Entscheidungsdatum: 25.04.2017
Der gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 geltende Höchstbetrag abziehbarer Aufwendungen in Höhe von 1.250 € ist bei der Nutzung eines häuslichen Arbeitszimmers im Rahmen mehrerer Einkunftsarten nicht nach den zeitlichen Nutzungsanteilen in Teilhöchstbeträge aufzuteilen. Er kann durch die dem Grunde nach abzugsfähigen Aufwendungen in voller Höhe ausgeschöpft werden (Anschluss an BFH-Urteil vom 16. Juli 2014 X R 49/11, BFH/NV 2015, 177) .
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 24. April 2013 1 K 781/11 aufgehoben.
Die Einkommensteuer 2008 wird unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids des Beklagten vom 15. Mai 2009, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2011, auf den Betrag festgesetzt, der sich bei Ansatz eines zu versteuernden Einkommens in Höhe von ... € ergibt.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben der Kläger zu 82 % und der Beklagte zu 18 % zu tragen.
I.
Die Beteiligten streiten im Wesentlichen über den Abzug von Betriebsausgaben des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) wegen eines häuslichen Arbeitszimmers und über den Abzug von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen.
Der Kläger war im Streitjahr (2008) verheiratet und wurde mit seiner damaligen Ehefrau (E) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die gemeinsamen Kinder des Klägers und der E waren im Streitjahr minderjährig.
Außergewöhnliche Belastungen
E litt während des gesamten Streitjahres an einer Krebserkrankung und verstarb im Oktober 2009. Sie hatte sich im November 2007 in einem fortgeschrittenen Stadium ihrer Krebserkrankung in die "Klinik ..." in H begeben.
E war gesetzlich krankenversichert. Die Krankenkasse vereinbarte mit ihr, die Hälfte der Kosten der stationären Behandlungen pauschal zu übernehmen. Diese Vereinbarung war nach einem Schreiben der Krankenkasse an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) vom 1. Februar 2011 aufgrund der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14. Dezember 2006 B 1 KR 12/06 R (SozR 4-2500 § 31 Nr 8) getroffen worden. Das BSG habe anknüpfend an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Dezember 2005 1 BvR 347/98 (BVerfGE 115, 25) entschieden, dass bei Krankheiten, die in absehbarer Zeit zum Verlust des Lebens führten, in verfassungskonformer Auslegung der maßgeblichen sozialrechtlichen Bestimmungen im Einzelfall eine Leistungserweiterung für gesetzlich krankenversicherte Patienten geboten sei. Somit wäre über die Übernahme von Behandlungskosten der E für Leistungen, die nicht im gesetzlichen Leistungskatalog enthalten waren, jeweils auf Grundlage einer Einzelfallprüfung zu entscheiden gewesen. Aus diesem Grund sei --so die Krankenkasse im Schreiben vom 1. Februar 2011-- mit E vereinbart worden, dass die Hälfte der Kosten der stationären Behandlung von der Krankenkasse ohne Prüfung der einzelnen Behandlungsmaßnahmen pauschal übernommen werde. Ob eine weitergehende Erstattung aller Aufwendungen für Leistungen, die nicht im gesetzlichen Katalog enthalten waren, bei Vornahme einer Einzelfallprüfung möglich gewesen wäre, sei aus Sicht der Krankenkasse fraglich gewesen. Voraussetzung einer Erstattbarkeit solcher Leistungen wäre auch im Rahmen einer Einzelfallprüfung gewesen, dass die Leistungen ein Mindestmaß an medizinischer Nachvollziehbarkeit hätten aufweisen müssen.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Aufwendungen für die Behandlung der Krebserkrankung der E als außergewöhnliche Belastungen in Höhe von ... € (vor Abzug der zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung --EStG--) geltend.
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 15. Mai 2009 ließ das FA erklärungsgemäß außergewöhnliche Belastungen in Höhe von ... € zum Abzug zu. Es ermittelte eine zumutbare Belastung in Höhe von ... € (4 % des Gesamtbetrags der Einkünfte in Höhe von ... €).
Während des folgenden Einspruchsverfahrens machte der Kläger weitere nicht erstattete Aufwendungen im Zusammenhang mit der Krebserkrankung der E als Krankheitskosten geltend. Diese entfielen auf Fahrtkosten, Kleidung, Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel sowie auf Behandlungs- und Aufenthaltskosten (z.B. Telefonkosten) der E in der Klinik und auf einzeln abgerechnete Leistungen von Heilpraktikern, Ärzten sowie Zuzahlungen, Literatur und sonstige Posten.
Das FA erkannte in der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2011 --nach Verböserungshinweis-- Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen aus Krankheitskosten in Höhe von ... € an. Hiervon zog es erstattete Aufwendungen in Höhe von ... € ab. Es verblieb damit für das Streitjahr ein Restbetrag an nicht erstatteten Aufwendungen in Höhe von ... €, den das FA bei den außergewöhnlichen Belastungen berücksichtigte. Nicht mehr als Krankheitskosten stufte das FA geltend gemachte und noch streitige Aufwendungen für Arzneimittel in Höhe von ... € ein, für die keine Rezepte vorgelegt werden konnten. In der geänderten Steuerfestsetzung verminderte das FA weiterhin die dem Grunde nach anerkannten Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen um den Betrag einer zumutbaren Belastung in Höhe von ... €.
Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer
Der Kläger bewohnte mit seiner Familie im Streitjahr eine ... qm große Mietwohnung. Die Warmmiete betrug ... € im Monat. Das Arbeitszimmer des Klägers hatte eine Größe von ... qm.
Der Kläger war im Streitjahr in Vollzeit nichtselbständig tätig. Daneben betätigte er sich schriftstellerisch und erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Er machte Betriebsausgaben für das häusliche Arbeitszimmer in Höhe des Höchstbetrags von 1.250 € [(... qm/... qm) x ... € x 12 Monate)] gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768) bei seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit geltend, die das FA im Rahmen der Einspruchsentscheidung insgesamt nicht zum Abzug zuließ.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit Urteil vom 24. April 2013 1 K 781/11 teilweise statt. Es ließ bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit Betriebsausgaben für das häusliche Arbeitszimmer in Höhe von 625 € zum Abzug zu. Im Übrigen wies es die Klage ab.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Bundesrechts und eines Verfahrensfehlers des FG.
1. Häusliches Arbeitszimmer
Hinsichtlich der nicht anerkannten Betriebsausgaben für das häusliche Arbeitszimmer macht der Kläger geltend, das FG habe bei der schätzweisen Aufteilung der Aufwendungen, die auf die Einkünfte aus selbständiger Arbeit und aus nichtselbständiger Arbeit entfielen, auf Grundlage eines unzutreffenden Sachverhalts entschieden und seinen Vortrag zur zeitlichen Inanspruchnahme des Raums für die selbständige Tätigkeit nicht zur Kenntnis genommen.
Die Entscheidung des FG verstoße gegen den klaren Inhalt der Akten, da er --der Kläger-- schriftsätzlich und unwidersprochen durch das FA vorgetragen habe, zwischen ... und ... Stunden im Streitjahr im Arbeitszimmer verbracht zu haben, was zu einer Aufteilung der Aufwendungen in Höhe von 75 % auf die freiberufliche Tätigkeit habe führen müssen. Die Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers für die nichtselbständige Tätigkeit sei zeitlich signifikant geringer gewesen. Er veranschlage sie mit ... Tagen im Monat, was bei elf Arbeitsmonaten im Streitjahr insgesamt zu einer zeitlichen Nutzung von ... Stunden im Streitjahr geführt habe.
2. Abzug von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen
Das FG habe seine Auffassung, er --der Kläger-- habe Aufwendungen für Arzneimittel in Höhe von ... € nicht nachgewiesen, zu Unrecht auf § 64 Abs. 1 Nr. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes (StVereinfG) 2011 vom 1. November 2011 (BGBl I 2011, 2131) gestützt. Die rückwirkende Anwendung der Regelung sei im Streitfall verfassungswidrig. Er habe nach Änderung der Rechtsprechung durch den Bundesfinanzhof (BFH) in den Urteilen vom 11. November 2010 VI R 16/09 (BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966) und VI R 17/09 (BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969) und vor dem rückwirkenden Inkrafttreten der Neuregelung im StVereinfG 2011 in schutzwürdiger Weise disponiert, indem er seinen Einspruch aufrecht erhalten habe, obwohl das FA ihm zu diesem Zeitpunkt die Verböserung der Steuerfestsetzung angedroht hatte. Der BFH habe in der Entscheidung vom 19. April 2012 VI R 74/10 (BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577) offengelassen, ob die rückwirkende Anwendung des § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 für den Zeitraum nach dem Ergehen der BFH-Urteile in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 und in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss am 1. November 2011, der Verkündung des StVereinfG 2011 am 4. November 2011 oder bis zur Prüfbitte des Bundesrats vom 18. März 2011 gegen das Rückwirkungsverbot verstoße.
Die für den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Arzneimitteln, Heilmitteln und Hilfsmitteln gemäß § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 erforderliche "Verordnung" eines Arztes oder Heilpraktikers könne auch nachträglich ausgestellt werden. Er verweise auf das im Klageverfahren vorgelegte Schreiben des Herrn Dr. X vom 7. Oktober 2011. Das FG stelle für die Auslegung des Merkmals der Verordnung in § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 zu Unrecht auf ein Rezept als allein zulässiges Nachweismittel ab.
3. Ermittlung und Abzug der zumutbaren Belastung
Die Bemessung des Betrags der zumutbaren Belastung sei nach dem BFH-Urteil vom 19. Januar 2017 VI R 75/14 (BFHE 256, 339) unzutreffend. Die Höhe der zumutbaren Belastung sei zur Vermeidung von Progressionssprüngen stufenweise zu berechnen.
Anders als das FG dargelegt habe, stünden nicht allein Krankheitskosten im Streit, die nicht mehr von dem Niveau einer sozialhilferechtlichen Krankenversicherung abgedeckt gewesen seien. E sei in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert gewesen, so dass die übernommenen Krankheitskosten dem sozialhilferechtlichen Leistungsniveau entsprochen hätten. Es sei lediglich aus Dringlichkeitsgründen darauf verzichtet worden, gerichtlich klären zu lassen, ob eine vollständige Übernahme der Krankheitskosten durch die Krankenkasse hätte erfolgen müssen.
