Entscheidungsdatum: 06.05.2013
1. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO findet Anwendung, wenn hinsichtlich eines Antragsgegners im Inland lediglich ein besonderer Gerichtsstand nach unionsrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen begründet ist und die anderen Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben.
2. Ergibt sich der Gerichtsstand eines Antragsgegners aus einer abschließenden Zuständigkeitsbestimmung der Brüssel-I-Verordnung, ist das Auswahlermessen des Gerichts im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eingeschränkt.
Als zuständiges Gericht wird das Landgericht Stuttgart bestimmt.
I. Die Antragstellerin, die in Stuttgart wohnt, beabsichtigt, die Antragsgegnerinnen wegen einer gescheiterten Kapitalanlage aus Prospekthaftung auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Nach ihrem Vortrag beteiligte sie sich an einem in München aufgelegten geschlossenen Medienfonds. Die Antragsgegnerin zu 1 ist nach dem Vorbringen der Antragstellerin die Initiatorin und Prospektherausgeberin des Fonds, die Antragsgegnerin zu 2 die Treuhänderin, mit der Antragsgegnerin zu 3 habe sie einen obligatorischen Finanzierungsvertrag geschlossen.
Die Antragsgegnerinnen zu 1 und zu 2 haben ihren Sitz im Bezirk des Landgerichts München I, die Antragsgegnerin zu 3 ist in Irland ansässig.
Die Antragstellerin hat beim Oberlandesgericht München beantragt, ein zuständiges Gericht zu bestimmen, ohne ein bestimmtes Gericht zu bezeichnen. Das Oberlandesgericht München hat die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II. Die Vorlage ist gemäß § 36 Abs. 3 ZPO zulässig.
Nach § 36 Abs. 3 ZPO hat ein Oberlandesgericht, das mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Das vorlegende Oberlandesgericht vertritt den Standpunkt, das Gericht sei im nationalen Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht zwingend auf das nach Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel-I-VO) zuständige Gericht festgelegt. Der Anwendungsvorrang der Brüssel-I-Verordnung könne in Ausübung des im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eingeräumten Auswahlermessens überwunden werden. Damit würde es von der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main abweichen, das der Ansicht ist, die Regelung des Art. 16 Brüssel-I-VO führe bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts zu einer Beschränkung des Auswahlermessens insoweit, als die dort geregelten ausschließlichen Zuständigkeiten zwingend zu beachten seien (OLG Frankfurt am Main, ZIP 2013, 387; ebenso mit Blick auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Brüssel-I-Verordnung KG, VersR 2007, 1007).
III. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.
1. Die Antragsgegnerinnen können als Streitgenossen im Sinne des § 60 ZPO verklagt werden. Die Norm beruht weitgehend auf Zweckmäßigkeitserwägungen und ist deshalb grundsätzlich weit auszulegen. Dies gestattet es, auch ohne Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend zu machenden Ansprüche Streitgenossenschaft anzunehmen, wenn diese Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (BGH, Beschluss vom 3. Mai 2011 - X ARZ 101/11, NJW-RR 2011, 1137 Rn. 18; BGH, Beschluss vom 23. Mai 1990 - I ARZ 186/90, MDR 1991, 222 f. = NJW-RR 1991, 381). Ein solcher Zusammenhang ist auch im Streitfall gegeben. Er ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin die Antragsgegnerinnen auf Ersatz derselben Schäden in Anspruch nimmt, die ihr im Zusammenhang mit der als einheitlichen Lebenssachverhalt zu beurteilenden Vermögensanlage entstanden sind. Dabei ist unerheblich, ob die Ansprüche gegen die Antragsgegnerinnen auf unterschiedliche Verträge gestützt werden, die ihrerseits nicht in unmittelbarem rechtlichen Zusammenhang stehen (BGH, Beschluss vom 3. Mai 2011 - X ARZ 101/11, NJW-RR 2011, 1137 Rn. 18).
2. Die Antragsgegnerinnen zu 1 und zu 2 einerseits und die Antrags-gegnerin zu 3 andererseits haben verschiedene allgemeine Gerichtsstände. Während die Antragsgegnerinnen zu 1 und zu 2 ihren allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts München I haben, hat die Antragsgegnerin zu 3 keinen allgemeinen inländischen Gerichtsstand. Zudem besteht für die Antragsgegnerinnen kein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand.
3. Dem Antrag steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin zu 3 im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Für die in Irland ansässige Antragsgegnerin zu 3 ist ein Gerichtsstand nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, Art. 16 Abs. 1 Brüssel-I-VO am nach Art. 59 Abs. 1 Brüssel-I-VO in Verbindung mit § 7 BGB zu bestimmenden Wohnsitz der Antragstellerin und damit beim Landgericht Stuttgart begründet.
a) Bei dem beabsichtigten Rechtsstreit um den obligatorischen Finanzierungsvertrag, den die Antragstellerin als Bestandteil der Vermögensanlage mit der Antragsgegnerin zu 3 geschlossen hat, handelt es sich um eine Verbrauchersache im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Brüssel-I-VO.
