Entscheidungsdatum: 19.05.2011
1. NV: Der Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft erwirbt eine allein ihm gewährte Versorgungszusage nicht ausschließlich durch eigene Beitragsleistung, sondern auch zu Lasten seiner Mitgesellschafter, selbst wenn er bei einer anderen, nicht die Versorgungszusage gewährenden Kapitalgesellschaft auf seine gesellschaftsrechtlichen Ansprüche verzichtet .
2. NV: Ein Durchgriff durch eine Kapitalgesellschaft kommt grundsätzlich nicht in Betracht, da die Kapitalgesellschaft ein selbständiges Steuersubjekt ist (sog. Trennungsprinzip) .
3. NV: Eine "wirtschaftliche Betrachtungsweise" führt nicht zur Behandlung von Pensionszusagen zweier Gesellschaften gegenüber ihren jeweiligen Gesellschaftern wie solche einer Gesellschaft gegenüber ihren jeweils zur Hälfte beteiligten Gesellschaftern, da unterschiedliche Gesellschaften verschiedene rechtliche Schicksale erleiden können .
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 2005 und 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielte in den Streitjahren als Gesellschafter-Geschäftsführer (GF) der T-GmbH, der U-GmbH und der V-GmbH Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. An den Gesellschaften bestanden in den Streitjahren folgende Beteiligungsverhältnisse:
An der T-GmbH waren der Kläger und sein Bruder jeweils zu 50 % beteiligt; beide waren Geschäftsführer. Beteiligte der W-GmbH sind der Kläger und sein Bruder zu jeweils 45 %; die weiteren 10 % der Anteile wurden von der U-GmbH gehalten, an der wiederum der Kläger und sein Bruder zu jeweils 50 % beteiligt waren. Geschäftsführer der U-GmbH und der W-GmbH waren ebenfalls der Kläger und sein Bruder. Zudem waren der Kläger und sein Bruder an der V-GmbH beteiligt.
Dem Kläger ist von der T-GmbH eine Pensionszusage erteilt worden, nach der er ab Vollendung des 65. Lebensjahres eine jährliche Rente in Höhe von 23.004 € erhält. Seinem Bruder hat die W-GmbH eine Pensionszusage gewährt, wonach dieser ab Vollendung des 65. Lebensjahres eine jährliche Rente von 23.008 € beanspruchen kann. Die U-GmbH und die V-GmbH haben dem Kläger und seinem Bruder keine Pensionszusagen erteilt.
In den Einkommensteuerbescheiden 2005 und 2006 kürzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Vorwegabzug nach § 10 Abs. 4a des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren gültigen Fassung (EStG n.F.) i.V.m. § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a Alternative 2 und § 10c Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. bis zum 31. Dezember 2004 (EStG a.F.) auf 0 €. Infolgedessen wirkten sich die Vorsorgeaufwendungen in geringerem Umfang steuermindernd aus.
Einsprüche und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Kläger habe die Pensionszusage der T-GmbH nicht vollständig durch eigene Beitragsleistung, sondern auch zu Lasten seines Bruders und Mitgesellschafters erworben. Denn die T-GmbH habe seinem Bruder keine gleich lautende Pensionszusage erteilt. Die Pensionszusage der W-GmbH könne in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt werden. Sie sei von einer rechtlich eigenständigen Gesellschaft erteilt worden, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) ein eigenes Steuersubjekt sei und nach dem sog. Trennungsprinzip ihre Einkünfte unabhängig von dem Gesellschafter zu versteuern habe. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise dahingehend, dass für die Frage, ob der Kläger seine Pensionszusage auf Kosten seines Bruders erlangt habe, die Versorgungszusage der W-GmbH an den Bruder miteinbezogen werden könne, verbiete das Trennungsprinzip. Auch bei einem Konzernverbund zwischen den beiden Gesellschaften könnten sich diese unterschiedlich entwickeln, beispielsweise könnte eine der Gesellschaften veräußert oder insolvent werden. Schließlich berührten Versorgungszusagen allein die Gesellschaft als Arbeitgeber und den GF als Arbeitnehmer; deshalb könne es nur auf das direkte Verhältnis zwischen diesen beiden Rechtspersonen und nicht auf Absprachen innerhalb eines Konzernverbunds ankommen.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA für das Streitjahr 2006 Änderungsbescheide erlassen. Die Änderungen betrafen nicht die Kürzung des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG a.F. i.V.m. § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG a.F.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung der §§ 10 Abs. 4a EStG n.F., 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a Alternative 2 i.V.m. § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG a.F. