Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 14.08.2012


BGH 14.08.2012 - WpSt (R) 1/12

Berufsgerichtliches Verfahren: Erneute Berufspflichtverletzung eines vereidigten Buchprüfers bei Nichtzahlung einer verhängten Geldbuße; Verpflichtung von Staatsanwaltschaft und Berufsgericht zur Zusammenfassung mehrerer Pflichtverletzungen in einem einheitlichen Verfahren


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
Senat für Wirtschaftsprüfersachen
Entscheidungsdatum:
14.08.2012
Aktenzeichen:
WpSt (R) 1/12
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend KG Berlin, 15. September 2011, Az: 1 WiO 1/09vorgehend LG Berlin, 6. Oktober 2009, Az: WiL 4/09
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Die Nichtbezahlung einer wegen einer Berufspflichtverletzung verhängten Geldbuße begründet regelmäßig keine gesondert zu ahndende Berufspflichtverletzung.

2. Der Grundsatz der einheitlichen Pflichtverletzung im berufsgerichtlichen Verfahren gebietet die Einbeziehung erkennbar sachlich und zeitlich zusammenhängender Pflichtverletzungen in ein gerichtliches Verfahren. Nach berufsgerichtlicher Verurteilung hindert dies die spätere Ahndung so zusammenhängender Pflichtverletzungen in einem neuen Verfahren.

Tenor

Auf die Revision der Generalstaatsanwaltschaft wird das Urteil des Kammergerichts in Berlin vom 15. September 2011 insoweit mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, als der vereidigte Buchprüfer vom Vorwurf der Nichtzahlung der Kammerbeiträge 2004, 2005, 2007 und 2008 freigesprochen wurde.

Im Übrigen wird die Revision verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Senat für Wirtschaftsprüfersachen des Kammergerichts zurückverwiesen.

– Von Rechts wegen –

Gründe

1

Das Kammergericht hat das Urteil des Landgerichts Berlin – Kammer für Wirtschaftsprüfersachen – auf die Berufung des vereidigten Buchprüfers aufgehoben und ihn freigesprochen. Zugleich hat es die Berufung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin verworfen, die eine härtere Ahndung als das vom Landgericht ausgesprochene Tätigkeitsverbot von drei Jahren erstrebt hatte. Hiergegen richtet sich die – vom Kammergericht zugelassene – Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird.

I.

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1. Dem Berufsangehörigen liegen folgende – dem Schuldspruch des landgerichtlichen Urteils entsprechende – Verletzungen seiner Berufspflicht zur Last:

3

Der vereidigte Buchprüfer hat eine ihm durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 6. Juni 2003 im berufsgerichtlichen Verfahren auferlegte Geldbuße in Höhe von 10.000 € nicht vollständig bezahlt; bis zum Zeitpunkt der Anschuldigungsschrift im Februar 2009 waren noch 9.200 € offen. Auch Ratenzahlungsvereinbarungen hielt der Berufsangehörige nicht ein. Weiterhin entrichtete er seine Kammerbeiträge für die Jahre 2004, 2005, 2007 und 2008 nicht, so dass Anfang 2009 ein Rückstand in Höhe von über 1.500 € bestand. Die Kammerbeiträge beglich der Berufsangehörige am 4. März 2009, auf die Geldbuße leistete er allerdings nur einen weiteren Teilbetrag von knapp 2.000 €.

