Entscheidungsdatum: 06.07.2011
Durch die gesetzliche Regelung über die Ersatzversorgung gemäß § 38 EnWG soll für die ersatzversorgungsberechtigten Letztverbraucher eine Auffangbelieferung für den Fall sichergestellt werden, dass ein reguläres Energielieferverhältnis nicht besteht. § 38 EnWG umfasst daher nicht den Fall, dass zwei Energieversorgungsunternehmen gegenüber dem Letztverbraucher geltend machen, ihn auf vertraglicher Grundlage zu beliefern (Lieferantenkonkurrenz) .
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferin des Beklagten zu tragen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin, ein Energieversorgungsunternehmen, verlangt von dem Beklagten Zahlung für die Lieferung von Strom im Zeitraum vom 3. Februar 2006 bis zum 28. Februar 2007.
Die Klägerin ist die örtliche Grundversorgerin. Der Beklagte ist Haushaltskunde und bewohnt ein Doppelhaus. Eine der Hälften des Doppelhauses bewohnte bis zum 31. Dezember 2005 die Mieterin K. , die bis zu diesem Zeitpunkt von der Klägerin Strom über den Stromzähler mit der Nummer ...308 bezog. Mit Schreiben vom 4. März 2006 kündigte die Mieterin K. den Stromliefervertrag und teilte mit, dass "durch Umbau der Zähler zum 31.12.2005 mit dem Zählerstand von 8871 kWh freigeschaltet" worden sei und die Klägerin sich bei Rückfragen an die Eigentümer des Grundstücks, die Familie des Beklagten, wenden könne.
Der Beklagte bezog vor dem 1. Januar 2006 Strom von der Streithelferin über den Stromzähler mit der Nummer ...204. Im Rahmen des Auszugs der Mieterin K. wurden Umbaumaßnahmen im Haus durchgeführt, wobei der Zähler mit der Nummer ...204 ausgebaut und die gesamte Stromversorgung des Doppelhauses über den Zähler mit der Nummer ...308 geschaltet wurde. Der genaue Zeitpunkt des Zählerumbaus ist streitig.
Der Beklagte teilte der Streithelferin die geänderte Zählernummer mit. Er ging davon aus, dass die Stromlieferung im Jahr 2006 weiterhin durch die Streithelferin erfolge, und zahlte an diese die laufenden Abschläge sowie den sich aus der Endabrechnung für das Jahr 2006 ergebenden Nachzahlungsbetrag.
Mit Wirkung zum 31. Dezember 2006 endete der Stromliefervertrag des Beklagten mit der Streithelferin. Der Beklagte bezog ab dem 1. Januar 2007 jedoch weiterhin Strom. Mit Schreiben vom 2. Januar 2007 wies er die Klägerin auf den oben genannten Zähleraustausch hin und teilte mit, dass es die Streithelferin trotz ausdrücklicher Zusage versäumt habe, die Veränderungen an die Klägerin weiterzumelden, dass die Klägerin aber ihrerseits das an sie gerichtete Schreiben vom 4. März 2006 nicht beachtet habe.
Mit Wirkung zum 1. März 2007 schloss der Beklagte einen Stromliefervertrag mit der F. GmbH ab.
Die Klägerin hat für die Stromlieferungen im Zeitraum vom 3. Februar 2006 bis zum 28. Februar 2007 von dem Beklagten Zahlung in Höhe von insgesamt 879,48 € begehrt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts abgeändert und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin für die Stromlieferung im Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 28. Februar 2007 138,99 € nebst Zinsen sowie Nebenkosten in Höhe von 5,56 € zu zahlen. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren für den Zeitraum vom 3. Februar 2006 bis zum 31. Dezember 2006 weiter.
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klägerin habe nur für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 28. Februar 2007 einen Zahlungsanspruch in Höhe von 138,99 € aus §§ 38, 36 Abs. 1 EnWG, da sich die Stromlieferung lediglich in dieser Zeit einer bestimmten Lieferung oder einem bestimmten Liefervertrag nicht zuordnen lasse. Denn nachdem der Stromliefervertrag mit der Streithelferin zum 31. Dezember 2006 geendet habe, habe der Beklagte erst wieder mit Wirkung zum 1. März 2007 einen weiteren Stromliefervertrag, diesmal mit der F. GmbH, geschlossen.
