Entscheidungsdatum: 12.04.2016
NV: Ein Fall geringer Bedeutung i.S. des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 AO ist zu verneinen, wenn eine gesonderte und einheitliche Feststellung für das Streitjahr noch innerhalb der für sie gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO geltenden (ggf. gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO verlängerten) Feststellungsverjährungsfrist ergehen kann, aber die Festsetzungsverjährung auf Ebene der Folgebescheide bereits eingetreten ist und durch den Erlass des Bescheids zur gesonderten und einheitlichen Feststellung eine einheitliche Steuerfestsetzung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in den Folgebescheiden der Feststellungsbeteiligten gewährleistet wird.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 29. Januar 2013 1 K 1585/10 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Köln zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
I. Streitig ist zwischen dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) und den Klägern und Revisionsbeklagten (Kläger), ob für das Streitjahr (1996) ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften aus Kapitalvermögen ergehen durfte.
Die Kläger sind Geschwister. Sie unterhielten seit dem Jahr 1984 Gemeinschaftskonten bei der liechtensteinischen A-AG in X und erzielten aus diesen Zinseinkünfte.
Am 30. Oktober 2008 erstatteten die Kläger hierüber jeweils mit ihren Ehegatten bei dem für die Einkommensteuerveranlagung zuständigen Finanzamt Selbstanzeigen für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2007.
Daraufhin begann das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung am ... 2009 mit einer Steuerfahndungsprüfung. Prüfungssubjekt war nach dem Bericht eine aus den Klägern bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Im Bericht vom ... 2009 gelangte die Steuerfahndung zu dem Ergebnis, die Kläger seien als Gesellschafter der GbR verpflichtet gewesen, Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus dem Gemeinschaftskonto für das Streitjahr abzugeben. Sie hätten jedoch für die GbR keine Steuererklärungen eingereicht.
Zur Beendigung der Steuerfahndungsprüfung kam es zu einer einvernehmlichen Schätzung der Einkünfte aus Kapitalvermögen der GbR für 1996 in Höhe von 140.000 DM und von Werbungskosten in Höhe von 7.000 DM.
Am 30. Oktober 2009 erließ das FA einen entsprechenden Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Kapitaleinkünfte für das Streitjahr. Es rechnete darin den Klägern die ausländischen Kapitaleinkünfte und die Werbungskosten jeweils zur Hälfte zu.
Das FA wies den anschließend erhobenen Einspruch als unbegründet zurück. Es war der Auffassung, vor Erlass des Bescheids sei noch keine Feststellungsverjährung eingetreten. Da für die GbR keine Feststellungserklärungen abgegeben worden seien, habe die Feststellungsverjährung erst mit Ablauf des dritten Jahres begonnen, das auf das Jahr der Entstehung der Steuer folgte. Der Feststellungsbescheid sei vor dem 31. Dezember 2009 und daher noch rechtzeitig erlassen worden.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Seine Entscheidung vom 29. Januar 2013 1 K 1585/10 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 1287 veröffentlicht. Es hob den gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheid für das Streitjahr auf, da die Feststellung wegen geringer Bedeutung gemäß § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu unterbleiben habe.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Das Urteil des FG verletze Bundesrecht in Gestalt des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO.
Die punktuelle, nur auf den Zeitpunkt der Bescheiderteilung gerichtete Betrachtung des FG sei nicht zutreffend. Dass sich die Steuerfahndung und die Kläger im Schätzungsverfahren über die Höhe und Aufteilung der hinterzogenen Einkünfte aus Kapitalvermögen und der abzugsfähigen Werbungskosten geeinigt hätten, begründe nicht die geringe Bedeutung der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte.