Einkommen, das für medizinische Behandlungskosten zur Abwehr und zum Erträglichmachen einer als tödlich diagnostizierten Krankheit aufzuwenden sei, sei in vollem Umfang freizustellen. Es verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) und gegen das Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), wenn aufgrund des § 33 Abs. 3 EStG der Pflicht zur Steuerzahlung gegenüber dem Recht, eigenes Familieneinkommen zum Kampf gegen eine tödliche Krankheit einsetzen zu können, der Vorrang eingeräumt werde. Nach der Entscheidung des BFH vom 2. September 2015 VI R 32/13 (BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151) im Anschluss an den BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06 (BVerfGE 120, 125) seien Krankheitskosten des Steuerpflichtigen im Rahmen des sozialhilferechtlichen Versorgungsniveaus unabhängig vom individuellen Grenzsteuersatz und dem nach Abzug der zumutbaren Belastung verbleibenden Einkommen von der Einkommensteuer freizustellen.
§ 33 Abs. 3 EStG genüge diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Die Vorschrift wirke wie eine Abzugsbeschränkung für die aus verfassungsrechtlicher Sicht steuerfrei zu stellenden Krankheitskosten. Dies sei weder mit Gründen der Praktikabilität noch der Typisierung zu rechtfertigen. § 33 Abs. 3 EStG bewirke insbesondere keine Verfahrensvereinfachung, da vom Steuerpflichtigen im ersten Schritt der Nachweis aller Kosten und damit auch der selbst zu tragenden Aufwendungen verlangt werde.
Eine Rechtfertigung für die Kürzung steuerfrei zu stellender Krankheitskosten durch die zumutbare Belastung könne allenfalls dann bestehen, wenn die Krankheitskosten im Rahmen des Betrags der zumutbaren Belastung im allgemeinen Existenzminimum in Form des Grundfreibetrags steuerfrei gestellt würden. Dies sei jedoch ersichtlich nicht der Fall.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil der Vorinstanz sowie die Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2011 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2008 vom 15. Mai 2009 in der Weise zu ändern, dass die Einkommensteuer auf den Betrag festgesetzt wird, der sich ergibt, wenn das zu versteuernde Einkommen auf ... € herabgesetzt wird,
hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zu den Fragen anzurufen:
a) ob die gesetzliche Regelung zur sogenannten zumutbaren Belastung des § 33 EStG verfassungswidrig sei, weil insoweit indisponibles Einkommen der Besteuerung unterworfen werde und
b) ob die einfachgesetzlich vorgesehene Rückwirkung des formalen Nachweises des § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 verfassungswidrig sei, wenn der Steuerpflichtige im Rückwirkungszeitraum im Vertrauen auf die Rechtsprechung des BFH disponiert habe.
Das FA beantragt,
die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Das FG habe zu Recht die hälftige Nutzung des Arbeitszimmers im Rahmen der Einkünfte aus selbständiger Arbeit und aus nichtselbständiger Arbeit geschätzt.
Es habe auch den Begriff der "Verordnung" in § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 zutreffend ausgelegt.
Der Abzug einer zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG vom Betrag der gemäß § 33 Abs. 1 EStG anzuerkennenden außergewöhnlichen Belastungen sei ebenfalls verfassungsgemäß.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es hat keinen Antrag gestellt.
Der Kläger müsse --so das BMF-- die Prüfung der Abzugsfähigkeit von Aufwendungen am Maßstab der §§ 64 Abs. 1 Nr. 1, 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 im Rahmen einer echten Rückwirkung hinnehmen. Der Gesetzgeber habe verfassungsrechtlich zulässig die Rechtslage durch die Gesetzesänderung so wiederhergestellt, wie sie vor den BFH-Urteilen in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 und in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 bestanden habe. Der Kläger habe auch für den Zwischenraum vom 11. November 2010 bis zum Gesetzesbeschluss am 1. November 2011 oder zur Gesetzesverkündung am 4. November 2011 kein schutzwürdiges Vertrauen bilden können. Im Streitjahr sei nach der früheren Verwaltungsauffassung in R 33.4 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien 2008 ein formalisierter Nachweis zu führen gewesen. Die Aufrechterhaltung des Einspruchs des Klägers im März 2011 betreffe nur eine Verfahrenshandlung und keine Disposition, die einen Vertrauensschutz begründen könne. Nach dem BFH-Urteil vom 19. April 2012 VI R 74/10 (BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577) habe sich nach der Prüfbitte des Bundesrats vom 18. März 2011 (BRDrucks 54/11) kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers mehr bilden können.
Das BMF hebt weiter hervor, dass auch bei Krankheitskosten zur Linderung einer unheilbaren und tödlich verlaufenden Krankheit der Abzug einer zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG verfassungskonform sei. Maßstab für das verfassungsrechtlich freizustellende besondere steuerliche Existenzminimum im Fall einer Krankheit seien Aufwendungen in Höhe des sozialhilferechtlich gewährleisteten Leistungsniveaus. Das verfassungsrechtlich freizustellende Existenzminimum richte sich nicht nach den individuellen Maßstäben des Steuerpflichtigen und dessen Lebenszuschnitt. Ein generelles verfassungsrechtliches Verbot, Krankheitskosten vom Abzug einer zumutbaren Belastung freizustellen, sei nicht erkennbar. Im Streitfall mache der Kläger nach den Feststellungen des FG Krankheitskosten geltend, die von einer dem sozialhilferechtlichen Niveau entsprechenden Krankenversicherung nicht gewährt worden wären.
