
Nachdem die Denkmalschutzbehörde am 2. Mai 2012 Sanierungsaufwendungen in Höhe von 224.067,14 € anerkannt hatte, änderte das FA mit Bescheid vom 13. Juni 2012 den Einkommensteuerbescheid 2010 und legte nunmehr Sonderausgaben in Höhe von 20.167 € als Aufwendungen für die eigene Wohnung der Besteuerung der Kläger zugrunde.
Die Kläger erklärten am 18. Juli 2012 "den Rechtsstreit in der Hauptsache im Revisionsverfahren für erledigt". Sie sind der Auffassung, dem FA seien die Kosten aufzuerlegen, weil das FA den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid erlassen habe, ohne seiner Pflicht gemäß §§ 155 Abs. 2 und 162 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) nachzukommen und die Sonderausgaben gemäß § 10f EStG zu schätzen.
Das FA erklärte am 9. August 2012 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Es beantragt eine Kostenentscheidung gemäß § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Für eine Kostenentscheidung gemäß § 138 Abs. 2 FGO sei kein Raum, da der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2010 rechtmäßig gewesen und der Grund für die Änderung des Einkommensteuerbescheids von ihm nicht zu vertreten gewesen sei.
II. 1. Der Rechtsstreit ist wirksam in der Hauptsache für erledigt erklärt worden.
a) Die Kläger haben zwar "den Rechtsstreit in der Hauptsache im Revisionsverfahren für erledigt" erklärt. Die Bezugnahme in der Formulierung auf das Revisionsverfahren bedeutet indes keine Einschränkung der Erledigungserklärung auf das Rechtsmittelverfahren (vgl. dazu Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 138 Rz 60). Dies ergibt sich eindeutig aus dem Kontext mit den Schreiben des FA vom 12. Juni 2012 und der Geschäftsstelle des angerufenen Senats vom 21. Juni 2012.
b) Es ist unerheblich, dass das BMF keine Erledigungserklärung abgegeben hat. Hat sich der Rechtsstreit durch die übereinstimmenden Erklärungen der Kläger und des FA in der Hauptsache erledigt, ist für eine Erledigungserklärung des dem Verfahren beigetretenen BMF kein Raum mehr (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, vgl. Beschlüsse vom 14. Mai 1975 VII R 107/72, BFHE 115, 425, und vom 29. Juli 1996 III R 144/93, nicht veröffentlicht, juris).
c) Da die Erledigungserklärungen im Revisionsverfahren abgegeben wurden, ist das angefochtene Urteil einschließlich der darin enthaltenen Kostenentscheidung gegenstandslos geworden (BFH-Beschlüsse vom 29. Mai 1996 I R 79/95, BFH/NV 1996, 846; vom 25. Januar 1994 V R 128/85, BFH/NV 1995, 918, und vom 30. März 2011 X R 13/11, nicht veröffentlicht, juris).
2. Nachdem die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat der beschließende Senat nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden (§ 138 Abs. 1 FGO).
a) Zwar sind gemäß § 138 Abs. 2 FGO die Kosten der Behörde aufzuerlegen, wenn sich ein Rechtsstreit dadurch erledigt, dass dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes stattgegeben oder der beantragte Verwaltungsakt erlassen wird (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 17. Dezember 2002 I R 87/00, BFH/NV 2003, 785). Ist die Erledigung hingegen auf ein nachträglich eingetretenes außerprozessuales Ereignis (hier die Bescheinigung der Denkmalschutzbehörde) zurückzuführen, ist nicht § 138 Abs. 2 FGO sondern § 138 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO der Maßstab für die Kostentragungspflicht (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2001 X R 128/97, BFH/NV 2002, 337, m.w.N.; siehe dazu auch Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 138 FGO Rz 61). Mithin hängt die Kostenfolge von einer summarischen Beurteilung der Frage ab, wie --ausgehend vom bisherigen Sach- und Streitstand-- das Gericht voraussichtlich entschieden hätte, wenn es nicht zur Hauptsacheerledigung gekommen wäre (Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 337). Dabei sind für die Kostenentscheidung nicht die Erfolgsaussichten der Revision, sondern die des Rechtsstreits maßgeblich (siehe Gräber/ Ratschow, a.a.O., § 138 Rz 35).
b) Die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten ergibt im Streitfall, dass das FA zum größten Teil unterlegen wäre und dementsprechend die Kosten zu tragen hat.