In die Beurteilung, ob die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte für das Streitjahr nur eine geringe Bedeutung habe, müsse auch einfließen, dass die hinterzogenen Steuern bei Verzicht auf ein Feststellungsverfahren wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1996 ansonsten nicht mehr hätten festgesetzt werden können.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie verteidigen die Vorentscheidung. Die Auslegung des Merkmals "geringe Bedeutung" durch das FG sei zutreffend. Die Finanzverwaltung müsse nach der Regelung von der Einleitung eines Feststellungsverfahrens absehen, wenn es zur einheitlichen Rechtsanwendung und zur Erleichterung des Besteuerungsverfahrens nicht erforderlich sei. Durch die Regelbeispiele in § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 AO, dass ein Fall von geringer Bedeutung vorliege, wenn die Höhe des festgestellten Betrags und dessen Aufteilung feststünden, habe sichergestellt werden sollen, dass ein Feststellungsverfahren nur in verfahrensmäßig bedeutsamen Verfahren durchgeführt werde.
II. Die Revision des FA ist begründet. Das FG hat zu Unrecht einen Fall von geringer Bedeutung gemäß § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO bejaht. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Die Vorentscheidung wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Gemäß § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 AO gilt das Gebot des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO, einkommensteuerpflichtige Einkünfte und andere Besteuerungsgrundlagen gesondert und einheitlich feststellen zu müssen, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen zuzurechnen sind, nicht, wenn es sich um einen Fall von geringer Bedeutung handelt. Die Prüfung und Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 180 Abs. 3 AO vorliegen und sich deshalb eine gesonderte und einheitliche Feststellung erübrigt, ist nicht im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung, sondern von dem für die gesonderte Feststellung zuständigen Finanzamt im Feststellungsverfahren zu treffen, indem es --wie hier-- einen gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheid erlässt oder durch sog. Negativbescheid gemäß § 180 Abs. 3 Satz 3 AO entscheidet (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. Juli 1988 IX B 28/88, BFH/NV 1989, 87). Sind die Voraussetzungen des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt, ist der Erlass eines Feststellungsbescheids zwingend, ohne dass der Finanzbehörde ein Ermessen zusteht (BFH-Urteile vom 1. Juli 2003 VIII R 61/02, BFH/NV 2004, 27; vom 16. März 2004 IX R 58/02, BFH/NV 2004, 1211; vom 9. Juni 2015 X R 38/12, BFH/NV 2015, 1588). Liegt hingegen ein Fall von geringer Bedeutung i.S. der Regelung vor, muss die gesonderte und einheitliche Feststellung unterbleiben, ohne dass dies im Ermessen des Finanzamts steht. Der Gesetzgeber will durch die Regelung sicherstellen, dass ein Feststellungsverfahren nur in verfahrensmäßig bedeutsamen Fällen durchgeführt wird und von der Einleitung eines Feststellungsverfahrens abgesehen werden kann, wenn es zur einheitlichen Rechtsanwendung und zur Erleichterung des Besteuerungsverfahrens nicht erforderlich ist (BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 1211, unter Bezugnahme auf BTDrucks 10/1636, S. 46).
2. Entgegen der Auffassung des FG und der Kläger liegt im Streitjahr kein Fall von geringer Bedeutung gemäß § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 AO für die gesonderte und einheitliche Feststellung des Streitjahres vor. Die Vorentscheidung wird aufgehoben.
a) Das Merkmal der geringen Bedeutung in § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 AO ist ein auslegungsbedürftiger unbestimmter Rechtsbegriff (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 180 AO, Rz 357; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 180 AO Rz 52; Kunz in Beermann/Gosch, AO § 180 Rz 104). Der BFH kann die Auslegung des Merkmals durch das FG in vollem Umfang überprüfen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Februar 1969 VI R 113/66, BFHE 95, 104, BStBl II 1969, 316).
b) Der BFH hat für die Beurteilung, ob ein Fall geringer Bedeutung vorliegt, in der bisherigen Rechtsprechung auch Umstände einbezogen, die sich nicht auf die Höhe und Aufteilbarkeit des festzustellenden Betrags beziehen. Eine gesonderte und einheitliche Feststellung hat nicht wegen geringer Bedeutung zu unterbleiben, wenn aus der Sicht des für das Feststellungsverfahren zuständigen Bearbeiters die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht, weil nicht zu übersehen ist, ob der Einkommensteueranspruch gegenüber den weiteren Feststellungsbeteiligten bereits verjährt ist (vgl. BFH-Urteile vom 7. Juli 1987 IX R 116/82, BFH/NV 1988, 433; vom 7. Juli 1987 IX R 117/82, juris). Ein Fall geringer Bedeutung i.S. des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 AO ist daher auch zu verneinen, wenn eine gesonderte und einheitliche Feststellung für das Streitjahr noch innerhalb der für sie gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO geltenden (ggf. gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO verlängerten) Feststellungsverjährungsfrist ergehen kann, aber die Festsetzungsverjährung auf Ebene der Folgebescheide bereits eingetreten ist und somit durch den Erlass der gesonderten und einheitlichen Feststellung eine einheitliche Steuerfestsetzung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in den Folgebescheiden der Feststellungsbeteiligten gewährleistet wird.