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 23. Februar 2005 XI R 29/03 (BFHE 209, 256, BStBl II 2005, 634) entschieden, hinsichtlich der Frage, ob ein GF seine Pensionszusage durch eigene Beitragsleistung erworben habe, komme es darauf an, dass das Anwartschaftsrecht bei typisierender und wirtschaftlicher Betrachtungsweise ausschließlich durch einen der Beteiligungsquote des GF entsprechenden Verzicht auf gesellschaftsrechtliche Ansprüche erworben werde. Sofern daher eine GmbH ihren beiden zu gleichen Teilen beteiligten GF eine gleich hohe betriebliche Altersversorgung zusage, beruhe diese auf eigener Beitragsleistung. Auch nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22. Mai 2007 IV C 8-S 2221/07/0002 (BStBl I 2007, 493) sei für den Vergleich zwischen der persönlichen Beteiligungsquote des GF und dem auf seine Altersversorgungszusage entfallenden Anteil am Gesamtaufwand für die Altersversorgungszusagen aller GF eine typisierende Betrachtungsweise anzustellen. Im Streitfall sei eine konzernbezogene weite Betrachtung angebracht. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise habe der Kläger die Beiträge zu seiner Altersversorgung selbst in voller Höhe aufgebracht, denn er habe für seine Pensionszusage durch die T-GmbH bei der W-GmbH auf eigene gesellschaftsrechtliche Ansprüche in Höhe seiner Beteiligungsquote verzichtet, während sein Bruder seine Versorgungszusage bei der W-GmbH unter Verzicht auf eigene gesellschaftsrechtliche Ansprüche in Höhe seiner Beteiligungsquote bei der T-GmbH erworben habe. Die geringe Abweichung von 4 € sei auf Rundungsdifferenzen zurückzuführen, die nach Tz. 22 des BMF-Schreibens in BStBl I 2007, 493 unbedeutsam seien.
Die Kläger beantragen,
das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 dahingehend abzuändern, dass der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 4a EStG n.F. i.V.m. § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG a.F. ungekürzt gewährt wird.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. 1. Das angefochtene Urteil ist, soweit es das Streitjahr 2006 betrifft, aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da die während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheide --zuletzt vom 10. Februar 2011-- an die Stelle des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids getreten sind. Damit liegt dem Urteil des Finanzgerichts (FG) ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das angefochtene Urteil insoweit keinen Bestand haben kann (s. dazu BFH-Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43).
Der Bescheid vom 10. Februar 2011 wurde nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens. Da die vom FG festgestellten tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs durch die Änderung der angefochtenen Verwaltungsakte unberührt geblieben sind, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO (vgl. Senatsurteile vom 18. November 2009 X R 34/07, BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414, und vom 18. Januar 2011 X R 63/08, BFHE 232, 441). Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (vgl. Senatsurteil in BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414).
2. Hinsichtlich des Streitjahres 2005 ist die Revision unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Soweit das Streitjahr 2006 betroffen ist entscheidet der Senat in der Sache selbst; die Klage, die sich nunmehr gegen den im Laufe des Revisionsverfahrens ergangenen geänderten Bescheid richtet, wird als unbegründet abgewiesen. Das FG hat im Rahmen der Günstigerprüfung gemäß § 10 Abs. 4a EStG n.F. zu Recht entschieden, dass der Kläger zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG a.F. gehört.
a) Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. steht zusammenveranlagten Ehegatten für sog. Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 EStG) als Höchstbetrag ein Vorwegabzug von 6.136 € zu. Der Vorwegabzug ist nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG a.F. i.V.m. § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG a.F. u.a. dann um 16 % der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG --ohne Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG-- zu kürzen, wenn der Steuerpflichtige während des ganzen oder eines Teils des Kalenderjahres nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegt, eine Berufstätigkeit ausgeübt und im Zusammenhang damit aufgrund vertraglicher Vereinbarungen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung erworben hat.
b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt, da der Kläger seine Altersversorgung nicht vollständig durch eigene Beitragsleistung erworben hat.