II.
Die Revision ist begründet.
Das FG hat zu Unrecht nur Betriebsausgaben in Höhe von 625 € für das häusliche Arbeitszimmer des Klägers zum Abzug zugelassen (s. unter 1.). Die Vorentscheidung ist auch rechtsfehlerhaft, soweit das FG die Höhe des Betrags der zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG nicht zutreffend berechnet hat (s. unter 2.d). Zu Recht hat das FG allerdings den Abzug weiterer Krankheitskosten gemäß § 33 Abs. 1 EStG in Höhe von ... € verneint (s. unter 2.a und b). Der Senat konnte schließlich weder zur geltend gemachten Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden Anwendung der Regelung in § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 noch zur behaupteten Verfassungswidrigkeit des Abzugs einer zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG die Überzeugung gewinnen, dass die genannten Vorschriften mit dem GG nicht vereinbar sind.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Sache ist auch spruchreif. Der Senat gibt der Klage teilweise statt und weist sie im Übrigen ab (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das FG hat rechtsfehlerhaft entschieden, dass dem Kläger nur ein Betriebsausgabenabzug von Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer in Höhe von 625 € zusteht. Dem Kläger steht ein Betriebsausgabenabzug in Höhe von ... € zu.
a) Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 2010 kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (zum Begriff s. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 27. Juli 2015 GrS 1/14, BFHE 251, 408, BStBl II 2016, 265) nicht als Betriebsausgaben abziehen. Dies gilt nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010). In diesem Fall wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 € begrenzt; die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010). Diese Regelung kommt im Streitfall zur Anwendung. Denn gemäß § 52 Abs. 12 Satz 9 EStG i.d.F. des JStG 2010 gilt sie für alle offenen Fälle ab dem Veranlagungszeitraum 2007.
b) Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass der vom Kläger genutzte Raum in der im Streitjahr angemieteten Wohnung dem Typus des häuslichen Arbeitszimmers im Sinne der Definition des Beschlusses des Großen Senats des BFH in BFHE 251, 408, BStBl II 2016, 265, Rz 62 ff. entspricht. Dies bedarf hier keiner weiteren Vertiefung. Zudem hat das FG bindend für den Senat festgestellt, dass der Kläger diesen Raum nahezu ausschließlich für betriebliche/berufliche Zwecke genutzt hat. Zwischen den Beteiligten ist ferner nicht streitig, dass das häusliche Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung des Klägers bildete (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010).
c) Der Kläger kann im Streitfall den Betriebsausgabenabzug gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 beanspruchen, soweit die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer anteilig den Einkünften aus selbständiger Arbeit zuzuordnen sind.
aa) Da der Kläger mehrere betriebliche oder berufliche Tätigkeiten ausgeübt hat, ist in Bezug auf jede dieser Tätigkeiten gesondert zu prüfen, ob ein "anderer Arbeitsplatz" im Sinne der Regelung für diese zur Verfügung steht (BFH-Urteil vom 14. Dezember 2004 XI R 13/04, BFHE 208, 239, BStBl II 2005, 344, Rz 17). Das FG hat festgestellt, dass dem Kläger für die Erzielung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ein anderer Arbeitsplatz i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 in den Kanzleiräumen seines Arbeitgebers zur Verfügung stand. Ein anderer Arbeitsplatz i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 stand dem Kläger nur für die Erzielung der Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit nicht zur Verfügung. Nur insoweit kann der Kläger Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer abziehen.
bb) Die für das häusliche Arbeitszimmer getragenen Aufwendungen sind im zweiten Schritt entsprechend den tatsächlichen Nutzungsanteilen auf die verschiedenen Einnahmequellen und Einkünfte aufzuteilen, unabhängig davon, ob die Aufwendungen im Rahmen dieser Einkunftsart dem Grunde nach abzugsfähig sind (BFH-Urteile vom 3. August 2005 XI R 42/02, BFH/NV 2006, 504; vom 18. August 2005 VI R 39/04, BFHE 211, 447, BStBl II 2006, 428; FG Münster, Urteil vom 15. März 2016 11 K 2425/13 E, G, Entscheidungen der Finanzgerichte 2016, 1000, Rz 49; übereinstimmend mit der Rechtsprechung s. BMF-Schreiben vom 2. März 2011 IV C 6-S 2145/07/10002, BStBl I 2011, 195, Rz 20 mit Beispiel).