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2. Das Kammergericht hat die Auffassung vertreten, die Nichtzahlung der Geldbuße stelle keine Berufspflichtverletzung dar. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Gesetzgeber die Nichtbeachtung einer Sanktion in der Wirtschaftsprüferordnung jedenfalls für den Verstoß gegen ein Tätigkeits- oder Berufsverbot einer eigenständigen Sanktionierung unterworfen habe. Dies schließe es auch für die Geldbuße aus, auf die allgemeine Regelung des § 67 WPO zurückzugreifen. Im Übrigen – und dies gelte sowohl für die Rückstände bei der Bezahlung der Geldbuße als auch die bei den Kammerbeiträgen – stehe das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Berlin – Kammer für Wirtschaftsprüfersachen – vom 14. Dezember 2007 einer Ahndung entgegen. Dies sei die Konsequenz des Grundsatzes, dass Pflichtverletzungen berufsrechtlich einheitlich zu würdigen und zu ahnden seien. Die Rechtskraft einer berufsgerichtlichen Entscheidung umfasse deshalb auch eine Berufspflichtverletzung, die vor diesem Zeitpunkt liege und nicht Gegenstand des berufsgerichtlichen Verfahrens gewesen sei. Auch deshalb könne eine den Verfolgungsorganen bekannte Pflichtverletzung durch Nichtbegleichung dieser Zahlungspflichten nicht mehr geahndet werden, weil die vorgenannte Entscheidung des Landgerichts insoweit eine Zäsur bilde.

II.

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Die Revision hat nur teilweise Erfolg.

6

1. Anders als die Verteidigung stellt der Senat die berufsrechtliche Generalklausel des § 43 WPO (inhaltlich übereinstimmend: § 57 StBerG und § 43 BRAO) allerdings nicht grundsätzlich unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) in Frage. Namentlich bildet die Generalklausel für außerberufsrechtliche Gebots- und Verbotsnormen (z. B. aus dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht) in hinreichend normenklarer Weise den notwendigen berufsrechtlichen Transformationstatbestand (Jähnke, NJW 1988, 1888, 1889) und wird umgekehrt durch diese außerberufsrechtlichen Normen inhaltlich ausgefüllt (vgl. BVerfGE 60, 215, 230; Schnepel in Hense/Ulrich, WPO, 2008, vor §§ 43 ff. Rn. 6; Feuerich in Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 43 Rn. 9 ff.; Kuhls/Maxl, StBerG, 3. Aufl., § 57 Rn. 3 ff.). Ferner vermag sie ihrerseits Wirkung auf die Reichweite normierter Berufspflichten zu entfalten (vgl. BGH, Beschluss vom 30. November 2009 – AnwZ (B) 11/08, NJW 2010, 1972 Rn. 10), uU auch den Kreis ahndbarer Normverstöße einzugrenzen (Jähnke, aaO, S. 1889 f.).

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Letztlich bedürfen diese Fragen aber keiner abschließenden Entscheidung, weil hier die Pflichtverstöße nicht aus der Generalklausel, sondern aus der Verletzung spezieller berufsrechtlicher Vorschriften hergeleitet werden, nämlich der Zahlungspflicht aus einer berufsgerichtlichen Maßnahme nach § 68 Abs. 1 Nr. 1 WPO und der gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 WPO für den Berufsangehörigen bestehenden Pflicht, die Kammerbeiträge gemäß der Beitragsordnung zu entrichten. Deshalb ist allein maßgebend, ob sich aus diesen Normen berufliche Pflichten der Berufsangehörigen ergeben, deren schuldhafte Verletzung (§ 67 Abs. 1 WPO) die Grundlage einer berufsgerichtlichen Ahndung bilden kann.

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2. Ohne Rechtsverstoß hat das Kammergericht die unterbliebene vollständige Bezahlung der Geldbuße nicht als Berufspflichtverletzung gewertet. Die Geldbuße hat Ahndungscharakter; ihre Vollstreckung ist – worauf das Kammergericht zutreffend hingewiesen hat – ausdrücklich geregelt. Nach § 126 Abs. 2 i.V.m. § 127 WPO erfolgt sie nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (§§ 449, 459 StPO). Anders als bei Berufspflichten endet die Zahlungspflicht – wie es in § 126 Abs. 2 Satz 1 WPO ausdrücklich bestimmt ist – auch nicht dadurch, dass der Berufsangehörige aus dem Beruf ausscheidet. Dies verdeutlicht den ausschließlich ahndenden Charakter der Geldbuße. Die Geldbuße begründet demnach keine eigenständige berufliche Pflicht, sondern sie ist die Sanktion, die auf eine Verletzung beruflicher Pflichten folgt (a. A. Amberg in Hense/Ulrich, WPO, 2008, § 126 Rn. 3; Kuhls, StBerG, 3. Aufl., § 151 Rn. 16). Das bedeutet, dass die Nichtbefolgung des Zahlungsgebots aus einer berufsgerichtlich verhängten Geldbuße nicht zugleich als Berufspflichtverletzung geahndet werden kann. Die der berufsgerichtlichen Sanktionierung unterliegenden Pflichtverstöße müssen dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernis nach Art. 103 Abs. 2 GG genügen (vgl. BVerfGE 42, 261, 262 f.; BGH, Urteil vom 5. März 1979 – AnwSt (R) 15/78, BGHSt 28, 333, 336; Jähnke in Festschrift für Pfeiffer, 1988, S. 941, 950).

