Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 11.01.2011


BGH 11.01.2011 - VIII ZB 62/10

Bemessung der Rechtsmittelbeschwer: Berücksichtigung der mit der Berufung weiterverfolgten Nebenforderungen und Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde wegen fehlerhafter Berechnung der Wertgrenze


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
8. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
11.01.2011
Aktenzeichen:
VIII ZB 62/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Frankfurt, 15. Juli 2010, Az: 2-17 S 48/10, Beschlussvorgehend AG Bad Homburg, 25. März 2010, Az: 2 C 1258/09 (18)
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 17. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juli 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: bis 900 Euro.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt den Beklagten im Rahmen einer mietrechtlichen Auseinandersetzung auf Zahlung von 1.580 Euro nebst Zinsen sowie Erstattung vorprozessualer Anwaltskosten in Höhe von 229,55 Euro in Anspruch. Nachdem gegen den Beklagten ein Teilanerkenntnisurteil über 308,31 Euro ergangen ist, hat das Amtsgericht den Beklagten im Schlussurteil zur Zahlung weiterer 749,86 Euro nebst Zinsen verurteilt; im Übrigen hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat Berufung eingelegt, mit der er den abgewiesenen Teil der Hauptforderung (521,83 Euro nebst Zinsen), Zinsen auf den nicht mehr streitgegenständlichen Teil der Hauptforderung (18,42 Euro) und die vorgerichtlichen Anwaltskosten (229,55 Euro) weiterverfolgt. Das Landgericht hat die Berufung mit der Begründung als unzulässig verworfen, dass sie die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht erreiche. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

2

Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet.

3

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts, die Berufung sei im Hinblick auf die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unzulässig, verletzt den Kläger in seinem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227 mwN).

4

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Berufung der Beklagten kann nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung als unzulässig verworfen werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung die Wertgrenze von 600 Euro (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

5

a) Das Berufungsgericht hat verkannt, dass mit der Berufung weiterverfolgte Nebenforderungen im Sinne von § 4 Abs. 1 ZPO bei der Rechtsmittelbeschwer zu berücksichtigen sind, soweit sie Hauptforderungen geworden sind; das ist der Fall, wenn und soweit der Hauptanspruch, auf den sich die Nebenforderungen beziehen, nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits ist. Danach sind im vorliegenden Fall die mit der Berufung weiterverfolgten vorprozessualen Rechtsanwaltskosten (teilweise) und die gesondert geltend gemachten Zinsen auf den nicht mehr streitgegenständlichen Teil der Hauptforderung werterhöhend zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2010 - VIII ZB 39/09, juris Rn. 4 mwN zu vorprozessualen Anwaltskosten).

6

b) Von der ursprünglich geltend gemachten Hauptforderung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch der nicht zugesprochene Teilbetrag in Höhe von 521,83 Euro. Die ursprünglich insgesamt als Nebenforderung geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten in Höhe von 229,55 Euro, die sich auf den Gegenstandswert der ursprünglichen Hauptforderung beziehen, haben sich in der Berufungsinstanz, soweit sie den durch die erstinstanzlichen Urteile zugesprochenen Teil der Klageforderung (insgesamt 1.058,17 Euro) betreffen, als Hauptforderung verselbständigt (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2010 - VIII ZB 39/09, aaO). Daraus ergibt sich, dass sich der Wert des Beschwerdegegenstandes - über die in die  Berufungsinstanz gelangte restliche Hauptforderung von 521,83 Euro hinaus - durch die anteiligen vorprozessualen Rechtsanwaltskosten, die auf den in erster Instanz zugesprochenen Teil der ursprünglichen Hauptforderung entfallen, jedenfalls auf mehr als 600 Euro erhöht. Mithin ist die Berufung zulässig (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), ohne dass es noch auf die darüber hinaus gesondert geltend gemachten Zinsen in Höhe von 18,42 Euro ankommt.

Ball                                     Dr. Frellesen                                      Dr. Milger

               Dr. Fetzer                                          Dr. Bünger