Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 17.05.2011


BFH 17.05.2011 - VIII R 31/08

Keine wirksame Strafbefreiungserklärung bei nur versuchter Hinterziehung - Zeitpunkt der Vollendung einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen - Grundsatz "in dubio pro reo" bei Anwendung des StraBEG


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
17.05.2011
Aktenzeichen:
VIII R 31/08
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 20. August 2008, Az: 9 K 352/06, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Eine Steuerfestsetzung nach StraBEG erfolgt nur bei einer Steuerhinterziehung, die im Zeitpunkt der Abgabe der strafbefreienden Erklärung bereits vollendet war .

2. NV: Eine strafbefreiende Erklärung ist folglich nicht wirksam bei Nichtabgabe einer Steuererklärung und unterbliebener Steuerfestsetzung für einen Veranlagungszeitraum, für den zum 17. Oktober 2003 die regelmäßigen Veranlagungsarbeiten noch nicht abgeschlossen waren .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die vom Kläger und Revisionskläger (Kläger) durch Abgabe einer Erklärung nach dem Gesetz über die strafbefreiende Erklärung (Strafbefreiungserklärungsgesetz --StraBEG--) bewirkte Steuerfestsetzung zu Recht aufgehoben hat, soweit sie die Einkommensteuer für 2002 betrifft.

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Der Kläger erzielte seit 1998 Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Ingenieur. Für die Veranlagungszeiträume 1998 bis 2002 gab er weder Einkommen- noch Umsatzsteuererklärungen ab. Im Dezember 2004 reichte er für diese Jahre strafbefreiende Erklärungen nach dem StraBEG ein und entrichtete jeweils rechtzeitig den nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StraBEG ermittelten Betrag.

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Das FA hielt die Erklärung für unwirksam, soweit sie den Veranlagungszeitraum 2002 betraf und hob die durch die Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung insoweit durch Bescheid vom 21. Januar 2005 auf. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos. Auf die Klage hat das Finanzgericht (FG) den Aufhebungsbescheid hinsichtlich der Umsatzsteuer für 2002 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Für die Wirksamkeit der strafbefreienden Erklärung komme es darauf an, ob der Kläger die Einkommensteuer bis zum 17. Oktober 2003 verkürzt habe. Bei Nichtabgabe der Erklärung sei insoweit der Abschluss der regelmäßigen Veranlagungsarbeiten maßgeblich. Davon sei hinsichtlich der Einkommensteuer 2002 erst im November 2004 auszugehen.

4

Mit seiner Revision trägt der Kläger vor, er habe sich gegen Ende des Kalenderjahres 2004 entschlossen, sein bisheriges steuerliches Fehlverhalten unter Beachtung des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit zu korrigieren. Er habe die Steuerhinterziehung auch hinsichtlich der Einkommensteuer für 2002 vor dem entscheidenden Datum des 17. Oktober 2003 begangen. Eine Hinterziehungstat sei zu der Zeit begangen, zu der der Täter gehandelt habe oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen. Maßgeblich für eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen sei insoweit der Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist gemäß § 149 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO), für die Einkommensteuererklärung 2002 mithin der 31. Mai 2003. Im angefochtenen Urteil werde nichts weiter zur Legaldefinition des § 8 des Strafgesetzbuchs (StGB) ausgeführt, wonach es für die Tatbegehung nicht auf den Eintritt des Taterfolgs ankomme.

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Der Kläger beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen worden ist, und den Aufhebungsbescheid vom 21. Januar 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. August 2006 aufzuheben.

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Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

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Zutreffend hat das FG erkannt, dass der Bescheid vom 21. Januar 2005 rechtmäßig ist, mit dem das FA die durch die Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung aufgehoben hat.

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a) Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG ist die mit der Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung (§ 10 Abs. 2 StraBEG) aufzuheben oder zu ändern, soweit nach dem StraBEG keine Straf- oder Bußgeldfreiheit eintritt. Ob die Straf- oder Bußgeldfreiheit im Sinne der Vorschrift eintritt, richtet sich nach dem ersten Abschnitt des Gesetzes (vgl. § 8 Abs. 1 StraBEG). Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG wird u.a. nicht nach den §§ 370, 370a AO bestraft, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch Einkommensteuer verkürzt hat, wenn auch die weiteren Voraussetzungen der Norm vorliegen. Die Abgabe einer strafbefreienden Erklärung ist ausgeschlossen, soweit die Tat i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG nach dem 17. Oktober 2003 begangen worden ist (§ 1 Abs. 7 StraBEG).