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Es kommt maßgeblich hinzu, dass es dem deutschen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht grundsätzlich fremd ist, die Nichterfüllung einer straf- oder bußgeldrechtlichen Verurteilung wiederum als Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu verfolgen. Lediglich bei Sanktionen, die nicht im eigentlichen Sinne vollstreckt werden können, sind Ausnahmen vorgesehen (etwa § 21 StVG für das straf- und bußgeldrechtliche Fahrverbot). Ähnlich liegt es bei der auch vom Kammergericht in der Begründung herausgestellten Vorschrift des § 117 WPO betreffend Verstöße gegen vorläufige Berufs- und Tätigkeitsverbote. Sonst beschränken sich die Sanktionen einer Nichtbefolgung hingegen auf die Instrumentarien, die die vollstreckungsrechtlichen Regelungen vorsehen. Es liegt nahe, dass der Gesetzgeber, hätte er für die nicht vollständige Bezahlung von Geldbußen aus berufsgerichtlichen Urteilen über die bloßen vollstreckungsrechtlichen Folgen hinaus die Schaffung eines eigenständigen und sanktionsbewehrten Pflichtverstoßes begründen wollen, dies ausdrücklich hätte regeln müssen. Daran fehlt es hier.

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Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die Nichtzahlung der Geldbuße überhaupt geeignet wäre, das Ansehen des Standes zu beschädigen, und aus diesem Grunde eine Pflichtverletzung darstellt (in diesem Sinne Kuhls aaO; vgl. auch Silva-Schmidt in Hense/Ulrich, WPO, 2008, § 43 Rn. 287 f.). Denn der Regelungszusammenhang und die hierin liegende Beschränkung auf die Vollstreckung der Geldbuße sind abschließend und stehen einem Rekurs auf die – dann allein in Betracht kommende – Generalklausel des § 43 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 67 Abs. 1 oder 2 WPO wegen schuldhafter, dem Ansehen des Berufsstandes zuwiderlaufender Nichterfüllung fälliger Forderungen entgegen. Das gilt jedenfalls dann, wenn es an – hier selbst bei Nichteinhaltung von Teilzahlungszusagen nicht ersichtlichen – gravierenden Besonderheiten fehlt. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass bei der Erfüllung und Vollstreckung von Forderungen auftretende Probleme eines Berufsangehörigen regelmäßig nicht Anlass zu berufsgerichtlicher Verfolgung, sondern zu verwaltungsrechtlichen Eingriffen der Kammer (vgl. nur § 20 Abs. 2 Nr. 5 und 6 WPO) geben sollten.

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3. Hinsichtlich der Nichtbezahlung der Kammerbeiträge ist die Revision der Staatsanwaltschaft im Ergebnis begründet.

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a) Zutreffend hat das Kammergericht ausgeführt, dass die Pflicht zur Leistung der Kammerbeiträge (§ 61 Abs. 1 Satz 1 WPO) eine Berufspflicht im Sinne des § 67 Abs. 1 WPO darstellt. Die schuldhafte Nichtzahlung ist deshalb eine ahndungsfähige Berufspflichtverletzung.