Dieser Begriff ist autonom zu bestimmen. Dabei ist eine enge Auslegung geboten, weil die daran anknüpfende Zuständigkeitsregel eine Ausnahme von dem in Art. 2 Abs. 1 Brüssel-I-VO normierten Grundsatz der Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Beklagten darstellt (EuGH, Urteil vom 20. Januar 2005 - C-464/01, Slg. I-2005, 439 Rn. 31, 32, 43 - Gruber/BayWa AG). Die Verbrauchereigenschaft ist nach der objektiven Stellung der betroffenen Person im Rahmen des konkreten Vertragsverhältnisses in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung zu bestimmen (EuGH, Urteil vom 3. Juli 1997 - C-269/95, Slg. I-1997, 3767 Rn. 16 - Benincasa; BGH, Urteil vom 28. Februar 2012 - XI ZR 9/11, WM 2012, 747 Rn. 28).
Nach diesen Grundsätzen ist das zugrundeliegende Geschäft im Hinblick darauf, dass es sich vorliegend um eine Vermögensanlage zu privaten Zwecken handelt, als Verbrauchersache anzusehen. Unerheblich ist insoweit, dass die konkrete Form der Vermögensanlage als Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft ausgestaltet ist. Der Abschluss eines Darlehensvertrages ist dann von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c Brüssel-I-VO erfasst, wenn der mit der Kreditaufnahme verfolgte Zweck nicht mit der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit des Darlehensnehmers zusammenhängt (EuGH, Urteil vom 20. Januar 2005 - C-464/01, Slg. I-2005, 439 Rn. 39f. - Gruber/BayWa AG; BGH, Urteil vom 28. Februar 2012 - XI ZR 9/11, WM 2012, 747 Rn. 27 ff.). Dies ist bei dem allein der Finanzierung der Beteiligung an dem Medienfonds zur privaten Vermögensanlage dienenden Darlehen der Fall (vgl. auch Kropholler/v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 15 EuGVVO Rn. 20).
b) Die Anwendbarkeit des Art. 16 Abs. 1 Brüssel-I-VO, der in seiner zweiten Alternative nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit regelt, schließt zudem einen Rückgriff auf Art. 6 Nr. 1 Brüssel-I-VO aus, sodass auch hieraus kein gemeinsamer Gerichtsstand für die Antragsgegnerinnen abgeleitet werden kann.
Die Zuständigkeit für Verbrauchersachen ist in Kapitel II, Abschnitt 4 der Brüssel-I-Verordnung abschließend geregelt. Insoweit hat der Gerichtshof der Europäischen Union zu den in Kapitel II, Abschnitt 5 geregelten Zuständigkeiten für individuelle Arbeitsverträge entschieden, dass die darin aufgeführten Bestimmungen abschließenden Charakter haben und jeden Rückgriff auf Art. 6 Nr. 1 der Verordnung verbieten (EuGH, Urteil vom 22. Mai 2008 - C-462/06, Slg. I-2008, 3965 = EuZW 2008, 369 - Glaxosmithkline). Entsprechendes gilt für die in Kapitel II, Abschnitt 4 der Brüssel-I-Verordnung geregelten Zuständigkeit bei Verbrauchersachen (Kropholler/v. Hein, aaO, Art. 16 Rn. 1; Leible in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 6 Rn. 2; Corneloup/Althammer in Simons/Hausmann, Brüssel I-Verordnung, 2012, Art. 6 Rn. 41).
c) § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist auch in Fällen anzuwenden, in denen hinsichtlich eines Antragsgegners im Inland lediglich ein besonderer Gerichtsstand nach den unionsrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen begründet ist und die anderen Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben (BGH, Beschluss vom 19. März 1987 - I ARZ 903/86, NJW 1988, 646; Roth in Stein-Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 36 Rn. 25; Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 36 Rn. 39; Lange in Prütting/Gehrlein, ZPO, 4. Aufl., § 36 Rn. 6). Danach ist der Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hier eröffnet.
IV. Als zuständiges Gericht kommen das Landgericht München I und das Landgericht Stuttgart in Betracht.
Das dem Gericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichtes nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eingeräumte Auswahlermessen ist jedoch insoweit eingeschränkt, als der in Art. 16 Abs. 1 Brüssel-I-Verordnung statuierte Gerichtsstand am Wohnsitz des Verbrauchers Vorrang genießt (Staudinger in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Einl. Rn. 27; Leible, ebd., Art. 16 Rn. 1; Wagner, WM 2003, 116; s. auch KG VersR 2007, 1007, 1008 zu Art. 9 Brüssel-I-VO). Die sich aus dem europäischen Zivilverfahrensrecht ergebende abschließende Zuständigkeitsregel kann im Rahmen des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO - anders als die im nationalen Prozessrecht geregelten ausschließlichen Zuständigkeiten - nicht überwunden werden, weil ansonsten der durch den europäischen Gesetzgeber im internationalen Zuständigkeitsrecht getroffene Interessenausgleich beeinträchtigt würde. Als zuständiges Gericht ist daher das Landgericht Stuttgart zu bestimmen.
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