Entscheidungsdatum: 07.02.2018
1. NV: Die Wirksamkeit einer Erledigungserklärung hängt nicht davon ab, ob sie inhaltlich dem mutmaßlichen Ergebnis bei streitiger Fortführung des Prozesses entspricht .
2. NV: Verfahrensfehler im Ausgangsverfahren sind nicht gleichzeitig Verfahrensfehler des nachfolgenden Rechtsstreits betreffend die Wirksamkeit der Erledigungserklärung .
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 27. Juli 2017 2 K 1285/17 E,G,U wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hatte unter dem Az. 2 K 2039/15 E,G,U Klage gegen den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 29. November 2016 wurde die Sache erörtert. Das FA sagte sodann die Änderung von Bescheiden in Teilpunkten zu. Ein weiterer Streitpunkt betraf die Frage, ob das FA zu einer Änderung eines Bescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) im Hinblick auf die Auflösung einer Rücklage nach § 7g Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für das damalige Streitjahr geltenden Fassung (EStG a.F.) berechtigt war. An diesem Punkt hielt die Klägerin nach Erörterung nicht mehr fest. Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das Finanzgericht (FG) hat durch sogleich verkündeten Beschluss die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben.
Eine sich auf die Streitjahre 2007 und 2008 beziehende Beschwerde gegen die Entscheidung des FG vom 29. November 2016, die Revision nicht zuzulassen, hat der Senat mit Beschluss vom 24. März 2017 X B 26/17 (BFH/NV 2017, 915) als unzulässig verworfen, da sie nur gegen Urteile und gleichstehende Entscheidungen statthaft sei. Die Beteiligten hätten aber mit konstitutiver Wirkung den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt und das FG eine Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) getroffen. Soweit die Klägerin geltend mache, ihre Erledigungserklärung sei unwirksam, sei dies im Wege eines Antrages auf Fortsetzung des Verfahrens beim FG geltend zu machen.
Die Klägerin stellte diesen Antrag mit Schriftsatz vom 15. Mai 2017 beim FG, wo er unter dem Az. 2 K 1285/17 E,G,U geführt wurde. Sie sei einem Erklärungsirrtum i.S. des § 119 Abs. 1 Alternative 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) unterlegen gewesen. Das FG habe in dem Termin am 29. November 2016 auf eine neuere Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg vom 7. Mai 2015 10 K 10167/11 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 1451; Revisionsentscheidung vom 3. August 2016 X R 21/15, BFH/NV 2017, 457) hingewiesen, die eher zu Gunsten der Klägerin zu bewerten gewesen wäre. Auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. März 2016 VIII R 58/13 (BFHE 253, 495, BStBl II 2016, 774), das auch für die Klägerin gesprochen habe, habe das FG gar nicht hingewiesen. Schließlich habe das FG einen unzulässigen Beweis eingeführt, nämlich ein ohne Zustimmung und Wissen der Klägerin gefertigtes Foto.
Das FG hat mit Urteil vom 27. Juli 2017 2 K 1285/17 E,G,U festgestellt, dass das Klageverfahren 2 K 2039/15 E,G,U durch die übereinstimmenden Hauptsacheerledigungserklärungen am 29. November 2016 beendet worden sei. Die Erledigungserklärung könne nicht in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BGB angefochten werden. Ihre Unwirksamkeit setze voraus, dass ein Steuerpflichtiger in unzulässiger Weise, etwa durch Drohung, Druck, Täuschung oder auch unbewusste Irreführung zur Abgabe einer solchen Erklärung veranlasst worden sei oder dass ein Grund für eine Nichtigkeits- oder Restitutionsklage i.S. des § 134 FGO i.V.m. §§ 579 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) vorliege. An alledem fehle es. Insbesondere habe das FG am 29. November 2016 im Termin nicht durch die Art der Erörterung und die dort besprochenen Entscheidungen unlauter Druck ausgeübt, zumal die Klägerin fachkundig vertreten gewesen sei. Die nunmehrige Überlegung, die Klägerin hätte unter Berücksichtigung der BFH-Urteile in BFHE 253, 495, BStBl II 2016, 774 und in BFH/NV 2017, 457 den Prozess gewinnen können, sei unerheblich.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin nach dem Verständnis des Senats alle drei Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO geltend. Sie formuliert zwei von ihr als klärungsfähig und klärungsbedürftig bezeichnete Rechtsfragen, die sich auf die Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO im Zusammenhang mit der Rücklage nach § 7g EStG a.F. beziehen, und macht damit sinngemäß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend. Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 2 FGO rügt sie insofern, als das FG mit seiner Entscheidung, das FA habe den Bescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern dürfen, von den bereits im Klageverfahren angeführten Entscheidungen des BFH sowie des Senats vom 9. April 2014 X R 1/11 (BFH/NV 2014, 1499) abgewichen sei.
In erster Linie indes macht die Klägerin einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend. Ihre Erledigungserklärung habe auf einem Irrtum im Hinblick auf die Änderungsmöglichkeit bezüglich der Auflösung der Rücklage nach § 7g EStG a.F. beruht, der seinerseits auf einer, wenn auch möglicherweise unbewussten, Desinformation durch das FG beruht habe. Das FG habe in der mündlichen Verhandlung vom 29. November 2016 den Stand der Rechtsprechung nur unvollständig und fehlerhaft zu Lasten der Klägerin wiedergegeben und hätte zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung der Klägerin Gelegenheit geben müssen, sich in die Problematik einzuarbeiten. Der BFH habe mit Urteil vom 11. April 2017 IX R 24/15 (BFHE 258, 199, BStBl II 2017, 1155) entschieden, dass die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung im Steuerfestsetzungsverfahren nach den Grundsätzen vom Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 2 BGB oder § 60 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise entfallen könne. Die Grundlage für die Erledigungserklärung, nämlich die Anwendbarkeit des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nach den Grundsätzen von Treu und Glauben, habe entgegen den Vorstellungen aller Beteiligten im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 29. November 2016 bereits gefehlt. Die Klägerin formuliert zwei Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Frage nach einem Verfahrensfehler.
