Entscheidungsdatum: 13.06.2012
Zum Begriff des Studentenwohnheims im Sinne des § 549 Abs. 3 BGB.
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Heidelberg vom 25. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Der Kläger (ursprünglich O. S. , nach dessen Tod seine Erben) nimmt den Beklagten auf Räumung eines möblierten Wohnheimzimmers in Anspruch. Die Parteien streiten darüber, ob es sich dabei um Wohnraum in einem Studentenwohnheim im Sinne des § 549 Abs. 3 BGB handelt und deshalb der soziale Kündigungsschutz (§ 573 BGB) keine Anwendung findet.
Das Anwesen des Klägers, in dem der Beklagte seit dem 1. März 2004 ein Zimmer bewohnt, verfügt über 67 Zimmer, von denen mindestens vier nicht an Studenten vermietet sind. Die Baugenehmigung wurde 1972 für ein Studentenwohnheim erteilt. 63 Zimmer wurden aus Landesmitteln zur Förderung von Studentenwohnheimen öffentlich gefördert; die Preisbindung ist inzwischen entfallen. Die vermieteten Zimmer sind etwa 12 qm groß. Küche, Sanitäranlagen und Waschräume sind als Gemeinschaftsräume ausgeführt. Die gegenwärtige monatliche Teilinklusivmiete des Beklagten beträgt 190 €.
Die mit den Mietern abgeschlossenen Verträge sind regelmäßig auf ein Jahr befristet und verlängern sich jeweils um ein Semester, wenn nicht drei Monate vor Semesterende eine Kündigung erfolgt. Viele Mieter bleiben nur ein bis zwei Semester in dem Wohnheim des Klägers, einige - wie der Beklagte - auch viele Jahre. Am 27. Dezember 2008 kündigte der Kläger dem Beklagten schriftlich unter Hinweis auf "Hetzereien und Reibereien gegenüber uns und Dritten" zum 31. März 2009.
Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Räumung und Herausgabe verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten ist erfolgreich gewesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht (LG Heidelberg, WuM 2011, 167) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Dem Kläger stehe mangels wirksamer Kündigung kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe des möblierten Zimmers zu. Die Vorschrift des § 573 Abs. 3 Satz 1 BGB, wonach der Vermieter die Gründe für ein berechtigtes Interesse in dem Kündigungsschreiben anzugeben hat, sei vorliegend anwendbar, da die Voraussetzungen des § 549 Abs. 3 BGB zum Vorliegen eines Studentenwohnheims nicht erfüllt seien.
Dass sich sein Zimmer in einem als "Studentenwohnheim" bezeichneten Gebäude befinde, dessen Errichtung als solches öffentlich gefördert gewesen sei und das die typische Aufteilung eines Wohnheims aufweise und überwiegend von Studenten bewohnt werde, genüge nicht, um das Tatbestandsmerkmal des Studentenwohnheims im Sinne des § 549 Abs. 3 BGB zu erfüllen.
Es komme vielmehr entscheidend darauf an, ob Wohnraum in einem hierfür bestimmten und geeigneten Gebäude an Studenten auf der Grundlage eines institutionalisierten sozialen Förderkonzepts vermietet werde. Die Wohnungsnot der Studenten solle nach dem Willen des Gesetzgebers gerade dadurch gelindert werden, dass durch einen planmäßigen zügigen Bewohnerwechsel eine möglichst gleichmäßige Versorgung der Studentenschaft mit Wohnheimplätzen verwirklicht werde. Dieses Förderkonzept müsse sich mit hinreichender Deutlichkeit aus Rechtsnormen (z.B. § 2 Abs. 2 Studentenwerksgesetz i.V.m. der jeweiligen Satzung des Studentenwerks), entsprechender Selbstbindung (Stiftungs- oder Vereinssatzung, Gesellschaftsvertrag) oder einer konstanten tatsächlichen Übung ergeben.
Hieran fehle es beim Wohnheim des Klägers. Der Ausschluss des Kündigungsschutzes rechtfertige sich gerade aus dem Rotationssystem, das den sozialen Mieterschutz der Bewohner hinter die nicht minder wichtige soziale Gleichbehandlung aller potenziellen Bewohner zurücktreten lasse. Vorliegend fehle es vor allem, möge es auch zu einem häufigen Mieterwechsel kommen, am Rotationsprinzip. Die Rotation müsse nach abstrakt-generellen Kriterien vom Träger gefordert und gehandhabt werden. Dies sei beim Wohnheim des Klägers nicht ersichtlich. Letztlich liege es bei den Studenten, ob sie nur kurzzeitig im Hause des Klägers verblieben oder dort längere Zeit wohnten.