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Die vereidigten Buchprüfer sind nach § 128 Abs. 3 WPO Mitglieder der Wirtschaftsprüferkammern. Schon aufgrund dieser Mitgliedschaft unterliegt ein vereidigter Buchprüfer der Beitragspflicht nach § 61 Abs. 1 Satz 1 WPO, weil insoweit Sonderregelungen für vereidigte Buchprüfer nicht bestehen, und zwar ohne dass es hierfür etwa einer weitergehenden Verweisung in § 130 WPO bedürfte. Die Beiträge werden durch die Mitgliederversammlung festgesetzt. Sie dienen der Erfüllung der Aufgaben der Kammern und mithin der Selbstverwaltung der Berufsangehörigen. Insofern hat diese Leistungspflicht einen unmittelbaren Bezug zu dem beruflichen Tätigkeitsfeld des Berufsangehörigen, weil sie die Funktionsfähigkeit der Kammern als Körperschaft des Öffentlichen Rechts sicherstellen soll. Deshalb hat die Rechtsprechung auch die schuldhafte Nichtzahlung dieser Beiträge als eine aus der Beitragspflicht selbst folgende Berufspflichtverletzung angesehen (BGH, Urteil vom 25. April 1988 – StbStR 2/87, BGHSt 35, 263, 266).

14

b) Gleichfalls zutreffend hat das Kammergericht ausgeführt, dass im Berufsrecht allgemein der Grundsatz der einheitlichen Pflichtverletzung gilt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1977 – AnwSt (R) 5/77, BGHSt 27, 305, und vom 20. Mai 1985 – StbStR 9/84, BGHSt 33, 225, 229; Wagner, Die Konkurrenz zwischen dem Strafverfahren und dem anwaltsgerichtlichen Verfahren, Berlin 2005, S. 48; Gehre/Koslowski, StBerG, 6. Aufl., § 89 Rn. 9; Feuerich in Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 113 Rn. 25 ff.), der auch für Disziplinarmaßnahmen nach der Wirtschaftsprüferordnung Anwendung findet (Pickel in Hense/Ulrich, WPO, 2008, § 67 Rn. 9). Dies hat zur Folge, dass das zu ahndende Gesamtverhalten eine einzige Verfehlung bildet, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich jeweils um selbstständige Taten im Sinne des § 264 StPO handelt. Dieses Gesamtverhalten wird zu einer einheitlich zu bewertenden Pflichtverletzung zusammengefasst (Dittmann in Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 113 Rn. 5). Der Grundsatz legt Staatsanwaltschaft und Berufsgericht regelmäßig eine besondere Verpflichtung auf, dass mehrere Pflichtverletzungen desselben Berufsangehörigen tunlichst nicht in getrennten, sondern in einem einheitlichen Verfahren verhandelt und beurteilt werden, zumal sich regelmäßig auch nur so eine dem maßgeblichen Gesamtverhalten angemessene Sanktion finden lässt.

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c) Allerdings muss der materiell-rechtliche Grundsatz der einheitlichen Pflichtverletzung nicht zwangsläufig dazu führen, dass damit zugleich eine berufsrechtlich einheitliche Tat im verfahrensrechtlichen Sinne geschaffen wird. Vielmehr werden hierdurch die mehreren Pflichtverletzungen nicht zu einer rechtlichen Einheit verbunden, wie dies im Kriminalstrafrecht regelmäßig üblich ist. Die Rechtskraft eines im Disziplinarverfahren ergangenen Urteils, durch welches der Täter zu einer Disziplinarstrafe verurteilt worden ist, hindert grundsätzlich nicht daran, den Täter wegen einer vor jenem Urteil begangenen Pflichtverletzung in einem neuen Disziplinarverfahren zu verfolgen und zu sanktionieren (BGH, Urteil vom 22. Juli 1963 – NotSt (Brfg) 2/62, BGHSt 19, 90, 93; vgl. auch BVerwGE 73, 178, 180; Jähnke in Festschrift für Pfeiffer, 1988, S. 941, 942; kritisch hierzu Feuerich in Feuerich/Weyland BRAO, 8. Aufl., § 113 Rn. 49).