aa) Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 2010 insoweit, als das FA den Antragstellern den vollständigen Sonderausgabenabzug gemäß § 10f EStG i.V.m. § 7i EStG versagt hat. Das FG hat unter ausdrücklicher Berücksichtigung der Rechtsprechung des erkennenden Senats in dessen Beschluss vom 20. Juli 2010 X B 70/10 (BFH/NV 2010, 2007) entschieden, das FA habe nicht ohne Weiteres den Ansatz des geltend gemachten Abzugsbetrags vollständig unterlassen dürfen. Vielmehr hätte es den vorläufigen Ansatz eines Abzugsbetrags im Wege der Schätzung nach § 155 Abs. 2 AO i.V.m. § 162 Abs. 5 AO prüfen müssen, da gemäß § 162 Abs. 5 AO alle in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden könnten. Die Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 5 AO knüpfe in systematischer Hinsicht nicht an die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 und 2 AO an. Innerhalb der Schätzungsbefugnis habe die Finanzbehörde die Frage zu beantworten, ob sie im Streitfall die gesetzlichen Vorgaben eines Abzugsbetrags nach § 7i EStG vorläufig als gegeben ansehe. Falls sie mit ihrer Schätzung von der Steuererklärung abweichen wolle, müsse sie auch insoweit überprüfbar darlegen, aus welchem Grund die Anerkennung versagt werden solle.
bb) Das FA hat eine entsprechende Schätzung nicht vorgenommen, so dass nunmehr im Rahmen der Kostenentscheidung die begünstigten Aufwendungen zu schätzen sind. Ebenso wie das FG ist davon auszugehen, dass die wesentlichen Voraussetzungen des § 7i EStG dem Grunde nach als gegeben angesehen werden können. Durch die vorgelegten Unterlagen steht fest, dass die Kläger eine Wohnung in einem denkmalgeschützten Gebäude erworben haben. Es steht auch fest, dass ihnen daraus Herstellungskosten für Baumaßnahmen entstanden sind, die nach Art und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal oder zu seiner sinnvollen Nutzung erforderlich waren, da das Gebäude so saniert wurde, dass die Kläger die Wohnung im September 2010 beziehen konnten.
cc) Wegen der Sanierungsaufwendungen, die möglicherweise nicht die Voraussetzungen des § 7i EStG erfüllten, sah das FG einen Sicherheitsabschlag von 10 % als gerechtfertigt an. Es bestehen keine Bedenken, im Rahmen der Kostenentscheidung ebenfalls diesen Sicherheitsabschlag zugrunde zu legen.
Aufgrund der Bescheinigung der Denkmalschutzbehörde steht zwar zwischenzeitlich fest, dass die begünstigten Sanierungsaufwendungen 224.067,14 € betragen; damit sind im Streitjahr Aufwendungen in Höhe von 20.167 € als Sonderausgaben anzuerkennen. Demgegenüber haben die Kläger im Klageverfahren den Abzug von 24.280 € beantragt, so dass sie in Höhe von 4.113 €, d.h. zu ca. 17 %, nicht obsiegt hätten. Dennoch sind ihnen nur 10 % der Kosten aufzuerlegen, da im Rahmen der Kostenentscheidung gemäß § 138 Abs. 1 FGO das materiell erledigende Ereignis --hier die Bescheinigung der Denkmalschutzbehörde-- unberücksichtigt bleibt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Dezember 2006 X B 192/03, BFH/NV 2007, 497; vom 29. November 2011 VII B 110/09, BFH/NV 2012, 797; vgl. Gräber/Ratschow, a.a.O., § 138 Rz 30).
c) Es kann dahinstehen, dass die dem Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 2007 zugrunde liegende Rechtsauffassung in dem anhängigen Revisionsverfahren X R 7/12 nochmals einer Überprüfung unterzogen wird. Eine in dem vorliegenden Verfahren vorzunehmende erneute sachliche Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Argumenten würde einen Aufwand erfordern, der die Begründung einer Kostenentscheidung überspannt. Die im Rahmen von § 138 Abs. 1 FGO gebotene Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands dient nicht dazu, schwierige rechtliche Fragen, die in der Hauptsache zu entscheiden gewesen wären, erstmals einer Prüfung zu unterziehen (BFH-Beschluss vom 27. März 2012 VIII B 176/11, BFH/NV 2012, 1163). Entsprechendes gilt, wenn die Rechtsfrage erstmals in einem Revisionsverfahren zu klären gewesen wäre.