Entscheidungsdatum: 10.11.2011
1. NV: Das Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. des § 119 Nr. 6 FGO ist gegeben, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde liegt oder auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt .
2. NV: Geht das Finanzgericht auf das Begehren des Klägers, ihm den ungekürzten Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG (a.F.) zu gewähren, mit keinem Wort ein, obwohl eine Prüfung der Voraussetzungen nahe gelegen hätte, ist das Urteil hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunkts nicht mit Gründen versehen .
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war seit 1991 Geschäftsführer der A GmbH (GmbH), an deren Stammkapital er zu 24 % beteiligt war. Daneben waren seine minderjährigen Kinder als Gesellschafter zu jeweils 13 % beteiligt. Nachdem seine Geschäftsführertätigkeit zunächst als sozialversicherungspflichtig behandelt worden war, stufte die Landesversicherungsanstalt X mit Bescheid vom 1. November 2000 das Arbeitsverhältnis rückwirkend als nicht sozialversicherungspflichtig ein. Dabei vereinbarte der Kläger eine rückwirkende Umwandlung der freiwilligen Krankenversicherung als Arbeitnehmer in eine freiwillige Krankenversicherung als Selbständiger bei gleichen Beiträgen und Leistungen. Nach einer Lohnsteueraußenprüfung änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre und behandelte die vormals steuerfrei belassenen Zuschüsse der GmbH zur Krankenversicherung als steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Kürzung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen auf null gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der in den Streitjahren geltenden Fassung behielt das FA in allen Streitjahren bei.
Im Klageverfahren wandte sich der seinerzeitige Prozessbevollmächtigte des Klägers erstmals --neben der Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) auf den vorliegenden Sachverhalt-- auch gegen die Beibehaltung der Kürzung des Vorwegabzugs. Für die Streitjahre 1995 bis 1998 führte das FA aus, dass der ungekürzte Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen dem Kläger gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 i.V.m. § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG nicht zustehe, da er seine Anwartschaft auf Altersversorgung nicht vollständig durch eigene Beitragsleistung, sondern zum Teil auch durch Gewinnverzicht der nicht geschäftsführenden Gesellschafter finanziert habe. Bezüglich der Streitjahre 1992 und 1993 führte das FA dagegen aus, dass keine Kürzung des Vorwegabzugs vorzunehmen sei, da der Kläger die Pensionsvereinbarung erst am 1. Januar 1994 geschlossen habe und er damit nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG zu zählen sei. Allerdings komme eine Änderung der angefochtenen Bescheide nur im Rahmen des § 351 Abs. 1 AO in Betracht.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage nach erfolglosem Einspruchsverfahren, insbesondere unter Bezugnahme auf das Urteil des FG Köln vom 20. August 12 K 1173/04 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 117) ab.
Die Revision ließ das FG nicht zu.
Mit seiner Beschwerde beantragt der Kläger die Zulassung der Revision. Im Klageverfahren habe sein damaliger Prozessbevollmächtigter --neben der Unanwendbarkeit der Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO-- auch geltend gemacht, dass dem Kläger der ungekürzte Vorwegabzug zu gewähren sei. In der angefochtenen Entscheidung fehle zu dieser Rechtsfrage jedoch jegliche Stellungnahme oder Begründung. Dies stelle einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dar. Darüber hinaus sei die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen, da die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Pensionszusage an einen nur mit Minderheit beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH zu einer Kürzung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen führe, ungeklärt, aber klärungsbedürftig sei.