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Dies bedeutet aber nicht, dass berufsgerichtliche Maßnahmen nicht auch die Ahndungsmöglichkeit für eine neuerliche Disziplinarmaßnahme verbrauchen können. Auch für die Disziplinarklage gilt, dass jedenfalls der aus dem Rechtsstaatsprinzip zu folgernde Vertrauensgrundsatz die neuerliche disziplinarische Ahndung dessen untersagt, was bereits Gegenstand berufsgerichtlicher Prüfung war. Soweit daher weitere Verstöße in einem unmittelbaren sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ausdrücklich angeklagten Einzelhandlungen stehen und als solche für das Berufsgericht erkennbar waren, ist eine spätere Ahndung ausgeschlossen. Das gilt gleichermaßen für dem Berufsgericht bekannte Vorgänge, die dieses selbst in die Prüfung im Disziplinarverfahren einbezogen hat.

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Solche können dann auch der richterlichen Kognition unterworfen werden. Zwar gilt auch im berufsgerichtlichen Verfahren der Anklagegrundsatz mit der Folge, dass Gegenstand des Verfahrens nur Pflichtverstöße sein dürfen, die Gegenstand der Anschuldigungsschrift und des Eröffnungsbeschlusses waren (BGH, Urteil vom 25. Januar 1971 – AnwSt (R) 7/70, BGHSt 24, 81, 86). Das berufsgerichtliche Verfahren zielt aber auf die Beurteilung der Frage, ob und inwieweit der Berufsangehörige aufgrund seiner Persönlichkeit für seinen Beruf noch tragbar ist oder bei ihm eine erzieherische Einwirkung mit dem Ziel geboten erscheint, den Eintritt der Untragbarkeit abzuwenden. Dementsprechend hat die berufsgerichtliche Rechtsprechung bei der Prüfung eines sogenannten disziplinarischen Überhangs (vgl. § 115b BRAO; § 69b WPO; § 92 StBerG) immer verlangt, dass Berufspflichtverletzungen einheitlich zu bewerten sind, soweit zwischen ihnen ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang vorhanden ist (vgl. BVerwGE 73, 166, 167 f.; Jähnke aaO S. 945). Dies gilt im Übrigen vor allem bei Pflichtverstößen, die ihre Grundlage in der mangelnden Zahlungsfähigkeit oder -willigkeit des Berufsangehörigen haben. Hier liegt es in besonderem Maße auf der Hand, dass das Fehlverhalten des Berufsangehörigen nur dann sachgerecht beurteilt werden kann, wenn der Umfang seiner nicht befriedigten Verbindlichkeiten und die Ursachen hierfür möglichst umfassend im berufsgerichtlichen Verfahren gewürdigt werden.

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Besteht eine entsprechende Kognitionspflicht für das Berufsgericht, dann bestimmt diese auch den Umfang des Disziplinarklageverbrauchs. Dabei korrespondiert das durch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) geschützte Vertrauen mit den verfahrensrechtlichen Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung (BGH, Beschluss vom 26. August 2003 – 5 StR 145/03, BGHSt 48, 331, 336). Das Berufsgericht muss schon aufgrund seiner Verpflichtung, die charakterliche Eignung und einen etwaigen Einwirkungsbedarf möglichst sachgerecht zu erfassen, ihm erkennbare Pflichtverletzungen einbeziehen. Besteht ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zu den in der Anschuldigungsschrift aufgeführten Einzelvorgängen (vgl. Kuhls, StBerG, 3. Aufl., § 90 Rn. 68 ff.; Wulff, WPK-Magazin 1/2007, S. 38, 40), ist insoweit auch keine Nachtragsanschuldigung erforderlich. Die hierin liegende gewisse Lockerung des Anklagegrundsatzes ist eine sachgerechte Konsequenz aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Pflichtverletzung. Dem verfahrensrechtlichen Schutz des Berufsangehörigen ist dann ausreichend Genüge getan, wenn ihm durch das Berufsgericht in Form des Hinweises (§ 265 StPO) verdeutlicht wird, worin es eine erweiterte Pflichtverletzung möglicherweise sieht. Hiergegen kann sich der Berufsangehörige dann ausreichend verteidigen, bei gravierenden und überraschenden Erkenntnissen notfalls in entsprechender Anwendung von § 265 Abs. 3, 4 StPO. Darf das Berufsgericht bei seinem Erkenntnis in der Sachverhaltsfeststellung umfassend auf die zusammengehörigen Einzelvorgänge als Bestandteile der Pflichtverletzung zugreifen, dann fordert es der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Vertrauensschutzgedanke, insoweit auch einen Disziplinarklageverbrauch anzunehmen.