Hieran hat sich auch nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 251, 408, BStBl II 2016, 265 nichts geändert, der nur die --im Streitfall nicht gegebene-- Nichtaufteilbarkeit von Aufwendungen für ein gemischt genutztes Arbeitszimmer betrifft, das sowohl für private Wohnzwecke als auch beruflich zur Einkunftserzielung genutzt wird (s. auch BFH-Urteile vom 17. Februar 2016 X R 1/13, BFH/NV 2016, 913; vom 16. Februar 2016 IX R 20/13, BFH/NV 2016, 1146, und IX R 21/13, BFH/NV 2016, 1147). Das für den Großen Senat des BFH im Beschluss in BFHE 251, 408, BStBl II 2016, 265, Rz 71 u.a. tragende Argument, dass sich der Umfang der beruflichen Nutzung in einem gemischt privat und beruflich eingerichteten Raum nicht objektiv überprüfen lässt, greift nicht durch, wenn der Steuerpflichtige --wie hier-- ein Arbeitszimmer ausschließlich beruflich nutzt und über die zeitlichen Nutzungsanteile der vom Steuerpflichtigen darzulegenden Angaben im Rahmen der einzelnen Einkunftsarten zu befinden ist. Die Angaben des Steuerpflichtigen zur zeitlichen Nutzung im Rahmen der Einkunftsarten sind jedenfalls bei der im Streitfall vorliegenden Konstellation einer beruflichen Vollzeittätigkeit und einer freiberuflichen Nebentätigkeit auf Grundlage eines Abgleichs mit anderen Informationen auf ihre Plausibilität hin überprüfbar. Hiervon ist auch das FG ausgegangen.
d) Die Entscheidung des FG ist aber rechtsfehlerhaft und aufzuheben, weil es auf Grundlage geschätzter hälftiger zeitlicher Nutzung des Raumes im Rahmen beider Einkunftsarten einen Abzug der den Einkünften aus selbständiger Arbeit zuzurechnenden Aufwendungen für das Arbeitszimmer nur in Höhe des hälftigen gesetzlichen Höchstbetrags gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 (625 €) für möglich gehalten hat.
Eine solche Aufteilung des gesetzlichen Höchstbetrags ist rechtsfehlerhaft. Nach der unter II.1.c bb wiedergegebenen Rechtsprechung sind die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer zwar zeitanteilig aufzuteilen und den verschiedenen Einkunftsarten des Steuerpflichtigen zuzuordnen. Eine Aufteilung des Höchstbetrags in Höhe von 1.250 € unter Bildung von Teilhöchstbeträgen für die verschiedenen Einkunftsarten ist hingegen nicht vorzunehmen. Nach der Entscheidung des X. Senats des BFH vom 16. Juli 2014 X R 49/11 (BFH/NV 2015, 177, Rz 57) gibt es keinen gesetzlichen Anhaltspunkt und keinen Grund, den Höchstbetrag einkünftebezogen zu verstehen. Somit ist der Höchstbetrag von 1.250 € einem Steuerpflichtigen einerseits nicht mehrfach zu gewähren, wenn ein Arbeitszimmer im Rahmen mehrerer Einkunftsarten genutzt wird, für die jeweils kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (BFH-Urteil in BFH/NV 2015, 177; BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 195, Rz 20). Er ist aber andererseits für die im Streitfall zu entscheidende Konstellation auch nicht aufzuteilen und den jeweiligen Nutzungen im Rahmen der verwirklichten Einkunftsarten in Teilhöchstbeträgen zuzuordnen. Der Steuerpflichtige kann die dem Grunde nach abzugsfähigen und auf verschiedene Einkunftsarten entfallenden Aufwendungen insgesamt bis zum Höchstbetrag von 1.250 € abziehen (so auch BMF-Schreiben vom 7. Januar 2004 IV A 6-S 2145-71/03, BStBl I 2004, 143, Rz 16 im ersten Beispiel, und in BStBl I 2011, 195, Rz 20 mit Beispiel).
e) Das FG hat im Ergebnis aufgrund seiner revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Schätzung zutreffend eine hälftige Nutzung des Arbeitszimmers für die nichtselbständige Tätigkeit und die selbständige Tätigkeit angenommen. Den hieraus folgerichtig zu ermittelnden Betrag von Betriebsausgaben in Höhe von ... € für die Einkünfte aus selbständiger Arbeit durfte es aber nicht auf einen Teilhöchstbetrag von 625 € begrenzen. Der Betrag ist in voller Höhe abzugsfähig.
aa) Das FG hat den Vortrag des Klägers zur Ausstattung, Größe des Raums und Warmmiete im Urteil wiedergegeben und nicht in Zweifel gezogen. Daher versteht der Senat die Ausführungen in der Weise, dass das FG Aufwendungen des Klägers für das Arbeitszimmer im Rahmen der Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von ... € [(... qm/... qm) x ... € x 12 Monate x 1/2] ermittelt und auf Grundlage der jeweils geschätzten hälftigen Nutzung des Raums für beide Einkunftsarten in gleicher Höhe den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und selbständiger Arbeit zugeordnet hat.
