Entscheidungsdatum: 11.02.2015
1. Wird dem Inhaber von Genussrechten, die keine Beteiligung am Unternehmensvermögen vermitteln, ein Entgelt dafür gewährt, dass ihm aufgrund der vorzeitigen Beendigung des Genussrechtsverhältnisses Einnahmen aus der Verzinsung des Genussrechtskapitals entgehen, handelt es sich um eine gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerpflichtige Entschädigung und nicht um einen nicht steuerbaren Veräußerungsgewinn i.S. des § 23 EStG .
2. Die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 5 EStG, nach der die Grundsätze für die Besteuerung von Finanzinnovationen auf Genussrechte der vorliegenden Art nicht anwendbar sind, schließt die Besteuerung einer Entschädigungszahlung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht aus, da diese durch die entgehenden Einnahmen veranlasst ist und eindeutig nicht der Vermögensebene angehört .
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 13. Dezember 2011 11 K 1189/09 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden in den Streitjahren 2006 und 2007 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war vor seiner Pensionierung bei der X AG beschäftigt gewesen. Diese hatte bis zum Jahr 2000 im Rahmen eines Vermögensbildungsprogramms inländischen Mitarbeitern den Erwerb von sog. Namensgewinnscheinen (NGS) zum Nennwert von 50 DM (25,60 €) angeboten. Nach den Genussrechtsbedingungen war die Laufzeit der NGS vorbehaltlich der Kündigungsrechte unbegrenzt. Die X AG hatte u.a. ein Kündigungsrecht bei Ausscheiden aus dem X-Konzern durch Veräußerung, Verschmelzung oder Eingliederung in eine andere Gesellschaft. In allen Fällen der Rückgabe der NGS vergütete die X AG nach den Genussrechtsbedingungen lediglich den Nennwert der NGS. Jeder NGS gewährt dem Inhaber eine Beteiligung an der Dividende der X AG. Im Falle der Liquidation oder Auflösung der X AG erhielten die Inhaber der NGS nach Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft, aber vor Rückzahlungen an die Aktionäre, den Nennwert ihrer NGS erstattet.
Im Jahr 2006 unterbreitete die X AG dem Kläger ein Angebot zum Rückerwerb der von ihm gehaltenen 289 NGS. Sie bot dem Kläger für jeden NGS neben der Auszahlung des Nominalwerts in Höhe von 25,60 €/Stück eine Verzinsung von 19,80 € für 2006 sowie eine Einmalzahlung in Höhe des dreifachen Nominalwerts in Höhe von 76,80 € an. Sollte der Kläger das Angebot nicht annehmen, müsse er mit einer Kündigung der NGS aus wichtigem Grund rechnen, da die X AG aus dem Konzern ausscheide. Bis zur Kündigung würden die NGS-Bedingungen dahingehend abgeändert, dass ab dem 1. Juli 2006 die Gewinnbeteiligung entfalle und nur noch die Mindestverzinsung von 7 % p.a. gewährt werde. Die Zahlung des Einmalbetrags in Höhe des dreifachen Nennbetrags der NGS entspreche einer Verzinsung der NGS für zehn Jahre zu einem Zinssatz von 30 % p.a. Der Kläger nahm das Angebot an, so dass ihm die X AG folgende Beträge auszahlte:
Nominalwert der 289 NGS |
7.398,40 € |
Gewinnbeteiligung 1. Halbjahr 2006 |
5.722,20 € |
Einmalzahlung |
22.195,20 € |
Gesamtbetrag |
35.315,80 € |
Die Auszahlung des Einmalbetrags erfolgte in zwei Teilbeträgen, so dass dem Kläger im Jahr 2006 Einnahmen in Höhe von 24.218,20 € und im Jahr 2007 Einnahmen in Höhe von 11.097,60 € zuflossen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfasste in den Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre die Zahlungen der X AG als Einkünfte aus Kapitalvermögen. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat das Finanzgericht (FG) die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 616 veröffentlichten Urteil vom 13. Dezember 2011 11 K 1189/09 als unbegründet abgewiesen. Nach Erlass des Urteils ergingen jeweils am 26. November 2012 aus nicht streitgegenständlichen Gründen Einkommensteueränderungsbescheide für 2006 und 2007.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Einmalzahlung in Höhe des dreifachen Nennbetrags der Genussrechte sei kein Entgelt für eine Kapitalnutzung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung der Streitjahre (EStG), sondern ein Veräußerungsgewinn i.S. des § 23 EStG, der aufgrund des Ablaufs der Haltefrist nicht der Besteuerung unterliege. Außerdem habe der Gesetzgeber durch die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 5 EStG die Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Genussrechten grundsätzlich ausschließen wollen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das angefochtene Urteil der Vorinstanz und die Einspruchsentscheidungen vom 10. Februar 2009 aufzuheben und unter Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2006 und 2007 jeweils vom 26. November 2012 die Einkünfte aus Kapitalvermögen um jeweils 11.097,60 € zu verringern und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Parteien haben auf eine Durchführung der mündlichen Ver-handlung vor dem Bundesfinanzhof (BFH) verzichtet.
II. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Ihm liegen nicht mehr existierende Bescheide zu Grunde, nachdem am 26. November 2012 für die Streitjahre Änderungsbescheide ergangen sind. Dies hat zur Folge, dass auch das Urteil des FG keinen Bestand haben kann (ständige Rechtsprechung, BFH-Beschluss vom 24. Juni 2014 VIII R 48/11, BFH/NV 2014, 1568).
Da der Sachstreit durch die Bescheidänderung nicht berührt wird und die Kläger auch keinen weitergehenden Antrag gestellt haben, bedarf es keiner Zurückverweisung gemäß § 127 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG. Der Senat entscheidet aufgrund seiner Befugnis aus den §§ 121 und 100 FGO in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Der vom FG festgestellte Sachverhalt reicht aus, um innerhalb des Klageantrags abschließend prüfen und beurteilen zu können, ob die zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Einkommensteuerbescheide vom 26. November 2012 rechtmäßig sind.
Die Klage ist abzuweisen. Sie ist im Umfang des Klagebegehrens unbegründet. Der von der X AG an den Kläger im Rahmen des Rückkaufs gezahlte Einmalbetrag in Höhe des dreifachen Nennbetrags der NGS führt zu steuerpflichtigen Einkünften. Zwar handelt es sich bei der Einmalzahlung nicht um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 EStG, jedoch sind die Voraussetzungen für eine Besteuerung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG erfüllt.
1. Bei der Einmalzahlung handelt es sich nicht um einen Vorteil aus einem früheren Dienstverhältnis nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.
Vorteile werden "für" eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das --im vorliegenden Fall zwischenzeitlich beendete-- individuelle Dienstverhältnis des Arbeitnehmers veranlasst sind. Kein Arbeitslohn liegt vor, wenn die Zuwendung wegen anderer Rechtsverhältnisse oder aufgrund sonstiger, nicht auf dem Dienstverhältnis beruhender Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewährt wird (BFH-Urteil vom 20. November 2008 VI R 25/05, BFHE 223, 419, BStBl II 2009, 382, m.w.N.). Dies war vorliegend der Fall, da die Einmalzahlung in keinem einkommensteuerrechtlich erheblichen Veranlassungszusammenhang zu dem früheren Arbeitsverhältnis des Klägers stand. Bei den Genussrechten handelte es sich um eine eigenständige Erwerbsgrundlage, da weder die Höhe des Rücknahmepreises noch der Vergütung von dem früheren Arbeitsverhältnis des Klägers abhingen (vgl. Senatsurteile vom 5. November 2013 VIII R 20/11, BFHE 243, 481, BStBl II 2014, 275; vom 21. Oktober 2014 VIII R 44/11, BFHE 247, 308).
2. Die Einmalzahlung in Höhe des dreifachen Nennbetrags der NGS gehört auch nicht unmittelbar zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG. Denn die Zahlung erfolgte nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt nicht als Gegenleistung für die Nutzung des von dem Kläger überlassenen Kapitals. Vielmehr wurde sie gerade dafür vereinbart, dass der auf die entgeltliche Nutzung des Kapitals gerichtete Vertrag einvernehmlich aufgelöst wurde.
3. Die Einmalzahlung ist aber als Entschädigung, die als Ersatz für entgehende Einnahmen gewährt worden ist, gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerpflichtig; denn die Einnahmen, die der Kläger erzielt hätte, wenn er die Genussrechte behalten hätte, wären gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG zu besteuern gewesen.
a) § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ergänzt die Einkünftetatbestände der §§ 13 bis 23 EStG, schafft indessen keinen neuen Besteuerungstatbestand. Es muss demgemäß eine kausale Verknüpfung zwischen Entschädigung und den entgangenen Einnahmen bestehen (Senatsurteil vom 19. Oktober 1978 VIII R 9/77, BFHE 126, 405, BStBl II 1979, 133). Die entgangenen Einnahmen müssen, falls sie erzielt worden wären, steuerpflichtig sein (BFH-Urteil vom 16. August 1978 I R 73/76, BFHE 126, 199, BStBl II 1979, 120). Dies ist vorliegend der Fall. Nach den Ausführungen der X AG im Angebot zum Rückerwerb der NGS entsprach die Höhe der Einmalzahlung einer Verzinsung der NGS für zehn Jahre zu einem Zinssatz von 30 % p.a. Danach ist die Zahlung nicht Entgelt für den Rückerwerb der Genussrechte, sondern Entschädigung für entgehende Einnahmen. Die Abfindung stellt sich als Ersatz der Kapitalerträge dar, die der Kläger erzielt hätte, wenn der Vertrag über die Verzinsung der Genussrechte nicht aufgrund des Angebots der X AG beendet worden wäre. Diese Einnahmen wären der Einkunftsart der Einkünfte aus Kapitalvermögen zuzuordnen gewesen (s. nachfolgend b).
b) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage. Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören auch besondere Entgelte oder Vorteile, die neben den in § 20 Abs. 1 und 2 EStG bezeichneten Einnahmen oder an deren Stelle gewährt werden (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG).
Dazu zählt auch der von der X AG an den Kläger bei dem Rückerwerb der NGS gezahlte Einmalbetrag in Höhe des dreifachen Nennbetrags der Genussrechte. Denn die Zahlung erfolgte nicht, um einen "höheren Wert" der Genussrechte abzugelten, sondern um den Kläger dafür zu entschädigen, dass er aufgrund der Rückgabe der Genussrechte keine Einnahmen mehr aus der Überlassung seines Kapitals an die X AG erzielen konnte. Für diese Beurteilung spricht nicht nur das Anschreiben der X AG, nach dem die Einmalzahlung einer Verzinsung der NGS für zehn Jahre zu einem Zinssatz von 30 % p.a. entspricht, sondern auch der Umstand, dass der Kläger nach den Genussrechtsbedingungen bei Rückübertragung der NGS auf die X AG, gleich aus welchem Grund, stets nur den Nennbetrag erhalten sollte. Die NGS waren somit an der Wertentwicklung des Gesellschaftsvermögens der X AG nicht beteiligt.
c) Die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 5 EStG, nach der die Grundsätze für die Besteuerung von Finanzinnovationen auf Genussrechte der vorliegenden Art nicht anwendbar sind, schließt die Besteuerung einer Entschädigungszahlung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht aus, da diese allein durch die entgehenden Einnahmen veranlasst ist, gerade kein Veräußerungsentgelt darstellt und deshalb die Vermögensebene nicht berührt.
d) Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigen auch die Ausführungen des Niedersächsischen FG in seinem Urteil vom 1. Dezember 2005 11 K 127/03 (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2006, 1517) keine andere Beurteilung. Anders als in jenem Fall war es im Streitfall der X AG möglich, die Genussrechte durch Kündigung auch gegen den Willen des Klägers zum Nennwert zurück zu erwerben. Es handelt sich bei der Einmalzahlung somit nicht um eine ggf. nicht steuerbare Gegenleistung für die Zustimmung zur vorzeitigen Vertragsauflösung durch einen "lästigen" Gesellschafter, den die Gesellschaft auf andere Weise nicht hätte "los werden" können.
e) Einer Qualifizierung der Einkünfte als steuerbare Entschädigungsleistung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steht schließlich auch nicht entgegen, dass der Kläger durch seine Zustimmung zum Angebot der X AG selbst zum Wegfall der Einnahmen aus den NGS beigetragen hat. Zwar setzt eine Entschädigung voraus, dass die Zustimmung unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck erfolgte (BFH-Urteil vom 29. Februar 2012 IX R 28/11, BFHE 237, 56, BStBl II 2012, 569). Davon ist im Streitfall jedoch auszugehen, da der Kläger, wenn er das Angebot der X AG nicht angenommen hätte, ab dem 1. Juli 2006 nur noch die Mindestverzinsung von 7 % p.a. und keine Gewinnbeteiligung mehr erhalten hätte.
4. Die als Entschädigung zu beurteilende Einmalzahlung unterliegt nicht der ermäßigten Besteuerung nach § 34 EStG, da sie sich in Höhe von jeweils 11.097,60 € gleichmäßig auf zwei Veranlagungszeiträume verteilte. Damit fehlt es an einem zusammengeballten Zufluss als Voraussetzung für eine ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 2006 XI R 58/05, BFHE 214, 319, BStBl II 2006, 835).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.