aa) Nach der Rechtsprechung des BFH ist unter dem Begriff der "Beitragsleistung" für den Erwerb von Anwartschaftsrechten auf eine (eigene) Altersversorgung nicht nur eine Geldzahlung, sondern jede Minderung eines Vermögensanspruchs zu verstehen (Senatsurteil vom 25. März 1992 X R 121/90, BFH/NV 1992, 596; BFH-Urteil vom 16. Oktober 2002 XI R 25/01, BFHE 200, 554, BStBl II 2004, 546). Der XI. Senat des BFH hat --ausgehend von diesem Grundsatz-- mit seinen Urteilen in BFHE 200, 554, BStBl II 2004, 546, und vom 28. Juli 2004 XI R 9/04 (BFH/NV 2005, 196) entschieden, dass dem Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH der Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen ungekürzt zu belassen ist, weil dieser --wirtschaftlich betrachtet-- eine ihm von der GmbH zugesagte Altersversorgung durch Verzicht auf entsprechende gesellschaftsrechtliche Ansprüche (§§ 29, 72 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung) und damit letztlich ausschließlich durch eigene Beitragsleistungen erwirbt. In seinem Urteil in BFHE 209, 256, BStBl II 2005, 634 hat der XI. Senat dann dargelegt, dieselben Grundsätze seien auch anzuwenden, wenn eine GmbH mehreren GF, die zu gleichen Teilen an der GmbH beteiligt sind, eine Altersversorgung zugesagt und der einzelne GF bei typisierender und wirtschaftlicher Betrachtung sein Anwartschaftsrecht auf Altersversorgung auf Dauer gesehen ausschließlich durch einen seiner Beteiligungsquote entsprechenden Verzicht auf gesellschaftsrechtliche Ansprüche erworben hat. Die Frage, ob bei mehreren GF der einzelne sein Anwartschaftsrecht auf Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung --d.h. auch zu Lasten der gesellschaftsrechtlichen Ansprüche seiner Mitgesellschafter-- erwirbt, beantwortet sich danach, ob der Aufwand der GmbH für die Altersversorgung des jeweiligen GF dessen quotaler Beteiligung an der GmbH entspricht. Im Wege einer vorausschauenden Betrachtung ist zu ermitteln, ob danach jeder GF für seine Versorgung wirtschaftlich betrachtet letztlich selbst aufkommen soll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass selbst zu gleichen Teilen beteiligte fremde Gesellschafter typischerweise nicht bereit sind, zugunsten von Mitgesellschaftern auf ihre Gewinnansprüche zu verzichten; auch das Gesetz geht von der Gleichbehandlung der Gesellschafter aus (BFH-Urteil in BFHE 209, 256, BStBl II 2005, 634, unter II.3.b).
Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung des XI. Senats im Grundsatz angeschlossen und in mehreren Urteilen (vom 26. September 2006 X R 3/05, BFHE 215, 165, BStBl II 2007, 452; vom 8. November 2006 X R 11/05, BFH/NV 2007, 673; vom 17. Januar 2007 X R 10/06, BFH/NV 2007, 1289, und vom 2. September 2008 X R 17/08, BFH/NV 2009, 141) klargestellt, dass der von dem Geschäftsführer einer GmbH bezogene Arbeitslohn nur dann von der Kürzung des Vorwegabzugs auszunehmen ist, wenn die gegen die Gesellschaft erworbenen Ansprüche auf eine eigene Altersversorgung vollständig mit dem (gegebenenfalls wechselseitigen) Verzicht auf die dem Steuerpflichtigen in seiner Eigenschaft als (Mit-)Gesellschafter zustehenden Ansprüche in Verbindung gebracht werden können.
bb) Im Streitfall hat der Kläger die Versorgungszusage durch die T-GmbH nicht ausschließlich durch eigene Beitragsleistung, sondern auch zu Lasten seines Bruders und Mitgesellschafters erworben. Der Umstand, dass der Kläger seinerseits bei der W-GmbH auf seine gesellschaftsrechtlichen Ansprüche verzichtet hatte, führt zu keinem anderen Ergebnis.
Der Senat hat bereits mit Urteil in BFH/NV 2009, 141 (unter II.2.d) entschieden, der Verzicht des GF auf gesellschaftsrechtliche Ansprüche bei einer anderen, nicht die Versorgungszusage gewährenden Kapitalgesellschaft führe auch bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht dazu, dass die Versorgungszusage durch eigene Beitragsleistung erworben werde. Eine Kapitalgesellschaft ist ein selbständiges Steuersubjekt (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG), das die von ihr aus der Beteiligung erzielten Einkünfte unabhängig vom Gesellschafter zu versteuern hat (sog. Trennungsprinzip). Ein Durchgriff durch die Gesellschaft kommt grundsätzlich nicht in Betracht (BFH-Urteil vom 27. März 2007 VIII R 64/05, BFHE 217, 497, BStBl II 2007, 639). Auch eine "wirtschaftliche Betrachtungsweise", die die Rechtsprechung zur Kürzung des Vorwegabzugs bei einem Alleingesellschafter-Geschäftsführer oder bei identischen Beteiligungsquoten bei Mehrpersonengesellschaften prägt, kann daher wegen des "Trennungsprinzips" nicht dazu führen, dass Pensionszusagen zweier Gesellschaften mit beschränkter Haftung gegenüber ihren jeweiligen Gesellschaftern wie die Pensionszusage einer GmbH gegenüber ihren jeweils mit 50 % beteiligten Gesellschaftern behandelt werden. Wie das FG richtig ausgeführt hat, können unterschiedliche Gesellschaften verschiedene rechtliche Wege z.B. im Hinblick auf eine Auflösung oder Insolvenz gehen. Unter Umständen können sie dann den Pflichten gegenüber ihren GF --wie beispielsweise Pensionszusagen-- auch nur auf unterschiedliche Weise nachkommen. Auch aus diesem Grund ist eine (wirtschaftliche) Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung aller in einem Konzern befindlichen Kapitalgesellschaften nicht möglich.