Der Verzicht auf eine gesonderte und einheitliche Feststellung wegen geringer Bedeutung gemäß § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 AO in einem solchen Fall würde gerade nicht dem unter II.1. dargelegten Vereinfachungszweck der Norm gerecht. Der Erlass der gesonderten und einheitlichen Feststellung vor Ablauf der Feststellungsfrist erfüllt vielmehr den im Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11. April 2005 GrS 2/02 (BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679) hervorgehobenen Zweck der Vorschriften der §§ 179 Abs. 2 Satz 2, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO, in verfahrensrechtlich gestufter und abschichtender Weise die notwendigen Entscheidungen verbindlich vorzugeben, um auf dieser Grundlage die Folgebescheide erlassen oder anpassen zu können.
Zwar ist im Streitfall die Höhe und Aufteilung der gemeinschaftlich erzielten Einkünfte unstreitig. Es liegt aber kein Fall geringer Bedeutung vor, weil durch den Erlass der gesonderten und einheitlichen Feststellung für das Streitjahr gewährleistet wird, dass die Folgebescheide aller Feststellungsbeteiligten noch geändert werden können. Der Kläger trägt selbst vor, dass bei Annahme einer gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist wegen der Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr im Jahr 1997 eine Änderung des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr mit Ablauf des 31. Dezember 2007 bei ihm und seiner Ehefrau aufgrund der Festsetzungsverjährung ausgeschlossen wäre. Zum Eintritt der Festsetzungsverjährung für den Einkommensteuerbescheid 1996 bei der Klägerin hat das FG keine Feststellungen getroffen. Somit dient im Streitfall der Erlass des gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheids für das Streitjahr der Vermeidung widersprüchlicher Auswirkungen auf Ebene der Folgebescheide.
3. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Der angefochtene gesonderte und einheitliche Feststellungsbescheid für das Streitjahr vom 30. Oktober 2009 ist im Streitfall nur dann vor Eintritt der Feststellungsverjährung ergangen, wenn diese für das Streitjahr gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 1999 zu laufen begann und gemäß §§ 181 Abs. 1 Satz 1, 169 Abs. 2 Satz 2 AO wegen einer vollendeten Steuerhinterziehung der Kläger erst mit Ablauf des 31. Dezember 2009 endete. Das FG hat --von seinem Standpunkt aus zu Recht-- dies nicht geprüft und keine Feststellungen getroffen, die die Schlussfolgerung tragen, dass die Kläger durch die Nichtabgabe der gesonderten und einheitlichen Feststellungserklärung für das Streitjahr eine vollendete Steuerhinterziehung begangen haben.
a) Für Feststellungsbescheide ist in § 181 Abs. 1 Satz 1 AO eine eigenständige Feststellungsverjährung geregelt, die der "sinngemäßen" Anwendung der §§ 169 bis 172 AO unterliegt (BFH-Urteil vom 21. Februar 2013 V R 27/11, BFHE 240, 487, BStBl II 2013, 529, unter Rz 25). Diese eigenständige Feststellungsfrist ist unabhängig von der Festsetzungsverjährung der Folgesteuern zu ermitteln (BFH-Urteil vom 12. Dezember 2013 IV R 33/10, BFH/NV 2014, 665, unter Rz 38, m.w.N.).