II. Die Beschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 FGO), weil es auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO beruht. Andere Zulassungsgründe sind nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Form dargelegt worden.
a) Mit dem Vortrag, in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils sei keinerlei Begründung oder Stellungnahme zu dem Themenkomplex der Kürzung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen enthalten, rügt der Kläger zutreffend ein Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. des § 119 Nr. 6 FGO und damit eine Verletzung der in § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO niedergelegten Pflicht des Gerichts, sein Urteil mit Gründen zu versehen. Ob dies mit der von dem Kläger gerügten Verletzung rechtlichen Gehörs einhergeht, kann dahinstehen.
b) Nach § 119 Nr. 6 FGO ist ein Urteil stets auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Das ist vor allem dann der Fall, wenn überhaupt jede Begründung der Entscheidung fehlt. Hingegen stellt eine bloß lückenhafte Begründung grundsätzlich keinen Mangel in diesem Sinne dar (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. Juni 2008 X B 138/07, BFH/NV 2008, 1516, und vom 22. Juli 2008 II B 47/07, BFH/NV 2008, 1846; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 23, m.w.N.). Allerdings kann § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO dann verletzt sein, wenn die Entscheidungsgründe nur zum Teil fehlen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 13. März 2006 XI B 34/05, BFH/NV 2006, 1140; in BFH/NV 2008, 1516, und vom 11. November 2008 XI B 17/08, BFH/NV 2009, 429; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 24). Die Abgrenzung zwischen erheblichen und nicht wesentlichen Begründungsmängeln hat sich am Zweck der Urteilsbegründung zu orientieren, der darin besteht, für den Ausspruch der Urteilsformel den Nachweis der Rechtmäßigkeit zu liefern (BFH-Entscheidungen vom 17. April 2002 X R 8/00, BFHE 199, 124, BStBl II 2002, 527, und vom 16. Mai 2007 XI B 148/06, nicht veröffentlicht, juris; vgl. auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 24, m.w.N.). Vom Vorliegen eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist danach dann auszugehen, wenn den Beteiligten --zumindest in Bezug auf einen der wesentlichen Streitpunkte-- die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. BFH-Urteile vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417, 418, und in BFHE 199, 124, BStBl II 2002, 527). Dies setzt indes grobe Begründungsmängel in einem Ausmaß voraus, dass die vom FG fixierten Entscheidungsgründe zum Nachweis der Rechtmäßigkeit des Urteilsspruchs schlechterdings ungeeignet erscheinen, also insbesondere nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde liegt oder auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt (BFH-Beschlüsse vom 22. Juli 2002 VII B 296/01, BFH/NV 2002, 1485; vom 15. April 2005 II B 21/04, BFH/NV 2005, 1357; vom 16. August 2005 X B 141/04, BFH/NV 2005, 2236; vom 25. Januar 2006 X B 125/05, BFH/NV 2006, 806, und in BFH/NV 2008, 1516; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 24). Begründungsmängel können sich damit auf einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel beziehen. Danach muss es sich um einen selbständigen Klagegrund oder um ein solches Angriffs- oder Verteidigungsmittel handeln, das den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bildet. Dementsprechend hat die Rechtsprechung des BFH einen wesentlichen Verfahrensmangel auch dann bejaht, wenn das Urteil hinsichtlich eines "wesentlichen Streitpunkts" nicht mit Gründen versehen ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 30. September 2003 IV B 23/02, BFH/NV 2004, 457, und vom 1. September 2005 IX B 152/04, BFH/NV 2006, 93; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 25).
c) Im Streitfall ist eine solche Situation gegeben. Die angefochtene Entscheidung lässt nicht erkennen, ob das FG die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 i.V.m. § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG für die Streitjahre geprüft hat. Insbesondere ist den Entscheidungsgründen des Urteils nicht zu entnehmen, ob das FG --unter Beachtung des § 351 Abs. 1 AO-- bei der Prüfung dieser Vorschriften für die Streitjahre 1992 und 1993 berücksichtigt hat, dass nach dem Vortrag des FA die den Kläger betreffende Pensionsvereinbarung erst am 1. Januar 1994 geschlossen worden ist.
d) Da von einem nachfolgenden Revisionsverfahren keine weitere rechtliche Klärung zu erwarten ist (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 17. September 2003 I B 18/03, BFH/NV 2004, 207), hält der Senat es für sachgerecht, die Vorentscheidung nach § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.