bb) Die Schätzung des FG, der Kläger habe das häusliche Arbeitszimmer über das gesamte Streitjahr hinweg insgesamt jeweils hälftig für die Tätigkeit im Rahmen beider Einkunftsarten genutzt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
aaa) Nimmt das FG --wie im Streitfall-- gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO, § 162 der Abgabenordnung eine eigene Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (hier: der zeitlichen Nutzungsanteile für das Arbeitszimmer im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus selbständiger Arbeit) vor, ist nur diese Schätzung Gegenstand des Revisionsverfahrens und gehört zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO. Eine Überprüfung der gerichtlichen Schätzung im Revisionsverfahren ist hinsichtlich der Zulässigkeit, der Einhaltung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen sowie der Schlüssigkeit und Plausibilität des Ergebnisses der Schätzung möglich (BFH-Urteile vom 17. Oktober 2001 I R 103/00, BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171; vom 23. April 2015 V R 32/14, BFH/NV 2015, 1106). Nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch das FG alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich, vernünftig und plausibel sein (BFH-Urteile vom 24. Juni 2014 VIII R 54/10, BFH/NV 2014, 1501, Rz 23; in BFH/NV 2015, 1106, Rz 13).
bbb) Der Kläger hat im finanzgerichtlichen Verfahren selbst keine Einzelaufzeichnung über die Nutzung des Arbeitszimmers an den einzelnen Tagen des Streitjahres vorgelegt, sondern eine Bandbreite an Stunden der Nutzung des Raums (zwischen ... und ... Stunden im Streitjahr) geltend gemacht und die Nutzung im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (... Tage im Monat, bei elf Arbeitsmonaten im Streitjahr = ... Stunden) geschätzt. Das FG hat sich außer Stande gesehen, diese Angaben zu verifizieren. Es durfte auf dieser Grundlage die zeitlichen Nutzungsanteile des Arbeitszimmers für beide Tätigkeiten schätzen. Die Schätzung des FG, der Kläger habe im Streitjahr das Arbeitszimmer auch im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zur Hälfte genutzt, ist angesichts der vom Kläger dargelegten Notwendigkeit, während der Erkrankung der E im Streitjahr zu Hause arbeiten zu müssen und seiner Vollzeittätigkeit als Arbeitnehmer aus Sicht des Senats möglich, vernünftig und plausibel.
ccc) Soweit der Kläger die Schätzungsgrundlagen des FG mit der Rüge angreift, es habe den klaren Inhalt der Akten nicht zur Kenntnis genommen, wird der behauptete Verfahrensfehler nicht ordnungsgemäß dargelegt. Er läge vor, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hätte, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hätte und die angefochtene Entscheidung darauf beruhte (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 22. Oktober 2015 I B 94/14, BFH/NV 2016, 748). Eine solche feststehende Tatsache sieht der Kläger in den von ihm geltend gemachten zeitlichen Nutzungsanteilen innerhalb der Einkunftsarten, die das FA nicht bestritten habe. Er legt aber nicht dar, warum das Urteil des FG auf der Nichtbeachtung dieser Tatsache beruht haben soll. Denn das FG hat sich ausdrücklich darauf gestützt, die vom Kläger geltend gemachten Nutzungsanteile nicht verifizieren zu können und anknüpfend daran eine eigene Schätzung der zeitlichen Nutzungsanteile vorgenommen.
cc) Der Kläger kann die in Höhe von ... € ermittelten Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit in voller Höhe abziehen (s. unter II.1.d). Hieraus ergibt sich, dass der Kläger im Streitjahr folgende Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt hat: |
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Einkünfte aus selbständiger Arbeit laut Einkommensteuerbescheid 2008 vom 15. Mai 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2011 |
... € |
Abzug weiterer Betriebsausgaben laut BFH-Urteil |
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Einkünfte aus selbständiger Arbeit laut BFH-Urteil |
./. ... € |
2. Die Entscheidung des FG zur Abzugsfähigkeit der streitigen Krankheitskosten und zur Ermittlung der Höhe der zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG ist ebenfalls teilweise rechtsfehlerhaft.
Das FG hat zwar den Abzug weiterer Krankheitskosten gemäß § 33 Abs. 1 EStG in Höhe von ... € mangels eines Nachweises der Zwangsläufigkeit von krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers gemäß § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 zu Recht verneint (s. nachfolgend unter 2.a bis c). Es hat aber die Höhe der abzuziehenden zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG nicht zutreffend berechnet (s. nachfolgend unter 2.d). Der Senat hat aufgrund der Umstände des Streitfalls keine Zweifel daran, dass der Abzug des zutreffenden Betrags der zumutbaren Belastung verfassungsgemäß ist (s. nachfolgend unter 2.e).
a) Nach § 33 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Vom Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418; vom 18. Juni 2015 VI R 68/14, BFHE 250, 166, BStBl II 2015, 803; vom 2. September 2015 VI R 32/13, BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151).
aa) Nach den vorstehend zitierten Entscheidungen geht der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Krankheitskosten --ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung-- dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zweck der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen. Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf. Bei den typischen und unmittelbaren Krankheitskosten wird die Außergewöhnlichkeit letztlich unwiderleglich vermutet und die Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen weder dem Grunde nach (stets aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig) noch der Höhe nach (Angemessenheit und Notwendigkeit im Einzelfall) geprüft (BFH-Urteile vom 14. April 2015 VI R 89/13, BFHE 249, 483, BStBl II 2015, 703, m.w.N.; in BFHE 256, 339). Auch Aufwendungen, denen es objektiv an der Eignung zur Heilung oder Linderung mangelt, können --vorbehaltlich der Nachweisanforderungen des § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011-- zu den zwangsläufigen Krankheitskosten zählen, wenn der Steuerpflichtige an einer Erkrankung mit einer nur noch begrenzten Lebenserwartung leidet, die nicht mehr auf eine kurative Behandlung anspricht (BFH-Urteil vom 2. September 2010 VI R 11/09, BFHE 231, 69, BStBl II 2011, 119, Rz 20).