II.
Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist.
Das Berufungsgericht hat die Kündigung vom 27. Dezember 2008 zu Recht für unwirksam gehalten. Denn das Anwesen, in dem sich das an den Beklagten vermietete Zimmer befindet, ist nicht als Studentenwohnheim im Sinne des § 549 Abs. 3 BGB zu qualifizieren; eine Kündigung ist deshalb nur möglich, wenn der Vermieter ein - hier vom Kläger nicht dargelegtes - berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat (§ 573 Abs. 1 BGB).
1. Gemäß § 549 Abs. 3 BGB gilt die Kündigungsschutzvorschrift des § 573 BGB nicht für Wohnraum in einem Studentenwohnheim. Bei derartigem Wohnraum kann der Vermieter das Mietverhältnis mithin durch eine ordentliche Kündigung beenden, ohne dass es auf ein berechtigtes Interesse (§ 573 Abs. 1 BGB) des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses ankommt.
2. Das Gesetz führt nicht näher aus, unter welchen Voraussetzungen ein Wohngebäude als Studentenwohnheim im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Überwiegend wird angenommen, dass der Begriff des Studentenwohnheims restriktiv auszulegen ist, weil studentische Mieter im Vergleich zu anderen Mietern nicht weniger schutzbedürftig seien (Sieweke, WuM 2009, 86, 88; vgl. auch Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 10. Aufl., § 549 BGB Rn. 34; Bamberger/Roth/Ehlert, BGB, 2. Aufl., § 549 Rn. 23).
a) Uneinigkeit besteht allerdings hinsichtlich der Frage, welche Kriterien zur Einschränkung heranzuziehen sind.
Vielfach wird eine Eignung und "Widmung" des Gebäudes als Studentenwohnheim gefordert (LG Konstanz, WuM 1995, 539; AG München, WuM 1992, 133; Bamberger/Roth/Ehlert, aaO; Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Aufl., Rn. XI 385; Weitemeyer in Emmerich/Sonnenschein, Miete, 10. Aufl., § 549 Rn. 26; Schmidt-Futterer/Blank, aaO). Teilweise wird daneben auf einen im Vergleich zur ortsüblichen Miete günstigeren Mietzins abgestellt (LG Konstanz, aaO; AG München, aaO; Sieweke, aaO; Sternel, aaO; Bamberger/Roth/Ehlert, aaO; Erman/Lützenkirchen, BGB, 13. Aufl., § 549 Rn. 8; aA Soergel/Heintzmann, BGB, 13. Aufl., § 549 Rn. 10).
Andere Stimmen gehen davon aus, dass ein Studentenwohnheim jedenfalls nicht vorliegt, wenn der Vermieter mit Gewinnerzielungsabsicht handelt (Schmidt-Futterer/Blank, aaO Rn. 34 f.; Weitemeyer in Emmerich/Sonnenschein, aaO; Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl., § 549 Rn. 20; Feldhahn/Schmid in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 7. Aufl., § 549 Rn. 8; Bamberger/Roth/Ehlert, aaO; Herrlein/Kandelhard/Both, Mietrecht, 3. Aufl., § 550 BGB Rn. 25; vgl. auch OLG Bremen, NJW-RR 1989, 266; AG Freiburg, WuM 1987, 128; AG München, aaO; aA MünchKommBGB/Bieber, 6. Aufl., § 549 Rn. 30; Soergel/Heintzmann, aaO). Teilweise wird zudem oder alternativ darauf abgestellt, ob die Vergabepraxis des Vermieters darauf ausgerichtet ist, eine Vielzahl von Studenten mit Wohnraum zu versorgen (LG Konstanz, aaO; Sternel, aaO; Soergel/Heintzmann, aaO; vgl. auch Erman/Lützenkirchen, aaO; aA MünchKommBGB/Bieber, aaO).
b) Der Senat folgt der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung. Aus der Entstehungsgeschichte des § 549 Abs. 3 BGB ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Einschränkung im Bereich des sozialen Mieterschutzes nur vor dem Hintergrund des als höher gewichteten Ziels für gerechtfertigt gehalten hat, möglichst vielen Studierenden das Wohnen in einem Studentenwohnheim zu ermöglichen und dabei alle Bewerber gleich zu behandeln; diese Zielrichtung muss sich, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, in einem entsprechenden Belegungskonzept niederschlagen.