II.
Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet, so dass der Senat im Wesentlichen dahinstehen lässt, inwieweit sie den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt.
1. Die Rechtsfragen, mit denen die Klägerin sinngemäß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht, könnten in einem dem Urteil vom 27. Juli 2017 2 K 1285/17 E,G,U nachfolgenden Revisionsverfahren nicht geklärt werden, was jedoch Voraussetzung dieses Zulassungsgrundes ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juli 2015 X B 172/14, BFH/NV 2015, 1390, unter II.1.). Es geht in diesem Rechtsstreit nicht mehr bzw. noch nicht um die Frage, ob der Bescheid zu Lasten der Klägerin nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden durfte. Es geht im vorliegenden Verfahrensstadium ausschließlich um die Frage, ob die Klägerin sich an ihrer Erledigungserklärung vom 29. November 2016 festhalten lassen muss. Wie das FG im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend ausgeführt hat, ist der Widerruf einer Erledigungserklärung nur unter bestimmten, engen Voraussetzungen möglich. Allein der Umstand, dass ein Prozess, wäre er streitig zu Ende geführt worden, möglicherweise oder wahrscheinlich anders geendet hätte als die Beteiligten bei Abgabe ihrer Erledigungserklärung prognostiziert haben --worauf sich die Klägerin im Streitfall beruft, ohne dass der Senat hierzu jedoch Stellung beziehen muss oder möchte--, gibt dem Beteiligten jedenfalls nicht das Recht, eine abgegebene Prozesserklärung zu widerrufen. Dies scheint die Klägerin zu verkennen. Deshalb können Rechtsfragen, die sich auf die dem ursprünglichen Rechtsstreit in dem Verfahren 2 K 2039/15 E,G,U zugrundeliegenden Streitpunkte beziehen, im Streit betreffend die Widerrufsmöglichkeit der Erledigungserklärung nicht geklärt werden.
2. Aus denselben Gründen ist die Revision nicht wegen Divergenz zu den Entscheidungen, die sich mit § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 7g EStG a.F. befassen, zuzulassen.
3. Einen Verfahrensfehler in dem Verfahren 2 K 1285/17 E,G,U, um das es vorliegend geht, vermag der Senat im Ergebnis aus vergleichbaren Gründen nicht zu erkennen.
a) Die Klägerin beruft sich darauf, dass das FG in dem Verfahren 2 K 2039/15 E,G,U rechtliches Gehör verletzt habe. Dies wäre jedoch, selbst wenn es zuträfe, ein Verfahrensfehler nur in diesem Verfahren, nicht hingegen ein Verfahrensfehler, der sich auf das streitgegenständliche Verfahren bezöge. Deswegen kann auch die von der Klägerin eher nach Art einer Grundsatzfrage formulierte Rechtsfrage (zu 1., S. 7 der Beschwerdebegründung), ob die unvollständige Erörterung von Entscheidungen des BFH verfahrensfehlerhaft ist, im vorliegenden Verfahren nicht beantwortet werden.
b) Soweit sich die Klägerin auf das Urteil in BFHE 258, 199, BStBl II 2017, 1155 beruft, macht sie damit wohl eher eine Divergenz als einen Verfahrensfehler geltend. Diese liegt aber schon deshalb nicht vor, weil sich dieses Urteil mit der tatsächlichen Verständigung im Steuerfestsetzungsverfahren befasst, nicht hingegen mit davon zu unterscheidenden Prozesserklärungen im Finanzprozess. Die Klägerin formuliert hierzu die weitere, ebenfalls als Grundsatzfrage konzipierte, Rechtsfrage (zu 2., S. 7 der Beschwerdebegründung), ob bei Fortfall der Grundlage für eine Erledigungserklärung deren Bindungswirkung entfällt, womit sie sinngemäß eine Übertragung der für die tatsächliche Verständigung geltenden Grundsätze auf die prozessualen Erledigungserklärungen geltend macht. Im Hinblick auf diese Frage ist die Zulassung der Revision aber auch nicht möglich. Zum einen hat die Klägerin sich nicht damit auseinandergesetzt, inwieweit dies mit den in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Grundsätzen zur Bindungswirkung von Erledigungserklärungen, die das FG auch zitiert hat, vereinbar wäre, was zumindest auf den ersten Blick auch zweifelhaft erscheint. Zum anderen setzt die formulierte Rechtsfrage voraus, dass die Grundlage (gemeint ist wohl: Geschäftsgrundlage) für die Erledigungserklärungen gefehlt habe. Es ist nicht erkennbar, dass dies überhaupt der Fall war. Dabei kommt es auf die seitens des FG erörterte Frage, inwieweit der Sachverhalt des Streitfalls überhaupt mit denen der nunmehr seitens der Klägerin zu ihren Gunsten herangezogenen Entscheidungen vergleichbar war, noch nicht einmal an. Den Beteiligten war nämlich bewusst, denn dies ist sogar protokolliert, dass gegen das besprochene Urteil des FG Berlin-Brandenburg noch eine Revision anhängig war. Wenn die Klägerin gleichwohl den Rechtsstreit für erledigt erklärt hat, geschah dies auf eigenes Risiko.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.