Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 20.01.2015


BGH 20.01.2015 - VIII ZR 208/14

Räumungsklage: Verletzung rechtlichen Gehörs bei Übergehen erheblichen Sachvortrags und unterlassener Beweiserhebung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
8. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
20.01.2015
Aktenzeichen:
VIII ZR 208/14
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Memmingen, 9. Juli 2014, Az: 12 S 430/12vorgehend AG Neu-Ulm, 15. Februar 2012, Az: 8 C 1540/10
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Memmingen - 1. Zivilkammer - vom 9. Juli 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 6.780 € festgesetzt.

Gründe

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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere ist der Beschwerdewert nach § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO erreicht. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

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1. Die Kläger nehmen die Beklagten auf Räumung einer Mietwohnung in Anspruch, nachdem sie das Mietverhältnis mit Schreiben vom 28. Juli 2010 wegen Eigenbedarfs ordentlich sowie mit Schreiben vom 27. April 2012 und 24. Juli 2013 wegen Zahlungsverzugs und wegen mutwilliger Beschädigung von Teilen des Inventars fristlos gekündigt hatten. Die von den Klägern zu zahlende Miete betrug zuletzt 799 € (565 € Kaltmiete sowie 234 € Nebenkostenvorauszahlung). Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Die Kläger haben daraufhin die Zwangsräumung der Wohnung durchgeführt. Auf die Revision der Beklagten hat der Senat das Berufungsurteil vom 18. Juli 2012 aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten in der nunmehr mit der Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten angefochtenen Entscheidung erneut zurückgewiesen und die von den Beklagten erhobene Widerklage auf Wiedereinräumung des Besitzes abgewiesen.

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2. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

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Die Räumungsklage sei begründet, denn die Kündigungserklärung vom 24. Juli 2013 habe das Mietverhältnis der Parteien beendet. Im Zeitpunkt der Kündigung hätten sich die Beklagten für zwei aufeinanderfolgende Monate mit der Entrichtung eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug befunden, denn es hätten Rückstände wie folgt bestanden: für Juli 2012: 181,85 €; für August 2012: 94,15 €; für September 2012: 99 €; für Oktober 2012: 799 €; für November 2012: 93 € sowie für Dezember 2012: 266,33 €.

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Der Verzug sei auch nicht durch ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten wegen Mängeln oder fehlender Nebenkostenabrechnungen für die Zeiträume 1. Juli 2009 bis 30. Juni 2010 und 1. Juli 2010 bis 30. Juni 2011 entfallen. Das bloße Bestehen von Gegenforderungen beseitige den Verzug noch nicht; vielmehr sei erforderlich, dass das Zurückbehaltungsrecht - unter gleichzeitiger Anbietung der eigenen Leistung Zug-um-Zug - geltend gemacht werde. Auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen der Nebenkostenabrechnungen für die Zeit von 1. Juni 2009 bis 30. Juni 2011 hätten sich die Beklagten indes erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2014 berufen. Dies sei verspätet gewesen und ändere am Vorliegen des Verzugs im Kündigungszeitpunkt nichts. Der pauschale Hinweis der Beklagten auf das Verfahren 1 C 600/12 des Amtsgerichts Neu-Ulm im Hinblick auf ein Zurückbehaltungsrecht oder Minderungsrecht wegen Mängeln sei ebenfalls unzureichend.

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Im Übrigen ergebe sich ein Grund für die fristlose Kündigung auch daraus, dass die Beklagten jedenfalls die Zirbelkiefereckbank nebst Raumteiler und den Zirbelkieferschrank während ihrer Besitzzeit mutwillig beschädigt hätten. Zu Unrecht hätten sich die Beklagten darauf berufen, dass es sich bei diesen Gegenständen um ihr Eigentum gehandelt habe, das ihnen die Rechtsvorgängerin der Kläger anlässlich des Abschlusses des Mietvertrages übertragen habe. Denn es habe sich um fest eingebaute Möbel und somit wesentliche Bestandteile (§ 93 BGB) gehandelt, so dass eine gesonderte Übertragung gar nicht möglich gewesen sei. Im Übrigen lasse sich die behauptete Übereignung weder aus dem Schreiben des Sohnes der Voreigentümerin vom 16. Dezember 2009 nebst Mietbescheinigung noch aus dem Anhang zum Mietvertrag entnehmen. Im Gegenteil ergebe sich aus dem Mietvertrag, dass die Wohnung teilmöbliert mit Essecke vermietet werde, was gegen einen Eigentumserwerb der Beklagten spreche.

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3. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat.

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a) Die Beklagten haben sich bereits mit Schriftsatz vom 11. Mai 2012 (GA II S. 145) und damit vor Fälligkeit der in Rede stehenden Nebenkostenvorauszahlungen darauf berufen, dass sie wegen der ausstehenden (beziehungsweise bisher nicht formell ordnungsgemäß abgerechneten) Nebenkostenabrechnungen für den Zeitraum 1. Juli 2009 bis 30. Juni 2010 sowie vom 1. Juli 2010 bis 30. Juni 2011 ein Zurückbehaltungsrecht an den laufenden Nebenkostenvorauszahlungen geltend machen. Dieser Sachvortrag ist erheblich, denn die Nebenkostenabrechnungen für diese Zeiträume waren spätestens zum 30. Juni 2011 beziehungsweise bis zum 30. Juni 2012 zu erstellen (§ 556 Abs. 3 Satz 2 BGB), so dass die Beklagten nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteile vom 29. März 2006 - VIII ZR 191/05, NJW 2006, 2552 Rn. 13 sowie vom 6. Februar 20013 - VIII ZR 184/12, NJW 2013, 1595 Rn. 10) danach die laufenden Nebenkostenvorauszahlungen (monatlich 234 €) einbehalten durften. Unter Berücksichtigung eines solchen berechtigten (monatlichen) Einbehalts verblieb von den Zahlungsrückständen, die das Berufungsgericht zugrunde gelegt hat, kein zur fristlosen Kündigung berechtigender Rückstand, sondern lediglich ein Betrag von 565 € von der Miete für Oktober 2012 und von 32,33 € für Dezember 2012.