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d) Einen entsprechenden Disziplinarklageverbrauch für das berufsgerichtliche Verfahren, der dann eine Teileinstellung hinsichtlich der betroffenen Vorwürfe, keine Teilfreisprechung, zur Folge hätte, vermag der Senat im vorliegenden Fall jedoch nicht ohne Weiteres zu erkennen. Das hier vom Kammergericht als zäsurbildend herangezogene Urteil des Landgerichts Berlin datiert vom 14. Dezember 2007. Gegenstand der Verurteilung dort ist aber, dass der Berufsangehörige zu Unrecht in etlichen Fällen einen Doktortitel geführt hatte. Diese Pflichtverletzungen stehen nicht in innerem Zusammenhang mit der im hiesigen Verfahren dem vereidigten Buchprüfer vorgeworfenen Nichtzahlung der Kammerbeiträge.

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Allerdings hat das Landgericht Berlin in dem vorgenannten Urteil vom 14. Dezember 2007 ausgeführt, dass der Berufsangehörige die Geldbuße noch nicht bezahlt habe. In den Urteilsgründen geht das Landgericht weiter auf die wirtschaftliche Situation des Berufsangehörigen ein. Der Senat kann deshalb nicht gänzlich ausschließen, dass auch die unterbliebene Zahlung der Kammerbeiträge Gegenstand jenes Verfahrens war und, ohne dass sich das im Urteil ausdrücklich niedergeschlagen hat, im Rahmen der zu treffenden Sanktionen erörtert wurde. Dies bedarf deshalb neuer tatrichterlicher Prüfung im Freibeweis. Der Bundesgerichtshof sieht davon ab, diese Frage im Freibeweisverfahren selbst zu klären, und verweist das Verfahren zur Prüfung an das insoweit sachnähere Kammergericht zurück (vgl. BGH, Beschluss vom 6. März 2007 – KRB 1/07, NJW 2007, 2648).

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e) Im Rahmen dieser Prüfung ist indes Folgendes zu beachten:

22

aa) Ein Disziplinarklageverbrauch kann nur insoweit eintreten, als das erkennende Gericht überhaupt von dem Pflichtverstoß Kenntnis nehmen konnte (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1956 – 6 StR 28/56, BGHSt 9, 324; Beschluss vom 23. Oktober 2008 – 1 StR 526/08). Entgegen der Auffassung des Kammergerichts kommt es deshalb nicht auf den Zeitpunkt der Rechtskraft an, sondern auf den Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung, die dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil vorangegangen ist (vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., Einleitung Rn. 175). Da der Kammerbeitrag 2008 laut Anschuldigungsschrift und Auskunft der Wirtschaftsprüferkammer erst im Februar 2008 fällig wurde, kann dessen unterbliebene Begleichung schon aus diesem Grund nicht von einem etwaigen Verbrauch der Disziplinarmaßnahme erfasst sein. Dass eine Berufungsrücknahme erst in einer späteren Berufungsverhandlung erfolgt ist, vermag daran nichts zu ändern.