b) Aus dieser "sinngemäßen" Geltung des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO für Feststellungsbescheide ergibt sich, dass sich die Verkürzungshandlung bzw. die Hinterziehungshandlung unmittelbar auf die festgestellten --oder wie hier festzustellenden-- Besteuerungsgrundlagen beziehen muss (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 665, unter Rz 38; ebenso Söhn in HHSp, § 181 AO Rz 83; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 181 AO Rz 7). Ob für die festzustellenden Einkünfte der Kläger aus Kapitalvermögen eine gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre verlängerte Feststellungsverjährungsfrist gilt, bestimmt sich nach § 370 AO, da § 169 AO diesbezüglich keine Legaldefinition enthält. Hängt die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids (hier: Feststellungsbescheids) von der Verlängerung der Festsetzungsfrist (hier: Feststellungsfrist) auf zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) und somit vom Vorliegen einer vollendeten Steuerhinterziehung ab, müssen zur Rechtmäßigkeit des Bescheids die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 370 AO erfüllt sein (BFH-Urteil vom 29. Oktober 2013 VIII R 27/10, BFHE 243, 116, BStBl II 2014, 295, unter Rz 15).
c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) liegt eine vollendete Steuerhinterziehung (durch Tun) gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgrund der Abgabe einer inhaltlich nicht zutreffenden Feststellungserklärung vor, wenn ein unrichtiger Feststellungsbescheid ergeht, da dieser dem Täter aufgrund der Bindungswirkung als Grundlagenbescheid gemäß § 182 Abs. 1 AO einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil gemäß § 370 Abs. 1 AO verschafft (BGH-Beschlüsse vom 10. Dezember 2008 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99; vom 22. November 2012 1 StR 537/12, BGHSt 58, 50). Dem steht nicht entgegen, dass nach den vorgenannten Entscheidungen des BGH eine Steuerverkürzung i.S. des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO erst durch den Erlass des unrichtigen Einkommensteuerbescheids eintritt. Wie der BGH in BGHSt 53, 99 ausgeführt hat, stellt die durch den unrichtigen Einkommensteuerbescheid als Folgebescheid bewirkte Steuerverkürzung einen weitergehenden Taterfolg dar, der die Erlangung eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils durch einen inhaltlich unzutreffenden Grundlagenbescheid nicht in Frage stellt.
d) Im Streitfall kann eine vollendete Steuerhinterziehung indes nicht durch die Abgabe einer inhaltlich unrichtigen Feststellungserklärung verwirklicht worden sein. Eine vollendete Steuerhinterziehung in Bezug auf die gesonderte und einheitliche Feststellung kommt anknüpfend an die unter II.3.c angesprochene Rechtsprechung des BGH aber gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO aufgrund der Nichtabgabe der Feststellungserklärung für das Streitjahr in Betracht, weil auch das Nichtergehen des gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheids für das Streitjahr einen ungerechtfertigten Steuervorteil gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO vermitteln kann.
aa) Nach der Rechtsprechung des BGH wird der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verwirklicht, wenn das Verschweigen des Täters --wie hier-- bewirkt, dass dem Finanzamt die Möglichkeit genommen wird, durch Aufforderung an die erklärungspflichtigen Gesellschafter, notfalls durch Schätzungen, eine erforderliche gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung herbeizuführen (s. BGH-Urteil vom 20. Mai 1981 2 StR 666/80, BGHSt 30, 122). Der erlangte Steuervorteil gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO liegt im Untätigbleiben des Finanzamts, das aufgrund pflichtwidrig unterbliebener Angaben gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO den Feststellungsbeteiligten gegenüber keinen Grundlagenbescheid erlässt (vgl. auch Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO 1977, Rz 428, m.w.N.; wohl a.A. Hellmann in HHSp, § 370 AO Rz 168a, 299 ff.). Zwar ist beim Nichtergehen eines Grundlagenbescheids nicht die vom BGH in BGHSt 53, 99 betonte verfahrensrechtliche Konsequenz der Bindungswirkung gemäß § 182 Abs. 1 AO zu befürchten, dass das für die Einkommensbesteuerung der Anteilseigner zuständige Wohnsitzfinanzamt keine Möglichkeit hat, den Inhalt des Feststellungsbescheids eigenständig zu überprüfen und der unrichtige Feststellungsbescheid durch die Bindungswirkung den Steueranspruch konkret gefährdet. Eine Gefährdung des im Folgebescheid festzusetzenden Steueranspruchs tritt jedoch gleichermaßen ein, wenn für gemeinschaftlich erzielte Einkünfte eine Feststellungserklärung nicht eingereicht und die Finanzbehörde hierdurch im Unklaren über diese Einkünfte gelassen wird. Wird kein gesonderter und einheitlicher Feststellungsbescheid erlassen, werden die aus § 182 Abs. 1 AO resultierende verfahrensrechtliche Anpassungspflicht, mit der Möglichkeit, auch bestandskräftige Folgebescheide (Einkommensteuerbescheide) ändern zu können (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) und die gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO bestehende Ablaufhemmung unterlaufen.