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b) Straffreiheit nach § 1 Abs. 1 StraBEG tritt nur ein, wenn die mit der strafbefreienden Erklärung offenbarte Steuerhinterziehung im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung bereits vollendet war.

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aa) Dafür spricht der eindeutige Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG, der voraussetzt, dass der Erklärende die Steuer verkürzt hat. Der Senat schließt sich mit dieser Auslegung der ganz überwiegenden Ansicht im Schrifttum an, dass der Versuch der Tat (§ 370 Abs. 2 AO i.V.m. § 23 StGB) durch das StraBEG nicht privilegiert wird (so etwa Joecks in Franzen/ Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Aufl., § 1 StraBEG Rz 6; Levedag, Finanz-Rundschau --FR-- 2006, 491 f.; Kamps/Wulf, FR 2004, 121, 123 f.; Stahl, Die Steuerberatung 2004, 153 f.; Lausterer/Haisch, Deutsche Steuer-Zeitung 2004, 215, 217, m.w.N.; a.A. Schwedhelm/Spatschek, Deutsches Steuerrecht 2004, 109, 113).

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bb) Aus § 1 Abs. 7 StraBEG ergibt sich nichts anderes. Die Vorschrift betrifft lediglich den zeitlichen Anwendungsbereich des StraBEG und ändert nichts an den materiellen Anwendungsvoraussetzungen des Gesetzes; insoweit verweist sie vielmehr ausdrücklich auf "die Tat im Sinne des Absatzes 1 Satz 1". Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich schon deshalb aus der Bestimmung in § 8 StGB, wonach der Eintritt des Taterfolgs nicht maßgeblich für die Zeit der Tatbegehung ist, kein (Umkehr-)Schluss im Sinne seines Klagebegehrens ziehen.

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cc) Eine andere Beurteilung folgt entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung des Klägers nicht daraus, dass der Gesetzgeber das Streitjahr (2002) erst in einem späteren Stadium des Gesetzgebungsverfahrens --im Dezember 2003-- in den vom StraBEG erfassten Zeitrahmen einbezogen hat (Veranlagungszeiträume 1993 bis 2002, § 4 Abs. 1 Satz 1 StraBEG). Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Materialien ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine strafbefreiende Erklärung für das Jahr 2002 auch in Fällen der bis zum Stichtag (17. Oktober 2003) nur versuchten Steuerhinterziehung durch Unterlassen begünstigen wollte. Der Anwendungsbereich des Gesetzes erstreckt sich daher auch für das Jahr 2002 nur auf Fälle, in denen der Taterfolg bis zum 17. Oktober 2003 eingetreten ist.

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c) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Vorentscheidung rechtlich nicht zu beanstanden. Das FA hat die durch die Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung zu Recht gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG aufgehoben, soweit sie die Einkommensteuer für 2002 betrifft, weil insoweit die vom Kläger allenfalls beabsichtigte Steuerhinterziehung im Zeitpunkt der Abgabe der strafbefreienden Erklärung noch nicht vollendet war, so dass insoweit Straffreiheit nach dem ersten Abschnitt des StraBEG nicht eintreten konnte.

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aa) Zu Recht hat das FG darauf abgestellt, dass hinsichtlich der vom Kläger (möglicherweise) beabsichtigten Hinterziehung der Einkommensteuer der Taterfolg bis zum 17. Oktober 2003 noch nicht eingetreten war, weil der bei Nichtabgabe der Erklärung nach der Rechtsprechung insoweit maßgebliche Abschluss der regelmäßigen Veranlagungsarbeiten (s. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. Oktober 1998  5 StR 500/98, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1999, 669) nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht vor dem 1. November 2004 anzunehmen war.

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bb) Aus dem vom Kläger ins Feld geführten Grundsatz "in dubio pro reo" ergibt sich nichts anderes. Da nach der zutreffenden Auffassung des FG feststeht, dass der Kläger vor dem 18. Oktober 2003 keine Tat i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG begangen hat, ist kein Raum für entsprechende Zweifel. Im Übrigen ist der Grundsatz "in dubio pro reo" zwar auch bei Anwendung des StraBEG beachtlich (vgl. Joecks in Franzen/Gast/ Joecks, a.a.O., § 1 StraBEG Rz 4, m.w.N.), allerdings mit der Folge, dass bei bestehenden Zweifeln über eine Tatbegehung die Unschuldsvermutung gilt und das StraBEG keine Anwendung findet, weil dann nicht von einer begangenen Straftat oder Steuerordnungswidrigkeit ausgegangen werden kann (vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, a.a.O., § 1 StraBEG Rz 4).