bb) Die Zwangsläufigkeit krankheitsbedingter Aufwendungen für die hier noch streitigen Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch --SGB V--) hat der Steuerpflichtige auch in den Fällen einer Erkrankung mit einer nur noch begrenzten Lebenserwartung durch die Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachzuweisen (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011), da die Regelung des § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 keine Differenzierung zwischen bestimmten Krankheitskosten enthält.
b) Auf dieser Grundlage ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG Aufwendungen in Höhe von ... € mangels der vom Kläger gemäß § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 SGB V) vorzulegenden Nachweise nicht als Krankheitskosten gemäß § 33 Abs. 1 EStG zum Abzug zugelassen hat.
aa) Bei den laut der Anlage zur Einspruchsentscheidung von der Krankenkasse nicht erstatteten und vom FA nicht als Krankheitskosten anerkannten Kosten handelte es sich um Präparate aus der Apotheke und aus Internetapotheken, für die der Kläger keine Verordnungen mehr vorlegen konnte.
bb) Unabhängig davon, ob es zutreffend ist, das Merkmal der "Verordnung" so auszulegen, dass nur ein "Rezept" den Anforderungen genügt, wie das FG meint, hat es jedenfalls im Streitfall im Ergebnis zu Recht entschieden, dass keine Verordnung vorlag. § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 verlangt, dass der formalisierte Nachweis bezogen auf jedes einzelne Präparat zu führen ist. Das vom FG mit seinem Inhalt durch Bezugnahme insgesamt festgestellte und während des Verfahrens vom Kläger vorgelegte Schreiben des Herrn Dr. X vom 7. Oktober 2011 genügt diesen Anforderungen nicht. Einer ärztlichen Bescheinigung, die sich nicht zu konkret bezogenen Präparaten äußert, sondern lediglich bestätigt, dass die für E erworbenen Präparate generell aufgrund einer Vortestung entweder ärztlich verordnet oder ärztlich empfohlen wurden, fehlt der in § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 verlangte konkrete Bezug zu den im Einzelnen erworbenen Präparaten.
c) Der Senat hat auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 im Streitjahr anzuwenden.
aa) Der VI. Senat des BFH erachtet das rückwirkend im StVereinfG 2011 durch den Gesetzgeber eingeführte formalisierte Nachweisverlangen --auch hinsichtlich seiner rückwirkenden Einführung-- als verfassungsgemäß (BFH-Urteil in BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577). Dem schließt sich der erkennende Senat an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Entscheidung.
bb) Der Kläger wendet hiergegen zwar ein, er habe während des Einspruchsverfahrens zwischen der Änderung der BFH-Rechtsprechung in den Urteilen in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 und in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 und der Verkündung des StVereinfG 2011 in schützenswerter Weise disponiert, indem er seinen Einspruch aufrechterhalten und somit die verbösernde Neuüberprüfung schon anerkannter Aufwendungen durch das FA zugelassen habe. Seine verfahrensrechtliche Entscheidung, den Einspruch nicht zurückzunehmen, erfolgte aber bewusst mit dem Ziel, den Abzug einer zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG von den anzuerkennenden Krankheitskosten als nicht verfassungsgemäß anzufechten. Dieses Ziel konnte der Kläger nur nach Ergehen einer Einspruchsentscheidung durch das Beschreiten des Rechtswegs erreichen. Es ist bereits deshalb nicht ersichtlich, dass der Kläger bei der Aufrechterhaltung seines Einspruchs in schutzwürdiger Weise unter Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtslage nach Ergehen der BFH-Urteile in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 und in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 disponiert haben könnte.
d) Das FG hat aber den Betrag der zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG nicht zutreffend ermittelt.
aa) Abweichend von der bisherigen (durch die Rechtsprechung gebilligten) Verwaltungsauffassung, wonach sich die Höhe der zumutbaren Belastung ausschließlich nach dem höheren Prozentsatz richtet, sobald der Gesamtbetrag der Einkünfte eine der in § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG genannten Grenzen überschreitet, ist die Regelung so zu verstehen, dass nur der Teil des Gesamtbetrags der Einkünfte, der den im Gesetz genannten Grenzbetrag übersteigt, mit dem jeweils höheren Prozentsatz belastet wird. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf das BFH-Urteil in BFHE 256, 339, dessen Ausführungen er sich anschließt, Bezug.