Für den Zeitraum vom 3. Februar 2006 bis zum 31. Dezember 2006 stehe der Klägerin hingegen kein Zahlungsanspruch zu, weil die in dieser Zeit vom Beklagten entgegen genommenen Stromlieferungen dem Liefervertrag mit der Streithelferin zuzuordnen seien. Denn beide Vertragsparteien seien erkennbar davon ausgegangen, dass die Stromlieferung im Rahmen des zwischen ihnen geschlossenen Vertrages erfolgt sei. Dass der Beklagte den Stromzähler mit der Nummer ...308 statt den mit der Nummer ...204 weiterbenutzt habe, sei rechtlich unerheblich. Die Nummer des Stromzählers möge zwar aus technischen und organisatorischen Gründen der Identifikation eines Stromanschlusses und eines Stromliefervertrages dienen. Dies führe aber nicht dazu, dass allein die Stromzählernummer für die rechtliche Zuordnung und Bewertung eines Stromliefervertrages maßgeblich sei. Der Austausch des Stromzählers habe auch nicht zur Beendigung des mit der Streithelferin bestehenden Vertrages geführt. Unstreitig habe die Belieferung des Beklagten durch die Streithelferin über den (später ausgebauten) Zähler mit der Nummer ...204 erfolgen können. Die Streithelferin habe daher über die Berechtigung zur Netzdurchleitung zum Anschluss des Beklagten verfügen müssen. Daran ändere sich nichts, wenn der Stromzähler nach dem Austausch eine andere Nummer erhalte. Da der Beklagte zutreffend von einem wirksamen Vertragsverhältnis mit der Streithelferin ausgegangen sei, könne die Klägerin von ihm kein vertragliches Entgelt verlangen. Denn die Entnahme von Strom könne vor diesem Hintergrund nicht als auf einen Vertragsschluss gerichtetes Handeln gedeutet werden.
Auch ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach den Grundsätzen der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 Satz 1, § 670 BGB stehe der Klägerin nicht zu. Die entsprechende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs habe Fälle vor dem Inkrafttreten des Energiewirtschaftsgesetzes vom 7. Juli 2005 betroffen.
Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 38 EnWG bleibe für die Annahme einer Geschäftsführung ohne Auftrag kein Raum. Denn die Anwendung dieses Rechtsinstituts würde den Kunden einem unnötig hohen Kosten- und Prozessrisiko aussetzen, welches mit dem Ziel einer verbraucherfreundlichen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität gemäß § 1 Abs. 1 EnWG und der Verpflichtung zur Transparenz der Preise und Vertragsbedingungen gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 3 der Richtlinie 2003/54/EG nicht vereinbar sei. Der Kunde liefe Gefahr, den von ihm nur einmal bezogenen und gegenüber seinem Vertragspartner bereits bezahlten Strom nachträglich nochmals an den Grundversorger zahlen zu müssen. Zwar könnte der Kunde den doppelt gezahlten Betrag als Schadensersatz von seinem Vertragspartner zurück verlangen. Die Regelungen des Energiewirtschaftsgesetzes müssten aber aufgrund ihrer ausdrücklich Verbraucher schützenden Zielrichtung dahin ausgelegt werden, dass der Verbraucher vor unnötigen finanziellen Belastungen und Prozessrisiken möglichst freigehalten werde.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Revision ist daher zurückzuweisen. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Klägerin für Stromlieferungen im Zeitraum vom 3. Februar 2006 bis zum 31. Dezember 2006 kein Zahlungsanspruch gegen den Beklagten zusteht.
1. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten ist kein Stromlieferungsvertrag zustande gekommen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist zwar grundsätzlich in dem Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens ein Vertragsangebot in Form einer sogenannten Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrages zu sehen, das von demjenigen konkludent angenommen wird, der dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität entnimmt. Dieser Grundsatz gilt jedoch dann nicht uneingeschränkt, wenn zwischen dem Abnehmer oder zwischen dem Versorgungsunternehmen und einem Dritten schon eine Energieliefervereinbarung besteht (Senatsurteile vom 27. April 2005 – VIII ZR 140/04, WM 2005, 1717 unter II 1; vom 26. Januar 2005 – VIII ZR 66/04, NJW-RR 2005, 639 unter II 1 b aa und bb; vom 17. März 2004 – VIII ZR 95/03, NJW-RR 2004, 928 unter [II] 2 a). So verhält es sich hier.
a) Revisionsrechtlich ist mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts zu unterstellen, dass die Zusammenlegung der Entnahmestellen erst am 3. Februar 2006 erfolgt ist und der Beklagte daher zwischen dem 1. Januar 2006 und dem 3. Februar 2006 an zwei Entnahmestellen mit Strom versorgt worden ist. Gleichwohl ist durch die Bereitstellung von Strom seitens der Klägerin an der Entnahmestelle mit der Zählernummer ...308 und dessen Entnahme durch den Beklagten kein Energielieferungsvertrag geschlossen worden. Denn in diesem Zeitraum bestand noch das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und der Mieterin K. , da diese erst mit Schreiben vom 4. März 2006 gegenüber der Klägerin die Kündigung des Stromliefervertrages erklärte. Durch die Zurverfügungstellung der Energie erbrachte die Klägerin jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt die ihrer Vertragspartnerin K. geschuldete Versorgungsleistung.
b) Auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der Mieterin K. kam es nicht zu einem Vertragsschluss zwischen der Klägerin und dem Beklagten. Für den Beklagten stellte sich die Bereitstellung von Strom nicht als Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Stromliefervertrages, sondern als weitere Belieferung durch die Streithelferin dar. Denn er hatte der Streithelferin die geänderte Zählernummer mitgeteilt und konnte davon ausgehen, dass er im Rahmen des mit der Streithelferin bestehenden Stromliefervertrages nunmehr über diesen Zähler mit Strom versorgt wurde. Für ihn war deshalb nicht ersichtlich, dass in der Stromlieferung an diesen Zähler ein Vertragsangebot der Klägerin liegen könnte (vgl. zu dieser Konstellation Senatsurteile vom 27. April 2005 – VIII ZR 140/04, aaO unter II 1 a; vom 26. Januar 2005 – VIII ZR 66/04, aaO unter II 1 b bb (1)). Ein Angebot des Beklagten an die Klägerin auf Abschluss eines Energielieferungsvertrages liegt vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht vor.
2. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich der von der Klägerin geltend gemachte Zahlungsanspruch auch nicht aus der gesetzlichen Regelung über die Ersatzversorgung gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1970) ergibt.
Sofern Letztverbraucher über das Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck Energie beziehen, ohne dass dieser Bezug einer Lieferung oder einem bestimmten Liefervertrag zugeordnet werden kann, gilt die Energie gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 EnWG als von dem Unternehmen geliefert, das nach § 36 Abs. 1 EnWG berechtigt und verpflichtet ist. Die Vorschrift begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis, wenn die Energieversorgung in Niederspannung oder Niederdruck ohne vertragliche Grundlage allein aufgrund der Entnahme durch den Letztverbraucher erfolgt (BT-Drucks. 15/3917, S. 66; Hellermann in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2. Aufl., § 38 Rn. 1; Danner/Theobald/Eder, Energierecht, Stand 2010, § 38 EnWG Rn. 1). Sinn der Regelung ist es, für die ersatzversorgungsberechtigten Kunden eine Auffangbelieferung für den Fall sicherzustellen, dass ein reguläres Lieferverhältnis nicht besteht (Danner/Theobald/Eder, aaO Rn. 3). Vorliegend sieht sich der Beklagte jedoch mit zwei Lieferanten konfrontiert, die jeweils geltend machen, ihn auf vertraglicher Grundlage mit Strom beliefert zu haben. Dieser Fall der Lieferantenkonkurrenz ist - wovon auch die Revision ausgeht - nicht von § 38 Abs. 1 Satz 1 EnWG umfasst.
3. Wegen des Stromliefervertrages zwischen der Streithelferin und dem Beklagten scheiden auch ein Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 677, 683 Satz 1, § 670 BGB und bereicherungsrechtliche Ansprüche der Klägerin aus.
Ball Dr. Frellesen Dr. Milger
Dr. Fetzer Dr. Bünger