23

bb) Hinsichtlich der Jahre 2004, 2005 und 2007 könnte dagegen eine Ahndung durch das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Berlin ausgeschlossen sein, soweit die vorstehend ausgeführten Voraussetzungen vorliegen. Zwar reicht die Verbindlichkeit des Berufsangehörigen auch in diesen Fällen über den Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Verhandlung hinaus. Dieser Umstand begründet aber in berufsrechtlicher Hinsicht kein Dauerdelikt. Denn der andauernde rechtswidrige Zustand wird dadurch herbeigeführt, dass der Betreffende eine ihm obliegende gesetzliche Pflicht nicht erfüllt hat. Insofern ist die Situation vergleichbar mit der Nichtabführung von Arbeitsentgelten (§ 266a Abs. 1 StGB) oder der Nichtabgabe einer Steuererklärung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Anders als etwa beim Straftatbestand der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 StGB), der bis zu deren Erlöschen sich ständig erweiternde Unterhaltsleistungen verlangt und deren Nichterbringung unter Strafe stellt, sind hier durch das Unterlassen der gebotenen Handlung, zu dem Zeitpunkt, zu dem sie hätte vorgenommen werden müssen, der Unrechtsakt gesetzt und der rechtswidrige Zustand geschaffen worden. In der Folge wirkt dieser mit zunehmender Zeit der Nichterfüllung nicht erweiterte Unterlassungstatbestand dann nur noch fort.

24

Ebenso wie sich bei einer Bestrafung wegen Nichtabführung der Arbeitsentgelte oder Nichtabgabe einer Steuererklärung die Strafklage verbraucht, verbraucht sich auch eine Disziplinarklage, wenn die Ursache für die Begründung des rechtswidrigen Zustandes berufsgerichtlich geahndet ist. Eine neuerliche Ahndung hätte mithin nur Beugecharakter und wäre mit dem auch im Berufsrecht geltenden Schuldprinzip unvereinbar ohne dass es darauf ankommt, wann eine entsprechende Aburteilung erfolgt ist, weil dies von der durch Zufälligkeiten bedingten Geschwindigkeit des Verfahrens abhinge (vgl. BVerfG [Kammer] StraFo 2007, 369). Daraus folgt, dass der Umstand einer nicht vollständigen Bezahlung der Kammerbeiträge dann nicht mehr in einem nachfolgenden berufsgerichtlichen Verfahren sanktioniert werden kann, wenn er in die Ahndung einer (einheitlichen) Pflichtverletzung in einem vorherigen Verfahren eingeschlossen ist.

III.

25

Der Senat hebt das Urteil allein hinsichtlich der unterlassenen Zahlung der Kammerbeiträge auf, weil das Urteil des Kammergerichts nur insoweit mit einem Rechtsfehler behaftet ist. Zwar führen Rechtsfehler grundsätzlich dazu, dass das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben ist. Dies folgt daraus, dass das Verhalten des Berufsangehörigen nur einheitlich beurteilt werden kann. Ebenso ist grundsätzlich im Revisionsverfahren, wenn sich im Schuldspruch bezüglich auch nur eines Anschuldigungspunktes ein Rechtsfehler herausstellt, das gesamte Urteil aufzuheben (BGH, Urteil vom 25. April 1988 – StbStR 2/87, BGHSt 35, 263, 267). Hiervon hat der Bundesgerichtshof aber dann eine Ausnahme zugelassen, wenn der Berufsangehörige wegen eines Anschuldigungspunktes rechtsfehlerfrei freigesprochen wurde. In diesen Fällen ist dann von einer Aufhebung des freisprechenden Erkenntnisses der Vorinstanz nur die den Berufsangehörigen vorgeworfene Pflichtverletzung erfasst, die von dem Rechtsfehler betroffen ist (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1981 – AnwSt (R) 20/81, BGHSt 30, 312; Jähnke aaO S. 947).

26

Der Senat lässt das Urteil des Kammergerichts auch insoweit bestehen, als es die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen hat. Es ist ausgeschlossen, dass wegen des allein nochmals zu prüfenden Vorwurfs der Nichtzahlung von Kammerbeiträgen eine höhere Ahndung als allenfalls eine Geldbuße oder gar als das vom Landgericht verhängte dreijährige Tätigkeitsverbot in Betracht kommt.

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