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b) Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, die Beklagten hätten zu Mietmängeln und einem darauf gestützten Minderungs- oder Zurückbehaltungsrecht nur pauschal auf Vorbringen in einem anderen Prozess verwiesen, hat es gleichfalls entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beklagten in gehörsverletzender Weise übergangen. Denn die Beklagten hatten mit Schriftsatz vom 27. Juni 2014 vorgetragen, dass die Teppichfliesen in der Wohnung derart zerschlissen und infolge ihres Alters unbrauchbar gewesen seien, dass sie ihn in den Keller verbracht und den Mangel den Klägern angezeigt hätten, was sich mittelbar aus dem gleichfalls vorgelegten Schreiben der Kläger an die Beklagten vom 9. Juni 2012 (Anlage K 5) ergebe; zum Beweis haben sie die Beiziehung der Akte des Amtsgerichts Neu-Ulm 1 C 600/12 beantragt. Mit diesem Vortrag haben die Beklagten einen konkreten Sachmangel und dessen rechtzeitige Anzeige dargelegt.

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c) Schließlich hat das Berufungsgericht das rechtliche Gehör der Beklagten auch insoweit verletzt, als es von einer mutwilligen Beschädigung der im Eigentum der Kläger stehenden Möbel (Zirbelkiefereckbank und -schrank) ausgegangen ist, ohne der unter Zeugenbeweis gestellten Behauptung der Beklagten nachzugehen, diese Gegenstände seien ihnen von der Rechtsvorgängerin der Kläger übereignet worden. Das Zustandekommen einer solchen Vereinbarung anlässlich des Abschlusses des Mietvertrages mit der durch ihren Sohn (den als Zeugen benannten B.    E.  ) vertretenen Voreigentümerin haben die Beklagten detailliert vorgetragen und in diesem Zusammenhang erläutert, dass die Voreigentümerin wegen des Umzugs in ein Altenheim für die Möbel keine Verwendung mehr gehabt habe und sie ihnen deshalb zur Verfügung habe stellen wollen. Von der danach gebotenen Beweiserhebung durfte das Berufungsgericht nicht etwa deshalb absehen, weil sich aus dem Mietvertrag und einem Schreiben des Sohnes der Voreigentümerin vom 16. Dezember 2009 eine solche Übereignung nicht ergab oder die Formulierungen des Mietvertrages nach Auffassung des Berufungsgerichts gegen einen Eigentumserwerb der Beklagten sprachen. Diese vom Berufungsgericht herangezogenen Umstände mögen im Rahmen der Beweiswürdigung eine Rolle spielen, rechtfertigten es aber nicht, von der Erhebung der weiteren von den Beklagten angebotenen Beweise von vornherein abzusehen.

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Eine andere Beurteilung ist schließlich auch nicht mit Rücksicht auf die Erwägung des Berufungsgerichts geboten, dass ein Eigentumserwerb der Beklagten in jedem Fall daran scheiterte, dass es sich um wesentliche Bestandteile des Grundstücks gehandelt habe. Eine solche - eher fern liegende - Einordnung der Möbel als wesentliche Grundstücksbestandteile haben die Parteien, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend ausführt, ersichtlich nicht in Betracht gezogen. Das Berufungsgericht hätte deshalb zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung auf seine diesbezügliche Rechtsauffassung hinweisen und den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagten daraufhin, wie jetzt in der Nichtzulassungsbeschwerde geschehen, im Einzelnen zum Fehlen einer festen Verbindung sowie zur Abgrenzung zum bloßen Scheinbestandteil und einer möglichen Umwandlung eines wesentlichen Bestandteils in einen Scheinbestandteil vorgetragen hätten. Im Übrigen hat das Berufungsgericht auch verkannt, dass dem von ihm als bewiesen erachteten Vorwurf einer mutwilligen (vorsätzlichen) Beschädigung des Vermietereigentums schon dann der Boden entzogen gewesen wäre, wenn die Beklagten aufgrund einer Vereinbarung mit der Voreigentümerin lediglich subjektiv davon ausgegangen wären, dass ihnen die streitigen Möbel gehörten. Auch aus diesem Grund durfte das Berufungsgericht nicht im Hinblick auf eine von ihm vorgenommene Einordnung der Möbel als wesentliche Grundstücksbestandteile eine erhebliche Pflichtverletzung der Beklagten bejahen, ohne den angebotenen Beweis zu erheben.

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4. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vorbringens des Beklagten und Erhebung der dafür angebotenen Beweise zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, ist das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.

Dr. Milger                                Dr. Achilles                                  Dr. Schneider

                      Dr. Fetzer                                   Dr. Bünger