bb) Eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen in Form der Nichtabgabe einer Steuererklärung (hier: Feststellungserklärung) ist in dem Zeitpunkt vollendet, zu dem im Veranlagungsbezirk die regelmäßigen Veranlagungsarbeiten der betreffenden Steuerart im Großen und Ganzen abgeschlossen sind (BGH-Beschluss vom 28. Oktober 1998 5 StR 500/98, HFR 1999, 669; BFH-Urteil vom 17. Mai 2011 VIII R 31/08, BFH/NV 2011, 1477, unter Rz 15). Auch wenn hier der konkrete Zeitpunkt nicht festgestellt ist, zu dem die Veranlagungsarbeiten des Feststellungsfinanzamts im Streitfall weitgehend abgeschlossen waren, so dürfte offensichtlich sein, dass dieser Zeitpunkt für den Veranlagungszeitraum 1996 jedenfalls vor dem 30. Oktober 2009 lag, zu dem der angefochtene gesonderte und einheitliche Feststellungsbescheid erlassen wurde.
e) Bislang fehlen jedoch sowohl Feststellungen des FG zum objektiven als auch zum subjektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bezogen auf die gesonderte und einheitliche Feststellung für das Streitjahr.
Nach der nicht näher begründeten Würdigung des FG unter I. des Urteils in EFG 2013, 1287 waren die Einkünfte der Kläger aus dem Gemeinschaftsdepot gemeinschaftlich erzielte Einkünfte i.S. des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO. Die Steuerfahndung und ihr folgend das FA haben sich darauf gestützt, dass zwischen den Klägern eine vermögensverwaltende GbR bestanden hat, für die die Kläger als Gesellschafter (§ 34 Abs. 2 Satz 1 AO) eine Feststellungserklärung für das Streitjahr abzugeben hatten. Während des Einspruchs- und Klageverfahrens war gerade diese Frage zwischen den Beteiligten noch streitig. Hinreichende Feststellungen und eine Würdigung des FG, worauf die Erklärungspflicht der Kläger beruht, fehlen bislang. Das FG wird daher zu ermitteln haben, welche Abreden zwischen den Klägern im Hinblick auf das Gemeinschaftsdepot bestanden, ob hieraus auf das Bestehen einer konkludent gegründeten GbR zwischen den Klägern geschlossen werden kann oder ein anderes Feststellungssubjekt vorlag und ob für dieses eine Erklärungspflicht für eine gesonderte und einheitliche Feststellungserklärung für das Streitjahr bestand.
Der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfordert, dass die Kläger es zumindest ernsthaft für möglich gehalten und gebilligt haben, das FA über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben, sie die Tatsachen kannten, die eine Verpflichtung zur Abgabe einer gesonderten und einheitlichen Feststellung für das Streitjahr begründet haben und sie auch billigend in Kauf genommen haben, durch ihr Verhalten einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil zu erlangen (vgl. z.B. Kohlmann, a.a.O., § 370 AO 1977, Rz 625, 665 ff.; s. auch Hellmann in HHSp, § 370 AO Rz 235 f., 238 ff.).
Haben die Kläger durch Nichtabgabe der Feststellungserklärung für das Streitjahr eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begangen, ist der angefochtene gesonderte und einheitliche Feststellungsbescheid vom 30. Oktober 2009 rechtzeitig ergangen und die Klage wäre unbegründet.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.