aa) Die Vorschrift geht zurück auf die Regelung in § 564b Abs. 7 Nr. 3 BGB aF, die durch das Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen vom 20. Dezember 1982 (BGBl. I S. 1912) eingeführt wurde. Hintergrund der Novellierung war, dass es den Trägern von Studentenwohnheimen nicht mehr lösbare rechtliche Schwierigkeiten bereitete, die Mietverträge mit den Studenten zeitlich zu begrenzen und so eine möglichst große Zahl von Bewerbern in den Genuss eines günstigen Wohnheimplatzes zu bringen (sog. Rotationsprinzip). Die Fluktuation der Belegung wurde jedoch vom Gesetzgeber im Hinblick auf den zu geringen Bestand an Wohnheimplätzen aus Gründen der Gleichbehandlung als notwendig angesehen (BT-Drucks. 9/2079, S. 11).
bb) Der vom Gesetzgeber gewollte zügige Bewohnerwechsel bei gleicher Behandlung der Interessenten kann nur erreicht werden, wenn der Vermieter in dem Wohnheim ein Belegungskonzept praktiziert, das an studentischen Belangen ausgerichtet ist und im Interesse der Versorgung vieler Studenten mit Wohnheimplätzen eine Rotation nach abstrakt-generellen Kriterien praktiziert. Die Dauer des Mietverhältnisses muss dazu im Regelfall zeitlich begrenzt sein und darf nicht den Zufälligkeiten der studentischen Lebensplanung oder dem eigenen freien Belieben des Vermieters überlassen bleiben. § 549 Abs. 3 BGB dient nicht dazu, dem Vermieter eine im Einzelfall gewollte Vertragsbeendigung mit ihm nicht genehmen Mietern zu ermöglichen. Die für Studentenheime vorgesehene Ausnahme vom sozialen Kündigungsschutz dient allein dem sozialen Zweck, eine Fluktuation zu ermöglichen und den frei werdenden Wohnraum wiederum anderen Studenten unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zur Verfügung zu stellen.
Das der Rotation zugrundeliegende, die Gleichbehandlung aller Bewerber wahrende Konzept des Vermieters muss sich dabei - worauf das Berufungsgericht ebenfalls zu Recht abstellt - mit hinreichender Deutlichkeit aus Rechtsnormen, entsprechender Selbstbindung oder jedenfalls einer konstanten tatsächlichen Übung ergeben.
cc) Die Höhe der Miete allein ist hingegen - anders als die Revision meint - kein hinreichendes Kriterium, auch wenn Zimmer in Studentenwohnheimen in der Regel deutlich günstiger sind als vergleichbarer anderweitiger Wohnraum (vgl. Martinek, NZM 2004, 6, 10). Abgesehen davon, dass die Frage, ob Wohnraum "preiswert" ist oder nicht, schwer zu beurteilen ist, kann allein mittels einer günstigen Miete die vom Gesetzgeber gewollte Fluktuation nicht erreicht werden. Vielmehr verhält es sich so, dass bei einer besonders günstigen Miete die Studenten möglichst lange in dem Wohnheim verbleiben werden und so andere Interessenten gerade keine Möglichkeit haben, in den Genuss eines Wohnheimplatzes zu kommen. Umgekehrt steht nicht jeder erzielte Gewinn der Einstufung eines Anwesens als Studentenwohnheim entgegen, sofern der Vermieter dennoch ein Konzept praktiziert, bei dem durch einen planmäßigen zügigen Bewohnerwechsel eine möglichst gleichmäßige Versorgung der Studentenschaft mit Wohnraumplätzen verwirklicht wird.
4. Gemessen an den vorgenannten Voraussetzungen handelt es sich bei dem klägerischen Anwesen nicht um ein Studentenwohnheim im Sinne des § 549 Abs. 3 BGB. Denn es ist nicht ersichtlich, dass in dem vom Kläger betriebenen Wohnheim ein abstrakt-generellen Kriterien folgendes soziales Rotationssystem praktiziert worden wäre. Die in den Mietverträgen enthaltene Befristung auf ein Jahr mit Verlängerungsoption für jeweils ein weiteres Semester stellt entgegen der Auffassung der Revision noch kein "soziales Rotationssystem" dar. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die vertragliche Verlängerungsoption vom Kläger zumindest im Rahmen einer beständigen Praxis nach einem bestimmten, auf die gleichmäßige Berücksichtigung aller Studenten gerichteten Fluktuationsmodus ausgeübt worden wäre.
Ball Dr. Milger Dr. Hessel
Dr. Fetzer Dr. Bünger