Es ist im Ergebnis von einer zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG in folgender Höhe auszugehen: |
||
Gesamtbetrag der Einkünfte laut Einkommensteuerbescheid 2008 vom 15. Mai 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2011 |
... |
€ |
Minderung laut BFH-Urteil |
./. ... |
€ |
Gesamtbetrag der Einkünfte laut BFH-Urteil |
... |
€ |
Betrag der zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG bei zwei Kindern |
4 % x (... € – 51.130 |
€) = |
... |
€ |
|
3 % x (51.130 € – 15.340 |
€) = |
|
... |
€ |
|
2 % x 15.340 € = ... |
€ |
|
= ... |
€ |
Bei einer bisher berücksichtigten zumutbaren Belastung in Höhe von ... € ergeben sich somit zusätzlich zu berücksichtigende außergewöhnliche Belastungen in Höhe von ... €.
bb) Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten hat, auch diese Ermittlung des Betrags der zumutbaren Belastung anknüpfend an Familienstand und Kinderzahl im Wege eines Stufentarifs sei nicht folgerichtig und verfassungswidrig, ist das Vorbringen im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Die vom VI. Senat des BFH entwickelte Berechnungsweise schließt Härten aufgrund von Progressionssprüngen aus (BFH-Urteil in BFHE 256, 339, Rz 19). Hiervon profitiert auch der Kläger im Streitfall. Ob der Kläger, wie er meint, wäre er schon im Streitjahr alleinerziehender (verwitweter) Vater gewesen, gegenüber einem zusammenveranlagten Ehepaar mit zwei Kindern bei der Ermittlung der zumutbaren Belastung nach einem Stufentarif in verfassungswidriger Weise benachteiligt wäre, ist im Streitjahr hingegen nicht entscheidungserheblich, da der Betrag der zumutbaren Belastung vom Senat auf Grundlage einer bestehenden Ehe mit zwei Kindern zugunsten des Klägers ermittelt wurde.
e) Der Senat hat darüber hinaus keine verfassungsrechtlichen Zweifel an der vom Gesetz vorgegebenen Rechtsfolge, dass die gemäß § 33 Abs. 1 EStG im Streitfall abziehbaren Krankheitskosten (... €) um den zutreffenden Betrag der zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG (... €) zu mindern sind.
aa) Der Ansatz einer zumutbaren Belastung bei Krankheitskosten gemäß § 33 Abs. 3 EStG ist von Verfassungs wegen hinzunehmen. Der Senat folgt den BFH-Entscheidungen in BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151 und vom 29. September 2016 III R 62/13 (BFHE 255, 252, BStBl II 2017, 259), nach denen es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten ist, auf den Ansatz einer zumutbaren Belastung bei Krankheitskosten generell zu verzichten. Krankheitskosten sind nach der gesetzlichen Regelung nur insoweit als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, als sie den Betrag der nach § 33 Abs. 3 EStG ermittelten zumutbaren Belastung überschreiten. Denn § 33 Abs. 3 EStG differenziert bei der Ermittlung der zumutbaren Belastung nicht zwischen Krankheitskosten und anderen Aufwendungen, die als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind. Der Wortlaut ist insoweit eindeutig.
bb) Nach dem Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums hat der Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151; in BFHE 255, 252, BStBl II 2017, 259). Dem Grundgedanken der Subsidiarität der staatlichen Fürsorge entspricht es, dass sich die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau richtet. Solange der Empfänger entsprechender Sozialleistungen aus den allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert wird, ist auch der entsprechende Aufwand im Einkommensteuerrecht steuerfrei zu stellen (BVerfG-Urteil in BVerfGE 120, 125, unter D.II.4.b). Zu diesem einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimum gehören grundsätzlich auch Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Kranken- und Pflegeversorgung (BFH-Urteil in BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151). Für die Bemessung des freizustellenden existenznotwendigen Aufwands dieser Aufwendungen der Höhe nach ist auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene abzustellen (BFH-Urteil in BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151).
cc) Im Streitfall steht --wie sich aus dem Schreiben der Krankenkasse vom 1. Februar 2011 ergibt-- nicht fest, ob der Kläger Aufwendungen für die Behandlung der E getragen hat, die einem Sozialhilfeempfänger ohne weitere Gegenleistung gewährt worden wären. Doch selbst wenn der Kläger Aufwendungen für medizinisch notwendige Leistungen im Rahmen des durch das Sozialhilferecht bestimmten Rahmens getragen hätte, führt dies nicht zu Zweifeln des Senats an der Verfassungsmäßigkeit des Abzugs der zumutbaren Belastung im Streitfall. Denn insoweit beruht die Kostentragung und die wirtschaftliche Belastung als Folge des Abzuges einer zumutbaren Belastung in Höhe von ... € maßgeblich auf der Vereinbarung mit der Krankenkasse, die Krankheitskosten selbst zur Hälfte zu tragen, auch wenn der Kläger und E diese Vereinbarung angesichts der Schwere der Krankheit der E aus nachvollziehbaren und menschlich verständlichen Erwägungen geschlossen haben.
3. Die Vorentscheidung wird aufgehoben. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Bescheid vom 15. Mai 2009 in Gestalt der Steuerfestsetzung durch die Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2011 wird nach Maßgabe der folgenden Begründung geändert. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
a) Das zu versteuernde Einkommen im Streitfall beträgt nach Abzug weiterer Betriebsausgaben in Höhe von ... € bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit und weiterer außergewöhnlicher Belastungen in Höhe von ... € insgesamt ... € ./. ... € ./. ... € = ... €.
b) Die Ermittlung der festzusetzenden Steuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).